TE Bvwg Beschluss 2020/9/11 G303 2234773-1

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Veröffentlicht am 11.09.2020
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Entscheidungsdatum

11.09.2020

Norm

AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs2 Z1
B-VG Art133 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

G303 2234773-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , Staatsangehörigkeit: Haiti, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, Außenstelle Leoben, vom 06.08.2020, IFA-Zahl/Verfahrenszahl XXXX , betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurde gegen die beschwerdeführende Partei (im Folgenden: BF) ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z1 FPG erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Haiti zulässig ist. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde ein vierjähriges Einreiseverbot gegen den BF verhängt. Zudem wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt. Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG aberkannt.

Begründend wurde ausgeführt, dass der BF seit 02.06.2010 im Bundesgebiet behördlich gemeldet sei, seit Ablauf der „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ am 11.04.2020 sich illegal in Österreich befinde und zwei Mal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden sei.

Im angefochtenen Bescheid wurden Länderfeststellungen getroffen, deren herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen aus dem Jahr 2010 stammen. Festzuhalten ist auch, dass hinsichtlich der zwei strafgerichtlichen Verurteilungen keine Strafurteile bzw. sonstige relevante Schriftstücke wie Anklageschriften, Beschlüsse etc. im Verwaltungsakt einliegen.

Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 03.09.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben.

Das BFA legte die Beschwerde und die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 07.09.2020 einlangten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.       der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.06.2018, Ra 2017/09/0031, insbesondere Rz 13 und 14 mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

„13 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 10.9.2014, Ra 2014/08/0005; 24.3.2015, Ra 2014/09/0043, 14.12.2015, Ra 2015/09/0057, und 20.2.2018, Ra 2017/20/0498, jeweils mwN).

14 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. etwa das zit. Erkenntnis Ra 2017/20/0498, mwN).“

Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln. Dies aus folgenden Gründen:

Im angefochtenen Bescheid wurde unter anderem eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z1 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Haiti zulässig ist. Dabei wurden die maßgeblichen Bestimmungen des FPG angewendet. Auch im FPG gilt das Refoulementverbot als oberster Grundsatz und ist bei jeder aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu beachten Gemäß § 50 FPG ist demnach eine Abschiebung eines Fremden in einen Staat unzulässig, wenn diese Art. 2 bzw. 3 EMRK verletzen würde. Dies wurde seitens des BFA anhand von Länderfeststellungen überprüft, welche auf herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen basieren, die über zehn Jahre alt sind. Eine sachgerechte Beurteilung betreffend die Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat ist anhand der seitens der belangten Behörde getroffenen Feststellungen keinesfalls möglich, da diese überholt sind und nicht mehr der aktuellen Lage entsprechen, insbesondere beziehen sich die getroffenen Länderfeststellungen des BFA auf das Erdbeben und seine Folgen, welches am 12.01.2010 in Haiti stattgefunden hat.

Die Vornahme geeigneter Ermittlungen zur Gewinnung von Erkenntnissen über die aktuelle Situation im Herkunftsstaat des BF ist eine der Kernaufgaben des BFA, das gesetzlich auch zum Betrieb einer geeigneten Organisationsstruktur, der Staatendokumentation, verpflichtet wurde (vgl. § 5 BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G). Schon aus diesen Gründen ist die Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG im vorliegenden Fall gerechtfertigt.

Des Weiteren ist bei Erlassung eines Einreiseverbotes, wie gegenständlich, eine Gefährdungsprognose durchzuführen. Im Rahmen einer Gefährdungsprognose ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl etwa VwGH 06.12.2019, Ra 2019/18/0437 mwN).

Diesbezüglich wurden im angefochtenen Bescheid lediglich die Daten des Strafregisters wiedergegeben. Feststellungen zu den einzelnen Verurteilungen wurden keinerlei getroffen. Das BFA hat sich auch nicht mit dem konkreten straffälligen Verhalten des BF auseineindergesetzt. Es wurden auch keine Ermittlungen durchgeführt, um eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose treffen zu können, insbesondere wurden nach der vorliegenden Aktenlage keine Strafurteile eingeholt.

Das BFA wird daher im fortgesetzten Verfahren Ermittlungen zur Gewinnung von Erkenntnissen über die aktuelle Situation im Herkunftsstaat Haiti durch die Staatendokumentation durchführen müssen.

Das BFA wird sich zudem im fortgesetzten Verfahren durch Einholung der maßgeblichen strafgerichtlichen Urteile mit dem konkreten Verhalten des BF auseinanderzusetzen haben und daraus resultierend eine Gefährdungsprognose zu treffen sowie darauf basierend eine umfassende Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG anzustellen haben.

Es hat sich insgesamt nicht ergeben, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung der Angelegenheit, mit einer wesentlichen Zeitersparnis und Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wäre.

Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.

Da alle Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG vorliegen, war der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G303.2234773.1.00

Im RIS seit

11.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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