TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/10 96/21/0424

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Veröffentlicht am 10.09.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1 impl;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über die Beschwerde des (am 5. Oktober 1972 geborenen) SM, vertreten durch Dr. Hermann Fromherz, Dr. Friedrich Fromherz und Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Rechtsanwälte in Linz, Graben 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 9. April 1996, Zl. St 195/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 FrG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) wurde u.a. festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer in Syrien gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei. Der Beschwerdeführer, dessen Identität durch einen Personalausweis dokumentiert sei, sei am 11. März 1996 über den Flughafen Wien von der Türkei her kommend in das Bundesgebiet eingereist. Er habe sich mit einem nicht für ihn ausgestellten und durch Auswechslung des Lichtbildes verfälschten Reisepaß ausgewiesen. Sein am Tag darauf gestellter Asylantrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. März 1996 unter Verfügung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung einer allenfalls eingebrachten Berufung abgewiesen worden. Im Asylverfahren habe der Beschwerdeführer angegeben, seit 1990 der kurdischen fortschrittlichen demokratischen Partei in Syrien anzugehören. Es sei dies eine in Syrien verbotene Partei, die vom Untergrund aus agiere. Ihr Ziel sei die Anerkennung der kurdischen Minderheit in Syrien sowie die Gleichstellung mit anderen arabischen Syrern. Im Oktober 1992 sei der Beschwerdeführer zum syrischen Geheimdienst vorgeladen und beschuldigt worden, verbotenerweise politische staatsfeindliche Aktivitäten getätigt zu haben. Dem Beschwerdeführer sei bewußt gewesen, daß die Strafe dafür Gefängnis und anschließende Liquidierung sei. Er habe daher die ihm angelasteten Beschuldigungen bestritten. Der Beschwerdeführer habe auch abgelehnt, mit dem syrischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten, woraufhin er für zwei Tage festgehalten, geschlagen und mit Stromstößen mißhandelt worden sei. Anschließend sei er freigelassen worden.

Ende Jänner 1993 sei er vom Geheimdienst neuerlich vorgeladen worden. Er sei sieben Tage lang inhaftiert, bezüglich seiner Parteiaktivitäten verhört und mißhandelt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe der Beschwerdeführer die pädagogische Akademie besucht, um Volksschullehrer zu werden. Nach seiner Enthaftung habe ihm der Direktor der Akademie mitgeteilt, daß er wegen des Verdachtes politischer Aktivitäten entlassen sei. Durch Interventionen und Schmiergeldzahlungen seiner Eltern hätte der Beschwerdeführer die Akademie wieder besuchen dürfen.

Im Laufe des Jahres 1994 sei der Beschwerdeführer siebenmal zum syrischen Geheimdienst vorgeladen und befragt worden. Er sei auch beschuldigt worden, von ihm betreute Schüler in kurdischer Sprache sprechen zu lassen.

Am 17. Oktober 1995 sei dem Beschwerdeführer vom Unterrichtsministerium schriftlich mitgeteilt worden, daß er endgültig vom Lehrberuf ausgeschlossen sei. Am 29. November 1995 hätte er eine schriftliche Ladung erhalten, wonach er sich am 4. Dezember 1995 zu einer Gerichtsverhandlung wegen einer Beschuldigung durch den staatlichen Sicherheitsdienst wegen des § 85 des syrischen Strafgesetzbuches hätte begeben sollen, um sich zu rechtfertigen. Der Beschwerdeführer hätte Angst gehabt, von diesem Gericht wegen seiner Tätigkeit verurteilt zu werden. Er habe sich daher entschlossen, am 2. Dezember 1995 Syrien zu verlassen.

An der pädagogischen Akademie sei er stets geächtet gewesen, weil er der Religion der Satansanbeter angehöre. Diesbezüglich sei er allerdings von der syrischen Regierung nicht eingesperrt worden.

Zu seinem Fluchtweg habe der Beschwerdeführer angegeben, er sei mit Hilfe eines Schleppers illegal in den Irak gelangt und hätte sich ca. zweieinhalb Monate in der kurdisch-autonomen Zone dieses Landes bei einem Verwandten aufgehalten. Von dort sei er illegal in die Türkei gelangt, wo er sich ca. zwei Wochen bei einem Bekannten aufgehalten hätte. Dieser Bekannte habe für den Beschwerdeführer die weitere Flucht in den Westen organisiert. In Ankara sei er mit einem Schlepper zusammengetroffen, der ihn und zwei weitere türkische Flüchtlinge nach Istanbul gebracht habe. In Istanbul sei ihm ein Reisepaß ausgehändigt worden, mit welchem er dann auf dem Luftweg die Türkei verlassen habe und nach Österreich gelangt sei. Ein Freund des Schleppers habe dem Beschwerdeführer am Tage nach seiner Ankunft in Wien mit einem PKW direkt zum Bundesasylamt, Außenstelle Linz, gebracht.

Die belangte Behörde sei gleich der Erstbehörde der Auffassung, daß eine Vorladung zu einer Gerichtsverhandlung, auch wenn sie wegen eines dem Beschwerdeführer angelasteten politischen Deliktes erfolgen sollte, doch keinen stichhaltigen Grund für die Annahme von Gefahren im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder von Verfolgungen im Sinn des Abs. 2 leg. cit. darstelle. Nach den Angaben des Beschwerdeführers sei er 1994 siebenmal vom syrischen Geheimdienst vorgeladen und befragt worden, jedesmal aber wieder freigelassen worden. Würden gravierende Verdachtsmomente gegen den Beschwerdeführer bestehen, wäre seine Freilassung nicht erfolgt. Eine neuerliche Vorladung zum Sicherheitsdienst könne demnach weder als Indiz dafür angesehen werden, daß ihm nunmehr eine unmenschliche Strafe, eine ebensolche Behandlung oder die Todesstrafe drohe, noch, daß das Leben oder die Freiheit des Beschwerdeführers aufgrund seiner politischen Ansichten bedroht sei.

Aus dem Hinweis des Beschwerdeführers auf menschenrechtswidrige Vorgangsweisen in Syrien könne noch nicht der Schluß gezogen werden, daß auch der Beschwerdeführer einer solchen Vorgangsweise unterzogen würde. Es sei daher nicht davon auszugehen, daß stichhaltige Gründe im Sinne des § 37 Abs. 1 und 2 FrG vorliegen, die gegen die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Syrien sprechen würden. Der vorgelegten Bestätigung des Vereins der syrischen Kurden in Österreich, wonach der Beschwerdeführer von den syrischen Behörden verfolgt würde, ändere daran insofern nichts, als nicht näher ausgeführt werde, welcher Art diese angeblichen Verfolgungen seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet. Auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde verzichtet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer macht im wesentlichen zusammengefaßt geltend, es sei ihm durch den Vorweis der Ladung zur gerichtlichen Verhandlung im Zusammenhang mit seinem übrigen Vorbringen die Glaubhaftmachung der politischen Verfolgung gelungen. Zumindest hätte die Behörde aufgrund dieser Ladung ein entsprechendes Ermittlungsverfahren in Syrien durch die österreichischen Vertretungsbehörden durchzuführen gehabt, um den Inhalt des gegen ihn geführten Verfahrens zu ergründen. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die Behörde zu dem Ergebnis kommen müssen, daß gerade aufgrund dieser Vorladung vor ein syrisches Gericht gemäß § 85 des syrischen Strafgesetzbuches und der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen politischen Betätigung zugunsten der Kurden in Syrien eine Verfolgung im Sinne der GFK und im Sinne des § 37 Abs. 2 FrG vorgelegen sei.

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht. Die belangte Behörde hat die Angaben des Beschwerdeführers nicht als unglaubwürdig qualifiziert und sie ihrem Bescheid als Sachverhaltsfeststellung zugrundegelegt. Sie ist daher auch davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer in seinem Heimatstaat wegen politischer Delikte gerichtlich verfolgt wird. Die Rechtsauffassung der belangten Behörde, daß eine solche Verfolgung - im vorliegenden Fall die Vorladung zu einem gerichtlichen Termin als Beschuldigter wegen eines politischen Deliktes - nicht dem § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG zu unterstellen sei, weil in der Vorladung noch keine erhebliche Bedrohung seiner Person gelegen sei, ist rechtsirrig. Nach dem von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt wird der Beschwerdeführer ausschließlich wegen seiner politischen Aktivität gerichtlich verfolgt und wurde er auch deswegen von seinem Lehrberuf ausgeschlossen. Die belangte Behörde hat unter Außerachtlassung der im gegebenen Fall gebotenen Gesamtschau insbesondere auch nicht berücksichtigt, daß der Beschwerdeführer nach seinen Schilderungen bereits im Oktober 1992 und 1993 anläßlich seiner Inhaftierungen und Verhöre geschlagen und mit Stromstößen gefoltert worden sei. Auch im Jahr 1994 sei er laufend (sieben Mal) vom Geheimdienst einvernommen und dabei jeweils einer regierungsfeindlichen Tätigkeit beschuldigt worden. Nach den Angaben des Beschwerdeführers, denen die belangte Behörde nicht entgegengetreten ist, drohte ihm Gefängnis und anschließende Liquidierung. Dieser Sachverhalt erfüllt zweifelsohne die im § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG umschriebenen Gefahren und Verfolgungen. Auch für die Beurteilung gemäß § 54 FrG kann nicht verlangt werden, daß der Antragsteller weitere Verfolgungsmaßnahmen durch die Behörden seines Heimatstaates abwartet (vgl. hg. Erkenntnis vom 28. März 1995, Zl. 94/19/1381). Sollte die belangte Behörde der Auffassung sein, daß sie trotz der politischen Tätigkeit des Beschwerdeführers eine Gefahr bzw. Bedrohung für sein Leben oder seine Freiheit nicht anzunehmen habe, so hätte es - worauf der Beschwerdeführer zutreffend hinweist - Erhebungen über die Vertretungsbehörde in Syrien bedurft, um davon ausgehen zu können, daß den Beschwerdeführer andere, nicht im § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 genannte Sanktionen treffen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996210424.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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