TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/17 G311 2209043-1

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Veröffentlicht am 17.09.2020
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Entscheidungsdatum

17.09.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §54
NAG §55 Abs3

Spruch

G311 2209043-1/8E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 06.08.2020 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Bosnien und Herzegowina, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Heinz WOLFBAUER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.08.2020 zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2018 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß
§ 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Ehe mit einer in Österreich ihr Freizügigkeitsrecht wahrnehmenden kroatischen Staatsbürgerin eine Aufenthaltskarte zum Zweck Angehöriger eines EWR-Bürgers erteilt worden sei. Die Ehe sei aber bereits nach einem Jahr geschieden worden. Es lägen Voraussetzungen gemäß § 54 Abs. 5 BFA-VG für eine Fortsetzung des Aufenthaltsrechtes nicht vor und führe der Beschwerdeführer in Österreich nicht ein die öffentlichen Interessen überwiegendes Privat- und Familienleben.

Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz des bevollmächtigten Rechtsvertreters des Beschwerdeführers vom 05.11.2018, beim Bundesamt am 06.11.2018 einlangend, fristgerecht das Rechtmittel der Beschwerde erhoben. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, der Beschwerde stattgeben und den angefochtenen Bescheid aufheben; in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und das Verfahren an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es richtig sei, dass die am XXXX .2016 geschlossene Ehe am XXXX .2017 rechtskräftig geschieden worden sei, sodass die Ehe nur knapp ein Jahr gedauert hätte. Ein Festhalten an der Ehe sei aufgrund der steigenden Meinungsdifferenzen bezogen auf eine weitere Lebensplanung jedoch unzumutbar iSd § 54 Abs. 5 Z 4 NAG gewesen. Darüber hinaus lägen beim Beschwerdeführer durch seine Beschäftigung die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 und 2 NAG vor. Da der Beschwerdeführer zudem unter anderem zur Beschäftigungsaufnahme in das Bundesgebiet eingereist sei und er eine solche seit 2016 fast durchgehend ausübe, lägen die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 FPG nicht vor, da ihm schon deswegen ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukomme. Die belangte Behörde habe zudem eine falsche Abwägung nach Art. 8 EMRK vorgenommen und die öffentlichen Interessen an einer Beendigung des Aufenthalts in unzulässiger Weise den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet vorangestellt.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und langten am 08.11.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Infolge des unter einem mit der Ladung zur mündlichen Beschwerdeverhandlung ergangenen Auftrags gab der Beschwerdeführer mit Schreiben seiner Rechtsvertretung vom 20.07.2020 den vollen Namen und das Geburtsdatum seiner Ex-Ehefrau bekannt und legte weiters eine Arbeitsbestätigung sowie Lohnabrechnungen für April bis Juni 2020 vor.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.08.2020 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, sein Rechtsvertreter und ein Dolmetscher für die Sprache Bosnisch teilnahmen. Seitens der belangten Behörde erschien kein informierter Vertreter.

Nach Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet und die Rechtsmittelbelehrung erteilt. Der Rechtsvertreter beantragte daraufhin die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina. Er ist strafgerichtlich unbescholten (vgl aktenkundige Kopie des bosnischen Reisepasses, AS 11; Strafregisterauszug vom 05.08.2020).

Beim Beschwerdeführer liegen im Bundesgebiet nachfolgende Wohnsitzmeldungen vor (vgl Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 05.08.2020):

-        12.06.2014-26.06.2014  Hauptwohnsitz

-        05.01.2016-27.01.2016  Nebenwohnsitz

-        13.09.2016-18.04.2017  Hauptwohnsitz

-        02.05.2017 bis laufend  Hauptwohnsitz

Weiters weißt der Beschwerdeführer nachfolgende Beschäftigungszeiten im Bundesgebiet auf (vgl Sozialversicherungsdatenauszug vom 05.08.2020):

-        07.12.2016-23.12.2016  Arbeiter

-        01.03.2017-31.08.2017  Arbeiter

-        18.09.2017-22.09.2017  Arbeiter

-        02.10.2017-31.03.2020  Arbeiter

-        01.04.2020-laufend  Arbeiter

Der Beschwerdeführer heiratete am XXXX .2016 eine kroatische Staatsangehörige. Diese hält sich seit 14.06.2006 durchgehend im Bundesgebiet auf (vgl Auszug aus dem Zentralen Melderegister der Ex-Ehefrau vom 05.08.2020). Die Ehe wurde mit Urteil des Gemeindegerichtes XXXX , Bosnien-Herzegowina REPUBLIK SRPSKA, vom XXXX .2017, rechtskräftig am XXXX .2017, geschieden (vgl aktenkundiges Urteil samt beglaubigter Übersetzung ins Deutsche, AS 15 ff). Die Beziehung des BF zu seiner Ex-Frau begann 2008, sie lernten sich im Heimatort des Beschwerdeführers in Bosnien und Herzegowina kennen. Die spätere Ex-Ehefrau lebte bereits in Österreich, verbrachte die Ferien aber in Bosnien und Herzegowina. Wie sich aus dem Scheidungsurteil ergibt, waren Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eheleuten für die Ehescheidung ausschlaggebend. Auch war die Ex-Schwiegermutter mit der Beziehung nicht einverstanden, die sich in die Beziehung einmischte (vgl etwa Verhandlungsprotokoll vom 06.08.2020, S 3 f).

Die Ex-Ehefrau des Beschwerdeführers ist seit 01.01.2017 bis laufend bei einer Supermarktkette als Angestellte zur Sozialversicherung gemeldet. Ihr kommt daher nach wie vor ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu (vgl Sozialversicherungsdatenauszug sowie Fremdenregisterauszug der Ex-Ehefrau vom 05.08.2020).

Dem Beschwerdeführer wurde mit Gültigkeit von 04.10.2016 bis 04.10.2021 durch das Amt der XXXX Landesregierung, Magistratsabteilung XXXX , eine Aufenthaltskarte zum Zweck Angehöriger eines EWR-Bürgers erteilt (vgl Fremdenregisterauszug vom 05.08.2020; aktenkundige Kopie der Aufenthaltskarte).

Am 10.07.2018 hat der Beschwerdeführer die Integrationsprüfung (Sprachkompetenz A2 sowie Werte- und Orientierungskurs) abgelegt (vgl aktenkundiges Zeugnis über die Integrationsprüfung, AS 57).

Die Eltern, der Bruder, die nunmehrige Ehegattin des Beschwerdeführers sowie das gemeinsame Kind leben in Bosnien und Herzegowina (vgl Verhandlungsprotokoll vom 06.08.2020, S 3 f).

2. Beweiswürdigung:

Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Person und dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum) und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde. Weiters ist eine Kopie seines bosnischen Reisepasses aktenkundig, an dessen Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind.

Das Bundesverwaltungsgericht nahm zudem sowohl hinsichtlich des Beschwerdeführers als auch seiner Ex-Ehefrau Einsicht in das Fremdenregister, das Zentrale Melderegister sowie in die Sozialversicherungsdaten und hinsichtlich des Beschwerdeführers auch in das Strafregister.

Das bosnische Scheidungsurteil samt deutscher Übersetzung liegt ebenfalls im Gerichtsakt ein.

Der Beschwerdeführer brachte in der mündlichen Verhandlung auch glaubhaft vor, dass sich seine Ex-Schwiegermutter in die Beziehung eingemischt, mit dieser nicht einverstanden war.

Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den im Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt einliegenden Beweismitteln und insbesondere den im gesamten Verfahren vom Beschwerdeführer gemachten eigenen Angaben, welche jeweils in Klammer zitiert und vom Beschwerdeführer zu keiner Zeit bestritten wurden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A.):

Gemäß § 2 Abs. 4 Z 11 FPG ist begünstigter Drittstaatsangehöriger: der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

§ 66 Abs. 1 und 2 FPG lauten:

"(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen."

§ 51 Abs. 1 NAG lautet:

"Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen."

§ 54 NAG lautet auszugsweise:

„§ 54. (1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

[…]

(5) Das Aufenthaltsrecht der Ehegatten oder eingetragenen Partner, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 oder 2 erfüllen und
1.         die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet;
2.         die eingetragene Partnerschaft bis zur Einleitung des gerichtlichen Auflösungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet;
3.         ihnen die alleinige Obsorge für die Kinder des EWR-Bürgers übertragen wird;
4.         es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere weil dem Ehegatten oder eingetragenem Partner wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft nicht zugemutet werden kann, oder
5.         ihnen das Recht auf persönlichen Umgang mit dem minderjährigen Kind zugesprochen wird, sofern das Pflegschaftsgericht zur Auffassung gelangt ist, dass der Umgang – solange er für nötig erachtet wird – ausschließlich im Bundesgebiet erfolgen darf.

[…]“

Gemäß § 55 Abs. 3 NAG hat die Behörde für den Fall, dass das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht besteht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

§ 55 Abs. 4 NAG lautet:

„(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.“

Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei einem Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 NAG nicht um einen Antrag auf Erlassung eines Bescheides, sondern nur um einen solchen auf die Ausstellung einer Urkunde handelt. Die begehrte Aufenthaltskarte verschafft nämlich kein Recht, wirkt also nicht konstitutiv, sondern bestätigt lediglich das Bestehen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, sofern ein solches überhaupt besteht. Es handelt sich somit um einen bloß deklarativ wirkenden Verwaltungsakt in Form einer Urkunde (vgl dazu VwGH vom 17.11.2011, 2009/21/0378).

Aus § 55 Abs. 4 NAG geht klar hervor, dass in den davon erfassten Konstellationen die Frage der Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung anhand des § 66 FPG 2005 zu prüfen ist. Diesfalls kommt es auf das Vorliegen einer Eigenschaft des Fremden als begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG 2005 nicht an. Ebenso wenig ist für das zu wählende Verfahren maßgeblich, zu welchem Zeitpunkt die Meldung nach § 54 Abs. 6 NAG 2005 erstattet wurde (VwGH vom 18.06.2013, 2012/18/0005).

Der Beschwerdeführer ist im Entscheidungszeitpunkt Arbeitnehmer gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 NAG (VwGH vom 15.03.2018, Ro 2018/21/0002).

Das Aufenthaltsrecht der Ehegatten bleibt gemäß § 54 Abs. 5 NAG unter den dort genannten Voraussetzungen bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erfüllen. Die Ehe des Beschwerdeführers wurde am 06.08.2016 geschlossen und gerichtlich am 31.08.2017 mit Rechtskraft am 26.12.2017 geschieden. Die Voraussetzung des § 54 Abs. 5 Z 1 NAG ist daher gegenständlich nicht gegeben.

Mit § 54 Abs. 5 NAG wird Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie) umgesetzt. Der VwGH hat dazu in seiner Entscheidung vom 15.03.2018, Ro 2018/21/0002, ausgeführt:

„[…]

Der genannte Art. 13 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie lautet auszugsweise:

‚Artikel 13

Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder bei Beendigung der eingetragenen Partnerschaft

(1) ...

(2) Unbeschadet von Unterabsatz 2 führt die Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder die Beendigung der eingetragenen Partnerschaft im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b für Familienangehörige eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, nicht zum Verlust des Aufenthaltsrechts, wenn

a) die Ehe oder die eingetragene Partnerschaft im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens oder bis zur Beendigung der eingetragenen Partnerschaft mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Aufnahmemitgliedstaat, oder
b)         [...]
c)         es aufgrund besonders schwieriger Umstände erforderlich ist, wie etwa bei Opfern von Gewalt im häuslichen Bereich während der Ehe oder der eingetragenen Partnerschaft, oder
d)         [...]‘

14 Aus Anlass des vorliegenden Falles ist nicht weiter auf die unterschiedlichen Formulierungen unter Buchst. c der zitierten unionsrechtlichen Norm einerseits und in der korrespondierenden nationalen Bestimmung des § 54 Abs. 5 Z 4 NAG andererseits einzugehen. Vor dem Hintergrund des in Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. c der Freizügigkeitsrichtlinie genannten Beispielsfalls kann es nämlich jedenfalls keinem Zweifel unterliegen, dass der - mit den Worten des BVwG - "typische Fall einer Ehescheidung, bei dem ein Eheteil einen anderen Partner findet", keine "besonders schwierigen Umstände" darstellt, aufgrund derer die Aufrechterhaltung des bisherigen Aufenthaltsrechts des Revisionswerbers "erforderlich" gewesen wäre.

[…]“

Der Beschwerdeführer brachte vor, es sei zur Scheidung wegen anhaltender Meinungsverschiedenheiten, steigender Differenzen bezüglich der zukünftigen Lebensplanung und darüber hinaus wegen der Einmischung der Ex-Schwiegermutter in die Beziehung gekommen.

Im vorliegenden Fall liegen somit keine besonders schwierigen Umstände iSd Art. 13 Abs. 2 lit. c der Richtlinie 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie) vor (vgl dazu erneut 15.03.2018, Ro 2018/21/0002).

Nach § 66 Abs. 2 FPG 2005 und § 9 BFA-VG 2014 ist bei Erlassung einer auf § 66 FPG gestützten Ausweisung eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts mit dem Interesse an einem Verbleib in Österreich vorzunehmen, bei der insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter, der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß der Bindungen zum Heimatstaat sowie die Frage der strafgerichtlichen Unbescholtenheit zu berücksichtigen sind (VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0049).

Der Beschwerdeführer hält sich seit 04.10.2016 rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Er geht in Österreich einer Beschäftigung nach und ist strafgerichtlich unbescholten. Mit der Erlassung einer Ausweisung ist daher ein nicht unerheblicher Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers verbunden. Dass er familiäre Bindungen zum Bundesgebiet hat, wurde nicht vorgebracht. Er ist von seiner noch in Österreich lebenden Ex-Ehefrau geschieden und hat keine Familienangehörigen im Bundesgebiet. Seine aktuelle Ehefrau, das gemeinsame Kind, die Eltern sowie der Bruder des Beschwerdeführers leben allesamt in Bosnien und Herzegowina. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr nach Bosnien und Herzegowina wieder Unterstützung durch seine Familie erfährt. Der Beschwerdeführer lebt seit knapp vier Jahren in Österreich, sodass nicht davon auszugehen war, dass er in Bosnien völlig entwurzelt wäre. Es ist dem Beschwerdeführer auch bewusst gewesen, dass sich sein Aufenthaltsrecht von jenem seiner geschiedenen Ex-Ehefrau mit kroatischer Staatsbürgerschaft ableitet. Er muss sich daher auch seit Auflösung der ehelichen Gemeinschaft spätestens im Dezember 2017 (somit maximal eineinhalb Jahre nach der Eheschließung) bewusst gewesen sein, dass ein Aufenthaltsstatus nicht sicher ist.

Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG 2014 stellt nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthaltsrechts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen. Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu (VwGH vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0289 mwN).

Bei einer gewichtenden Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit den gegenläufigen privaten Interessen hat sich bei einer Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles – auch unter Berücksichtigung der legalen Beschäftigung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet – ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung ergeben, zumal er sich erst seit vier Jahren im Bundesgebiet aufhält, er keine familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet hat und seine Familienangehörigen allesamt in Bosnien und Herzegowina leben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Ausweisung ab, noch ist diese Rechtsprechung als uneinheitlich zu bewerten. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der gegenständlich zu lösenden Rechtsfragen liegen nicht vor.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht Ausweisung EU-Bürger Interessenabwägung Privat- und Familienleben Resozialisierung Scheidung Unbescholtenheit Unionsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G311.2209043.1.00

Im RIS seit

11.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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