Entscheidungsdatum
22.09.2020Norm
ÄrzteG 1998 §4 Abs2 Z3Spruch
W136 2234826-1/2Z
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER über die Beschwerde der XXXX , vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Tanja HUDELIST, gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG im Bescheid des Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer vom 30.07.2020, Zl. BÄL259/2020/30072020-Mag.Sch/mg, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung im Spruch des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 22 Abs. 3 VwGVG stattgegeben und der Beschwerde damit die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit dem angefochtenen Bescheid des Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer wurde festgestellt, dass bei der Beschwerdeführerin XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin in XXXX (im Folgenden BF) die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes mangels gesundheitlicher Eignung gemäß § 59 iVm § 4 Abs. 2 Z 3 ÄrzteG 1998 nicht mehr besteht und die BF aus der Ärzteliste zu streichen ist. Weiters wurde festgestellt, dass die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aufgrund zwingender öffentlicher Interessen und bestehender Gefahr im Verzug gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen ist.
Begründet wurde auf das wesentliche zusammengefasst ausgeführt, dass die Ärztekammer für XXXX die Österreichische Ärztekammer mit Schreiben vom 22.04.2020 darüber informierte habe, dass aus dem Kollegenkreis berichtet werde, dass die BF aufgrund einer angeblichen Alkoholkrankheit nicht oder nur sehr eingeschränkt in der Lage sein soll, ihren Beruf als Ärztin auszuüben. Insbesondere die während der COVID-19-Pandemie übermittelten Unterlagen der ÖGK würden belegen, dass die BF ihre kassenärztliche Tätigkeit weitestgehend eingeschränkt habe, was als weiteres Indiz für die geäußerten Vermutungen gelten könnte. Die Österreichische Ärztekammer habe daher ein Verfahren zur Prüfung der gesundheitlichen Eignung der BF eingeleitet und habe Dr. XXXX , Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, mit der Erstellung eines fachärztlichen Gutachtens und Beantwortung insbesondere der Fragen, die BF an einer Krankheit/krankheitswertigen Störung leide bzw. falls ja, wie sich dies auf die Ausübung einer ärztlichen Tätigkeit durch die BF auswirkten und ob es Maßnahmen gäbe, um etwaige Auswirkungen auf eine ärztliche Tätigkeit zu minimieren oder hintanzuhalten. Darüber hinaus sei das Amt der XXXX Landesregierung über den Verdacht der Ärztekammer für XXXX unter Hinweis auf § 62 Abs 2 ÄrzteG 1998 informiert worden.
Der Sachverständige habe in seinem fachärztlichen Gutachten vom 12.05.2020 folgende Ausführungen getroffen:
„Gutachterliche Beurteilung:
Diagnosen:
-Schädlicher Gebrauch von Alkohol oder Alkoholabhängigkeit
-Depressive Störung in der Vorgeschichte
-Minderung der Berührungsempfindung am Endglied des 2. Fingers rechts beugeseitig
Stellungnahme aus psychiatrischer und neurologischer Sicht:
Frau Dr. XXXX leidet an einer Alkoholkonsumstörung im Sinn des DSM-V, nämlich an einem schädlichen Gebrauch von Alkohol oder wahrscheinlicher an einer Alkoholabhängigkeit im Sinn des ICD-10.
Im Zusammenhang damit ist Frau Dr. XXXX derzeit nicht mehr in der Lage, ihre ärztliche Tätigkeit regelrecht und zuverlässig auszuüben.
Durch einen stationären Alkoholentzug und eine nachfolgende Alkoholentwöhnungs-behandlung in einer geeigneten Einrichtung (etwa Krankenhaus de La Tour in Treffen, Anton Proksch Institut in Wien-Kalksburg oder Krankenhaus Maria Ebene in Vorarlberg) wäre Frau Dr. XXXX nach Erreichen einer Alkoholabstinenz wieder in der Lage, ihre ärztliche Tätigkeit zuverlässig und regelrecht auszuüben.
Begründung:
Aus den vorliegenden Informationen ergibt sich, dass bei der Untersuchten ein Alkoholproblem erheblichen Ausmaßes besteht, im Sinn des ICD-10 eher einer Alkoholabhängigkeit als einem schädlichen Gebrauch von Alkohol entsprechend.
Angesichts der eingeholten Laborbefunde muss davon ausgegangen werden, dass ihre Angaben über den Alkoholkonsum verharmlosend sind. Die eingeholten Laborbefunde sprechen für höhere Konsummengen als von der Untersuchten angegeben.
Zum Zeitpunkt der Untersuchung am 12.5.2020 haben sich keine Zeichen einer Alkoholintoxikation gezeigt. Die Untersuchte hat etwas unruhig und vermehrt irritierbar imponiert. Diese geringen Auffälligkeiten sind wenig spezifisch, könnten aber einem beginnenden Alkoholentzug entsprechen. Das Auftreten von Entzugssymptomen bei Alkoholabstinenz wurde von der Untersuchten verneint.
Auch die im Schreiben der Ärztekammer für XXXX angeführte Verkehrsauffälligkeit wurde von der Untersuchten negiert.
Auffallend ist es, dass die Untersuchte ab dem Zeitpunkt der Untersuchung am 12.5.2020 einen Zeitraum von einem Monat, nämlich bis zum 12.6.2020 benötigt hat, um eine Blutprobe an das Labor zu übermitteln. Aus dieser Blutprobe ergeben sich deutliche Hinweise auf einen vermehrten Alkoholkonsum in einem Zeitraum von 2-5 Wochen vor der Blutabnahme. Der Untersuchten ist es also auch angesichts einer geplanten Laborkontrolle nicht gelungen, auch nur annähernd abstinent zu bleiben. Dies spricht für das Vorliegen eines Alkoholproblems erheblichen Ausmaßes.
GGT (y-GT, gamma-Glutamyiltransferase ist ein Enzym aus der Leber. Nach erhöhtem Alkoholkonsum (80-200 g pro Tag) über mehrere Wochen können mit einer Wahrscheinlichkeit (Sensitivität) von 50-90% erhöhte Werte im Blut gemessen werden. Die Spezifität wird mit 70% angegeben, das heißt bei 70 % der Betroffenen ist der Alkoholkonsum die Ursache dafür. Nach dem Entzug kommt es zu einer Normalisierung des Wertes im Lauf von 2-5 Wochen.
CDT (Carbohydrate Deficient Transferrin) gilt mit einer Spezifität von 90-100 *A) als sehr spezifischer Indikator für erhöhten Alkoholkonsum. Die Sensitivität, das heißt die Wahrscheinlichkeit eines Anstiegs nach erhöhtem Alkoholkonsum liegt bei 50-90 *A). Bei regelmäßigem täglichem Konsum von 50-80 g Alkohol (etwa 1,5 I Bier oder 0,75 I Wein) über etwa 10 Tage steigt der Wert über den Normalbereich an. Nach etwa 2 Wochen Abstinenz (Halbwertszeit 7 Tage) kommt es wieder zu einer Normalisierung.
Trotz der beschriebenen Einschränkungen in Bezug auf die Spezifität der Laborbefunde kann aus der Kombination der vorliegenden Befunde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf einen vermehrten Alkoholkonsum geschlossen werden.
Angesichts der Laborbefunde in Zusammenschau mit dem derzeit noch geringen Problembewusstsein der Untersuchten erscheinen die Ausführungen der Ärztekammer für XXXX nachvollziehbar und plausibel. Im Zusammenhang mit ihrem Alkoholproblem ist die Untersuchte derzeit nicht fähig, ihren Beruf als Ärztin regelrecht und zuverlässig auszuüben.
Ein Hinweis auf eine allfällige alkoholbedingte kognitive Störung findet sich bei der Untersuchten nicht.
Eine Entwöhnungsbehandlung und nachfolgende Kontrollen der alkoholspezifischen Laborparameter wären also geeignet, die Arbeitsfähigkeit im ärztlichen Beruf wiederherzustellen.
Ein Alkoholentzug könnte grundsätzlich stationär oder ambulant erfolgen. Für die eigentliche Entwöhnungsbehandlung ist jedenfalls eine stationäre Therapie in einer geeigneten Einrichtung zu empfehlen.“
Die BF habe mit E-Mail vom 13.07.2020 zum mit Schreiben vom 01.07.2020 übermittelten Gutachten Folgendes mitgeteilt: „Ich werde mich einer Entwöhnungsbehandlung bei meiner Neurologin Dr. XXXX unterziehen. Mein Aufenthalt in der Privatklink XXXX erfolgt am 15.Juli. Wenn sich meine erhöhten Parameter normalisieren, möchte ich wieder gestärkt in meiner Ordination arbeiten.“
Aufgrund des von der belangten Behörde übermittelten Gutachtens, habe der Landeshauptmann für XXXX mit Bescheid vom 14.07.2020, Dr. XXXX die Ausübung des ärztlichen Berufes die Dauer von sechs Wochen wegen Gefahr in Verzug aufgrund von gewohnheitsmäßigem Missbrauch von Alkohol gemäß § 62 Abs. 2 ÄrzteG 1998 untersagt.
Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass das vorliegende Gutachten vom 12.05.2020, als vollständig und schlüssig anzusehen sei. Aus dem eingeholten Gutachten vom 12.05.2020 gehe klar hervor, dass bei der BF ein Alkoholproblem erheblichen Ausmaßes bestehe, die eingeholten Laborbefunde bestätigten darüber hinaus, dass die Angaben der BF verharmlosend wären. Der Sachverständige weise darüber hinaus darauf hin, dass sich aus der Blutprobe, die die BF erst ein Monat nach der Untersuchung durch den Sachverständigen diesem vorgelegt habe, ein deutlicher Alkoholkonsum in einem Zeitraum von 2-5 Wochen vor der Blutabnahme ergäbe, somit sei es der BF trotz der bevorstehenden Laborkontrolle nicht gelungen, abstinent zu bleiben. Die BF habe gegen das Gutachten weder Einwendungen eingebracht noch die Unschlüssigkeit oder Unvollständigkeit des Gutachtens aufgezeigt oder ein Gegengutachten eingebracht, sie habe dazu lediglich mitgeteilt, sich einer Behandlung unterziehen zu wollen. Zur Beantwortung der Frage, ob die BF über die zur Erfüllung der Berufspflichten erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge, war daher das vorliegende Gutachten heranzuziehen und somit festzustellen, dass bei der BF ein schädlicher Gebrauch von Alkohol oder wahrscheinlicher eine Alkoholabhängigkeit vorläge und sie daher nicht in der Lage wäre den ärztlichen Beruf regelrecht und zuverlässig auszuüben.
In rechtlicher Hinsicht wurde auf das Wesentliche zusammengefasst ausgeführt, dass die gesundheitliche Eignung gemäß § 4 Abs 2 Z 3 ÄrzteG 1998 eine der fünf Grundvoraus-setzungen jeder ärztlichen Berufsausübung sei, deren Einhaltung insbesondere dem Schutz des Patientenvertrauens diene, nur von Ärztinnen und Ärzten behandelt zu werden, welche in der Lage sind, ihre Berufspflichten zu erfüllen. Die Einhaltung der bestehenden ärztlichen Berufspflichten durch die BF aufgrund der im Gutachten gestellten Diagnose und dem derzeit geringen Problembewusstsein könne nicht gewährleistet werden, weshalb das Vorliegen der zur Ausübung einer ärztlichen Tätigkeit erforderlichen gesundheitlichen Eignung zu verneinen sei.
Zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde wurde wörtlich wie folgt ausgeführt:
„Auf Grundlage des § 49 Abs 1 ÄrzteG 1998 hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass Interessen einer ärztlichen Beratung und Behandlung von Gesunden und Kranken die dem Stand der medizinischen Wissenschaft bzw. den Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft entspricht, sowie die Wahrung des Wohles der Kranken und der Schutz der Gesundheit durch gewissenhafte Betreuung oder Behandlung als zwingende öffentliche Interessen anzusehen sind (vgl. die Beschlüsse des VwGH vom 10.10.2008, AW 2008/09/01/07; vom 03.01.2005 AW 2004/11/0074; und vom 14.10.2003 AW 2003/11/0057). Aus dem gutachterlichen Befund ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass nicht nur allgemeine abstrakte Gründe und unspezifische typische Gefahren vorliegen, die mit jeder medizinischen Behandlung einhergehen, sondern bereits im Bereich der grundlegenden Voraussetzungen für die Ausübung des Arztberufes aufgrund der im Gutachten gestellten Diagnose und der damit einhergehenden Beeinträchtigung in Bezug auf die gesundheitliche Eignung der BF gegeben sind, die die obengenannten öffentlichen Interessen gefährden. Gemäß § 13 Abs 2 VwGVG ist die aufschiebende Wirkung der Beschwerde in Ausübung des diesbezüglich eingeräumten behördlichen Ermessens daher jedenfalls auszuschließen.“
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde der BF. Ausführlich begründet wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die vom Gutachter aufgrund der vorliegenden Laborbefunde gezogenen Schlussfolgerungen nicht ausreichend begründet, widersprüchlich, unschlüssig, unvollständig und teilweise willkürlich wären. Aus diesem Grund hätte die belangte Partei den Inhalt dieses Gutachtens und die gutachterlichen Schlussfolgerungen des Sachverständigen der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung im angefochtenen Bescheid nicht zu Grunde legen dürfen, das Verfahren sei mangelhaft geblieben. Beantragt wurde die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Medizin, Spezialgebiet Alkoholberechnungen und Interpretation von Drogenanalysen und aus Spezialgebiet Depression und Alkoholkrankheit. Weiters wurde mit näherer Begründung ausgeführt, dass die belangte Behörde die vorliegenden Beweise unrichtig rechtlich gewürdigt habe, weil sie jegliche Ausführungen zur angeblich mangelnden gesundheitliche Eignung der BF für die Ausübung des Arztberufes vermissen lasse, selbst wenn man die vom Gutachter gestellte Diagnose als richtig unterstelle. Schließlich erweise sich auch die verhängte Sanktion, der völlige Ausschluss von der Ausübung des ärztlichen Berufes, als nicht sachgerecht, es hätte mit gelinderen Maßnahmen etwa im Sinne § 62 ÄrzteG 1998 das Auslangen gefunden werden können.
Es wurde der Antrag gestellt, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zu beheben, in eventu zur Verfahrensergänzung an die belangte Behörde zurückzuverweisen, jedenfalls aber der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Ein allfälliger Alkoholgenuss der BF habe bislang keine Auswirkungen auf deren ärztliche Tätigkeit gehabt, es gäbe für die gegenteilige Annahme nicht den geringsten Anhaltspunkt. Die im angefochtenen Bescheid enthaltenen und durch die belangte Behörde angestellten Erwägungen im Bescheid seien unschlüssig und unvollständig. Im Verfahren über die Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung der Beschwerde sei daher entgegen der Ansicht der Feststellungen im angefochtenen Bescheid gerade nicht davon auszugehen, dass zwingende öffentliche Interessen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegenstehen. Durch den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde, würden nicht nur der BF unwiederbringliche Nachteile durch die Schließung der Ordination, den damit verbundenen verlorenen Umsatz und die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz entstehen, auch die bei der BF angestellten beiden Assistentinnen könnten nicht mehr bezahlt und müssten gekündigt werden. Auch für die Patienten in der Ordination der BF wäre der Befugnisentzug katastrophal, denn diese wären auf die Behandlungen durch die BF angewiesen. Es wäre für diese Patienten absolut unmöglich, bei anderen Kassenärzten in der Region unterzukommen, zumal diese anderen Kassenärzte auch gar nicht in der Lage wären, sämtliche von der BF betreuten Patienten aufzunehmen und adäquat zu behandeln. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels läge daher im gegenständlichen Fall gerade auch im öffentlichen Interesse.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und wies darauf hin, dass von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung abgesehen werde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die BF hatte zumindest in der Vergangenheit einen problematischen Umgang mit Alkohol (Alkoholkonsumstörung) in Form von schädlichen Gebrauch von Alkohol. Eine Alkoholabhängigkeit konnte vom Gutachter nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ist aber wahrscheinlich.
Nach der Aktenlage gibt es keine Hinweise darauf, dass diese Alkoholkonsumstörung sich auf die ärztliche Tätigkeit der BF auswirkt.
Der sofortige Vollzug des bekämpften Bescheides hindert die BF an der Ausübung ihres Berufes als Ärztin und ist daher existenzbedrohend.
Das öffentliche Interesse am vorzeitigen Vollzug des angefochtenen Bescheides wiegt nicht so hoch wie das Interesse der BF am vorläufigen Aussetzen des Vollzugs:
Es liegt keine „Gefahr im Verzug“ vor, die einen sofortigen Vollzug des Bescheides rechtfertigt.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Alkoholkonsum der BF ergeben sich aus dem Parteienvorbringen und dem von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten. Insofern der Gutachter von schädlichen Alkoholgebrauch, möglicherweise Abhängigkeit, ausgeht, ist diesem – ungeachtet gewisser Mängel im Gutachten – zu folgen, weil die BF diesen selbst insoweit zugesteht, als sie sich freiwillig in stationäre Behandlung ihrer Depressionen und ihrer „Alkoholsucht“ (vgl. Brief der BF vom 17.08.2020 an die belangte Behörde, OZ 28) begeben hat.
Die Feststellungen, wonach sich die Alkoholkonsumstörung auf die ärztliche Tätigkeit der BF zumindest bisher nicht ausgewirkt hat, ergibt sich aus dem Parteienvorbringen und dem Fehlen diesbezüglicher Hinweise nach der Aktenlage. Außer den von der belangten Behörde genannten Gerüchten unter nicht näher genannten Kollegen, ergibt sich aus der Aktenlage kein Hinweis darauf, dass die BF nicht in der Lage wäre, ihre Patienten ordnungsgemäß zu behandeln. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass der Sachverständige die behördliche Fragestellung, inwieweit sich eine allfällige krankheitswertige Störung der BF auf die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit auswirkt, überhaupt nicht beantwortet hat, sondern ohne nähere Begründung ausgeführt hat, dass die BF „in diesem Zusammenhang“ [gemeint wohl der Alkoholkonsum] nicht in der Lage sei, ihre ärztliche Tätigkeit regelrecht und zuverlässig auszuüben.
In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass dem erkennenden Gericht sehr wohl bewusst ist, dass sowohl Alkoholabusus als auch Alkoholsucht sich oftmals schädlich auf alle Bereiche des Lebens der Betroffenen, so auch auf die Berufsausübung, auswirken, dies aber nicht immer zwingend der Fall ist. Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, dass es Personen aus unterschiedlichen Berufssparten – durchaus auch Ärzte –, gibt, die trotz bestehender Alkoholkonsumstörung in der Lage sind, ihre Tätigkeit regelrecht und zuverlässig auszuüben.
Die BF behauptet, der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung bewirke einen unverhältnismäßigen Nachteil für sie, da ein sofortiger Vollzug des Bescheides durch das Verbot der Berufsausübung für sie einen massiven finanziellen oder sogar existenziellen Schaden bedeute. Diese Ausführungen erweisen sich als glaubwürdig und ist davon auszugehen, dass der BF durch den Vollzug des Bescheides einen massiven finanziellen Schaden erleidet.
Die Behörde behauptet ein Überwiegen der berührten öffentlichen Interessen bzw. Gefahr in Verzug, führt dazu aber nichts weiter aus und stellt ihre rechtlichen Argumente in Form von Judikaturzitaten nicht in einen näheren Zusammenhang mit dem gegenständlichen Sachverhalt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte, StF. BGBl. I Nr. 33/2013, idgF (in der Folge: VwGVG) lauten:
„Aufschiebende Wirkung
§ 13. (1) Eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat aufschiebende Wirkung.
(2) Die Behörde kann die aufschiebende Wirkung mit Bescheid ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Ein solcher Ausspruch ist tunlichst schon in den über die Hauptsache ergehenden Bescheid aufzunehmen.
(3) Die Behörde kann Bescheide gemäß Abs. 2 von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei aufheben oder abändern, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt so geändert hat, dass seine neuerliche Beurteilung einen im Hauptinhalt des Spruchs anderslautenden Bescheid zur Folge hätte.
(4) Die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs. 2 hat keine aufschiebende Wirkung. Sofern die Beschwerde nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten des Verfahrens zurückzustellen.
Aufschiebende Wirkung
§ 22. (1) Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG haben keine aufschiebende Wirkung. Das Verwaltungsgericht hat jedoch auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen mit dem Andauern der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
(2) Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung durch Beschluss ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist.
(3) Das Verwaltungsgericht kann Bescheide gemäß § 13 und Beschlüsse gemäß Abs. 1 und 2 auf Antrag einer Partei aufheben oder abändern, wenn es die Voraussetzungen der Zuerkennung bzw. des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über den Ausschluss bzw. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben.“
Die belangte Behörde hat wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung die BF aus der der bei ihr geführten Ärzteliste gestrichen. Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen. Dies hat zur Folge, dass die BF ab Erlassung des Bescheides ihren Beruf als Ärztin für Allgemeinmedizin nicht mehr ausüben darf.
In ihrer dagegen gerichteten Beschwerde beantragte der BF auch, den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung zu beheben. Dieser Beschwerde gegen den Ausspruch über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung kommt gemäß § 13 Abs. 4 VwGVG keine aufschiebende Wirkung zu. Die Behörde hat jedoch die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde sodann ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden. Unverzüglich bedeutet idZ „ohne unnötigen Aufschub“ bzw. „ohne schuldhaftes Zögern“ (VwGH 10.10.2014, Ro 2014/02/0020). Ohne weiteres Verfahren bedeutet idZ, dass das Verwaltungsgericht ohne Setzung der sonst üblichen Verfahrensschritte allein aufgrund der vorliegenden Aktenlage zu entscheiden hat (Eder/Martin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte², § 13 VwGVG K 19).
Nach § 13 Abs. 1 VwGVG haben rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerden wie die vorliegende grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese ist notwendiger Bestandteil des rechtsstaatlichen Prinzips, denn sie verhindert, dass irreversible oder kaum wiedergutzumachende Tatsachen geschaffen werden, bevor die Verwaltungsgerichte und schließlich die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts über das Rechtsmittel des Beschwerdeführers endgültig abgesprochen haben (Hengstschläger/Leeb, AVG § 64 Rz 1 mVa Hengstschläger, ÖJZ 1973, 534f und Kopp, JBl 1973, 57). Daraus leitet der Verfassungsgerichtshof in stRsp ab, dass es unter dem Aspekt des rechtsstaatlichen Prinzips nicht angeht, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potenziell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist (Hengstschläger/Leeb, AVG § 64 Rz 2 mVa Erk VfSlg 11.196/1986).
Der Gesetzgeber hat unter Bedachtnahme auf den Zweck und Inhalt der Regelung mit der Möglichkeit die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde bereits im behördlichen Bescheid abzuerkennen einen Ausgleich geschaffen zwischen der Position des Rechtsmittelwerbers und den Interessen Dritter sowie dem öffentlichen Interesse. Dabei kommt dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfs der Vorrang zu und ist dessen Einschränkung nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig.
Gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG kann die Behörde die aufschiebende Wirkung in ihrem Bescheid ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist.
- Demnach hat zunächst eine Abwägung zwischen den berührten öffentlichen Interessen und den Interessen anderer Parteien einerseits und den Interessen der BF andererseits stattzufinden (vgl. Eder/Martin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte², § 13 VwGVG K 11).
- Bei einem Überwiegen der öffentlichen Interessen ist der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung des Weiteren nur statthaft, wenn der vorzeitige Vollzug wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde jüngst mit Zl. Ra 2019/03/0143 vom 07.02.2020 folgendes ausgesprochen:
„Voraussetzung für den Ausschluss der einer Beschwerde grundsätzlich zukommenden aufschiebenden Wirkung ist eine nachvollziehbare Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und der Interessen der Verfahrensparteien, aus der sich ebenso nachvollziehbar ergibt, dass für den Fall, dass die aufschiebende Wirkung nicht ausgeschlossen wird, gravierende Nachteile für das öffentliche Wohl eintreten würden bzw. gravierende Nachteile für eine Partei, die jene Nachteile deutlich überwiegen, die bei nicht verfügtem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde anderen Verfahrensparteien entstehen würden (vgl. VwGH 5.9.2018, Ra 2017/03/0105); das Bestehen öffentlicher Interessen am Vollzug der Maßnahme berechtigt hingegen nicht schon ohne Weiteres zur Annahme, dass eben diese Interessen auch eine sofortige Verwirklichung der getroffenen Maßnahmen dringend gebieten.
§ 13 Abs. 4 VwGVG 2014 steht auch der Berücksichtigung jener für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung maßgeblichen Umstände nicht entgegen, die bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung der Verwaltungsbehörde gegeben waren, die aber nicht Eingang in die Begründung des vor dem VwG angefochtenen Bescheids gefunden hatten. Dem VwG ist es daher bei der nach § 13 Abs. 4 letzter Satz VwGVG 2014 unverzüglich zu treffenden Entscheidung nicht verwehrt, seine Feststellungen und die vorzunehmende Abwägung auf den gesamten Inhalt des Verfahrensaktes und das Beschwerdevorbringen zu stützen. Selbst im Fall einer gegebenenfalls mangelhaften Entscheidung der Verwaltungsbehörde über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung hat sich das VwG nicht etwa darauf zu beschränken, diese Entscheidung ersatzlos zu beheben, vielmehr hat es das Vorliegen der Voraussetzungen für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nach § 13 Abs. 4 bzw. § 22 VwGVG 2014 eigenständig zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zu beurteilen.“
Wie sich aus der Begründung des bekämpften Bescheides ergibt, hat die belangte Behörde ausgeführt, dass der vorzeitige Vollzug des Bescheides wegen Gefahr im Verzug dringend geboten wäre, weil die Wahrung des Wohles der Kranken und der Schutz der Gesundheit durch gewissenhafte Betreuung und Behandlung zwingende öffentliche Interessen darstellen, jedoch wie oben dargestellt, nicht dargetan, inwiefern dieses öffentliche Interessen gefährdet wäre oder welche gravierende Nachteile für das öffentliche Wohl eintreten würden, wenn der Bescheid nicht sofort vollzogen werden würde. Die durchzuführende Interessenabwägung, in der auch die Interessen der BF zu berücksichtigen gewesen wären, hat sie überhaupt unterlassen.
Die BF hat dem gegenüber glaubhaft gemacht, dass durch den sofortigen Vollzug des bekämpften Bescheides ihr gravierende finanzielle Nachteile drohen, sie sogar in eine existenzielle Notlage geraten könnte.
Durch den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung werden die Interessen der BF somit wesentlich beeinträchtigt, wohingegen sich aus der Aktenlage nicht ergibt, inwiefern durch die gesundheitliche Beeinträchtigung der BF das Wohl ihrer Patienten sowie der Schutz deren Gesundheit dadurch beeinträchtigt wäre, dass die BF weiterhin als Ärztin tätig ist.
In Abwägung der Beeinträchtigung der Interessen der BF mit der Berührung öffentlicher Interessen durch den aufgeschobenen Vollzug der Streichung aus der Ärzteliste wiegt das Interesse des BF gegenständlich höher als ein allenfalls berührtes öffentliches Interesse, das von der belangten Behörde nicht näher dargestellt wurde und seitens des Verwaltungsgerichtes nicht erkannt werden kann. Berücksichtigung fanden dabei insbesondere das oben dargelegte rechtsstaatliche Prinzip und dem sich daraus ergebenden Umstand, dass rechtzeitigen und zulässigen Beschwerden wie der gegenständlichen grundsätzlich die aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. § 13 VwGVG; vgl. auch VwGH 08.06.2012, AW 2012/17/0013).
Nach dem Gesagten erweist sich der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung als nicht rechtmäßig und war nach den getroffenen Feststellungen dieser aufzuheben und der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Gegenständlich war gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG ein Teilerkenntnis zu erlassen, da der Abspruch über die Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung unverzüglich zu erfolgen hat. Der Spruch des Bescheides des Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer war auch insoweit trennbar, als sich die gegenständliche Entscheidung nur auf den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung im Bescheidspruch bezieht.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Auf die unter A) zitierte Judikatur wird verwiesen.
Schlagworte
Alkoholabhängigkeit Alkoholkonsum aufschiebende Wirkung berufliche Existenz Berufsausübung Gefahr im Verzug gesundheitliche Eignung Interessenabwägung öffentliche Interessen Teilerkenntnis wirtschaftliche ExistenzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W136.2234826.1.00Im RIS seit
11.12.2020Zuletzt aktualisiert am
11.12.2020