Entscheidungsdatum
02.07.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W128 2219580-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN über die Beschwerde des iranischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen die Spruchteile I. bis VII. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 09.06.2020, Zl.
1128164304/200223258, zu Recht:
A)
Die Spruchteile I. bis VII. des angefochtenen Bescheides werden behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I. Verfahrensgang
1. Verfahren über den ersten Antrag auf internationalen Schutz:
1.1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger reiste am 09.02.2019 in Österreich ein und stellte erstmals am 06.03.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
1.2. Bei der Erstbefragung am 06.03.2019 stützte er sich darauf, dass er sich kurz vor seiner Ausreise aus dem Iran mit einem Mann über das Christentum unterhalten habe. Als er jedoch herausgefunden habe, dass es sich bei diesem Mann um einen Angehörigen der iranischen Revolutionsgarde (Sepah) gehandelt habe, sei er aus Angst vor einer Verfolgung geflüchtet.
1.3. Am 10.04.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA niederschriftlich einvernommen und er gab dabei im Wesentlichen an, dass er im Falle einer Rückkehr einerseits aufgrund einer Diskission mit einem Anhänger der Sepah, im Zuge welcher er sich islamkritisch geäußert habe, asylrelevant verfolgt würde und andererseits eine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Christentum befürchte, da er am 25.02.2019 den christlichen Glauben angenommen habe. Getauft worden sei er allerdings nicht, er habe bloß vier Mal die Kirche besucht und vier Kurse absolviert. Er fühle sich zur christlichen Religionsgemeinschaft zugehörig, da er die Atmosphäre in der Kirche sehr schön finde. In die Kirche gehen, um zu beten, müsse „man" jedoch nicht.
1.4. Mit Bescheid vom 30.04.2019, Zl. 1128164304-190229603/BMI-BFA_Wien_AST_04, wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchteil I.) als auch des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchteil II.) ab. Unter einem sprach das BFA aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchteil III.), gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen werde (Spruchteil IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchteil V.). Weiters sprach das BFA aus, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchteil VI.).
Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass nicht festgestellt werden habe können, dass der Beschwerdeführer sein Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer Christ sei. Der Beschwerdeführer habe sich keineswegs tiefgründig mit dem christlichen Glauben beschäftigt, weshalb kein ernsthafter, innerer Glaubenswechsel vollzogen worden sei und er keine asylrelevante Verfolgung befürchten müsse.
1.5. Daraufhin erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und führte im Wesentlichen aus, dass er – aufgrund seiner bisher geschilderten Fluchtgeschichte – im Falle einer Rückkehr als Apostat gesehen würde.
1.6. Mit Erkenntnis vom 06.09.2019, Zl. W211 2219580-1/8E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und führte im Wesentlichen aus, es habe nicht glaubhaft gemacht werden können, dass der Beschwerdeführer im Iran wegen seiner islamkritischen Äußerungen in einer Diskussion mit einem Sepah-Mitglied asylrelevant gefährdet würde. Weiters gingen aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine Hinweise hervor, dass sich der Beschwerdeführer zu irgendeinem Zeitpunkt tiefer mit dem Christentum auseinandergesetzt hätte. Es könne somit im Falle einer Rückkehr keine Bedrohung des Beschwerdeführers wegen des Vorwurfs, Christ zu sein oder das Christentum verbreiten zu wollen, festgestellt werden. Weiters habe der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar darlegen können, dass er im Falle einer Rückkehr aufgrund seiner getätigten Erfahrungen mit verschiedenen Religionen als Apostat oder Missionar einer verbotenen Religion auffallen würde und daher einer asylrelevanten Gefährdung unterläge.
2. Zum verfahrensgegenständlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz:
2.1. Am 27.02.2020 brachte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz ein und begründete diesen damit, dass er gerade ein Buch über Religionen schreibe, welches er in absehbarer Zeit fertig stellen wolle. Den Beschluss ein solches Buch zu verfassen, habe er Ende 2019/Anfang 2020 gefasst.
2.2. Am 06.03.2020 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA einvernommen und führte zusammengefasst im Wesentlichen Folgendes aus:
Seit der gegen ihn erlassenen Rückkehrentscheidung seien „einige Dinge […] passiert“. Er habe vorgehabt zwei Bücher zu schreiben, eines sei „fertig“, das andere noch nicht. 2019 habe er sich mit dem christlichen Glauben beschäftigt und sei zwei Monate Christ gewesen. Danach habe er das Gefühl gehabt, dass seine Probleme dadurch nicht gelöst würden. In Folge sei er mit der Bahai-Religion in Kontakt gekommen. Diese habe er auch zwei Monate angenommen, jedoch herausgefunden, dass die Religion auch nicht „gut“ für ihn sei. Dazwischen habe er mehrere Religionen studiert. Er habe herausgefunden, dass „Gottesanbetung“ der „geeignetste Weg“ für ihn sei. Die Gotteserkennung diene dazu, den „Gott im Kopf“ zu behalten. Seine Erkenntnisse über Gott sowie seine Erlebnisse während der letzten zwei Jahre in Österreich habe er in seinem Buch verarbeitet. Seine „Philosophie“ sei nicht mit anderen Religionen vergleichbar. Das Buch, das er verfasst habe, sei für diejenigen, die sich bei anderen Religionen erkundigt hätten, aber nun an nichts mehr glauben würden. Sein Buch könne Menschen, die sich auf „verlorenen Wegen“ befänden, Halt geben. Er habe drei Monate benötigt, um es zu verfassen und wolle es veröffentlichen. Einen Kontakt zu einem Verlag habe er noch nicht hergestellt. Im Falle einer Rückkehr würde er Probleme mit dem „Gottesstaat Iran“ bekommen. Auch wenn das Buch unter einem Künstlernamen veröffentlicht würde, könnte er verfolgt werden. Daher wolle er zuerst seine Familie aus dem Iran holen und das Buch erst danach veröffentlichen.
2.3. Am 05.05.2020 wurde der Beschwerdeführer abermals vom BFA einvernommen. Im Zuge dieser Einvernahme führte er ergänzend Folgendes aus:
Er habe bereits ein Buch fertig geschrieben und sei gerade dabei das zweite zu verfassen. Nun habe er einige Recherchen betreffend die Veröffentlichung seines Buches bzw. seiner Bücher gemacht. Er habe telefonisch einen anderen Autor namens XXXX kontaktiert. Dieser habe ihm Tipps zur Veröffentlichung gegeben. Er müsse die Seiten jedoch zuerst am Laptop abtippen. Ein Freund habe sich bereit erklärt, ihm einen Laptop per Post zu schicken. Dann würde er das Manuskript abtippen. In Folge würde „alles“ kontrolliert, ehe er die ersten 50 Seiten zu einem Verlag nach Deutschland schicke. Welchen Verlag er wählen werde, wisse er noch nicht. Seine Familie würde er nach Österreich holen, wenn das Buch fertig sei und sich das BFA bereit erklärt habe, ihm Asyl zu gewähren. Er habe bereits vor 15 Jahren im Iran zwei Bücher verfasst, da es dort aber keine Meinungs- und Pressefreiheit gäbe, habe er diese nicht veröffentlichen können. Folglich habe er aus Zorn die Bücher zerrissen.
2.4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Folgeantrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG i.V.m. § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein Einreiseverbot für die Dauer von zwei Jahren erlassen (Spruchpunkt VII.) und wurde diesem aufgetragen, vom 27.02.2020 bis 05.05.2020 in einem vorgeschriebenen Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII.).
Zusammengefasst wurde dies damit begründet, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keine glaubhaften neuen Gründe vorgebracht habe. Es habe sich somit im Zuge des betreffenden Folgeantrags kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben. Wie bereits im h.g. Erkenntnis vom 06.09.2019, Zl. W211 2219580-1/8E, festgestellt worden sei, lägen keine Hinweise vor, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Iran als Apostat oder Missionar einer verbotenen Religion auffallen würde. Der Beschwerdeführer schreibe zwar an einem Schriftstück und versuche darin seine Erkenntnisse über Religionen und Erlebnisse in Österreich festzuhalten. Da er seine Fluchtgeschichte jedoch auf ein bereits rechtskräftiges als unglaubwürdig qualifiziertes Vorbringen stütze bzw. sein gegenwärtiges Vorbringen – er würde ein Buch schreiben – auf ein solches aufbaue, liege kein neuer Sachverhalt vor. Abgesehen davon habe der Beschwerdeführer bis zur Bescheiderlassung keine Schriftstücke in Vorlage gebracht. Es deute somit nichts daraufhin, dass er bei einer Rückkehr in den Iran einer Verfolgung ausgesetzt wäre.
2.5. Gegen den nunmehr angefochtenen Bescheid – mit Ausnahme der Anordnung über die Unterkunftnahme (Spruchteil VIII.) – erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in welcher er im Wesentlichen ausführt, dass er bei seinen Befragungen die Gründe, warum er neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe und nicht in der Lage sei, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren, ausführlich geschildert habe. Aus den im angefochtenen Bescheid angeführten Länderberichten gehe hervor, dass die Meinungsfreiheit im Iran stark eingeschränkt sei und er erhebliche Konsequenzen zu erwarten hätte, wenn er dagegen verstoße. Das BFA verkenne, dass es sich beim Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen seiner beiden letzten Einvernahmen um ein Novum handle. Der Beschwerdeführer habe im Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz nichts davon erzählt, ein Buch über Religionen zu verfassen. Das gegenständliche Fluchtvorbringen beruhe darauf, dass der Beschwerdeführer seine Meinung im Iran nicht frei äußern könne. Im Falle einer Rückkehr würde der Beschwerdeführer aufgrund seiner kritischen Äußerungen den Islam betreffend entweder von den iranischen Behörden asylrelevant verfolgt oder von der iranischen Bevölkerung maßgeblich unterdrückt.
In Folge legte der Beschwerdeführer ein 123-seitiges Manuskript in der Sprache Farsi vor.
2.6. Mit Schreiben vom 24.06.2020, eingelangt am 26.06.2020, legte das BFA die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger reiste am 09.02.2019 in Österreich ein und stellte erstmals am 06.03.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er kurz vor seiner Ausreise im Iran mit einem Angehörigen des Geheimdienstes im Zuge einer Diskussion islamkritische Äußerungen getätigt habe und damit in den Augen des islamischen Regimes ein Apostat sei. In Österreich habe er am 25.02.2019 den christlichen Glauben angenommen. Getauft worden sei er allerdings nicht.
Mit Erkenntnis vom 06.09.2019, Zl. W211 2219580-1/8E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab und führte im Wesentlichen aus, es habe nicht glaubhaft gemacht werden können, dass der Beschwerdeführer im Iran wegen seiner islamkritischen Äußerungen in einer Diskussion mit einem Sepah-Mitglied asylrelevant gefährdet würde. Weiters gingen aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine Hinweise hervor, dass sich der Beschwerdeführer zu irgendeinem Zeitpunkt tiefer mit dem Christentum auseinandergesetzt hätte. Es könne somit im Falle einer Rückkehr keine Bedrohung des Beschwerdeführers wegen des Vorwurfs, Christ zu sein oder das Christentum verbreiten zu wollen, festgestellt werden. Überdies habe der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar darlegen können, dass er im Falle einer Rückkehr in den Iran als Apostat oder Missionar einer „verbotenen Religion“ auffallen würde und daher einer asylrelevanten Gefährdung unterläge
1.2. Der Beschwerdeführer stellte am 27.02.2020 den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.
Diesen begründete er damit, dass er zwei Bücher über Religionen verfasse. Eines sei bereits fertig, einen Verlag müsse er allerdings noch finden. Bei Veröffentlichung seiner Bücher würde er bei einer Rückkehr in den Iran aufgrund seiner „differenten Denkweise“ über Religionen – er sei weder Christ, noch Moslem noch Atheist – asylrelevant verfolgt. Schließlich sei im Iran die Presse- und Meinungsfreiheit massiv eingeschränkt.
Weiters legte der Beschwerdeführer ein 123-seitiges Manuskript in der Sprache Farsi vor.
1.3. Das seinem Folgeantrag zugrundeliegende Vorbringen – Verfassen und Verbreiten islamkritischer Literatur – bezieht sich nicht auf einen Sachverhalt, der von der Rechtskraft der letzten inhaltlichen Asylentscheidung (siehe das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.09.2019, Zl. W211 2219580-1/8E) umfasst wäre. Auch lag das 123-seitige Manuskript vor Abschluss des Vorverfahrens noch nicht vor.
2. Beweiswürdigung
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungs- und Gerichtsakt sowie in den Gerichtsakt zu W211 2219580-1.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zur Aufhebung des Bescheides (Spruchpunkt A)
3.1.1. Gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG ist das Verfahren zugelassen, wenn der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben ist. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).
3.1.2. „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht ist die Frage, ob die Zurückweisung der verfahrenseinleitenden Anträge durch das BFA gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgte. Das Bundesverwaltungsgericht hat dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (vgl. VwGH 12.07.2017; Ra 2017/18/0220 bis 0224, mwN).
Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen. Zudem folgt aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft grundsätzlich eine Bindungswirkung an eine behördliche Entscheidung (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/03/0050, mwN; 13.09.2016, Ro 2015/03/0045; vgl. weiters VwGH vom 08.08.2018, Ra 2017/04/0112; 20.09.2018, Ra 2017/09/0043).
„Entschiedene Sache“ iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Bei wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen – berechtigen und verpflichten, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. VwGH 05.06.2019, Ra 2018/18/0507, mwN).
Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Eine neue Sachentscheidung ist nicht nur bei identem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes ausgeschlossen, sondern auch dann, wenn dasselbe Begehren auf Tatsachen und Beweismittel gestützt wird, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben (VwGH vom 30.09.1994, 94/08/0183, mwN; 24.08.2004, 2003/01/0431; 17.09.2008, 2008/23/0684; 06.11.2009, 2008/19/0783 sowie VwGH vom 25.10.2018, Ra 2018/07/0353).
Könnten die behaupteten neuen Tatsachen, gemessen an der dem rechtskräftigen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit (VwGH vom 25.04.2007, 2005/20/0300 und 13.11.2014, Ra 2014/18/0025).
Ein auf das Asylgesetz gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise – für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status – auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH vom 29.06.2011, U 1533/10; VwGH vom 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).
3.1.3. Daraus ergibt sich für den Beschwerdefall Folgendes:
Der Beschwerdeführer hat seinen Folgeantrag auf ein neues Vorbringen bzw. auf neue Beweismittel gestützt, welche nicht von der Rechtskraft des ersten Asylverfahrens umfasst sind. So gab er an, ein Buch über Religionen verfasst zu haben, welches er veröffentlichen wolle und legte ein in Farsi verfasstes 123-seitiges Manuskript vor.
Mit Erkenntnis vom 06.09.2019, Zl. W211 2219580-1/8E, sprach das Bundesverwaltungsgericht betreffend seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz aus, dass der Beschwerdeführer keine Verfolgung aufgrund einer islamkritischen Diskussion mit einem Mitglied der Sepah glaubhaft machen konnte. Im Falle einer Rückkehr würde er weiters nicht aufgrund einer (vermeintlichen) Konversion zum Christentum bzw. aufgrund eines Abfalls vom Glauben asylrelevant verfolgt. Auch eine Verfolgung als Missionar einer verbotenen Religion habe der Beschwerdeführer nicht zu befürchten.
Dass der Beschwerdeführer (nun) jedoch ein Buch über Religionen verfasst habe, welches er absehbarer Zukunft veröffentlichen werde, und im Falle einer Rückkehr eine Verfolgung aufgrund seiner „differenten Denkweise“ befürchte, ist von der Rechtskraft des Erkenntnisses vom 06.09.2019, Zl. W211 2219580-1/8E, nicht erfasst. Sein dem Folgeantrag zugrundeliegendes Vorbringen, welches er durch ein neues Beweismittel - ein in Farsi verfasstes 123 Seiten langes Manuskript – untermauerte, bezieht sich somit nicht ausschließlich auf einen Sachverhalt, der schon vor Beendigung des Erstverfahrens verwirklicht worden wäre. Es geht vielmehr – entgegen den Ausführungen des BFA – über die im ersten Asylverfahren gemachten Angaben zu den religiösen Aktivitäten des Beschwerdeführers wesentlich hinaus (vgl. dazu auch VwGH 25.04.2007, 2004/20/0100).
Das Bundesverwaltungsgericht kann somit nicht ausschließen, dass der Beschwerdeführer bei Veröffentlichung seines Buches im Falle einer Rückkehr von der iranischen Regierung asylrelevant verfolgt oder von der iranischen Bevölkerung massiv unterdrückt werden würde. So garantiert die iranische Verfassung zwar Meinungs- und Pressefreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht „schädlich“ für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die „Rechte der Öffentlichkeit“ sind. Das BFA wird daher auch zu ermitteln haben, welchen Inhalt das in Farsi vorgelegte Manuskript aufweist und ob dieses zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen könnte. Die Beweisergebnisse lassen somit nicht den Schluss zu, dass eine andere, dh. positive Beurteilung des Antrags von vorherein ausgeschlossen sei und kein „glaubhafter Kern“ vorliege.
Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, dass sich der wesentliche Sachverhalt gegenüber dem Vorbescheid nicht geändert habe. Somit liegt „entschiedene Sache“ nicht vor.
Eine Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache kommt sohin nicht in Betracht, weshalb die Spruchteile I. bis VII. des angefochtenen Bescheides aufzuheben sind.
Das Verfahren betreffend den Antrag auf internationalen Schutz vom 27.02.2020, ist damit gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG ex lege zugelassen.
3.1.4. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte im Beschwerdefall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, wonach die Verhandlung (u.a. dann) entfallen kann, wenn bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war, abgesehen werden.
3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B)
3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
3.2.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen - unter Punkt 3.1. dargestellten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung individuelle Verhältnisse mangelnde Sachverhaltsfeststellung VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W128.2219580.2.00Im RIS seit
10.12.2020Zuletzt aktualisiert am
10.12.2020