Entscheidungsdatum
18.09.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G311 2182571-1/22E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Dr. Helmut BLUM, LL.M., MAS, gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.11.2017, Zahl: XXXX , betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, zu Recht:
A) Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 20.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.
Am 22.05.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers zu seinem Antrag auf internationalen Schutz statt.
Die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, fand am 04.05.2017 statt.
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Antrag bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.), dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde dem Beschwerdeführer weiters eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.).
Mit dem am 04.01.2018 beim Bundesamt eingebrachten Schriftsatz vom 02.01.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den ihn betreffenden Bescheid des Bundesamtes. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, der Beschwerde stattgeben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten oder allenfalls des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, zumindest aber einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen, oder den angefochtenen Bescheid aufheben und das Verfahren an das Bundesamt zurückverweisen.
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 11.01.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
Mit Schreiben vom 25.01.2018, beim Bundesverwaltungsgericht am 30.01.2018 einlangend, übermittelte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter mehrere Unterstützungsschreiben mit dem Ersuchen, diese bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.
Mit Schreiben vom 24.04.2019, beim Bundesverwaltungsgericht am 25.04.2019 einlangend, übermittelte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter weitere Unterstützungsschreiben sowie eine Bestätigung der Wohnortgemeinde über die von ihm seit mehreren Jahren ausgeübte Hilfstätigkeit am örtlichen Bauhof mit dem Ersuchen, diese bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.
Mit dem am 02.05.2019 einlangenden und mit 30.04.2019 datierten Schreiben legte der Beschwerdeführer ein Zeugnis über die von ihm bestandene Integrationsprüfung mit einem Deutsch-Sprachniveau B1 sowie eine Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs vor. Mit Schreiben vom 15.08.2019, einlangend am 19.08.2019, brachte der Beschwerdeführer weiters eine Einstellungszusage zur Vorlage.
Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.10.2019 wurden der bevollmächtigten Rechtsvertretung des Beschwerdeführers und dem Bundesamt zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung ein Konvolut von aktuellen und relevanten Länderberichten zum Irak zur Kenntnisnahme übermittelt und zugleich die Möglichkeit der Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung oder der mündlichen Stellungnahme im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingeräumt.
Mit Schreiben vom 15.10.2019 wurden seitens der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers zur Vorbereitung der mündlichen Beschwerdeverhandlung weitere Unterstützungs- und Bestätigungsschreiben, darunter eine Mitarbeiterkarte des Roten Kreuzes, seine Bewerbung zur Lehre als Prozesstechniker vom Juni 2018 sowie eine Bestätigung der Wohnortgemeinde vom 11.10.2019 über die Hilfstätigkeiten des Beschwerdeführers in der Gemeinde zwischen Oktober 2015 und September 2019.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 25.10.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, seine Rechtsvertretung sowie ein Dolmetscher für die arabische Sprache teilnahmen. Die belangte Behörde erschien unentschuldigt nicht zur Verhandlung und nahm auch zu den vorab übermittelten Länderberichten nicht Stellung. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers als Zeugin vernommen.
Mit am 25.10.2019 mündlich verkündetem und am 04.03.2020 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes zur Zahl G311 2182571-1/11E wurde die gegen den Bescheid des Bundesamtes erhobene Beschwerde hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides) sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides) abgewiesen (Spruchpunkt I.), hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VI. des angefochtenen Bescheides der Beschwerde jedoch stattgeben, festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 für die Dauer von zwölf Monaten erteilt (Spruchpunkt II.).
Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) vom 30.07.2020, Ra 2020/20/0130, wurde infolge einer vom Bundesamt erhobenen Amtsrevision gegen Spruchpunkt II. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.10.2019 bzw. 04.03.2020 betreffend die Feststellung der dauernden Unzulässigkeit der Erlassung der Rückkehrentscheidung nach dem BFA-VG und Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem AsylG 2005 Spruchpunkt II. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes aufgehoben.
Die Gerichtsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht daraufhin zur neuerlichen Entscheidung über die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VI. des angefochtenen Bescheides rückübermittelt.
Mit Schriftsatz des bevollmächtigten Rechtsvertreters des Beschwerdeführers vom 27.08.2020, am selben Tag beim Bundesverwaltungsgericht einlangend, wurden ergänzende Unterlagen zur fortgeschrittenen Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet vorgelegt und darüber hinaus zusammengefasst ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer inzwischen fünf Jahre und drei Monate im Bundesgebiet aufhalte, Deutsch auf Niveau B1 spreche, erwerbstätig und selbsterhaltungsfähig sei. Seine Lebensgefährtin sei inzwischen zum Beschwerdeführer gezogen und sei eine Eheschließung nach abschließender Klärung des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet beabsichtigt. Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet würden die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Mit am 25.10.2019 mündlich verkündetem und am 04.03.2020 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes zur Zahl G311 2182571-1/11E wurde die gegen den Bescheid des Bundesamtes erhobene Beschwerde hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides) sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides) abgewiesen (Spruchpunkt I.), hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VI. des angefochtenen Bescheides der Beschwerde jedoch stattgeben, festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 für die Dauer von zwölf Monaten erteilt (Spruchpunkt II.).
Das Bundesverwaltungsgericht traf in dieser Entscheidung auszugsweise nachfolgende Feststellungen:
„Feststellungen:
Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Seine Muttersprache ist Arabisch, er ist ledig und hat keine Kinder (vgl. etwa Erstbefragung vom 22.05.2015, S 1 ff; Niederschrift Bundesamt vom 04.05.2017, S 2 ff; Kopie irakischer Personalausweis sowie irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis; Verhandlungsprotokoll vom 25.10.2019, S 3 ff).
Der Beschwerdeführer leidet an Neurodermitis und wird deswegen mit einer „Impfkur“ medizinisch behandelt, ist aber sonst gesund und arbeitsfähig. Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen im Endstadium leidet, die im Irak nicht behandelbar wären (vgl. etwa Erstbefragung vom 22.05.2015, S 3; Niederschrift Bundesamt vom 04.05.2017, S 2; Verhandlungsprotokoll vom 25.10.2019, S 7 ff; diverse Einstellungszusagen und Bestätigungen über Gemeindetätigkeiten).
Geboren und aufgewachsen ist der Beschwerdeführer in Bagdad, wo er von 1994 bis 2003 lebte und auch die ersten drei Jahre der Grundschule besuchte. Dann übersiedelte er mit seiner Familie nach XXXX im Gouvernement Anbar, wo er den Rest seiner Schulbildung bis zur Matura abschloss. Von 2013 bis 2014 studierte er in XXXX ein Jahr Politikwissenschaften. In dieser Zeit wohnte er im Studentenwohnheim in XXXX . Im Zuge der Eroberungen durch den IS im Jahr 2014 im Gouvernement Anbar flüchtete der Beschwerdeführer mit seiner Mutter und seinen beiden Brüdern im August 2014 nach Bagdad zum Großvater. Der Vater des Beschwerdeführers verstarb bereits 2013 an einem Herzinfarkt. In der Folge kam die Mutter durch ihre Arbeit als Grundschullehrerin für Englisch für den Familienunterhalt auf. Nach der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Irak blieben seine Mutter und seine beiden Brüder weiterhin in Bagdad, bis auch der Großvater verstarb. Im Jänner 2018 verließen auch sie den Irak und leben seither in der Türkei. Er hat mit seiner Familie in der Türkei etwa einmal pro Monat telefonischen Kontakt. Weiters hat der Beschwerdeführer noch zu im Irak lebenden Freunden Kontakt (vgl. etwa Erstbefragung vom 22.05.2015, S 1 ff; Niederschrift Bundesamt vom 04.05.2017, S 3 f; Verhandlungsprotokoll vom 25.10.2019, S 3 ff).
Der Beschwerdeführer reiste mit seiner Mutter und seinen beiden Brüdern am 06.08.2014 mit dem Taxi von XXXX /Anbar nach Bagdad. Am 17.09.2014 reiste der Beschwerdeführer alleine und legal auf dem Luftweg von Bagdad nach Ankara/Türkei aus. Er blieb daraufhin bis 05.05.2015 in der Türkei und reiste dann ab Izmir/Türkei schlepperunterstützt über Griechenland, Nordmazedonien, Serbien und weitere „unbekannte Länder“ bis nach Österreich, wo er am 20.05.2015 einreiste und am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte (vgl. etwa Erstbefragung vom 22.05.2015, S 1 ff; Niederschrift Bundesamt vom 04.05.2017, S 3 ff; Verhandlungsprotokoll vom 25.10.2019, S 5 ff).
Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Asylantragstellung ununterbrochen im Bundesgebiet auf und verfügt im Bundesgebiet seit 23.05.2015 bis zum Entscheidungszeitpunkt über durchgehende Hauptwohnsitzmeldungen. Er ist strafgerichtlich unbescholten (vgl. Auszug aus dem Zentralen Melderegister sowie dem Strafregister jeweils vom 25.10.2019).
In Österreich führt der Beschwerdeführer seit etwa März 2018 eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen, die als Bibliothekarin an der Akademie der bildenden Künste Wien arbeitet. Der Beschwerdeführer ist in das Familienleben seiner Freundin integriert und nimmt regelmäßig an gemeinsamen Treffen, Weihnachts- und Osterfeiern teil (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 25.10.2019, S 6 ff; Konvolut aktenkundiger Unterstützungsschreiben).
Von Oktober 2015 bis September 2019 arbeitete der Beschwerdeführer durchgehend für durchschnittlich 22 Stunden im Monat als Hilfsarbeiter seiner damaligen Wohnortgemeinde am Bauhof und erhielt dafür auch monatlich zwischen EUR 90,00 und EUR 110,00 an Remuneration von der Gemeinde (vgl. etwa Bestätigungen der Marktgemeinde XXXX vom 30.01.2018 und vom 11.10.2019). Einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit ist der Beschwerdeführer im Bundesgebiet bisher nicht nachgegangen, er bezog zusätzlich zu seinen Leistungen bei der Gemeinde auch Grundversorgung. Zum Entscheidungszeitpunkt bezieht der Beschwerdeführer aber keine Grundversorgungsleistungen mehr (vgl. Auszug aus den Grundversorgungsdaten vom 25.10.2019). Weiters war der Beschwerdeführer als Mitarbeiter beim Roten Kreuz aktiv, indem er dort wegen seiner guten Englisch-Kenntnisse gedolmetscht hat und bei diversen Tätigkeiten als Hausarbeiter mitarbeitete. Er hat weiters einen Erste-Hilfe-Grundkurs besucht (vgl. etwa Bestätigung des Roten Kreuzes vom 09.05.2019; Kopie Mitarbeiterausweis Rotes Kreuz; Bescheinigung Erste-Hilfe-Grundkurs vom 27.08.2019) und konnte eine Zusage für Schnuppertage und allfällig folgend einen Ausbildungsplatz als Elektroinstallationstechniker vom 31.07.2019 vorlegen (vgl. aktenkundige Bestätigung; Verhandlungsprotokoll vom 25.10.2019, S 6). Der Beschwerdeführer hat viele österreichische Freunde, mit welchen er seine Freizeit verbringt (vgl. ua die zahlreichen aktenkundigen Unterstützungsschreiben).
Weiters hat der Beschwerdeführer am 15.03.2019 die Integrationsprüfung mit Sprachkompetenzen in Deutsch auf Niveau B1 sowie zu Werte- und Orientierungswissen bestanden (vgl. aktenkundiges Zeugnis zur Integrationsprüfung vom 15.03.2019). Der Beschwerdeführer spricht sehr gut Deutsch und konnte die in der mündlichen Verhandlung an ihn gerichteten Fragen zu seiner Integration problemlos auf Deutsch beantworten (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 25.10.2019, S 6).
Insgesamt liegen maßgebliche Anhaltspunkte für eine Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht vor.
[…]“
Ergänzend zu den im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.10.2019 bzw. 04.03.2020 bereits getroffenen Feststellungen werden nunmehr nachfolgende Feststellungen getroffen:
Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Asylantragstellung ununterbrochen im Bundesgebiet auf und verfügt im Bundesgebiet seit 23.05.2015 bis zum Entscheidungszeitpunkt über durchgehende Hauptwohnsitzmeldungen. Seine Aufenthaltsdauer beträgt daher zum Entscheidungszeitpunkt fünf Jahre und vier Monate. Er ist strafgerichtlich unbescholten (vgl. Auszüge aus dem Zentralen Melderegister sowie dem Strafregister jeweils vom 08.09.2020).
Im Sozialversicherungsdatenauszug weist der Beschwerdeführer seit November 2019 nachfolgende Sozialversicherungszeit auf (vgl. Sozialversicherungsdatenauszug vom 08.09.2020):
? 15.11.2019-01.12.2019 Arbeiter
? 15.01.2020-05.03.2020 Arbeiter
? 16.03.2020-laufend Arbeiter
Seit 16.03.2020 geht er einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung im Bereich Maschinenbau nach. Er verdient dabei Monatlich netto rund EUR 1.464,00 (vierzehn Mal jährlich) (vgl. vorgelegte Bestätigung vom 20.07.2020 samt Dienstverstrag und Gehaltsabrechnung für März 2020 bis Juni 2020). Der Beschwerdeführer ist selbsterhaltungsfähig und bezieht seit Ende 2018 keine Grundversorgungsleistungen mehr (vgl. Auszug aus den Grundversorgungsdaten vom 08.09.2020).
In Österreich führt der Beschwerdeführer seit etwa März 2018 eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen, die als Bibliothekarin an der Akademie der bildenden Künste Wien arbeitete. Inzwischen ist die Lebensgefährtin zum Beschwerdeführer gezogen und beginnt demnächst eine Tätigkeit als Bibliothekarin in XXXX . Eine Eheschließung ist nach Klärung des Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich beabsichtigt. Der Beschwerdeführer ist in das Familienleben seiner Lebensgefährtin integriert (vgl. Stellungnahme vom 27.08.2020; Unterstützungsschreiben vom 24.10.2019).
2. Beweiswürdigung:
Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Zur Person und zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei:
Das Bundesverwaltungsgericht nahm hinsichtlich des Beschwerdeführers neuerlich Einsicht in das Fremdenregister, das Strafregister, das Zentrale Melderegister sowie die Grundversorgungs- und Sozialversicherungsdaten und holte die aktenkundigen Auszüge ein.
Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den im Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt einliegenden Beweismitteln und insbesondere den im gesamten Verfahren vom Beschwerdeführer und der Zeugin gemachten eigenen Angaben, welche jeweils in Klammer zitiert und weder vom Beschwerdeführer noch vom Bundesamt bestritten wurden. Der Beschwerdeführer und auch die einvernommene Zeugin wirkten im unmittelbaren Eindruck korrekt und zuverlässig. Es sind keine Umstände hervorgekommen, die die Angaben des Beschwerdeführers in Zweifel ziehen könnten. Darüber hinaus konnte er sein gesamtes Vorbringen durch geeignete Nachweise untermauern.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) vom 30.07.2020, Ra 2020/20/0130, wurde infolge einer vom Bundesamt erhobenen Amtsrevision gegen Spruchpunkt II. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.10.2019 bzw. 04.03.2020 betreffend die Feststellung der dauernden Unzulässigkeit der Erlassung der Rückkehrentscheidung nach dem BFA-VG und Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem AsylG 2005 Spruchpunkt II. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes aufgehoben.
Begründend führte der VwGH aus:
„[…]
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die Revision erwogen:
9 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl macht zur Zulässigkeit der Amtsrevision unter Hinweis auf näher bezeichnete Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend, das Bundesverwaltungsgericht sei von den von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Grundsätzen für die nach § 9 BFA VG vorzunehmende Interessenabwägung abgewichen. Es habe bei seiner Interessenabwägung dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen nicht die diesem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zukommende Bedeutung beigemessen, indem es die Integration des Mitbeteiligten in unverhältnismäßiger Weise in den Vordergrund gestellt habe. Auch eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin, die nicht derart eng und dauerhaft sei, dass sie als „de facto Ehe“ im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu qualifizieren sei, begründe keine derart außergewöhnliche Konstellation. Die vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Merkmale der Integration begründeten im vorliegenden Fall keine außergewöhnliche Konstellation, der zufolge trotz des erst viereinhalbjährigen Aufenthalts des Mitbeteiligten in Österreich das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung „von der Integration überwogen“ würde. Alle vom Bundesverwaltungsgericht auf Seiten des privaten Interesses des Mitbeteiligten entstandenen Aspekte seien zudem in ihrem Gewicht gemindert, weil sie während eines unsicheren Aufenthalts entstanden seien, der sich auf einen nicht berechtigten Asylantrag gegründet habe.
10 Die Revision ist zulässig und auch begründet.
11 Die in der vorliegenden Rechtssache durch das Bundesverwaltungsgericht in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist nur dann vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifen, wenn das Bundesverwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003; 20.11.2019, Ra 2019/20/0269, jeweils mwN).
12 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 2.9.2019, Ra 2019/20/0407 bis 0408, mwN).
13 Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 6.9.2017, Ra 2017/20/0209, mwN).
14 Es kann jedoch auch nicht gesagt werden, dass eine im Fall kürzerer Aufenthaltsdauer erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen „kann“ und somit schon allein auf Grund eines kürzeren Aufenthaltes von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen auszugehen wäre (vgl. zur Aufenthaltsdauer von drei Jahren etwa VwGH 28.1.2016, Ra 2015/21/0191, mwN).
15 Liegt eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (vgl. VwGH 14.1.2020; Ra 2019/18/0521, und erneut 20.11.2019, Ra 2019/20/0269, jeweils mwN).
16 Zu Recht macht die Amtsrevision geltend, dass unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis trotz des viereinhalbjährigen Aufenthalts des Mitbeteiligten die Annahme einer außergewöhnlichen Integration im oben beschriebenen Sinne nicht gedeckt erscheint. Wie das Verwaltungsgericht selbst ausführt, stellen die einzelnen Umstände für sich genommen keine außergewöhnlichen Integrationsschritte dar. Auch in der Gesamtschau ist nicht von einer solchen Verdichtung der persönlichen Interessen des Mitbeteiligten auszugehen, dass bereits von „außergewöhnlichen Umständen“ im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gesprochen werden könnte und ihm schon deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Aufenthalt gewährt werden müsste.
17 Hinzu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht dem Umstand, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. erneut VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN), keine ausreichende Beachtung geschenkt hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat somit bei der durchgeführten Interessenabwägung die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien nicht beachtet und damit seinen Anwendungsspielraum überschritten.
18 Das angefochtene Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.“
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Mit der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.
Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Der Begriff des Privatlebens iSd Art. 8 EMRK ist weit zu verstehen und umfasst das persönliche und berufliche Umfeld eines Menschen, in dem er mit anderen interagiert. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist die Gesamtheit der sozialen Beziehungen zwischen einem ansässigen Migranten und der Gemeinschaft, in der er lebt, integraler Bestandteil des Begriffs des Privatlebens (EGMR 13.10.2011, 41548/06, Trabelsi/DE; EGMR [GK] 23.06.2008, 1638/03, Maslov/AT). Dazu zählen auch berufliche und geschäftliche Beziehungen. Wie stark das Privatleben ausgeprägt ist, hängt in erster Linie von der Dauer des Aufenthalts ab. Für die Annahme eines in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK fallenden Privatlebens ist keine konkrete Mindestaufenthaltsdauer erforderlich. Die bereits in Österreich verbrachte Zeit und die dabei erfolgte Integration ist erst bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten (vgl. Peyerl/Czech in Abermann ua. (Hrsg), NAG § 11 Rz 38).
Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ohne Hinzutreten weiterer maßgeblicher Umstände noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH vom 10.04.2019, Zl. Ra 2019/18/0058, mwN).
Andererseits kann nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen „kann“ und somit schon allein auf Grund eines Aufenthaltes von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen auszugehen ist. Da es sich bei der Aufenthaltsdauer um einen von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände handelt, ist die Annahme eines „Automatismus“, wonach ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer Aufenthaltsdauer von nur drei Jahren jedenfalls abzuweisen wäre, verfehlt (vgl. VwGH vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055).
Fallbezogen ergibt sich daraus:
Der Beschwerdeführer reiste spätestens zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung am 20.05.2015 in das Bundesgebiet ein. Zum neuerlichen Entscheidungszeitpunkt hält er sich nunmehr knapp fünf Jahre und vier Monate im Bundesgebiet auf.
Der Beschwerdeführer hat seit Anfang des Jahres 2018 eine österreichische Freundin und führt mit ihr eine Beziehung. Eine Heirat steht im Raum, jedoch leben die beiden erst seit kurzem im gemeinsamen Haushalt. Sonst hat der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen im Bundesgebiet.
Die Beziehung zu seiner Freundin und die Integration in deren Familienverband ist konkret jedoch bei der Prüfung eines etwaigen Eingriffes in das Privatleben des Beschwerdeführers zu berücksichtigen.
Die Verwandten bzw. Familienangehörigen des Beschwerdeführers im Irak sind verstorben oder leben mittlerweile seit knapp zwei Jahren in der Türkei. Bis zu einigen Freunden verfügt der Beschwerdeführer im Irak über keine darüberhinausgehenden maßgeblichen sozialen Bezüge mehr.
Er geht in Österreich seit November 2015 fast durchgehend einer sozialversicherten Erwerbstätigkeit nach, bezieht seither keine Grundversorgungsleistungen mehr und ist selbsterhaltungsfähig.
Er hat bereits erfolgreich die Integrationsprüfung auf einem Deutsch-Sprachniveau B1 abgeschlossen. Er hat weiters umfangreiche Integrationsbemühungen im Bundesgebiet gesetzt. Neben den Deutsch-Sprachkenntnissen ist gegenständlich besonders hervorzuheben, dass der Beschwerdeführer von Oktober 2015 bis September 2019 durchgehend bei seiner damaligen Wohnortgemeinde als Hilfsarbeiter im Bauhof tätig war und sich damit ein Zusatzeinkommen zur Grundversorgung erwirtschaftete. Er ist weiters beim Roten Kreuz mehrere Jahre als Englisch-Arabisch Dolmetscher tätig gewesen, hat auch bei Hausarbeiten ehrenamtlich geholfen und einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert. Er verfügt weiters über zahlreiche österreichische Freunde und Bekanntschaften, wie sich aus den Unterstützungsschreiben ergibt.
Jedoch sind vor dem Hintergrund der Entscheidung des Verwaltungsgerichthofes im gegenständlichen Fall auch die im vergangenen Jahr noch zusätzlich erzielten Integrationsschritte als nicht ausreichend dafür zu qualifizieren, eine Rückkehrentscheidung als für auf Dauer unzulässig anzusehen.
Der VwGH hat im Erkenntnis vom 22.08.2019, Ra 2019/21/0149, in Bezug auf eine ähnliche Konstellation bereits klargestellt, es möge rechtspolitisch als Manko empfunden werden, dass der Gesetzgeber für derartige Fälle kein humanitäres Aufenthaltsrecht vorgesehen habe. Das könne aber nicht dazu führen, dass die – im Vergleich zum „Aufenthaltstitel in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ nach § 56 AsylG – strengeren Voraussetzungen für die nach § 9 Abs. 3 BFA-VG vorzunehmende Feststellung der dauernden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die inhaltsgleichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 unterlaufen werden (vgl. dazu, dass von § 56 AsylG 2005 jene Konstellationen erfasst sein sollen, in denen die Schwelle des Art. 8 EMRK, sodass gemäß § 55 AsylG 20005 ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, noch nicht erreicht wird, VwGH vom 26.06.2019, Ra 2019/21/0032, 0033 mwN).
Das Ergebnis im vorliegenden Fall wird dadurch abgemildert, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für den Aufenthaltstitel nach § 56 AsylG 2005 in zeitlicher Hinsicht bereits erfüllt und hierfür – bei unverändertem Sachverhalt – auch die übrigen Bedingungen voraussichtlich gegeben sein werden (vgl. VwGH vom 16.07.2020, Ra 2020/21/0133, mwN).
Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR zu Fragen des Art. 8 EMRK ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bei allen erheblichen Rechtsfragen an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR orientiert und hat diese – soweit erforderlich – auch zitiert.
Schlagworte
Interessenabwägung öffentliche Interessen Rechtsanschauung des VwGH Resozialisierung RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G311.2182571.1.01Im RIS seit
11.12.2020Zuletzt aktualisiert am
11.12.2020