TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/19 W269 2192551-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.10.2020
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Entscheidungsdatum

19.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W269 2192551-1/32E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Elisabeth MAYER-VIDOVIC als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.02.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.07.2020 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 19.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 20.11.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er unter anderem an, dass seine Eltern Afghanistan bereits vor seiner Geburt wegen Grundstücksstreitigkeiten verlassen haben. Der Beschwerdeführer sei im Iran zur Welt gekommen. Aufgrund des illegalen Aufenthalts im Iran sei die Familie nach Afghanistan abgeschoben worden, wo es wiederum zu Grundstücksstreitigkeiten gekommen sei. Dabei sei der Onkel des Beschwerdeführers getötet worden. Seitdem sei der Vater des Beschwerdeführers schwer krank und könne nicht arbeiten. Alle im Iran illegal aufhältigen Afghanen würden nach Syrien in den Krieg geschickt. Da der Beschwerdeführer dies nicht wolle, sei er geflüchtet.

3. Am 31.10.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Dabei wiederholte der Beschwerdeführer sein Vorbringen zu den Grundstücksstreitigkeiten mit Paschtunen bzw. den Taliban in Afghanistan. Im Falle einer Rückkehr fürchte er um sein Leben. Auch sei die Sicherheitslage in Afghanistan sehr schlecht. Es gebe viele Anschläge.

4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 09.02.2018 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.), ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer eine aktuelle, asylrelevante Bedrohung in seinem Herkunftsstaat nicht glaubhaft vorgebracht habe. Zu Spruchpunkt II. führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass sich aus den individuellen Verhältnisses des Beschwerdeführers keine Gefährdung iSd § 8 AsylG 2005 ableiten habe lassen. Es seien keine Anhaltspunkte zu Tage getreten, die darauf hindeuten würden, dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr in eine ausweglose und existenzbedrohende Lage geraten würde. Schließlich wird im angefochtenen Bescheid ausgeführt, dass die öffentlichen Interessen an der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers gegenüber seinen privaten Interessen am Verbleib in Österreich überwiegen würden und ein Eingriff in seine durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte daher als gerechtfertigt anzusehen sei.

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht Beschwerde, die am 12.03.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte.

Zusammengefasst brachte der Beschwerdeführer vor, dass er sich im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan dem Zugriff durch die Taliban nicht entziehen könnte. Er sei im wehrfähigen Alter und befürchte, zwangsrekrutiert zu werden. Zudem sei die belangte Behörde nicht ausreichend auf die Tatsache eingegangen, dass der Beschwerdeführer im Iran geboren sei und sein Herkunftsland nicht kenne. Er verfüge über keinerlei familiäre, wirtschaftliche oder soziale Bezugspunkte in Afghanistan.

6. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und langten am 16.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Am 09.07.2018 erstattete der Beschwerdeführer eine Beschwerdeergänzung, in der erneut ausgeführt wurde, dass dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative aufgrund des Umstandes, dass er im Iran aufgewachsen sei, der Volksgruppe der Hazara angehöre, kaum Schulbildung vorweisen könne und über kein soziales Netz in Afghanistan verfüge, nicht offen stehe.

8. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.04.2020 wurde die Rechtssache der bisher zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und am 11.05.2020 der Gerichtsabteilung W269 neu zugewiesen.

9. Am 03.07.2020 langte eine weitere Beschwerdeergänzung beim Bundesverwaltungsgericht ein, mit welcher unter anderem eine Bescheinigung der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 14.03.2018 über den Austritt des Beschwerdeführers aus der islamischen Glaubensgemeinschaft und eine Bestätigung des katholischen Pfarramtes der Pfarre XXXX vom 07.03.2019 über die geplante Taufe des Beschwerdeführers im Juli 2019 vorgelegt wurden.

10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 14.07.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Umständen sowie seinen Fluchtgründen befragt wurde.

Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass er in Österreich zum Christ geworden sei. Aus diesem Grund könne er nicht nach Afghanistan zurückkehren. Weiters sei er in jungen Jahren nach Österreich gekommen und habe sich die österreichische Kultur angeeignet. Schließlich seien jene Personen, die dem Beschwerdeführer und seiner Familie die Grundstücke in Afghanistan weggenommen haben, immer auf der Suche nach ihnen.

Der Beschwerdeführer legte eine Bestätigung des Seelsorgeamtes der Erzdiözese XXXX vom 10.07.2020 vor, wonach die Taufe voraussichtlich am 16.08.2020 stattfinden soll, und brachte weiters ein Schreiben des katholischen Pfarramtes vom 11.07.2020, ein Schreiben des Koordinationsbüros der österreichischen Bischofskonferenz vom 14.05.2020, eine Vereinbarung über die gemeinnützige Beschäftigung für Asylwerber sowie eine Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeit in Vorlage.

In der öffentlichen mündlichen Verhandlung wurden der Pfarrer der Pfarre XXXX sowie die Pastoralassistentin dieser Pfarre als Zeugen einvernommen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde der Erstbehörde übermittelt.

11. Am 17.08.2020 übermittelte der Beschwerdeführer einen Taufschein über die am 16.08.2020 erfolgte Taufe sowie eine Vielzahl an Fotos, welche die Taufe und den Beschwerdeführer bei privaten Aktivitäten zeigen. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte die Dokumente dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und räumte diesem eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme ein. Es langte keine Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ein.

Mit Schreiben vom 24.08.2020 räumte das Bundesverwaltungsgericht dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter Beigabe einer Bestätigung des katholischen Pfarramtes der Pfarre XXXX über die Taufe des Beschwerdeführers, die der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt hatte, die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme ein. Es langte keine Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ein.

Schließlich übermittelte der Beschwerdeführer abermals Unterlagen, die das Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 25.09.2020 unter Wahrung des Parteiengehörs an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weiterleitete. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstattete mit Schreiben vom 29.09.2020 eine Stellungnahme, in der es unter Berücksichtigung von Orthographie und Syntax der vorgelegten Unterlagen den Schluss zog, dass diese Schreiben nicht vom Beschwerdeführer selbst verfasst worden seien und daher für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht verwertbar seien.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und wurde am XXXX in der Stadt Bandar Abbas im Iran geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara.

Der Beschwerdeführer hat mehrere Deutschkurse besucht und spricht sehr gut Deutsch.

Er engagierte sich mehrfach ehrenamtlich, unter anderem als Sanitäter in Ausbildung beim Arbeiter-Samariter-Bund Österreich.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer besucht seit etwa zwei Jahren regelmäßig ein- bis zweimal pro Woche eine Kirche im Caritas-Dorf XXXX . Im März 2018 trug der Beschwerdeführer den Wunsch, Christ zu werden, an die in der Pfarre XXXX tätige Pastoralassistentin heran. Am 14.03.2018 trat der Beschwerdeführer aus der islamischen Glaubensgemeinschaft aus. Am 05.09.2018 wurde der Beschwerdeführer in einen Taufvorbereitungskurs aufgenommen, der einmal pro Woche stattfand. Die Taufe war zunächst für Juli 2019 vorgesehen. Da der Beschwerdeführer ab September 2018 die Schule besuchte und sich die Unterrichtszeiten und die Zeiten des Taufvorbereitungskurses nicht in Einklang bringen ließen, wurde ihm seitens der Pastoralassistentin geraten, sich zunächst auf den Schulbesuch zu konzentrieren. Während der Ferienzeiten nahm der Beschwerdeführer außertourlich Einzeltermine zur Taufvorbereitung in Anspruch. Als nächster Tauftermin wurde der 13.04.2020 festgesetzt. Aufgrund der COVID-19-Pandemie musste dieser Tauftermin jedoch verschoben werden. Die Taufe fand schließlich am 16.08.2020 in der Kirche des Caritas-Dorfes XXXX statt.

Der Beschwerdeführer ist während seines Aufenthaltes in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit sowie Nachhaltigkeit getragen zum christlichen Glauben konvertiert. Es ist nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer seinen christlichen Glauben in seinem Herkunftsland Afghanistan verleugnen würde.

Der Beschwerdeführer hat sowohl seine im Iran aufhältige Familie als auch seine in Österreich lebenden afghanischen Bekannten davon in Kenntnis gesetzt, dass er nun Christ ist.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Konversion zum Christentum physische und/oder psychische Gewalt.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, zuletzt aktualisiert am 21.07.2020:

Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (USDOS 21.6.2019).

Anmerkung: Zu Konversion, Apostasie und Blasphemie siehe Unterabschnitt 15.5.

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 21.6.2019).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 21.6.2019). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 21.6.2019).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 21.6.2019).

Christentum und Konversion zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha‘i, Hindus und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 21.6.2019). USDOS schätzte im Jahresbericht zur Religionsfreiheit 2009 die Größe der geheimen christlichen Gemeinschaft auf 500 bis 8.000 Personen (USDOS 26.10.2009). Religiöse Freiheit für Christen in Afghanistan existiert; gemäß der afghanischen Verfassung ist es Gläubigen erlaubt, ihre Religion in Afghanistan im Rahmen der Gesetze frei auszuüben. Dennoch gibt es unterschiedliche Interpretationen zu religiöser Freiheit, da konvertierte Christen im Gegensatz zu originären Christen vielen Einschränkungen ausgesetzt sind. Religiöse Freiheit beinhaltet nicht die Konversion (RA KBL 1.6.2017).

Tausende ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 1.6.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 2.9.2019). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken (USDOS 21.6.2019).

Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. Zur Zahl der Konvertiten gibt es keine Statistik. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden (RA KBL 1.6.2019).

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 2.9.2019; vgl. USCIRF 4.2018, USDOS 21.6.2019), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 21.6.2019; vgl. AA 2.9.2019). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (WA 11.12.2018; vgl. AA 2.9.2019). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017).

Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Es gibt keine Berichte zu staatlicher Verfolgung aufgrund von Apostasie oder Blasphemie (USDOS 21.6.2019).

Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und missionieren (USDOS 21.6.2019). Ein christliches Krankenhaus ist seit 2005 in Kabul aktiv (CURE 8.2018); bei einem Angriff durch einen Mitarbeiter des eigenen Wachdienstes wurden im Jahr 2014 drei ausländische Ärzte dieses Krankenhauses getötet (NYP 24.4.2014). Auch gibt es in Kabul den Verein „Pro Bambini di Kabul“, der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht. Dieser betreibt eine Schule für Kinder mit Behinderung (PBdK o.D.; vgl. AF 4.1.2019).

Apostasie, Blasphemie, Konversion

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (AA 2.9.2019).

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 21.6.2019) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).

Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie (AA 2.9.2019); auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen – weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017; vgl. USDOS 21.6.2019) und auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 21.6.2019).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).

Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld (AA 2.9.2019). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 1.6.2017).

Zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation ist Folgendes anzumerken: In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 29.06.2020 in das Verfahren eingeführt. In der Zwischenzeit wurde das Länderinformationsblatt am 21.07.2020 aktualisiert. Die Aktualisierung betrifft aber lediglich eine Kurzeinfügung zum Thema COVID-19, welches im vorliegenden Fall nicht relevant ist. Die im hier zu behandelnden Fall relevanten Länderfeststellungen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation entstammen alle der in das Verfahren eingeführten Version des Länderinformationsblattes.

1.3.2. Auszug aus ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Apostasie, Blasphemie, Konversion, Verstoß gegen islamische Verhaltensregeln, gesellschaftliche Wahrnehmung von RückkehrerInnen aus Europa vom 15.06.2020:

[…]

4 Behandlung durch die Gesellschaft

In einer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020 schreibt Noah Coburn, ein am Bennington College im US-Bundesstaat Vermont tätiger Sozial- und Kulturanthropologe mit Forschungsschwerpunkt Afghanistan, dass ApostatInnen oder KonvertitInnen im Allgemeinen von der afghanischen Gesellschaft als Geächtete behandelt würden. Coburn gehe davon aus, das die meisten KonvertitInnen versuchen würden, außerhalb ihres Hauses als Muslime durchzugehen, um dies zu vermeiden. Wenn aber ihre Konversion bekannt werde, könnten sie Übergriffen ausgesetzt sein und würden potentiell Gefahr laufen, getötet zu werden (Coburn, 1. Juni 2020).

Das DFAT hält in seinem Bericht vom Juni 2019 fest, dass jene, denen Blasphemie oder Apostasie vorgeworfen werde, äußerst vulnerabel in Bezug auf gesellschaftliche Diskriminierung seien, die auch die Form von extremer Gewalt annehmen könne. In einem sehr bekannten Fall vom März 2015 habe eine große Gruppe von Menschen im Zentrum Kabuls eine Frau zu Tode geprügelt, ihre Leiche in Brand gesteckt und sie an einem Flussufer abgeladen, nachdem ein Mullah sie (fälschlicherweise) beschuldigt habe, eine Kopie des Korans verbrannt zu haben (Zu diesem Fall siehe auch weiter unten in dieser Anfragebeantwortung, sowie in ACCORD, 1. Juni 2017, Anm. ACCORD). Vom Islam abgefallene und zu einer anderen Religion konvertierte Personen hätten berichtet, dass sie damit die Annullierung ihrer Ehen, die Verstoßung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und

möglicherweise die Todesstrafe riskieren würden. Das DFAT hält dazu fest, dass es über keine weiteren Informationen zu diesen Behauptungen verfüge, sowie auch über keine Informationen zur Anzahl von Personen, die versuchen würden, zu konvertieren (DFAT, 27. Juni 2019, S. 28).

Die Anthropologin Melissa Kerr Chiovenda schreibt in ihrer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020, dass im Falle einer bekannt gewordenen Konversion die afghanische Gesellschaft oder zumindest die Menschen in der Umgebung der konvertierten Person mit Sicherheit stark auf diesen Umstand reagieren würden. Es bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Person getötet würde. Wenn nicht, dann würde sie zumindest schikaniert und stark eingeschüchtert. Wahrscheinlich würde sie aus ihrer Gemeinschaft vertrieben. Kerr Chiovenda habe persönlich eine afghanische Person gekannt, die verdächtigt worden sei, konvertiert zu sein. Der Verdacht sei aufgrund ihrer Interaktionen mit einem kanadischen Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation aufgekommen, der tatsächlich versucht habe, AfghanInnen zu konvertieren. Die verdächtigte Person sei öffentlich denunziert worden, ein Denunziationsbrief sei am Eingang der Universität aufgehängt worden, an der der Afghane in Dschalalabad studiert habe. Er habe nach Kabul umziehen müssen und seine gesamte Familie sei ebenfalls nach Kabul gezogen, da auch sie von der Gesellschaft bedroht worden sei. Schlussendlich sei er dann in die USA umgezogen. Die hier beschriebene Reaktion der Gesellschaft sei genau das, was Kerr Chiovenda in einem solchen Fall erwarte. Sie weist weiters darauf hin, dass sich diese Geschichte zwar in Dschalalabad ereignet habe, dass jedoch die Gesellschaft überall in Afghanistan auf solche Weise reagieren würde. Der erwähnte Afghane habe das Land letztlich verlassen, aber Kerr Chiovenda vermutet, dass für ihn selbst ein Leben in Kabul schwierig gewesen wäre. Die Angelegenheit hätte ihn wahrscheinlich verfolgt, und er wäre in Gefahr gewesen (Kerr Chiovenda, 2. Juni 2020).

Migrationsverket geht in seinem Bericht vom Dezember 2017 unter Verweis auf verschiedene Quellen ebenfalls auf die möglichen Konsequenzen von Apostasie ein und schreibt, dass mehrere Quellen angegeben hätten, dass es kein Mitgefühl für Muslime gebe, die "ihren Glauben verraten“ würden. ApostatInnen würden riskieren, von ihren Familien vertrieben zu werden. Darüber hinaus könne es in einigen Fällen vorkommen, dass Menschen in der Umgebung der abtrünnigen Person die Sache selbst in die Hand nehmen und die Person töten würden, ohne dass der Fall vor Gericht komme. Das Ansehen des Einzelnen sei eng mit dem Ansehen der Familie in der afghanischen Gesellschaft verflochten. Wenn eine Familie daher beschließe, die Person wegen des Verdachts der Abwendung vom Islam zu vertreiben, gerate die Person in eine sehr vulnerable Situation. Mehrere Quellen würden andeuten, dass die Hauptbedrohung für eine vom islamischen Glauben abgefallene Person nicht in erster Linie von den afghanischen Behörden ausgehe, sondern von der eigenen Familie der Person oder anderen Personen innerhalb der Gemeinschaft der Person (Migrationsverket, 21. Dezember 2017, S. 17).

Zusammenfassend hält Migrationsverket in dem Bericht fest, dass es schwierig sei, allgemeingültige Schlussfolgerungen zur Situation von Personen, denen Apostasie vorgeworfen wird, zu ziehen. Die individuellen Umstände seien in den meisten Fällen entscheidend, Faktoren wie persönliche Beziehungen und Konflikte, der familiäre Hintergrund und der Herkunftsort seien diesbezüglich von Bedeutung (Migrationsverket, 21. Dezember 2017, S. 4).

Friederike Stahlmann gibt in der Online-Veranstaltung vom Mai 2020 zum Thema Konversion, Apostasie und unterstellter Apostasie (großteils in Zusammenhang mit RückkehrerInnen aus Europa) an, dass es eine Erwartungshaltung gegenüber den Familien solcher Personen gebe, dieses Fehlverhalten zu sanktionieren. Es handle sich um eine traditionelle soziale Erwartung zur Sanktionierung, die dem Umkreis einer solchen Person entgegengebracht würde, auch um zu verhindern, dass diese extreme Form von Tabubruch noch weiter bekannt würde. Stahlmann seien Fälle von Rückkehren bekannt, die gerade noch hätten entkommen können. So etwa der Fall von einem kürzlich Abgeschobenen, der überzeugter Konvertit sei und der gerade in Kabul angekommen sei und nicht habe beten wollen. Als er von anderen in seiner Unterkunft dazu aufgefordert worden sei, habe er gemeint, er würde zu einem späteren Zeitpunkt beten. Sie hätten ihm erwidert, dass er jetzt beten solle und hätten ihn mit einem Messer bedroht. Daraufhin habe er gemeint, er werde sich für das Gebet waschen gehen und sei dann durch das Fenster der Toilette geflohen. Stahlmann ergänzt, dass diese Personen vermutlich nicht zur Polizei gegangen und ihn angezeigt hätten, sondern das vermutlich „direkt sanktioniert“ hätten. Stahlmann seien mehrere Fälle bekannt, bei denen es darum gegangen sei, Unterkünfte und Verstecke für KonvertitInnen zu finden. Kurzfristig sei das aber selbst bei den ausländischen Christen in Kabul nicht möglich gewesen, weil die Angst zu groß gewesen sei, dass sie sich als Unterstützer in Gefahr bringen würden.

Aber auch Desinteresse an Religion könne laut Stahlmann als Apostasie gewertet werden. So könne es in Afghanistan als Hinweis auf bzw. Merkmal von Apostasie wahrgenommen werden, wenn jemand die religiösen Rituale nicht pflege. Und in vielen der von RückkehrerInnen in Anspruch genommenen Unterkünfte werde man sehr stark sozial überwacht, ob und wie häufig man zum Beispiel bete. Also gerade an solchen halb-öffentlichen Orten, oder an Orten, an denen es Zeugen gebe, die man nicht gut kenne, brauche es ein überzeugendes Bekenntnis zum Islam und das Einhalten der damit verbundenen Rituale. Praktisch würden jedoch auch Alltagsregeln religiös legitimiert und damit sei auch deren Einhaltung zentral, um den Vorwurf der Apostasie zu vermeiden. Dies seien Dinge, die gerade zurückkehrende Flüchtlinge, die Afghanistan jung verlassen hätten oder Afghanistan nicht kennen würden, häufig falsch machen würden. Für den Vorwurf würden mitunter Kleinigkeiten ausreichen. Ihr sei der Fall eines Afghanen bekannt, der Mitte der 2000er nach Kabul zurückgekehrt sei und der genügend Geld gehabt habe, um sich eine Wohnung zu mieten. Er habe sich eine westliche Toilettenschüssel eingebaut, worauf ihn der Vermieter verprügelt und hinausgeworfen habe, weil die Toilettenschüssel aus Versehen nach Mekka ausgerichtet gewesen sei. Auch dies sei vom Vermieter als Apostasie gewertet worden (Stahlmann, 11. Mai 2020).

Humanists International (vormals International Humanist and Ethical Union, IHEU) ist eine Nichtregierungsorganisation mit Hauptsitz in London, die aus zahlreichen nichtreligiösen, humanistischen und säkularen Organisationen aus vielen Ländern der Welt besteht. In einem Bericht vom November 2019 erwähnt die Organisation, dass in Bezug auf Ungläubige und ApostatInnen nur sehr wenige Vorfälle dokumentiert seien. Allerdings geht die Organisation davon aus, dass dies vermutlich eher daran liege, dass viele KonvertitInnen und vom Islam Abgefallene einfach zu viel Angst davor hätten, offen über ihre Geisteshaltung zu sprechen (Humanists International, 13. November 2019, S. 6).

Open Doors, ein überkonfessionelles christliches Hilfswerk mit evangelikaler Ausrichtung, das sich in über 50 Ländern der Welt für ChristInnen einsetzt, erwähnt in seinem Weltverfolgungsindex 2020, dass es Berichte über einige ChistInnen gebe, die im Berichtszeitraum (1. November 2018 – 31. Oktober 2019) getötet worden seien, dass aber aus Sicherheitsgründen keine Einzelheiten veröffentlicht werden könnten (Open Doors, 2019).

Kerr Chiovenda antwortet in ihrer E-Mail-Auskunft vom Juni 2020 wie folgt auf die Frage, warum es wenige dokumentierte oder veröffentlichte Fälle von Übergriffen gegenüber KonvertitInnen und ApostatInnen gebe: Zunächst, so Kerr Chiovenda, gebe es in Afghanistan nur wenige Menschen, die konvertieren würden. Dies liege daran, dass Afghanistan ein fast vollständig muslimisches soziales Umfeld aufweise, und es nur einige wenige AusländerInnen gebe, die insgeheim daran arbeiten würden, AfghanInnen zum Christentum zu bekehren. In den meisten Fällen würden AfghanInnen einfach nicht in Kontakt mit Personen anderer Religionen kommen. Wenn jemand als Flüchtling nach Europa gehe, sei er natürlich plötzlich einem sozialen Umfeld mit vielen ChristInnen ausgesetzt und würde daher viel eher zum Christentum konvertieren. Dazu komme, dass Konversion so gefährlich und die Auswirkungen so schwerwiegend seien, dass KonvertitInnen ihren diesbezüglichen Status geheim halten würden. Kerr Chiovenda betont, dass für jemanden wie sie, die in Afghanistan arbeite, die Sorge bestehe, dass man sie für eine Missionarin halten könnte. Versuche jemand mit ihr über das Christentum zu sprechen, würde sie das Gespräch im Allgemeinen sofort in eine andere Richtung lenken, weil sie nicht wollte, dass ihre Arbeit und ihre Forschung durch Anschuldigungen gefährdet würden (Kerr Chiovenda, 10. Juni 2020).

Laut E-Mail-Auskunft von Friederike Stahlmann vom Juni 2020 betreffe die Tabuisierung islamkritischen Verhaltens auch JournalistInnen. InterviewpartnerInnen zu Fällen von Apostasie oder Übergriffen auf vermeintliche ApostatInnen zu bekommen, würden mit Stahlmann befreundete JournalistInnen als nahezu unmöglich einschätzen, sofern nicht bereits eine öffentliche Sanktionierung stattgefunden hätte, die - wie im Fall des Lynchmordes an Farkhunda Malikzada im März 20151 - ohnehin öffentliche Reaktionen provoziert habe. Zudem sei im Gegensatz zu den zumindest in kleinen Teilen der Gesellschaft umstrittenen außergerichtlichen Hinrichtungen von vermeintlichen EhebrecherInnen der gesellschaftliche Konsens bezüglich der Ermordung von vermeintlichen Apostaten so groß, dass kritische Berichterstattung auch kaum Chance auf Veröffentlichung habe. Es gebe schlicht keine Lobby für ApostatInnen oder deren Grundrechte, wie etwa rechtsstaatliche Verfahren. Mit Berichten über derartige Vorfälle würde man sich zudem in Gefahr einer Vergeltung für die Rufschädigung durch die betroffenen Familien und Nachbarschaften bringen. JournalistInnen seien zudem dem Risiko ausgesetzt, dass ihnen der medienrechtliche Vorwurf gemacht werde, sie hätten Farkhunda Malikzada sei im März 2015 in Kabul von einer Menschenmenge aufgrund fälschlicher Anschuldigung, einen Koran verbrannt zu haben, zu Tode geschlagen worden (siehe ACCORD, 1. Juni 2017) über unislamisches Verhalten berichtet oder dieses befördert, denn dies sei laut Mediengesetz untersagt (Weitere Informationen zum Mediengesetz siehe Abschnitt zu öffentlicher Kritik am Islam, Anm. ACCORD) (Stahlmann, 11. Juni 2020).

Friederike Stahlmann führt in ihrer vom Informationsverbund Asyl und Migration im September 2019 veröffentlichten Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobener AfghanInnen die folgenden Informationen und konkreten Fälle an:

„Auch vermeintlich unislamisches Verhalten in Europa kann durch die Taliban zu einem Verfolgungsgrund werden. So hatte ein Abgeschobener in Deutschland bei einem Frühjahrsputz in einer Kirche mitgeholfen. Dies war durch die Verlinkung eines regionalen Zeitungsartikels auf Facebook in Afghanistan bekannt geworden. Kurz nach seiner Abschiebung wurde seine Familie unter Verweis auf die – aufgrund des Facebook-Links unterstellte – Konversion des Abgeschobenen unter Gewaltandrohung aufgefordert, ihn auszuhändigen, und musste fliehen. Ein weiterer Abgeschobener wurde durch den eigenen Vater bedroht, der auch bei den Taliban ist, und durch Informanten in der afghanischen Community in Deutschland herausgefunden hatte, dass sein Sohn in Deutschland eine Freundin hatte. Insgesamt waren so knapp 20 Prozent der 31 Abgeschobenen aufgrund ihres Aufenthalts in Europa direkt von den Taliban bedroht oder wurden mit angedrohtem Verrat an die Taliban erpresst. Rund 26 Prozent der 31 haben Gewalt erlebt, die durch die allgemeine Bevölkerung aufgrund »westlicher Merkmale« oder der Vergangenheit in Deutschland ausgeübt wurde. Für den zugrunde liegenden Vorwurf, vom Glauben abgefallen und damit Ungläubiger (kafir) zu sein, genügt schon die Verletzung der jeweils geltenden religiösen und sozialen Erwartungen. Auch soziale Umgangsformen werden in Afghanistan nämlich in der Regel religiös legitimiert. Wie in qualitativen Studien schon ausführlich dokumentiert wurde, reichen die Konsequenzen von sozialem Ausschluss aufgrund der Stigmatisierung bis zu Mord. So wurde ein Abgeschobener von seinem Vater wie auch von Nachbarn in seinem Heimatdorf körperlich misshandelt, weil ‚sie gemerkt haben, dass ich anders bin‘. Sechs Abgeschobene berichteten jedoch auch von insgesamt acht Vorfällen, bei denen sie auf der Straße, in der Moschee und bei der Arbeitssuche von Fremden als ‚Verräter‘ oder ‚Ungläubige‘ bedroht, gejagt oder sogar angegriffen wurden.“ (Stahlmann, September 2019, S. 279-280)

Im Rahmen der Recherche konnten für die letzten Jahre keine weiteren dokumentierten Vorfälle von Übergriffen auf ApostatInnen oder KonvertitInnen durch die afghanische Gesellschaft gefunden werden. Informationen über ältere Vorfälle, darunter auch den vom DFAT erwähnten Fall der im Jahr 2015 erschlagenen Frau, können in der bereits erwähnten ACCORD-Anfragebeantwortung vom Juni 2017 abgerufen werden. (ACCORD, 1. Juni 2017)

[…]

7 Diskriminierung

Thomas Ruttig antwortet in seiner E-Mailauskunft vom Mai 2020 wie folgt auf die Frage, ob Personen, von denen bekannt geworden sei, dass sie vom Glauben abgefallen seien, in Bezug auf den Zugang zu staatlichen Dienstleistungen diskriminiert würden: Wenn sich die Personen tatsächlich als solche zu erkennen geben würden, so würden sie laut Ruttig diskriminiert werden (Ruttig, 29. Mai 2020). Noah Coburn antwortet in seiner E-Mailauskunft vom Juni 2020 in ähnlicher Weise auf diese Frage, er meint, dass tatsächliche Interaktionen zwischen KonvertitInnen und dem Staat ziemlich selten seien. Sollte eine solche Interaktion jedoch stattfinden, so komme es zu signifikanter Diskriminierung gegenüber diesen KonvertitInnen (Coburn, 1. Juni 2020).

Das USDOS schreibt in seinem Bericht vom Juni 2020, dass Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion konvertiert seien, berichten würden, dass ihnen die Annullierung ihrer Ehe drohe, die Verstoßung durch ihre Familien, der Verlust ihres Arbeitsplatzes, sowie möglicherweise auch die Todesstrafe (USDOS, 10. Juni 2020, Section II).

Open Doors hält in seinem Bericht von 2019 Folgendes zum Thema Diskriminierung von Christen fest:

„Christen werden nur Arbeit finden, solange man sie für afghanische Muslime hält. Sobald entdeckt wird, dass sie sich auch nur mit dem christlichen Glauben befassen, etwa indem sie sich im Internet darüber informieren, wird sofort gehandelt, indem man sie indoktriniert, bis sie (und ihre Kontaktpersonen) sich fügen. Das kann Folter einschließen.

Ehepartner von Christen muslimischer Herkunft werden (erfolgreich oder nicht erfolgreich) von anderen unter Druck gesetzt, sich scheiden zu lassen: Es wird Druck auf die Ehepartner ausgeübt, sich scheiden oder eine Ehe mit einem christlichen Ehepartner annullieren zu lassen. Dem stärksten Druck sind Frauen ausgesetzt, deren Ehemänner sich zum christlichen Glauben hingewandt haben. Ihre Eltern werden versuchen, eine Scheidung durchzusetzen und große Streitigkeiten in der Familie zu verursachen. Manchmal werden ehemalige Muslime in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen, weil die Familien davon überzeugt sind, dass niemand mit gesundem Verstand jemals den Islam verlassen würde. […] Jeder entdeckte Christ muslimischer Herkunft verliert den Zugang zu den gemeinschaftlich genutzten Ressourcen und zur Gesundheitsversorgung.“ (Open Doors, 2019, S. 322)

[…]

1.3.3. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018:

[…]

5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen

UNHCR ist auf Grundlage der vorangegangenen Analyse der Ansicht, dass für Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, einschließlich Personen, die der Blasphemie oder der Konversion vom Islam bezichtigt werden, sowie für Angehörige religiöser Minderheiten abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz be

stehen kann aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Religion oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen von nichtstaatlichen Akteuren ausgehenden Verfolgung zu bieten.

Die Verfassung sieht vor, dass Anhänger anderer Religionen als dem Islam „innerhalb der durch die Gesetze vorgegebenen Grenzen frei sind in der Ausübung und Erfüllung ihrer religiösen Rechte“. Allerdings wird in der Verfassung auch festgestellt, dass der Islam die offizielle Religion des Staates ist und „kein Gesetz gegen die Lehren und Bestimmungen der heiligen Religion des Islam in Afghanistan verstoßen darf”. Darüber hinaus sollen die Gerichte gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch andere Gesetze Vorgaben enthalten, der Hanafi-Rechtsprechung folgen, einer sunnitisch-islamischen Rechtslehre, die unter zwei Dritteln der muslimischen Welt verbreitet ist. Afghanische Juristen und Regierungsvertreter wurden dafür kritisiert, dass sie dem islamischen Recht Vorrang vor Afghanistans Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsabkommen in Situationen einräumen, in denen ein Widerspruch der verschiedenen Rechtsvorschriften vorliegt, insbesondere in Bezug auf die Rechte von afghanischen Staatsbürgern, die keine sunnitischen Muslime sind, und in Bezug auf die Rechte der Frauen.

a) Religiöse Minderheiten

[…]

Christen

Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Christen ist Berichten zufolge weiterhin offen feindlich. Christen werden gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. In Afghanistan existieren keine öffentlichen Kirchen mehr und Christen beten allein oder in kleinen Versammlungen in Privathäusern. 2013 riefen vier Parlamentsmitglieder Berichten zufolge zur Hinrichtung von Personen auf, die zum Christentum konvertiert sind.

[…]

b) Konversion vom Islam

Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie, also als Glaubensabfall betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tode bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, sie fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten „ungeheuerlichen Straftaten“, die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen. Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist. Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grund- und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren. Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion übertreten, müssen Berichten zufolge um ihre persönliche Sicherheit fürchten.

Bekehrungsversuche, um Personen zum Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion zu bewegen, sind Berichten zufolge laut der Hanafi Rechtslehre ebenfalls rechtswidrig und es stehen darauf dieselben Strafen wie für Apostasie. Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können, so wird berichtet, selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. In der Regel haben Beschuldigte laut Berichten indes keinen Zugang zu einem Verteidiger oder zu anderen Verfahrensgarantien.

[…]

2. Beweiswürdigung

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffen werden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Herkunft und Volksgruppenzugehörigkeit gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden – Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers ergibt sich aus diesbezüglich vorgelegten Dokumenten und vor allem aus dem Eindruck, der von dem Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung gewonnen werden konnte. Der Beschwerdeführer war in der Lage, die Verhandlung über weite Strecken auf Deutsch zu führen. Hinsichtlich komplexerer Inhalt wurde die Unterstützung des Dolmetschers hinzugezogen.

Die Feststellung zu den ehrenamtlichen Tätigkeiten des Beschwerdeführers beruhen auf diesbezüglich vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Die Feststellungen zum regelmäßigen Kirchenbesuch des Beschwerdeführers, zur Teilnahme am Taufvorbereitungskurs und an Einzelstunden zur Taufvorbereitung sowie zur erfolgten Taufe ergeben sich aus dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers, weiters aus den Zeugenaussagen des Pfarrers und der Pastoralassistentin jener Kirche, die der Beschwerdeführer regelmäßig besucht, und aus dem übermittelten Taufschein.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten ist, gründet auf einer diesbezüglich vorgelegten Bescheinigung der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 14.03.2018.

Dass der Beschwerdeführer seine Familie und afghanische Bekannte darüber informierte, dass er nun Christ sei, gründet auf seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer aus freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit sowie Nachhaltigkeit getragen zum christlichen Glauben konvertiert ist, ergibt sich ebenfalls aus dessen Vorbringen, den Aussagen der beiden Zeugen und dem Eindruck, den die erkennende Richterin vom Beschwerdeführer während der mündlichen Verhandlung erlangen konnte. So konnte der Beschwerdeführer glaubhaft darlegen, dass ihm die Hinwendung zum Christentum Halt gibt. Insbesondere in schwierigen Zeiten sucht er verstärkt Kontakt zu Gott, so etwa wenn ihn die Traurigkeit darüber überkommt, dass er seine Familie bereits seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hat (siehe Verhandlungsschrift, Seite 14). Für den Beschwerdeführer spielt das Gemeinschaftliche, die Nächstenliebe eine große Rolle im Christentum: So setzt er seine sehr guten Deutschkenntnisse oft ein, um anderen Asylwerbern bei Behördengängen und Arztbesuchen zu helfen. Sein soziales Engagement zeigt sich auch in seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Sanitäter.

Dass der Beschwerdeführer den christlichen Glauben bereits verinnerlicht hat, zeigen deutlich die Aussagen des Pfarrers und der Pastoralassistentin jener Kirche, die der Beschwerdeführer regelmäßig besucht. Die an den Pfarrer gerichtete Frage, ob er das Gefühl habe, dass der Beschwerdeführer Zugang zu Gott gefunden habe, beantwortete dieser mit „Auf jeden Fall“. Man merke beim Gottesdienst, dass der Beschwerdeführer mit Herzen dabei sei. Er habe auch sehr stark den Eindruck, dass der Beschwerdeführer ein geregeltes Gebetsleben führe, dass ihm die Heilige Schrift wichtig sei (siehe Verhandlungsschrift Seite 22). Auch die Pastoralassistentin, die den Taufvorbereitungskurs leitete, bestätigte dem Gericht, dass sich der Beschwerdeführer aktiv einbringe und versuche, Zusammenhänge zu seinem Leben herzustellen. Im Vieraugengespräch mit ihr habe ihr der Beschwerdeführer auch von Glaubenserfahrungen berichtet, die er bereits erlebt habe. Aus diesen Angaben der Zeugen lässt sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts ableiten, dass beim Beschwerdeführer eine eingehende Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben stattgefunden hat und die neue Religion eine wichtige Rolle in seinem Alltag spielt. Eine Scheinzuwendung zum Christentum, allein aus asyltaktischen Gründen, ist somit auszuschließen.

Dass das in der Verhandlung abgefragte Glaubenswissen des Beschwerdeführers nicht sehr ausgeprägt war, lässt sich nach Einschätzung des Gerichts auf die Nervosität des Beschwerdeführers zurückführen. So wurde auch eine Pause abgehalten, weil die erkennende Richterin den Eindruck hatte, dass sich der Beschwerdeführer angesichts der Wichtigkeit der mündlichen Verhandlung für sein Asylverfahren selbst stark unter Druck setzte.

Der Umstand, dass der erste angesetzte Tauftermin des Beschwerdeführers verschoben wurde, ist damit zu erklären, dass dem Beschwerdeführer zwischenzeitlich die Möglichkeit des Schulbesuchs offen stand und er in Gesprächen mit der Pastoralassistentin letztlich entschied, besonderes Augenmerk auf den Schulunterricht zu legen. Dass er aber weiterhin sein Ziel, Christ zu werden, sehr engagiert verfolgte, zeigt sich im offiziellen Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft im März 2018 und in seinen außertourlichen, während der Ferienzeiten in Anspruch genommenen Einzelterminen zur Taufvorbereitung, die die Pastoralassistentin bestätigte. Am 16.08.2020 wurde der Beschwerdeführer schließlich getauft.

Es besteht somit kein Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer zum Christentum konvertiert ist. Es kann weiters nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer seinen neuen Glauben in Afghanistan verleugnen würde. So führte der Beschwerdeführer aus, dass er die Gemeinschaft und den Gottesdienst brauche. Er könne nicht in Afghanistan alleine beten (Verhandlungsschrift, Seite 15).

2.2.2. Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr aufgrund seiner Konversion zum Christentum Gefahr liefe, physische und/oder psychische Gewalt zu erfahren, ergibt sich aus den in das Verfahren eingeführten Länderberichten.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Die oben angeführten Länderberichte wurden in der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebracht. Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers gab bekannt, den Inhalt der eingeführten Länderberichte zu kennen.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A) Stattgabe der – zulässigen – Beschwerde:

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Bei dem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Asylgrund der „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen „Rasse, Religion und Nationalität“ überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese. Unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird eine – nicht sachlich gerechtfertigte – Repression verstanden, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten (VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).

Zentraler Aspekt des in der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann („innerstaatliche Fluchtalternative“). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist – wie der Verwaltungsgerichtshof zur Genfer Flüchtlingskonvention judiziert – nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „inländischen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.11.2007, 2006/19/0341, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellung

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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