TE Bvwg Beschluss 2020/10/23 W216 2134020-2

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Veröffentlicht am 23.10.2020
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Entscheidungsdatum

23.10.2020

Norm

AlVG §24
AlVG §25
AlVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §32

Spruch

W216 2134020-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Vorsitzende sowie die fachkundige Laienrichterin Karin ZEISEL und den fachkundigen Laienrichter Dr. Kurt SCHEBESTA und als Beisitzer über den Antrag von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Majoros, Walfischgasse 12/3, 1010 Wien, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 21.08.2019, GZ: XXXX , abgeschlossenen Verfahrens, beschlossen:

A)

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1.1. Mit Bescheid vom 22.04.2016 hat das Arbeitsmarktservice Wien Dresdner Straße (im Folgenden: belangte Behörde oder AMS) die Zuerkennung der Notstandshilfe des Beschwerdeführers vom 20.08.2014 bis 08.11.2014 und vom 15.11.2015 bis 31.03.2015 gemäß § 38 iVm § 24 Abs. 2 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) widerrufen und die unberechtigt empfangene Notstandshilfe in Höhe von EUR 4.370,90 gemäß § 38 AlVG in Verbindung mit § 25 Abs. 1 AlVG mit zurückgefordert. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung für den Zeitraum vom 20.08.2014 bis 31.03.2015 zu Unrecht bezogen habe, da er während dieses Zeitraums in einem Dienstverhältnis gestanden sei. Im Zuge einer Überprüfung durch das Finanzamt sei die geringfügige Beschäftigung in der Zeit vom 20.08.2014 bis 31.12.2015 auf eine Vollversicherung geändert worden. Ab 01.01.2015 bis 31.03.2015 sei der Beschwerdeführer beim selben Dienstgeber wieder geringfügig beschäftigt gewesen. Seiner Meldepflicht zur Aufnahme einer Beschäftigung sei der Beschwerdeführer auch im Falle einer Geringfügigkeit nicht nachgekommen.

1.2. Nach Beschwerdeerhebung seitens des Beschwerdeführers und Beschwerdevorentscheidung durch die belangte Behörde vom 21.07.2016 stellte der Beschwerdeführer rechtzeitig einen Vorlageantrag und wiederholte, dass er entgegen den Feststellungen der belangten Behörde während des Bezugs der Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung stets nur geringfügig gearbeitet habe.

1.3. Mit Erkenntnis vom 10.08.2017 behob das Bundesverwaltungsgericht die mit 21.07.2016 datierte und am 01.09.2016 nachweislich zugestellte Beschwerdevorentscheidung, wies die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid mit der Maßgabe einer Spruchkorrektur ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Begründend wurde – u.a. gestützt auf einen aktuellen Auszug des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger – ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in den verfahrensgegenständlichen Zeiträumen nicht arbeitslos, sondern vollversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei.

1.4. Nach Erhebung einer außerordentlichen Revision wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.08.2017 mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17.11.2017 wegen Rechtswidrigkeit in Folge von Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

1.5. In weiterer Folge führte das Bundesverwaltungsgericht am 07.02.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch und erließ am 21.08.2019 ein Erkenntnis, womit die am 01.09.2016 zugestellte Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 21.07.2016 wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde behoben und die Beschwerde mit einer näher ausgeführten Maßgabe als unbegründet abgewiesen wurde. Die Revision wurde für unzulässig erklärt.

1.6. Nach erneuter Erhebung einer außerordentlichen Revision wurde diese mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.10.2019 mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen. Zudem wurde festgestellt, dass das Bundesverwaltungsgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise das Nichtbestehen der Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers im gesamten gegenständlichen Zeitraum abgeleitet habe. Der Beschwerdeführer habe seine ab 20.08.2014 ausgeübte, vollversicherungspflichtige Tätigkeit dem AMS nicht gemeldet.

2.1. Mit Schreiben vom 08.06.2020, beim erkennenden Gericht eingelangt am 09.06.2020, übermittelte der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer dem erkennenden Gericht einen Antrag auf Wiederaufnahme des im Spruch angeführten Verfahrens gemäß § 32 Abs. 1 Z 3 VwGVG.

Er begründete den Antrag vor allem damit, dass mit Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse vom 26.05.2020, dem Beschwerdeführer zugestellt am 28.05.2020, festgestellt worden sei, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich der für den verfahrensgegenständlichen Dienstgeber ausgeübten Tätigkeit im Zeitraum vom 25.02.2014 bis 09.03.2014 und vom 20.08.2014 bis 31.03.2015 der Pflichtversicherung in der Unfallversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 und § 5 Abs. 1 Z 2 iVm § 7 Z 3 lit. a ASVG unterliege. Demnach sei von der zuständigen Behörde festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer in diesem Zeitraum lediglich geringfügig beschäftigt gewesen sei. Gerade diese Frage habe im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Vorfrage gebildet. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts sei somit von einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG abhängig gewesen. Das Bundesverwaltungsgericht sei damals von einem voll- und arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis im Zeitraum vom 20.08.2014 bis 08.11.2014 und vom 15.11.2014 bis 31.03.2015 ausgegangen und habe aus diesem Grund einen Widerrufstatbestand gemäß § 24 Abs. 2 AlVG bejaht. Da nunmehr nachträglich über diese Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde anders entschieden worden sei, liege somit der Wiederaufnahmegrund des § 32 Abs. 1 Z 3 VwGVG vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer stand während des Bezuges von Notstandshilfe im Zeitraum vom 20.08.2014 bis 08.11.2014 und vom 15.11.2014 bis 31.12.2014 gleichzeitig in einem voll- und arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis und hat dies dem AMS nicht gemeldet, sodass die Notstandshilfe für diesen Zeitraum zu widerrufen und der Beschwerdeführer zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in Höhe von EUR 4.370,90 verpflichtet war.

Das erste abweisende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.08.2017 wurde – nach Erhebung einer außerordentlichen Revision – vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben. Im Wesentlichen wurde dies mit der fehlenden Bindung des Bundesverwaltungsgerichts an die Gebietskrankenkassenmeldungen des Dienstgebers bzw. an die beim Hauptverband gespeicherten Daten in Hinblick auf die Feststellungen über den strittigen Anspruchslohn sowie mit der Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in deren Rahmen sich das erkennende Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung gründen kann, begründet.

Dieser Aufforderung kam das Bundesverwaltungsgericht in weiterer Folge nach, führte eine mündliche Verhandlung bzw. weitere Ermittlungen durch und erließ mit Erkenntnis vom 21.08.2019 erneut eine abweisende Entscheidung in dieser Angelegenheit. Nach Erhebung einer weiteren außerordentlichen Revision wurde diese letztlich vom Verwaltungsgerichtshof mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zurückgewiesen; im Übrigen aber die (zweite) Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bzw. die ihr zugrunde gelegte rechtliche Vorgehensweise nicht beanstandet.

Mit Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) vom 26.05.2020 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner ausgeübten Tätigkeit im Zeitraum vom 25.02.2014 bis 09.03.2014 und vom 20.08.2014 bis 31.03.2015 der Pflichtversicherung in der Unfallversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 und § 5 Abs. 1 Z 2 iVm § 7 Z 3 lit. a ASVG unterliegt.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.08.2019 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Beiziehung von Zeugen, in die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 17.11.2017 und vom 21.10.2019 sowie in den Wiederaufnahmeantrag.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung fachkundiger Laienrichter ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 56 Abs. 2 AlVG.

Zu A) Zur Zurückweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens:

3.2. Die gegenständlich maßgeblichene Bestimmung des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) lautet auszugsweise:

„Wiederaufnahme des Verfahrens

§ 32 (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2.

neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder

3.

das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder

4.

nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.“

3.3. Der Antrag auf Wiederaufnahme ist gemäß Abs. 2 leg. cit. binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß Abs. 3 leg. cit. auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens gemäß Abs. 4 leg. cit. von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind gemäß Abs. 5 leg. cit. die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

3.3.1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die Wiederaufnahmsgründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet, weshalb auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmsgründe zurückgegriffen werden kann (VwGH 31.08.2015, Zl. Ro 2015/11/0012).

Die zweiwöchige (subjektive) Frist gemäß § 32 Abs. 2 AVG beginnt mit dem Zeitpunkt, d.h. an dem Tag zu laufen, an dem der Antragsteller vom Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat. Für die Berechnung dieser verfahrensrechtlichen Frist sind die §§ 32 und 33 AVG maßgeblich. Gemäß § 33 Abs. 3 AVG werden die Tage von der Übergabe an einen Zustelldienst im Sinne des § 2 Z 7 des Zustellgesetzes zur Übermittlung an die Behörde bis zum Einlangen bei dieser (Postlauf) in die Frist nicht eingerechnet.

Der Wiederaufnahmeantrag hat alle für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit, d.h. der Einhaltung der subjektiven und objektiven Fristen des § 69 Abs. 2 AVG maßgeblichen Angaben zu enthalten (VwGH 19.05.1993, Zl. 91/13/0099; 25.01.1996, Zl. 95/19/0003). Gemäß § 69 Abs. 2 letzter Satz AVG sind die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Fristen ergibt, vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit eines Wiederaufnahmeantrages trägt somit der Antragsteller (VwGH 03.09.1998, Zl. 98/06/0086; 08.07.2005, Zl. 2005/02/0040). Er hat bereits im Antrag bekannt zu geben, wann er vom behaupteten Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat (VwGH 07.03.1996, Zl. 96/09/0015) und an welchem Tag die in Rechtskraft erwachsene Entscheidung ihm gegenüber erlassen wurde (Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 55).

Ein nach Ablauf der zweiwöchigen subjektiven Frist gestellter Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist als unzulässig, weil verspätet eingebracht, zurückzuweisen (VwGH 20.03.1990, Zl. 90/06/0013; 15.07.2003, Zl. 2003/05/0080), sofern ihn die Behörde nicht zum Anlass einer amtswegigen Wiederaufnahme nimmt (Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 59).

Die Wiederaufnahme des Verfahrens setzt voraus, dass es sich um ein Verwaltungsverfahren handelt, welches durch Bescheid erledigt wurde. Mit der vorgesehenen Wiederaufnahme des Verfahrens soll die Möglichkeit eröffnet werden, ein durch rechtskräftigen Bescheid abgeschlossenes Verfahren, dem besondere Mängel anhaften, aus den im Gesetz erschöpfend aufgezählten Gründen aus der Welt zu schaffen und wieder zu eröffnen. (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 69 Rz 1-3).

3.4. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich Folgendes:

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom 08.06.2020, eingelangt am 09.06.2020, wurde fristgerecht innerhalb der zweiwöchigen Frist ab Kenntnis des Wiederaufnahmegrundes eingebracht.

Der gegenständliche Wiederaufnahmeantrag stützt sich auf den Wiederaufnahmegrund des § 32 Abs. 1 Z 3 VwGVG und wurde damit begründet, dass mit Bescheid der ÖGK vom 26.05.2020 festgestellt worden sei, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum vom 25.02.2014 bis 09.03.2014 und vom 20.08.2014 bis 31.03.2015 lediglich geringfügig beschäftigt gewesen sei und demnach nachträglich über diese Vorfrage, die dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegen sei, von der zuständigen Verwaltungsbehörde anders entschieden worden sei.

Der Wortlaut des § 32 Abs. 1 Z. 3 VwGVG 2014 – ebenso wenig wie derjenige des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG – zwingt nicht zur Annahme, dieser Wiederaufnahmsgrund setze eine eigenständige Beurteilung der Vorfrage durch die Behörde voraus. Dies mag zwar der häufigste Anwendungsfall sein; es ist aber kein Grund erkennbar, der es ausschließen würde, das Vorliegen des Wiederaufnahmsgrundes der späteren Vorfragenentscheidung auch dann zu bejahen, wenn die Behörde zunächst an die bereits rechtskräftig durch die zuständige Behörde oder das zuständige Gericht erfolgte Beurteilung der Vorfrage als Hauptfrage gebunden war und diese bindende Vorfragenentscheidung später durch die zuständige Behörde oder das zuständige Gericht anders beurteilt wird (VwGH vom 31.08.2015, Zl. Ro 2015/11/0012).

Bei der in § 69 Abs. 1 Z 3 AVG angesprochenen Vorfrage muss es sich um eine solche iSd § 38 AVG handeln, also um eine präjudizielle Rechtsfrage, die nicht von der erkennenden, sondern von einer anderen (österreichischen) Behörde oder von derselben Behörde in einem anderen Verfahren oder von einem Gericht als Hauptfrage – als Gegenstand eines rechtsfeststellenden oder rechtsgestaltenden Abspruches – zu entscheiden ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 16).

Vorfragen iSd § 38 AVG setzen somit voraus, dass der Spruch der erkennenden Behörde in der Hauptfrage nur nach Klärung einer in den Wirkungsbereich einer anderen österreichischen Behörde fallenden Frage gefällt werden kann (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 2 mwN.).

Diesbezüglich ist festzuhalten, dass das erkennende Gericht nach einem behebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17.11.2017 wegen Rechtswidrigkeit in Folge von Verletzung von Verfahrensvorschriften und mit dem Auftrag, selbstständige Ermittlungen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung anzustellen, in weiterer Folge weitere Ermittlungsschritte gesetzt hat und die Rechtsfrage hinsichtlich der Versicherungspflicht des Beschwerdeführers im verfahrensgegenständlichen Zeitraum und der damit verbundenen weiteren Konsequenzen (Widerruf und Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe) zu beurteilen hatte.

Kassatorische Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs entfalten im fortgesetzten Verfahren eine Bindungswirkung. Wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, sind gemäß § 63 Abs. 1 VwGG die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Demnach hatte das erkennende Gericht dafür zu sorgen, dass ein der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofs entsprechender Rechtszustand hergestellt wird.

Es war laut höchstgerichtlicher Judikatur bei seinen Feststellungen weder an die Gebietskrankenkassenmeldungen des Dienstgebers noch an die beim Hauptverband gespeicherten Daten gebunden und zudem gehalten, die aufgeworfene Rechtsfrage selbst zu beantworten (VwGH 17.11.2017, Ra 2017/08/0111-7) und nicht etwa einer anderen Behörde zu überlassen. Die sodann getroffene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.08.2019 wurde auch nach Erhebung einer außerordentlichen Revision durch den Beschwerdeführer seitens des Verwaltungsgerichtshofs nicht beanstandet. Vielmehr wurde ausgeführt, dass das erkennende Gericht seine Entscheidung in rechtlich nicht zu beanstandender Weise getroffen habe.

Nachdem das erkennende Gericht mit seiner Entscheidung vom 21.08.2019 der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes im behebenden Erkenntnis vom 17.11.2017 nachgekommen und vor dem Hintergrund seiner Pflichten im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen im Rahmen eigener Ermittlungsschritte tätig geworden ist sowie basierend darauf eine Entscheidung gefällt hat, kann im vorliegenden Fall keine die Wiederaufnahme gemäß § 32 Abs. 1 Z 3 VwGVG gerechtfertigte Vorfrage iSd § 38 AVG erkannt werden. Daran vermag auch der nunmehrige Bescheid der ÖGK nichts zu ändern.

Der gegenständliche Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens war sohin zurückzuweisen.

3.5. Im vorliegenden Beschwerdefall konnte die Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 erster Fall VwGVG entfallen, da die Beschwerde zurückzuweisen war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als uneinheitlich anzusehen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Zudem hat der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall mit seiner Entscheidung vom 17.11.2017 zu Ra 2017/08/0111-7 keine Zweifel daran gelassen, dass das erkennende Gericht selbst zu entscheiden und nicht etwa die Entscheidung einer anderen Behörde zu überlassen hat und das in weiterer Folge erlassene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.08.2019, worin über das Nichtbestehen der Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers im verfahrensgegenständlichen Zeitraum entschieden wurde, nicht beanstandet (VwGH 21.10.2019, Ra 2019/08/0147-4).

Schlagworte

unzulässiger Antrag Versicherungspflicht Vorfrage VwGH Wiederaufnahmeantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W216.2134020.2.00

Im RIS seit

11.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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