TE Bvwg Beschluss 2020/5/15 W199 2153431-1

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Veröffentlicht am 15.05.2020
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Entscheidungsdatum

15.05.2020

Norm

B-VG Art135 Abs4
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
B-VG Art89 Abs2
GebAG §18 Abs1 Z2 litb

Spruch

W199 2153431-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael SCHADEN als Einzelrichter im Verfahren über die Beschwerde der Frau XXXX gegen den Bescheid der Präsidentin des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 06.03.2017, Zl. 40 Hv 25/16d, beschlossen, gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a iVm Art. 135 Abs. 4 und Art. 89 Abs. 2 B-VG den folgenden

ANTRAG

an den Verfassungsgerichtshof

auf Aufhebung eines Wortes im Gebührenanspruchsgesetz BGBl. 136/1975 zu stellen.


Das Bundesverwaltungsgericht stellt den

Antrag,

der Verfassungsgerichtshof wolle das Wort „tatsächlich“ in § 18 Abs. 1 Z 2 lit. b des Gebührenanspruchsgesetzes BGBl. 136/1975 idF BGBl. I 98/2001, als verfassungswidrig aufheben.


Text


Begründung:

1. Sachverhalt

Beim Bundesverwaltungsgericht ist eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Präsidentin des Landesgerichtes Wiener Neustadt (in der Folge: Landesgericht) anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

1.1.1. Die Beschwerdeführerin (Frau XXXX ), eine selbständige Masseuse, wurde mit Ladung vom 12.12.2016 als Schöffin zu einer Hauptverhandlung in einem Strafverfahren zu 40 Hv 25/16d - 1 vor dem Landesgericht am 21.2.2017 (8 Uhr 45) geladen. Gleichzeitig wurde die für den 14.12.2016 vorgesehene Hauptverhandlung abberaumt. Die Ladung, die auch die Abberaumung enthielt, wurde der Beschwerdeführerin am 16.12.2016 zugestellt.

1.1.2. Für die Teilnahme an der Verhandlung am 21.2.2017 von 9 bis 10 Uhr machte die Beschwerdeführerin zunächst (offenbar am Tag der Verhandlung) Reisekosten von 15,40 Euro geltend. Sodann beantragte sie mit E-Mail (das ihr Ehemann übermittelte) vom 27.2.2017 eine Entschädigung für Zeitversäumnis für die abberaumte Hauptverhandlung vom 14.12.2016, da es ihr nicht möglich gewesen sei, derart kurzfristig Kundentermine zu vergeben, und für die Hauptverhandlung vom 21.2.2017. Beigelegt waren zwei „Rechnungen“ vom 27.2.2017 über jeweils „4 Stunden Verdienstentgang“, und zwar über 216 Euro für jeden der beiden Tage (für 14.12.2016: „Kurzfristige Termin-Absage“, für 27.2.2017: „Anwesenheit & Wegzeit“). Weiters beigelegt war eine Preisliste der Massagepraxis der Beschwerdeführerin, aus der sich ua. ein Preis von 54 Euro je Stunde ergibt.

Mit E-Mail vom 3.3.2017 wies die Kostenbeamtin des Landesgerichts, die namens der Präsidentin dieses Gerichtshofes – der belangten Behörde – tätig wurde, die Beschwerdeführerin darauf hin, dass die vorgelegte Preisliste nicht ausreiche und die Terminausfälle für den 21.2.2017 von 8 Uhr 45 bis 11 Uhr bestätigt werden müssten.

Daraufhin übermittelte die Beschwerdeführerin durch ihren Ehemann ein E-Mail, in dem sie darauf hinwies, dass Termine nicht nachgewiesen werden könnten, die nicht vereinbart worden seien. Vielmehr habe sie den Vormittag (des 21.2.2017) im Kalender blockiert und somit keine Kundentermine vergeben. Vorlegen könne sie nur anonymisierte Kalenderauszüge, die ihr „Buchungsniveau“ nachwiesen. Es folgte ein Beispiel für die damals laufende Woche (vom 27.2.2017 bis zum 5.3.2017). Zuletzt wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass es (für den 21.2.2017) nicht nur um den Zeitraum von 8 Uhr 45 bis 11 Uhr gehe, da auch die Wegzeit einen Verdienstentgang verursache.

1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid bestimmte die belangte Behörde die Gebühren der Beschwerdeführerin „für die Teilnahme als Schöffin an der Verhandlung am 21.02.2017 und kurzfristige Abberraumung des 14.12.2016“ (sic) mit insgesamt 185,80 Euro; das weitere Begehren der Beschwerdeführerin wurde abgewiesen. Im Spruch des Bescheides sind zwei Posten tabellarisch aufgeschlüsselt, die Gebühr für den Posten „1. Reisekosten (§§ 6 – 12)“ wird mit 15,40 Euro bestimmt. (Dagegen erhebt die Beschwerde keine Bedenken; er ist daher für das Beschwerdeverfahren nicht von Bedeutung.) Die Gebühr für den Posten „2. Entschädigung für Zeitversäumnis (§§ 17 – 18) [...] Pauschalentschädigung (§ 18 (1) Z 1“ [Gebührenanspruchsgesetz BGBl. 136/1975 {in der Folge: GebAG}] wird mit 2 x 4 Stunden zu je 21,30 Euro, sohin insgesamt mit 170,40 Euro, bestimmt.

Begründend führt die belangte Behörde aus, die im Bescheid festgesetzten Gebühren fänden in den angegebenen Bestimmungen des GebAG ihre Deckung. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei für das tatsächlich entgangene Einkommen (den tatsächlich entgangenen Verdienst) nicht auf ein fiktiv nach Durchschnittssätzen errechnetes Einkommen, sondern auf den konkret eingetretenen Vermögensschaden abzustellen. Ein tatsächlicher Einkommensentgang liege nur vor, wenn während der durch die Erfüllung der Schöffenpflicht versäumten Zeit Tätigkeiten angefallen wären, die dem Schöffen Einkommen gebracht hätten, das verloren gegangen sei. Letzteres sei nicht der Fall, wenn Tätigkeiten versäumt worden seien, die später nachgeholt werden könnten (Hinweis auf „Krammer/Schmidt, E22, 24, 37ff zu § 18 GebAG; Krammer, Neuerungen im Gebührenanspruchsrecht, SV1989/3, 3f“).

Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 10.3.2017 persönlich zugestellt.

1.3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin am 3.4.2017 eine Beschwerde, die sich dagegen wendet, dass die Entschädigung für Zeitversäumnis mit 170,40 Euro und nicht, wie beantragt, mit 432 Euro bestimmt wird. Es treffe nicht zu, dass das Einkommen der Beschwerdeführerin (gemeint: ihr entgangenes Einkommen) fiktiv bzw. nach Durchschnittssätzen errechnet wäre. Sie sei seit Anfang 2015 als Einzelunternehmerin ohne Dienstnehmer tätig und müsse ihre Massagepraxis somit im Falle ihrer Abwesenheit geschlossen halten. Die Fixkosten liefen dennoch weiter. Es sei ihr gelungen, einen relativ umfangreichen Kundenstock aufzubauen, und sie sei täglich ausgebucht. Manche ihrer Kunden hätten wöchentlich oder alle 14 Tage einen Fixtermin, andere buchten flexibel, je nach Terminverfügbarkeit. Daraus ergebe sich, dass die Beschwerdeführerin auch an den Verhandlungstagen Kundentermine gehabt hätte, die ausgefallenen Fixtermine könnte sie auf Grund ihres Terminkalenders und der daraus ersichtlichen Frequenz der betreffenden Kunden (etwa in anonymisierter Form) nachweisen. Die Termine, die sie auf Grund der Ladung als Schöffin nicht habe vergeben können, seien natürlich nicht nachweisbar. Sie sei nicht auf den Gedanken gekommen, Terminanfragen, die sie ablehnen müsse, in den Kalender einzutragen. Dass sie ihren Fix-Kunden rechtzeitig Bescheid gebe, wenn sie einen Termin nicht einhalten könne, sei selbstverständlich. Weiters wolle sie anführen, dass sie ihren Verdienstentgang für die Verhandlungen am 14.12.2016 (abgesagt) und am 21.2.2017 genauso abgerechnet habe, wie ihr nach der Verhandlung am 5.10.2016 aufgetragen worden sei, und dass die Abrechnung für den 5.10.2016 anstandslos akzeptiert und beglichen worden sei. (Zur Verhandlung vom 5.10.2016 findet sich im vorgelegten Akt nichts.) Schließlich verweist die Beschwerdeführerin auf die Anfangsinvestitionen, mittlerweile notwendige Zusatzanschaffungen und ihre Fixkosten.

Das Bundesverwaltungsgericht hat über diese Beschwerde zu entscheiden.

2. angefochtenes Wort und rechtliches Umfeld

Die maßgeblichen Bestimmungen des GebAG lauten wie folgt:

2.1. § 1 GebAG steht unter der Überschrift „Anspruch“ und lautet:

„(1) Natürliche Personen, die als Zeuginnen, Zeugen, Sachverständige, Dolmetscherinnen, Dolmetscher, Geschworene, Schöffinnen und Schöffen in gerichtlichen Verfahren und in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft (§ 103 Abs. 2 StPO) tätig sind, haben Anspruch auf Gebühren nach diesem Bundesgesetz. Dies gilt nicht für dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft vom Bundesministerium für Justiz oder in dessen Auftrag von der Justizbetreuungsagentur gemäß § 75 Abs. 4 ASGG oder § 126 Abs. 2a StPO zur Verfügung gestellte Dolmetscherinnen und Dolmetscher.

(2) Soweit in diesem Bundesgesetz auf natürliche Personen bezogene Bezeichnungen nur in männlicher Form angeführt sind, beziehen sie sich auf Frauen und Männer in gleicher Weise. Bei der Anwendung der Bezeichnung auf bestimmte natürliche Personen ist die jeweils geschlechtsspezifische Form zu verwenden.“

Abs. 1 des § 3 GebAG, der unter der Überschrift „Umfang der Gebühr“ steht, lautet in seinem Zusammenhang:

„(1) Die Gebühr des Zeugen umfaßt

1. den Ersatz der notwendigen Kosten, die durch die Reise an den Ort der Vernehmung, durch den Aufenthalt an diesem Ort und durch die Rückreise verursacht werden;

2. die Entschädigung für Zeitversäumnis, soweit er durch die Befolgung der Zeugenpflicht einen Vermögensnachteil erleidet.“

Abs. 1 erster Satz des § 4 GebAG, der unter der Überschrift „Anspruchsvoraussetzungen“ steht, lautet:

„Der Anspruch auf die Gebühr steht dem Zeugen zu, der auf Grund einer Ladung vom Gericht vernommen worden ist.“

§ 18 GebAG steht unter der Überschrift „Ausmaß der Entschädigung für Zeitversäumnis“ und lautet (das angefochtene Wort ist hervorgehoben):

„(1) Als Entschädigung für Zeitversäumnis gebühren dem Zeugen
1. 12,10 Euro für jede, wenn auch nur begonnene Stunde, für die dem Zeugen eine Entschädigung für Zeitversäumnis zusteht,
2. anstatt der Entschädigung nach Z 1

a) beim unselbständig Erwerbstätigen der tatsächlich entgangene Verdienst,

b) beim selbständig Erwerbstätigen das tatsächlich entgangene Einkommen,

c) anstatt der Entschädigung nach den Buchstaben a) oder b) die angemessenen Kosten für einen notwendigerweise zu bestellenden Stellvertreter,

d) die angemessenen Kosten für eine notwendigerweise beizuziehende Haushaltshilfskraft.

(2) Im Falle des Abs. 1 Z 1 hat der Zeuge den Grund des Anspruches, im Falle des Abs. 1 Z 2 auch dessen Höhe zu bescheinigen.“

Dem Betrag in § 18 Abs. 1 Z 1 GebAG ist gemäß § 1 Abs. 1 der V BGBl. II 134/2007 ein Zuschlag von 17 vH hinzuzurechnen, sodass sich gemäß Z 4 der Anlage zu dieser Verordnung der Betrag von „14,20 €“ ergibt (dazu unten).

§ 19 GebAG, der unter der Überschrift „Geltendmachung der Gebühr“ steht, lautet:

„(1) Der Zeuge hat den Anspruch auf seine Gebühr binnen 14 Tagen, im Fall des § 16 binnen vier Wochen nach Abschluß seiner Vernehmung, oder nachdem er zu Gericht gekommen, aber nicht vernommen worden ist, bei sonstigem Verlust schriftlich oder mündlich bei dem Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattgefunden hat oder stattfinden sollte, geltend zu machen. Dies gilt für die Beiziehung zur Befundaufnahme durch den Sachverständigen (§ 2 Abs. 1) mit der Maßgabe sinngemäß, dass der Zeuge den Anspruch auf seine Gebühr bei dem Gericht geltend zu machen hat, das den Sachverständigen bestellt hat.

(2) Soweit in diesem Abschnitt nicht anderes bestimmt ist und nicht feste Gebührensätze bestehen, hat der Zeuge die Umstände, die für die Gebührenbestimmung bedeutsam sind, besonders durch Vorlage einer Bestätigung über den Verdienstentgang oder die Entlohnung eines Stellvertreters oder einer Hilfskraft, gegebenenfalls durch Vorlage einer von der zuständigen Dienststelle ausgestellten Bestätigung über die Höhe der sonst zustehenden Reisegebühren (§ 3 Abs. 2), zu bescheinigen.

(3) Auf seine Ansprüche und die allfällige Notwendigkeit des Beweises oder der Bescheinigung ist der Zeuge durch das Gericht in der Ladung aufmerksam zu machen. Dies gilt für den Sachverständigen bei dessen Einladung eines Zeugen (§ 2 Abs. 1) sinngemäß.“

Der Abs. 1 des § 55 GebAG, der unter der Überschrift „Geschworene und Schöffen“ steht, lautet:

„Die Geschworenen und Schöffen haben Anspruch auf Ersatz der Reise- und Aufenthaltskosten sowie auf Entschädigung für Zeitversäumnis entsprechend den für Zeugen geltenden Bestimmungen, wobei sich der im § 18 Abs. 1 Z 1 genannte Betrag um die Hälfte erhöht.“

§ 56 GebAG, der unter der Überschrift „Begriffsbestimmung“ steht, lautet:

„Wo dieses Bundesgesetz von der Vernehmung des Zeugen oder von der Beweisaufnahme spricht, tritt an die Stelle dieser Begriffe die Teilnahme der Geschworenen oder Schöffen an der Hauptverhandlung oder Sitzung.“

2.2. § 18 GebAG wurde durch Art. XXXI Z 3 der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989 BGBl. 343 neu gefasst. Seither wurde er einmal novelliert, und zwar durch Art. 52 Z 4 des 1. Euro-Umstellungsgesetzes – Bund BGBl. I 98/2001 (Ersetzung des Betrages von „167 S“ durch den Betrag von „12,10 Euro“). In dieser Fassung gilt § 18 GebAG bis heute.

Durch eine Verordnung der Bundesministerin für Justiz (BGBl. II 134/2007) wurden Zuschläge ua. zu dem in § 18 Abs. 1 GebAG angeführten Betrag festgesetzt. Die sich daraus ergebende Gebühr beträgt nach Z 4 der Anlage zur V BGBl. II 134/2007: 14,20 Euro. (In Textausgaben des GebAG werden die Beträge, die sich aus der Summe des gesetzlich vorgesehenen Betrages und des Zuschlages ergeben, mitunter als Teil des Gesetzestextes wiedergegeben.)

3. Zulässigkeit

3.1. Präjudizialität

Die Beschwerdeführerin wurde als Schöffin zu zwei Verhandlungen geladen, deren erste nachträglich abberaumt wurde; an der zweiten nahm sie teil. Für beide Verhandlungen begehrte sie eine Entschädigung für Zeitversäumnis.

Die Beschwerdeführerin hat die Gebühr für die abberaumte Verhandlung, die für den 14.12.2016 vorgesehen war, erst am 27.2.2017 geltend gemacht. Da die Frist zur Geltendmachung der Gebühr für diese Verhandlung 14 Tage nach dem 14.12.2016 – somit am 28.12.2016 – abgelaufen war, trat der Anspruchsverlust ein, den § 19 Abs. 1 erster Satz GebAG vorsieht. In einem solchen Fall ist der Antrag auf Gebührenbestimmung (nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abzuweisen, sondern) zurückzuweisen (vgl. VwGH 15.4.1994, 92/17/0231). Die belangte Behörde hätte den Gebührenantrag, soweit er den Verdienstentgang auf Grund der Verhandlung, die für den 14.12.2016 vorgesehen war, somit als verspätet zurückweisen müssen. Insoweit wird das Bundesverwaltungsgericht den Spruch entsprechend neu zu fassen haben; § 18 Abs. 1 Z 2 lit. b GebAG hat es dabei anscheinend nicht anzuwenden.

Für die zweite der genannten beiden Verhandlungen, jene vom 21.2.2017, ist § 18 GebAG dagegen heranzuziehen: Gemäß § 55 Abs. 1 GebAG hat eine Schöffin Anspruch auf Entschädigung für Zeitversäumnis entsprechend den für Zeugen geltenden Bestimmungen; dabei erhöht sich der in § 18 Abs. 1 Z 1 GebAG genannte Betrag um die Hälfte. Gemäß § 3 Abs. 1 Z 2 GebAG umfasst die Gebühr des Zeugen ua. die Entschädigung für Zeitversäumnis, soweit er durch die Befolgung der Zeugenpflicht einen Vermögensnachteil erleidet. Gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 GebAG gebührt dem Zeugen als Entschädigung für Zeitversäumnis ein gesetzlich festgesetzter Betrag (ein Fixbetrag) für jede, wenn auch nur begonnene Stunde, für die ihm eine Entschädigung für Zeitversäumnis zusteht; anstatt dieser Entschädigung gebührt aber einem unselbständig Erwerbstätigen der tatsächlich entgangene Verdienst (§ 18 Abs. 1 Z 2 lit. a GebAG), einem selbständig Erwerbstätigen das tatsächlich entgangene Einkommen (§ 18 Abs. 1 Z 2 lit. b GebAG). Die Beschwerdeführerin hat anstatt der genannten Entschädigung nach § 18 Abs. 1 Z 1 GebAG das tatsächlich entgangene Einkommen geltend gemacht. § 18 Abs. 1 Z 2 lit. b GebAG war daher von der belangten Behörde anzuwenden, ist auch angewandt worden und ist vom Bundesverwaltungsgericht bei der Entscheidung über die Beschwerde anzuwenden. § 18 Abs. 1 Z 2 lit. b GebAG ist somit präjudiziell.

3.2. Anfechtungsumfang

In von Amts wegen eingeleiteten Normenprüfungsverfahren hat der Verfassungsgerichtshof den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt.

Die Grenzen der Aufhebung müssen auch in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren so gezogen werden, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden (VfSlg. 19.020/2010, mwN; vgl. VfGH 13.12.2019, G 67/2019 ua.; uva.). Daran hat sich das antragstellende Gericht bei der Festlegung des Anfechtungsumfangs zu orientieren.

Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für seine Entscheidung präjudiziell sind und die vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte er die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfGH 26.9.2019, G117/2019, mwN; uva.).

Wie weiter unten ausgeführt werden wird, hegt das Bundesverwaltungsgericht Bedenken dagegen, dass einem selbständig Erwerbstätigen, der als Zeuge aussagen muss (oder – fallbezogen – als Schöffin an einer Verhandlung teilnimmt), zugemutet wird, seine Erwerbstätigkeit, die er ausgeübt hätte, hätte er nicht an einer Verhandlung teilgenommen, auf andere Zeiten zu verlegen oder im Ergebnis sogar auf das Einkommen zu verzichten, das aus dieser Tätigkeit erfließen würde. Wie unten dargelegt werden wird, betrachtet das Bundesverwaltungsgericht das Wort „tatsächlich“ in § 18 Abs. 1 Z 2 lit. b GebAG als Sitz dieser Bedenken. Da die Aufhebung dieses Wortes genügt, um den Bedenken Rechnung zu tragen, beschränkt sich die Anfechtung auf dieses eine Wort.

4. Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts

4.1.1. Der aus Art. 2 StGG und Art. 7 B-VG erfließende Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber. Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen. Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassung wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen. Ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (VfSlg. 19.666/2012, mwN; vgl. VfSlg. 20.250/2018; VfGH 27.11.2018, G 75/2018 ua.; 1.10.2019, G 330/2018, uva.).

4.1.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bedenken, dass das angefochtene Wort in § 18 Abs. 1 Z 2 lit. b GebAG in seinem Zusammenhang gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 2 StGG und Art. 7 B-VG) verstößt:

4.1.2.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht von jenem Verständnis des § 18 Abs. 1 Z 2 lit. b GebAG aus, das durch die gefestigte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geprägt ist. (Am Rande sei darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in der Sache, die von dieser Rechtsprechung abginge, im Falle einer Amtsrevision [Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG] oder einer Revision des Revisors [§ 22 Abs. 3 GebAG] wohl keinen Bestand haben könnte.) Soweit diese Rechtsprechung im Folgenden belegt wird, handelt es sich meist um Teile von Rechtsprechungsketten; die Entscheidungen stehen meist stellvertretend für eine Vielzahl anderer.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs – die sich iW auf Zeugengebühren bezieht, aber wegen § 55 Abs. 1, § 56 GebAG auf die Gebühren von Schöffen zu übertragen ist – kann „[v]on einem tatsächlichen Einkommensentgang […] beim selbständig Erwerbstätigen nur dann gesprochen werden, wenn während der durch die Erfüllung der Zeugenpflicht versäumten Zeit Tätigkeiten angefallen wären, die dem Zeugen Einkommen gebracht hätten, welches verloren ging“ (VwGH 15.4.1994, 92/17/0231; 17.2.1995, 92/17/0254; 22.11.1999, 98/17/0357; 18.9.2001, 2001/17/0054; 25.2.2002, 98/17/0097; 20.6.2012, 2008/17/0070, mwN). Dabei ist das tatsächlich entgangene, nicht ein (fiktiv) nach Durchschnittssätzen zu berechnendes Einkommen zu ersetzen (VwGH 15.4.1994, 92/17/0231; 22.11.1999, 98/17/0357; 18.9.2001, 2001/17/0054; 25.2.2002, 98/17/0097; 4.11.2009, 2009/17/0152; 14.12.2011, 2007/17/0124). Die Berufung auf einen mit Zeugeneinvernahmen in der Regel verbundenen Verdienstausfall kann ein konkretes Vorbringen betreffend einen bestimmten Einkommensverlust nicht ersetzen. Es kommt weder auf die Stundensätze nach den Allgemeinen Honorarrichtlinien noch auf die beim selbständig Erwerbstätigen auflaufenden Fixkosten an (VwGH 30.10.1991, 91/17/0105). Jedenfalls ist der selbständig Erwerbstätige für die Erfüllung seiner Zeugenpflicht nicht nach den für ihn sonst geltenden Honorarsätzen oder in Anlehnung an sein sonstiges Einkommen zu entlohnen, sondern lediglich für einen konkreten Einkommensentgang zu entschädigen (VwGH 15.4.1994, 92/17/0231). Die Tätigkeiten, die während der versäumten Zeit ausgeübt worden wären und Einkommen gebracht hätten, können in der Regel bezeichnet, beschrieben und erforderlichenfalls durch Urkunden oder Aussagen bescheinigt werden. Auf Grund der für diese Tätigkeiten üblichen Entgelte und der einem Selbständigen bei Erfüllung der versäumten Tätigkeit erwachsenden variablen Auslagen wird sich in der Regel auch das tatsächlich entgangene Einkommen errechnen und bescheinigen lassen, wobei der Schätzungsweg durch die §§ 18, 19 Abs. 2 GebAG nicht verschlossen ist (VwGH 15.4.1994, 92/17/0231; 22.11.1999, 98/17/0357; 18.9.2001, 2001/17/0054; 25.2.2002, 98/17/0097; 8.9.2009, 2007/17/0161). Eine solche Schätzung wäre aber nicht der Ermittlung eines fiktiven Einkommens nach Durchschnittssätzen gleichzuhalten, muss doch Ausgangspunkt auch der Schätzung stets eine konkrete, dem selbständig Erwerbstätigen ein Einkommen vermittelnde Tätigkeit während des Zeitraumes der Verhinderung sein (VwGH 15.4.1994, 92/17/0231; 22.11.1999, 98/17/0357; 25.2.2002, 98/17/0097).

Mit der Multiplikation eines durchschnittlichen Stundensatzes mit der Anzahl der Stunden der Zeitversäumnis wird nicht das tatsächlich entgangene, sondern ein fiktiv nach Durchschnittssätzen errechnetes Einkommen bescheinigt (VwGH 22.11.1999, 98/17/0357; 25.2.2002, 98/17/0097). Die „allgemeine Wiedergabe von Erfahrenstatsachen“ reicht nicht aus (VwGH 15.4.1994, 92/17/0231). Dass der Zeuge seinen Einkommensentgang nur zu bescheinigen, aber nicht nachzuweisen hat, ändert nichts an der Verpflichtung, den konkreten Verdienstentgang zunächst einmal unter entsprechender Aufgliederung zu behaupten (VwGH 17.2.1995, 92/17/0254; 22.11.1999, 98/17/0357; 28.4.2003, 2000/17/0065; 25.5.2005, 2004/17/0004; 8.9.2009, 2007/17/0161).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann von einem tatsächlichen Einkommensentgang beim selbständig Erwerbstätigen nur dann gesprochen werden, wenn während der durch die Erfüllung der Zeugenpflicht versäumten Zeit Tätigkeiten angefallen wären, die dem Zeugen Einkommen gebracht hätten, welches verlorenging. Es ist Sache des Zeugen, nicht nur den auf der Hand liegenden Einnahmenausfall an dem Tag der Zeugeneinvernahme darzulegen, sondern – sollte dies zutreffen – jedenfalls zu behaupten und zumindest glaubhaft zu machen, dass die Einnahmen verloren gingen, weil (fallbezogen:) die Vornahme der Behandlung nur an diesem Tag und nicht auch an einem anderen Termin möglich war (VwGH 25.2.1994, 93/17/0001; dem folgend VwGH 15.4.1994, 93/17/0329).

4.1.2.2. Die Beschwerdeführerin ist selbständig erwerbstätig. Sie konnte, da sie am 21.2.2017 als Schöffin an einer Verhandlung teilnahm, ihrer Erwerbstätigkeit an diesem Tag für vier Stunden nicht nachgehen.

Es kann allerdings nicht festgestellt werden, dass sie geplant hatte, an diesem Tag konkrete Dienstleistungen in ihrer Massagepraxis zu erbringen, die ersatzlos entfallen wären, weil sie ihre Schöffenpflicht befolgte, und dass ihr dadurch ein Einkommen entgangen wäre. Ihr Vorbringen läuft vielmehr darauf hinaus, dass sie jenes Einkommen geltend macht, das sie hätte erwirtschaften können, hätte sie nicht an der Verhandlung teilnehmen müssen, dass aber keine konkreten Dienstleistungen gegenüber konkreten Kunden vorgesehen waren. Den Verdienstentgang berechnet sie anhand ihrer üblichen Stundensätze und argumentiert zentral damit, dass ihre Praxis täglich ausgebucht sei. Damit macht sie den Entgang eines fiktiv nach Durchschnittssätzen errechneten Einkommens geltend.

Damit hat sie zwar den Grund, nicht jedoch die Höhe ihres Anspruches bescheinigt. Daher steht ihr gemäß § 18 Abs. 2 GebAG nur eine Entschädigung für Zeitversäumnis im Ausmaß des in § 1 Abs. 1 der V BGBl. II 134/2007 zu § 18 Abs. 1 Z 1 GebAG genannten Pauschalbetrages von 14,20 Euro pro Stunde zu. Dieser Betrag erhöht sich gemäß § 55 Abs. 1 letzter Teilsatz GebAG um die Hälfte.

4.2. Selbständig Erwerbstätige führen in vielen Fällen einen Betrieb (eine Kanzlei, eine Ordination, ...). Ein selbständig Erwerbstätiger kann zB sein Geschäft in der Form führen, dass er, ohne Mitarbeiter zu beschäftigen, in seinem Ladengeschäft arbeitet und auf Laufkundschaft angewiesen ist. Muss er das Geschäft für einige Stunden schließen, so spricht vieles dafür, dass ihm der Umsatz, den er ansonsten gehabt hätte, zumindest zu einem Teil verloren geht. Es ist nicht wahrscheinlich, dass Laufkundschaft nach einigen Stunden oder am nächsten Tag nochmals kommt, anstatt auf den Kauf zu verzichten oder ein anderes Geschäft aufzusuchen. Da er aber in der Regel nicht weiß, wer ihn aufgesucht hat oder hätte und welche Geschäfte in welcher Höhe ihm entgangen sind, wird er nicht in der Lage sein, seinen Einkommensentgang in der Form zu bescheinigen, wie § 18 Abs. 1 Z 2 lit. b GebAG dies von ihm fordert.

Ein selbständig Erwerbstätiger kann aber seinen Betrieb auch in der Form führen, dass er – zB in einem Handwerksbetrieb oder in einer Kanzlei in einem freien Beruf – nur wenige Mitarbeiter beschäftigt und dass – auf Grund der Organisation in diesem Betrieb – nur in seiner Anwesenheit und mit seiner Mitarbeit überhaupt gearbeitet werden kann. Es ist auch denkbar, dass bestimmte Auskünfte auf Fragen von Kunden oder von potentiellen Kunden nur der – selbständig erwerbstätige – Betriebsführer, zB ein Handwerksmeister, geben kann, auch wenn sie keinen Aufschub erleiden dürfen, soll der Kunde nicht auf den Abschluss des Geschäftes verzichten und dem selbständig Erwerbstätigen Einkommen entgehen. Ebenso ist es möglich, dass dem selbständig Erwerbstätigen – wie zB einem Rechtsanwalt – die Erteilung der Auskunft selbst Einkommen bringt (vgl. den – zumindest behaupteten – Sachverhalt in VwGH 15.4.1994, 92/17/0231, in dem der dortige Beschwerdeführer auch geltend machte, dass sich der Verdienstentgang nicht nur auf die Kosten dieses Telefongesprächs, sondern auf das Honorar der gesamten Causa beziehe). Ist der selbständig Erwerbstätige nicht an seiner Betriebsstätte anwesend, so wird er auch nicht in der Lage sein nachzuweisen, dass solche telefonischen Auskunftsersuchen oder Beratungsaufträge gestellt worden wären. Gelingt ihm dies dennoch, weil zB ein Mitarbeiter dies notiert hat, so hat er darzutun, „welcher – unaufschiebbaren – Art diese Beratungsaufträge waren. Dies insbesondere im Hinblick auf die Kürze des in Frage stehenden Zeitraumes, bei dem noch nicht davon gesprochen werden kann, daß der bloße Umstand der Abwesenheit einen Verdienstentgang – in dem Sinne, daß die Beratungsaufträge ‚verloren‘ gegangen seien – indizieren würde.“ (VwGH 17.2.1995, 92/17/0254) Wesentlich ist bei der Beurteilung des tatsächlichen Einkommensentganges eines selbständig Erwerbstätigen auch, ob es ihm möglich und zumutbar war, die betreffenden Tätigkeiten nach Rückkehr vom Gericht durchzuführen, dabei kann auch die Dringlichkeit bzw. Terminisierung der versäumten Arbeiten eine Rolle spielen (VwGH 18.9.2001, 2001/17/0054).

Auch in Betrieben, in denen die Kundenkontakte nur nach Voranmeldung stattfinden – wie zB dem einer selbständigen Masseuse wie jenem der Beschwerdeführerin oder in der Ordination eines Arztes –, wird es häufig so sein, dass die grundsätzlich vorgesehenen Stunden „ausgebucht“ sind, sodass Termine nur auf andere, meist spätere Tage oder Wochen verschoben werden können. Dies bedeutet aber, dass zu diesen anderen Zeiten keine anderen Kundenkontakte vereinbart werden können, sondern dass weitere Terminanfragen auf wieder spätere Tage oder Wochen verschoben oder auf die Durchführung der Tätigkeit ganz verzichtet werden muss. Bei einem „ausgebuchten“ Betrieb führt dies letztlich zu einem realen Einkommensverlust, auch wenn nicht von Vornherein angegeben werden kann, welche Arbeit in der Zeit angefallen wäre, in welcher der selbständig Erwerbstätige infolge der Befolgung seiner Zeugen- oder Schöffenpflicht nicht arbeiten kann. Gerade wenn der Gerichtstermin lange im Voraus bekannt ist, wird der Zeuge oder Schöffe für diesen Zeitraum von Vornherein keine Termine vergeben. Zwar ist es grundsätzlich möglich, jene Kundentermine, die auf Grund dessen nicht in diesem Zeitraum stattfinden können, anzugeben; da aber in vielen Fällen ein Ersatztermin zB in der nächsten Woche vergeben werden kann, liegen die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Z 2 lit. b GebAG nicht vor, denn es ist Sache des Zeugen, nicht nur den auf der Hand liegenden Einnahmenausfall an dem Tag der Zeugeneinvernahme darzulegen, sondern glaubhaft zu machen, dass die Einnahmen verloren gingen, weil (fallbezogen:) die Vornahme der Behandlung nur an diesem Tag und nicht auch an einem anderen Termin möglich war (VwGH 25.2.1994, 93/17/0001; dem folgend VwGH 15.4.1994, 93/17/0329). Als Beispiel führte der Verwaltungsgerichtshof – für den Fall eines Zahnarztes – an: „Gerade eine Zahnkontrolle, das Einsetzen einer Brücke und das Ausbohren von Zähnen sind Behandlungen, die nicht zwingend termingebunden sind, sodaß sie bei Verhinderung des behandelnden Arztes an einem verschobenen Behandlungstermin ausgeführt werden können.“ (VwGH 25.2.1994, 93/17/0001) Das bringt deutlich den Mechanismus zum Ausdruck, der oben dargestellt worden ist: Viele Tätigkeiten selbständig Erwerbstätiger sind „nicht zwingend termingebunden“, können daher – dies mutet das Gesetz dem selbständig Erwerbstätigen zu – auf einen anderen Zeitpunkt verschoben werden und führen daher typischerweise dazu, dass an den jeweiligen „Ersatzterminen“ andere Arbeiten nicht durchgeführt werden können, die ansonsten hätten erbracht werden können. Dazu kommt: In bestimmten Gewerben, vor allem solchen der Dienstleistung, zB bei Friseuren, Kosmetikern, Fußpflegern und auch – wie im Fall der Beschwerdeführerin – Masseusen (§ 94 Z 48 GewO 1994), nimmt ein Teil der Kunden die Leistung in regelmäßigen Abständen in Anspruch, sodass, wird ein Termin um eine Woche verschoben, dies dazu führt, dass alle Folgetermine dieses Kunden gleichfalls (im Beispiel: um eine Woche) verschoben werden; damit wird aber der Einkommensentfall endgültig. Dasselbe gilt zB für die Tätigkeit von Personen, die zur freiberuflichen Ausübung des physiotherapeutischen Dienstes, des logopädisch-phoniatrisch-audiologischen Dienstes oder des ergotherapeutischen Dienstes berechtigt sind (s. zB § 135 Abs. 1 Z 1 ASVG).

Möglicherweise hat § 18 Abs. 1 Z 2 lit. b GebAG – in dem durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geprägten Verständnis – nicht einen Betrieb vor Augen, in dem der selbständig Erwerbstätige ständig, etwa im Rahmen fester Betriebszeiten, arbeitet oder mitarbeitet, sondern einen solchen, in dem er nur mäßigen Kundenkontakt hat und die Kundentermine innerhalb eines größeren Zeitrahmens verschieben kann, ohne dabei Kollisionen mit anderen Kundenterminen befürchten zu müssen, oder in dem er andere Arbeiten – ohne Kundenkontakt – ohne Weiteres auf andere Zeiten, allenfalls außerhalb der üblichen Betriebszeiten, verlegen kann. (Dabei ist zB an Planungstätigkeiten wie die eines Architekten zu denken, die gleichsam außerhalb der „Bürozeiten“ durchgeführt werden können.) In vielen Fällen arbeiten selbständig Erwerbstätige jedoch ganztags, typischerweise gerade – wie auch unselbständig Erwerbstätige – zu den Zeiten, zu denen auch Gerichtsverhandlungen stattfinden, an denen sie als Zeugen oder – wie hier – als Schöffin teilnehmen müssen.

Viele dieser Fälle sind so gelagert, dass es nicht möglich ist, den Einkommensentfall iSd § 18 Abs. 1 Z 2 lit. b GebAG zu bescheinigen, oder so, dass er – im Sinne dieses Gesetzes – gar nicht entsteht. Wie oben gezeigt, steht dem jedoch ein realer Verlust an Einkommen gegenüber, der aber nicht „tatsächlich“ iSd Gesetzes ist.

Dieses Ergebnis verstößt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz der Bundesverfassung. Der Gesetzgeber hat mit § 3 Abs. 1 Z 2 und § 18 GebAG ein System geschaffen, von dem er nicht abweichen darf, ohne dass dies sachlich gerechtfertigt wäre. Es ist sachlich nicht zu rechtfertigen, zwar grundsätzlich einen Einkommensentgang zu entschädigen, der nachgewiesenermaßen eingetreten ist, dies jedoch dann nicht zu tun, wenn er zwar wahrscheinlich ist, jedoch nicht im Einzelnen nachgewiesen werden kann, weil er zB auf Prognosen über das Verhalten von Laufkundschaft beruht oder indem eine sichere Einkommenschance durch zeitliche Verlegung erhalten werden soll, obwohl damit eine weitere sichere Einkommenschance verloren geht. Dazu kommt noch eine Ungleichbehandlung zwischen unselbständig und selbständig Erwerbstätigen: Nach § 18 Abs. 1 Z 2 lit. a GebAG gebührt dem unselbständig erwerbstätigen Zeugen der tatsächlich entgangene Verdienst. Dieser Verdienst ist vergleichsweise einfach dadurch nachzuweisen, dass der Dienstgeber des Zeugen bestätigt, in welcher Höhe er dem Zeugen einen Verdienst ausgezahlt hätte, hätte dieser in der Zeit gearbeitet, die er auf Grund der Befolgung der Zeugenpflicht nicht arbeiten konnte. Dort reicht im Übrigen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die „hohe Wahrscheinlichkeit“, dass der Anspruchswerber „im Fall seiner Anwesenheit am Arbeitsplatz zur Leistung der in Rede stehenden Überstunden herangezogen worden wäre“ (VwGH 22.2.1999, 98/17/0225) und der Dienstgeber diese Überstunden in Geld abgegolten hätte (VwGH 26.2.2001, 2000/17/0209). Von einer Verlegung von Arbeitsstunden in andere Zeiten ist dabei nicht die Rede. Im Ergebnis führt dies auch zu einer Schlechterstellung der selbständig Erwerbstätigen gegenüber den unselbständig Erwerbstätigen.

Das Bundesverwaltungsgericht ist der Ansicht, dass mit dem Wegfall des Wortes „tatsächlich“ in § 18 Abs. 1 Z 2 lit. b GebAG seinen Bedenken Rechnung getragen wird, weil es bei dann bereinigter Rechtslage („beim selbständig Erwerbstätigen das entgangene Einkommen“) möglich sein dürfte, Zeugen (und Schöffen) auch für Einkommen zu entschädigen, das ihnen nicht entgangen wäre, hätten sie während der Zeit arbeiten können, in der ihnen dies nicht möglich war, weil sie die Zeugen- bzw. Schöffenpflicht befolgt haben.

4.3. Aus den genannten Gründen verstößt das angegriffene Wort in § 18 Abs. 1 Z 2 lit. b GebAG gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz (Art. 7 B-VG, Art. 2 StGG) und ist daher verfassungswidrig.

Dem Bundesverwaltungsgericht ist bewusst, dass die Auslegung des § 18 Abs. 1 Z 2 lit. b GebAG, die dieser Anfechtung zugrundeliegt, möglicherweise nicht zwingend ist und dass eine andere Auslegung die Verfassungswidrigkeiten, die nach Ansicht des anfechtenden Gerichts vorliegen, vermeiden könnte. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sieht es sich jedoch nicht zu einer anderen Auslegung verhalten.

Schlagworte

Gesetzesprüfung Gesetzprüfungsantrag Gleichheitsgrundsatz Präjudizialität Rechtsanschauung des VwGH Schöffe selbstständig Erwerbstätiger Verdienstentgang verfassungsrechtliche Bedenken verfassungswidrig Zeitversäumnis Zeugengebühr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W199.2153431.1.00

Im RIS seit

10.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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