TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/10 W117 2168270-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.08.2020
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Entscheidungsdatum

10.08.2020

Norm

AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W117 2168270-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Andreas DRUCKENTHANER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.05.2020, Zl.:831766302/200333827, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 68 Abs 1 AVG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

1. Verfahrensgang und Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara mit ursprünglich schiitischem Glaubensbekenntnis. Er stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 30.11.2013 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz.

Als Fluchtgrund gab der BF in der Ersteinvernahme an, dass sie in Afghanistan familiäre Probleme gehabt hätten. Ein entfernter Verwandter, namens XXXX , hätte seine Schwester heiraten wollen. Sie habe einen anderen geliebt und auch diesen geheiratet. Beim Fastenfest, als die Familie auf Verwandtenbesuch gewesen sei, habe XXXX den Mann seiner Schwester attackiert und so verletzt, dass dieser drei Tage später im Krankenhaus verstorben sei. Die Familie des getöteten Ehemannes, welcher den Namen XXXX getragen hätte, hätte seine Schwester mit dem Bruder von XXXX verheiraten wollen. Auch XXXX habe eine Hochzeit mit seiner Schwester gewollt. XXXX habe seine Familie mit dem „Leben“ bedroht.

Mit Bescheid des BFA vom 20.07.2017 wurde der (erste) Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt. In der Begründung des Bescheides führte die belangte Behörde aus, dass die Fluchtgründe des Beschwerdeführers aufgrund von Widersprüchen nicht glaubhaft seien.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.09.2018, Zl. W264 2168270-1/14E, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen, weil dem Beschwerdeführer hinsichtlich seiner glaubhaften Fluchtründe (über eine ihm infolge der Ermordung des Ehemannes seiner Schwester durch seinen Cousin XXXX drohende Verfolgung) eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Herat offensteht. Dieses Erkenntnis wurde am 03.10.2018 zugestellt.

Die dagegen erhobene Revision wurde mit Beschluss des VwGH vom 21.05.2019, Zl. Ra 2018/19/0620-10, zurückgewiesen.

Am 13.04.2020 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag) in Österreich.

Im Zuge seiner Erstbefragung am 13.04.2020 im österreichischen Bundesgebiet gab er als Grund für seine neuerliche Antragstellung an, dass seine gesamte Familie in Österreich asylberechtigt sei. Er habe zwei verheiratete Schwestern jeweils mit Familie in Österreich, weiters zwei minderjährige Schwestern und einen minderjährigen Bruder sowie seine Mutter. Sein Vater sei vor ca. 2 Wochen verstorben, weshalb seine Mutter mit den Kindern die Unterstützung des Beschwerdeführers in Österreich brauche. In Afghanistan habe er keine Familienangehörigen und keine Bezugsperson. Er lebe seit über 7 Jahren in Österreich, seine Familie habe Feinde in Afghanistan gehabt. Im Fall der Rückkehr befürchte er von den Feinden umgebracht zu werden. Seine Fluchtgründe hätten sich nicht geändert. Seine Mutter sei jetzt alleine, er müsse ihr helfen. Er habe sich seit der Entscheidung über seinen vorhergehenden Asylantrag in Österreich von August 2019 bis Jänner 2020 in Frankreich aufgehalten und dort Asyl beantragt. Er sei gesund und könne der Einvernahme ohne Probleme folgen. Abschließend brachte er vor, zu seiner in Österreich aufhältigen Familie zu wollen.

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme beim BFA am 25.05.2020 brachte der Beschwerdeführer in Anwesenheit eines Rechtsberaters und seiner Mutter als Vertrauensperson auf Dari zusammengefasst vor, dass er an keinen Krankheiten leide, aber mehrere ärztliche Befunde für sich und seine Mutter vorlegen wolle. Zu seinen Angaben im Asylverfahren brachte er erneut vor, dass sein Vater am XXXX verstorben und seine Mutter nun auf den Beschwerdeführer angewiesen sei und dass er außer seiner Familie niemanden habe. In Österreich befänden sich seine Mutter, zwei verheiratete Schwestern, eine ledige Schwester, sowie ein Bruder und eine Nichte. Der Beschwerdeführer befinde sich seit Ende Jänner 2020 wieder in Österreich. Seine Mutter sei depressiv und habe Angst, auch er selbst sei sehr betroffen. Er kümmere sich gemeinsam mit seinen Geschwistern um seine Mutter und seien alle von ihm abhängig. Wie genau sich diese Abhängigkeit darstelle beantwortete er jedoch auf Nachfrage nicht. Er legte eine Tazkira für sich vor. Zur Frage nach den Fluchtgründen aus dem vorangegangenen Asylverfahren brachte er vor, dass dies die Fluchtgründe seiner Familie seien, er jedoch nun eigene Gründe habe. Seit seiner Ankunft in Österreich glaube er nicht mehr an den Islam, er sei momentan Atheist, aber auf der Suche nach einer Religion. Er wisse aber noch nicht wann er konvertieren werde. Er sei oft in der Kirche gewesen und sie hätten Fußball gespielt und viele Gespräche geführt, die Pandemie habe dies aber alles beendet. Mit großer Wahrscheinlichkeit werde er zum Christentum konvertieren, er sei gerade dabei, sich zu informieren. Momentan wolle er Christ werden, wenn nicht habe er vor, sich mit dem Judentum zu beschäftigen. In Kürze werde er eine Bibel in der Sprache Farsi erhalten. Sonst habe er diesbezüglich noch nichts unternommen. Er beschäftige sich seit ein paar Monaten mit anderen Religionen. Er habe im ersten Verfahren nicht angegeben, den Islam abgelegt zu haben, weil er geschockt gewesen sei, von der Polizei einvernommen zu werden. Er habe nicht gewusst, dass er dies im Verfahren vor dem BFA hätte angeben sollen, er habe keinen eigenen Fluchtgrund gehabt. Im gegenständlichen Verfahren sei auf seine Angaben hin, dass er Hazara sei, als Religionsbekenntnis Schiit protokolliert worden. Er sei verwirrt gewesen und habe dies nicht berichtigt. Er habe den Abfall vom Islam nicht bei der Erstbefragung angegeben, weil er damals wie heute noch nicht entschieden habe, ob er überhaupt konvertieren werde. Auf Nachfrage erklärte er ausdrücklich, kein Moslem zu sein. Dies habe er bisher nicht angegeben, weil es bislang nicht zur Sprache gekommen sei. Er sei hier in Österreich aufgewachsen und bestens integriert. In Afghanistan habe er niemanden und könne auch nicht zurückkehren. Er wolle auch nicht von seiner Mutter getrennt werden. Er wolle hier bei seiner Familie bleiben. Im Fall der Rückkehr würde er getötet werden. Von August 2019 bis Jänner 2020 habe er sich in Frankreich und auf der Durchreise in Deutschland aufgehalten. Zum Vorhalt der beabsichtigten Zurückweisung seines Antrages wegen entschiedener Sache und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot brachte er vor, in Afghanistan niemanden zu haben, seine ganze Familie und sein ganzes Leben befänden sich in Österreich. Seine Familie brauche ihn und umgekehrt. In Afghanistan kenne er niemanden und er werde dort keinen Job finden und könne sich nicht ernähren. Auf die Frage, ob er zu den ihm mit der Ladung übermittelten Länderberichten eine Stellungnahme abgeben wolle, verneinte er dies und meinte, dass er vielleicht noch eine abgeben werde. Auf Nachfrage der Rechtsberaterin nach Herzproblemen brachte er vor, dass dies wegen der Zyste gewesen und diese entfernt worden sei. Auf ihre Frage, woran die Menschen in Afghanistan erkennen würden, dass er kein Moslem mehr sei, brachte er vor, weil er den Islam nicht mehr praktiziere und mehrere (durch die Ärmel verdeckte) Tatoos (an den Handgelenken) habe. Weiters führte die Rechtsberaterin aus, dass wegen der Covid 19-Pandemie eine Verschlechterung der Versorgungslage für Rückkehrer eingetreten sei und es zur Zeit fast unmöglich sei eine Arbeit zu finden. Insbesondere sei Herat von der Pandemie betroffen und herrsche dort eine Ausgangssperre. Da somit ein neuer Sachverhalt vorliege, werde die Zulassung des Verfahrens beantragt. Abschließend wiederholte der Beschwerdeführer, bei seiner Familie sein zu wollen. Neben Befunden für den Beschwerdeführer zur vorgenommenen Behandlung wegen des Abszesses am 18.05.2020 wurde auch eine ärztliche Bestätigung vom 25.05.2020 für seine Mutter vorgelegt, wonach diese nach dem Tod ihres Gatten unter einer „PTBS/psychischer Anpassungsstörung“ leide und die Anwesenheit ihres Sohnes in Österreich zur psych. Stabilisierung unbedingt erforderlich sei. Ferner wurden aus dem Erkenntnis des BVwG vom 27.04.2020, W228 1414460-2, auszugsweise Passagen zur Corona 19-Pandemie schriftlich zitiert.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.05.2020, wurde der Folgeantrag vom 13.04.2020 hinsichtlich Asyl (Spruchpunkt I.) und subsidiären Schutz (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.), gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Freist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.) und wurde unter Spruchpunkt VII. gegen ihn ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG verhängt. In der Begründung wurde festgestellt, dass sein erster Antrag mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.09.2018 als unbegründet abgewiesen worden sei. Dieses sei am 03.10.2018 in Rechtskraft erwachsen. Anlässlich seiner Erstbefragung zum Folgeantrag vom 13.04.2020 habe er als Fluchtgrund vorgebracht, dass er sich auf seine bisherigen Gründe berufe und seine asylberechtigte Familie in Österreich lebe. Nach dem Tod seines Vaters vor zwei Wochen benötige seine Mutter nun die Unterstützung des Beschwerdeführers. Im Zuge seiner Einvernahme beim BFA habe er weiters vorgebracht, nun eigene Fluchtgründe zu haben, da er sich seit seiner Einreise in Österreich vom Islam abgewendet habe und wahrscheinlich zum Christentum konvertieren werde. Ein objektiv neuer Sachverhalt habe sich im Folgeverfahren jedoch nicht ergeben. In Österreich seien seine Mutter, seine Schwestern und ein Bruder aufhältig. Weitere soziale Kontakte, welche ihn an Österreich binden würden, habe er nicht angegeben. Es stehe fest, dass er die Frist zur freiwilligen Ausreise in seinen Herkunftsstaat nicht eingehalten und damit eine behördliche Anordnung gröblich missachtet habe. Seine Anträge auf internationalen Schutz hätten sich als unberechtigt erwiesen und seien offenbar missbräuchlich gestellt worden. Seit seiner illegalen Einreise ins österreichische Bundesgebiet und auch aktuell bestreite er seinen Lebensunterhalt aus öffentlichen Mitteln. Ferner wurden Feststellungen zur Covid 19-Pandemie und Länderfeststellungen zu Afghanistan getroffen. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass die Identität des Beschwerdeführers zwar glaubhaft sei, jedoch mangels unbedenklichem Identitätsdokument nicht feststehe. Dass er an schweren Krankheiten oder Immunschwäche leide, habe er nicht vorgebracht und sei aus den vorgelegten Befunden auch nicht ersichtlich. Weiters führte das Bundesamt aus, dass seine Abwendung vom islamischen Glauben nicht glaubhaft sei, weil er dies im ersten Verfahren zu keinem Zeitpunkt erwähnt habe und auch bei der Erstbefragung zum Folgeantrag nicht angegeben bzw. dort mit seiner Unterschrift bestätigt habe, dass er Schiit sei. Seine Angaben über seine bisherigen Kenntnisse zum Christentum seien unschlüssig und sehr vage geblieben und hätten insbesondere ein gesteigertes Interesse daran vermissen lassen, was er mit der Corona-Pandemie begründet habe. Dies sei jedoch angesichts seines Besitzes eines Smartphones für Recherchen im Internet nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer „habe nicht vorgebracht, dass er sich innerlich vom Islam abgewendet habe und dies zu einer asylrelevanten Verfolgung im Herkunftsstaat führen werde“. Beim Beschwerdeführer lasse sich keine gesteigerte Motivation, die mit einem Religionswechsel aus innerer Überzeugung üblicherweise einhergehe, erkennen, weshalb seine Behauptung eventuell zum Christentum konvertieren zu wollen, nicht glaubhaft sei. Sein Begehren sei bereits vor Eintritt der Rechtskraft des ersten Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts mit 03.10.2018 bekannt gewesen und habe er im Folgeverfahren selbst angegeben, dass sich an den Fluchtgründen nichts geändert habe. Weiters sei nicht glaubhaft, dass seine Mutter nach dem kürzlichen Tod seines Vaters tatsächlich auf den Beschwerdeführer angewiesen sei, weil er zum einen von August 2019 bis Jänner 2020 in Frankreich aufhältig und daher sein Privat- und Familienleben in Österreich nicht sehr intensiv gewesen sei und weiters auch keine Pflegebedürftigkeit seiner Mutter erkennbar gewesen sei. Außerdem würden sich zwei erwachsene Schwestern des Beschwerdeführers in Österreich aufhalten, welche die Mutter allenfalls pflegen könnten. Zudem könne seine Mutter selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen oder sich an das österreichische Sozialsystem wenden. Ein spezielles Nahverhältnis des Beschwerdeführers zu seiner Mutter sei nicht erkennbar. Ferner sei er offenkundig völlig mittellos und auch nicht in der Lage, die Mittel für seinen Lebensunterhalt legal zu erwerben, sodass eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit anzunehmen sei. Die Erlassung eines Einreiseverbotes sei gerechtfertigt. Rechtlich wurde ausgeführt, dass er zur Begründung des vorliegenden Folgeantrags Umstände geltend gemacht habe, welche seinen Schilderungen zufolge, bereits vor Eintritt der Rechtskraft des Erkenntnisses des BVwG vom 21.09.2018 bestanden hätten. Anzumerken sei, dass er auch verpflichtet gewesen sei, diese Gründe bereits im ersten Verfahren geltend zu machen. Allgemein bekannte Sachverhaltsänderungen seit rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens, welche von Amts wegen zu berücksichtigen wären, seien nicht ersichtlich. Die aktuelle Covid 19-Pandemie erfordere auch nicht die Zuerkennung von subsidiärem Schutz. Das Risiko daran zu erkranken sei nicht nur in Afghanistan sondern weltweit erhöht und habe sich (beim Beschwerdeführer) kein Hinweis auf individuelles Risiko für eine schwere Erkrankung ergeben. Ein real risk für eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Herkunftsstaat drohe ihm daher nicht (zu Spruchpunkten I. und II.). Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 lägen nicht vor (zu Spruchpunkt III.). Mangels Familienlebens zu einem in Österreich dauernd Aufenthaltsberechtigten oder eines schützenswerten Privatlebens im Sinne des Art. 8 EMRK würden die öffentlichen Interessen an der Beendigung seines Aufenthaltes seine Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen (zu Spruchpunkt IV.). Seine Abschiebung nach Afghanistan sei mangels Vorliegens von Gründen im Sinne des § 50 FPG auch zulässig (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 As. 1a FPG bestehe im Fall einer zurückweisenden Entscheidung nach § 68 AVG keine Frist für die freiwillige Ausreise (zu Spruchpunkt VI.). Sofern bereits eine Rückkehrentscheidung erlassen worden und der Fremde seiner Ausreiseverpflichtung nicht fristgerecht freiwillig nachgekommen sei, sei die Erlassung einer neuen Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot zu prüfen, da in diesem Fall nicht mehr von einer nur geringfügigen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung gesprochen werden könne. Die Nichtbefolgung der behördlichen Anweisung, das Bundesgebiet bzw. das Schengengebiet in der gewährten Frist zu verlassen, sei geeignet, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden. Da er offensichtlich nicht bereit sei, die österreichische Rechtsordnung zu achten, sei davon auszugehen, dass sein Aufenthalt in Österreich jedenfalls eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Zudem lebe er seit seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet ausschließlich von Mitteln der öffentlichen Hand und gehe aktuell keiner regelmäßigen Beschäftigung nach. Der Bezug von Grundversorgung könne seine Mittellosigkeit im Sinne von § 53 Abs. 2 Z 6 FPG nicht entkräften und da er über kein Aufenthaltsrecht in Österreich verfüge, könne er hier (auch künftig) keiner legalen Beschäftigung nachgehen. Die Mittellosigkeit eines Fremden sei eine ausreichende Grundlage für die Annahme, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde. Die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verletze Art. 8 EMRK nicht und sei im Hinblick auf § 53 Abs. 2 FPG ebenso davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich überwiege. Insgesamt gelange die Behörde auf Grund seines Verhaltens, seiner Lebensumstände und familiären und privaten Anknüpfungspunkte im Zuge der Abwägungsentscheidung zu dem Ergebnis, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, um die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Es sei zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten (zu Spruchpunkt VII.).

Dagegen richtet sich die vorliegende vollumfängliche Beschwerde durch den bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers, worin inhaltliche Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht werden. Eingangs wurde ua. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung binnen 7 Tagen beantragt. Zur Begründung wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan seine Tötung wegen seinen vorigen Asylgründen aber auch wegen seiner Abkehr vom Islam befürchte. Die Behörde habe den maßgeblichen Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt und festgestellt. Die Länderfeststellungen würden sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers befassen. Die Behörde habe den Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, weil der Beschwerdeführer keinen neu entstandenen asylrelevanten Sachverhalt vorgebracht habe. Seit 2017 habe sich die Situation im Herkunftsland des Beschwerdeführers nicht verbessert, sondern im Gegenteil würden diverse Gruppierungen der Taliban-Milizen in beinahe sämtlichen Provinzen vermehrt ihr terroristisches Unwesen treiben. Sie würden eine angeordnete Rückkehr für den Beschwerdeführer erst recht unmöglich machen. Diesbezüglich werde auf das Gutachten von Frau Friederike STAHLMANN vom 28.03.2018 im Umfang von 400 Seiten verwiesen, worin die katastrophale Sicherheitssituation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers dokumentiert werde. Sodann wurde der Bericht des UNHCR vom Jänner 2017 über die Situation und Sicherheitslage in Afghanistan im Jahr 2016 ausgeführt. Hinzu komme, dass beinahe in sämtlichen Länderquellen zu Afghanistan angeführt werde, dass Rückkehrern aus dem Ausland noch einmal verstärkt Hass und Niedertracht entgegenschlage. Zudem habe die Behörde nicht geprüft, was sich seit der Rechtskraft des ersten Asylverfahrens geändert habe. Apostasie sei in Afghanistan verboten und werde mit langen Haftstrafen bis hin zur Todesstrafe bedroht. Die Behörde habe zum in Österreich schließlich endgültig vollzogenen Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft keine ausreichenden Fragen gestellt. Eine Abschiebung würde daher für den Beschwerdeführer eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Zu seinem Privat- und Familienleben wurde ausgeführt, dass die gesamte Familie des Beschwerdeführers in Österreich lebe und er gute Deutschkenntnisse erworben habe, welche er über den Freundeskreis seiner Geschwister sowie eine Arbeitsaufnahme weiter verbessern werde können. Eine Rückkehrentscheidung sei daher auf Dauer unzulässig. Die Behörde hätte bei ordnungsgemäßem Ermittlungsverfahren zu dem Schluss gelangen müssen, dass ein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt vorliege und über den Folgeantrag inhaltlich entscheiden müssen. Auf Grund seines glaubhaften Vorbringens und der aktuellen nach wie vor prekären Situation in Afghanistan und wegen des angebotenen Beweismittels habe sich die Sachlage derart geändert, dass eine anderslautende Entscheidung im inhaltlichen Verfahren hätte getroffen werden müssen. Die Situation habe sich seit dem ersten Asylverfahren insofern geändert, als der Beschwerdeführer auch vom Islam abgefallen sei und ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan jedenfalls Verfolgung drohe. Auch werde die Rechtmäßigkeit des Einreiseverbotes gemäß § 53 FPG, insbesondere die Dauer (bemängelt). Da der Beschwerdeführer nicht rechtskräftig wegen einer Verwaltungs- oder Gesetzesübertretung verurteilt worden sei, könne auch kein Einreiseverbot verhängt werden. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit und Dauer des verhängten Einreiseverbotes wegen Mittellosigkeit wurde auf Entscheidungen des BVwG und VwGH verwiesen. Die Behörde sei nicht darauf eingegangen, inwieweit der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde oder öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Die Dauer des Einreiseverbotes sei überhaupt nicht begründet worden und zumindest herabgesetzt werden. Da im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Abschiebung in den Herkunftsstaat einer unmenschlichen Behandlung iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt sein werde, möge der vorliegenden Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt werden. Beigelegt wurde eine Meldung des Beschwerdeführers vom 29.05.2020 über den Austritt aus seiner Religionsgemeinschaft Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich. Einem beigefügten handschriftlich verfassten, nicht datierten und auch nicht unterschriebenem Brief des Beschwerdeführers ist ua. zu entnehmen, dass er seit langem nicht mehr Moslem sei. Ferner legte er einen Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 26.05.2020 vor, weiters Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016 sowie das genannte Gutachten von Frau Friederike STAHLMANN vom 28.03.2018 zu Afghanistan.

Am 16.06.2020 wurde die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

Infolge des in § 17 VwGVG normierten Ausschlusses der Anwendbarkeit des 4. Hauptstücks des AVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, welcher auch die in § 68 Abs. 1 AVG normierte Zurückweisung wegen entschiedener Sache umfasst, kommt eine unmittelbare Zurückweisung einer Angelegenheit aufgrund der genannten Bestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich nicht in Betracht. Davon unberührt bleibt, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren über Bescheidbeschwerden zur Überprüfung der rechtmäßigen Anwendung von § 68 AVG in Bescheiden durch die Verwaltungsbehörde berufen ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K10.; vgl. auch VfSlg. 19.882/2014). Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist somit zunächst die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

§ 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG enthält selbst keine Anordnung, wie über eine Beschwerde zu entscheiden ist, sondern knüpft lediglich - im Hinblick auf die im Asylverfahren geltende Unterteilung in das Zulassungsverfahren und zugelassene Verfahren - an die Stattgebung einer gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren erhobenen Beschwerde an und sieht als Rechtsfolge einer solchen Stattgebung die Zulassung des Verfahrens vor. Dabei nahm der Gesetzgeber unverkennbar - und wie sich nicht zuletzt auch aus den Erläuterungen der Regierungsvorlage zum FNG-Anpassungsgesetz (RV 2144 BlgNR 24. GP S. 14) zu § 21 Abs. 3 BFA-VG ergibt auf eine - bezogen auf den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens - vom VwG nach § 28 VwGVG 2014 getroffene Sachentscheidung Bezug. Eine solche liegt etwa dann vor, wenn das VwG zum Ergebnis gelangt, entgegen der Ansicht der Verwaltungsbehörde stelle sich anhand des (allenfalls nach ergänzenden Ermittlungen) festgestellten Sachverhaltes eine Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz als nicht dem Gesetz entsprechend dar. Bei einer solcherart die behördliche Antragszurückweisung aufhebenden Entscheidung handelt es sich aus verfahrensrechtlicher Sicht um eine gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG 2014 in Form eines Erkenntnisses zu treffende Entscheidung. (VwGH E vom 05.10.2016, Ra 2016/19/0208)

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).

Nach der Rechtsprechung zu dieser Bestimmung liegen verschiedene „Sachen“ im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG vor, wenn in der für den Vorbescheid (für das Vorerkenntnis) maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid (Vorerkenntnis) als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. „Entschiedene Sache“ iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber der Vorentscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides bzw. -erkenntnisses entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen – berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

Eine neue Sachentscheidung ist, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht (vgl. VwGH 25.04.2007, 2004/20/0100, mwN).

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

Das Vorbringen des Beschwerdeführers im Folgeverfahren, dass er „seit seiner Ankunft in Österreich kein Moslem mehr“ sei, wurde seitens der Behörde im angefochtenen Bescheid wegen des verspäteten Vorbringens dazu als nicht glaubhaft bzw. bereits von der Rechtskraft der ersten Entscheidung als mitumfasst erachtet und sein zweiter Antrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Nun hat der Beschwerdeführer jedoch zu seinem Vorbringen im Folgeverfahren, vom Islam abgefallen zu sein, mit der Beschwerde gegen die zweite Entscheidung noch die Meldung vom 29.05.2020 über seinen Austritt aus der islamischen Gemeinschaft in Österreich vorgelegt, sodass allenfalls von einer Sachverhaltsänderung seit der ersten Entscheidung auszugehen ist (unter Hinweis auf VwGH vom 03.07.2020, Ra 2019/14/0608-8, RZ 14-15).

Da es sich nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes dabei um kein „neues Vorbringen“ handelt, welches erstmals in der Beschwerde gegen einen Bescheid nach § 68 AVG geltend gemacht wurde, ist es auch beachtlich (zu VwGH 24.06.2014, Ra 2014/19/0018).

Der gegenständliche Fall gleicht jenem bereits dem Verwaltungsgerichtshof zur Zahl 2005/20/0556 – Erkenntnis vom 22.12.2005 – zur Prüfung vorgelegten:

„In einem Verfahren betreffend Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache übersieht der unabhängige Bundesasylsenat, dass das Vorbringen im Asylantrag - sofern man von der Erlassung des Haftbefehles nach der rechtskräftigen Beendigung des ersten Asylverfahrens ausgeht - gemessen daran, dass die im ersten Asylverfahren behaupteten Fluchtgründe für nicht glaubhaft erachtet wurden, jedenfalls eine maßgebliche Sachverhaltsänderung darstellen würde. Dass eine nach Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens erfolgte Erlassung eines Haftbefehles - wie der unabhängige Bundesasylsenat offensichtlich meint - asylrechtlich irrelevant wäre, weil sie nur eine "Fortwirkung des bereits entschiedenen Sachverhaltes" sei, den die Behörde im vorangegangenen Verfahren schon als unglaubwürdig beurteilt hat, kann nicht gesagt werden. Es bedarf in einem solchen Fall daher einer beweiswürdigenden Auseinandersetzung mit dem neuen Vorbringen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das neue Vorbringen in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den im Erstverfahren nicht geglaubten Behauptungen stand. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der behaupteten neuen Tatsachen argumentativ von Bedeutung sein, macht eine Beweiswürdigung des neuen Vorbringens aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar - in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden - unzulässig (Hinweis E 29. September 2005, 2005/20/0365). Unter den dargestellten Umständen wäre es zur Prüfung der Zulässigkeit des Zweitantrages des Asylwerbers vielmehr erforderlich gewesen, sich beweiswürdigend mit seinen nunmehrigen Behauptungen über behördliche Maßnahmen und mit der Beweiskraft der von ihm (allenfalls) vorgelegten Urkunde auseinander zu setzen, um beurteilen zu können, ob dem Vorbringen ein "glaubhafter Kern" zuzubilligen ist oder nicht (Hinweis E 26. Juli 2005, 2005/20/0343).“

Im gegenständlichen Fall wird also nicht durch einen Haftbefehl, sondern durch die Meldung vom 29.05.2020 über seinen Austritt aus der islamischen Gemeinschaft die maßgebliche Sachverhaltsänderung bewirkt.

Auch weist dieses Vorbringen offenbar einen „glaubhaften Kern“ auf, dem Asylrelevanz zukommt. Dies ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers im Folgeverfahren im Zusammenhalt mit der Beschwerde und der vorgelegten Austrittserklärung. Die Beurteilung, ob die behauptete Sachverhaltsänderung bei wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz einen "glaubhaften Kern" aufweist, erfolgt stets im Rahmen der Beweiswürdigung (vgl. z.B. VwGH 18.12.2018, Ra 2018/18/0516, VwGH 12.11.2019, Ra 2019/18/0376).

Die Verfolgung aus Gründen der Religion, wozu auch atheistische Glaubensüberzeugungen zählen, kann zur Gewährung von Asyl führen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Asylwerber aufgrund seiner atheistischen Lebensweise im Herkunftsstaat tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt zu werden. Dies setzt allerdings voraus, dass der Asylwerber seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht, die er auch im Herkunftsstaat leben wird. Die Tatsache, dass einem Asylwerber im Herkunftsstaat etwa aufgrund eines Gesetzes über Apostasie eine Todes- oder Freiheitsstrafe droht, kann für sich genommen eine asylrelevante Verfolgung darstellen, sofern eine solche Strafe in dem Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird (vgl. etwa VwGH 30.4.2020, Ra 2020/18/0124, mwN und VwGH 03.07.2020, Ra 2019/14/0608-8 RZ 13).

In der Beschwerde wurde ua. die nicht ausreichende Sachverhaltsermittlung im Folgeverfahren bemängelt. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes ist in diesem Zusammenhang im Hinblick auf die Länderberichte auch zu berücksichtigen, ob einem Apostaten in Afghanistan seitens Dritter Verfolgung bzw. eine Art. 3 EMRK-widrige Behandlung droht (vgl. S 75 des angefochtenen Bescheides).

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Annahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, dass der Behandlung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegensteht, allenfalls nicht zutrifft, weshalb der angefochtene Bescheid zunächst hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. zu beheben ist. Da die Spruchpunkte III. bis VII. die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz voraussetzten, sind auch diese bereits aus diesem Grund zu beheben.

Wegen der Behebung des angefochtenen Bescheides konnte eine Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Folgeantrag Prozesshindernis der entschiedenen Sache Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W117.2168270.2.00

Im RIS seit

10.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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