Entscheidungsdatum
31.08.2020Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W148 2160188-1/22E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. KEZNICKL als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den RA Dr. Helmut Blum, 4020 Linz, vom 30.05.2017 gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2017, Zl. XXXX , zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird abgewiesen.
II. Die Beschwerde gegen den Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird abgewiesen.
III. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen XXXX auf Dauer unzulässig ist.
XXXX wird gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
IV. Der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
I.1. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) hat nach schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 15.09.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) gestellt.
2. Am 16.09.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt, bei der er zu seinem Fluchtgrund befragt vorbrachte, dass in ihrem Dorf sehr viele Mitglieder der Taliban seien und man deswegen kein normales friedliches Leben führen könne. Die Regierung habe keinen Einfluss in seinem Dorf und könne sie nicht vor den Taliban beschützen. Auf der einen Seite kämpften die Taliban auf der anderen Seite kämpfe die Regierung und es würden in seinem Dorf ständig unschuldige Personen sterben. Die Taliban bedrohe sie ständig und wollte ihn dazu nötigen auf ihrer Seite gegen die Regierung zu kämpfen. Die Taliban seien oft bei ihm zu Hause gewesen und hätten ihn für ihre Zwecke gewinnen wollen. Beim letzten Mal hätten sie ihm gesagt, dass er erschossen werde, wenn er nicht mitgehe. Danach hätten sie ihn auf den Kopf geschlagen. Der BF habe sie angelogen und gesagt, dass er sich ihnen am nächsten Tag anschließen würde, damit sie ihn in Ruhe ließen, aber er sei geflohen.
3. Bei seiner Einvernahme am 25.04.2017 gab der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, Außenstelle Klagenfurt (in Folge: BFA), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass seine bisherigen Angaben im Verfahren der Wahrheit entsprächen.
Der BF führte zu seinen Fluchtgründen aus, dass er die familieneigene Landwirtschaft und Tiere bewirtschaftet bzw. betreut habe. Er habe 300 Schafe besessen und die Taliban hätten jeden Monat ein Schaf von ihm verlangt. Das Oberhaupt der Taliban sei auch aus seinem Dorf gewesen, dieser habe einmal zwei Schafe vom BF verlangt. Er habe ihm jedoch nur ein Schaf gegeben und die Taliban hätten ihn gezwungen mit ihnen mitzugehen und zu kämpfen. Dabei sei der BF auch mit einer Waffe geschlagen und am Kopf verletzt worden. Seine Eltern hätten die Taliban darum gebeten, die Verletzung des BF versorgen zu dürfen, bevor er sich ihnen anschließen müsse. Seine Eltern seien von den Taliban bedroht worden, dass sie den BF immer finden würden, falls sie ihn derweil wegschicken würden. Trotzdem hätten der BF und seine Eltern beschlossen, dass er Afghanistan verlassen solle. Sein Cousin habe ihm bei der Flucht geholfen.
4. Das BFA hat mit Bescheid vom 18.05.2017, Zl. XXXX , den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2500 (AsylG) idgF (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA- VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.) und dass gemäß § 55 Abs. bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass eine Bedrohung oder Verfolgung durch die Taliban in seinem Heimatdorf nicht festgestellt werden habe können. Er sei in Afghanistan weder aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung asylrelevant verfolgt worden. Er habe seinen Herkunftsstaat aufgrund der allgemeinen schlechten Sicherheitslage verlassen. Das Ermittlungsverfahren habe auch keine Gründe ergeben, die zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz gem. § 8 AsylG 2005 führen könnten. Zuletzt kam das BFA zu dem Schluss, dass die Rückkehrentscheidung zulässig sei.
5. Mit Verfahrensanordnung wurde dem BF ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
6. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die beim BFA fristgerecht eingelangte Beschwerde des BF an das Bundesverwaltungsgericht. Es wurde auf Länderberichte zur Sicherheitslage in Afghanistan verwiesen.
7. Am 13.12.2018 langte beim BVwG die Vollmachtbekanntgabe an den RA Dr. Helmut Blum ein. Gleichzeitig wurden auch Integrationsunterlagen des BF übermittelt.
8. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 08.06.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seines Rechtsvertreters persönlich teilnahm. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen. Er wurde ausführlich zu seinem Fluchtvorbingen befragt und die zwei vom BF beantragten Zeugen wurden einvernommen. Der BF legte weiterer Bescheinigungsmittel vor. Durch den erkennenden Richter wurde das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.05.2020, und einen UNOCHA-Bericht in das Verfahren eingebracht.
9. Am 24.07.2020 wurde der BF vom BVwG aufgefordert eine aktuelle Bestätigung über sein ehrenamtliches Engagement in einem Pflegeheim und eine aktuelle Lohn-Gehaltsabrechnung innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zustellung des Schreibens einlangend beim BVwG vorzulegen. Mit Eingabe vom 10.08.2020 legte der BF die genannten Unterlagen vor.
I.2. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (Sachverhalt)
Das Bundesverwaltungsgericht geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt aus:
a) Zur Person und zum Vorbringen des BF
1. Der Name des BF ist XXXX , er wurde am XXXX im Dorf XXXX im Distrikt XXXX , in der Provinz Faryab (Afghanistan) geboren. Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Weiters ist er Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari bzw. Farsi. Die Feststellungen zur Identität des BF gelten ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren.
2. Der BF ist im Dorf XXXX geboren und hat bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan dort gelebt. Nach seiner Ausreise hielt er sich ein Jahr lang im Iran, bei Mitgliedern seines Heimatdorfes auf und war als Hilfsarbeiter tätig. Er hat in seinem Heimatdorf keine Schul- oder Berufsausbildung absolviert, sondern ist Analphabet. Er hat als Landwirt auf den familieneigenen Grundstücken gearbeitet, sie hatten auch Schafe und Kühe. Die finanzielle Situation des BF, vor seiner Ausreise aus Afghanistan, war gut. Die Familie des BF besitzt landwirtschaftliche Grundstücke, die von anderen Dorfbewohnern bewirtschaftet werden. Seine Eltern erhalten die Hälfte des erwirtschafteten Ertrages, von dem sie leben. Die Schlepperkosten des BF wurden ebenfalls aus den landwirtschaftlichen Erträgen finanziert.
3. Der BF ist nach traditionellem islamischen Ritus verheiratet. Die Ehefrau, die Eltern, der jüngere Bruder und die jüngere Schwester des BF leben im Elternhaus im Heimatdorf. Die verheiratete Schwester und ein Cousin mütterlicherseits des BF leben ebenfalls im Heimatdorf. Der ältere der beiden Brüder des BF hat nicht sein Heimatdorf verlassen. Mit seinen Eltern steht er in telefonischem Kontakt.
4. Der BF hat Ende 2013 Afghanistan verlassen und hat sich danach noch ein Jahr im Iran und einige Monate in der Türkei aufgehalten. Von der Türkei ist er über Griechenland, weitere ihm unbekannte Länder und Ungarn bis nach Österreich gereist, wo er nach unrechtmäßiger Einreise am 15.09.2015 den gegenständlichen Antrag gestellt hat.
5. Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
6. Der BF ist strafrechtlich unbescholten.
7. Der BF war oder wäre zukünftig, aufgrund seiner Weigerung mit den Taliban in den Jihad zu ziehen, in Afghanistan keiner persönlichen Bedrohung oder Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt.
Seine Eltern und Geschwister sind ebenfalls keiner Bedrohung oder Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt. Der ältere der beiden Brüder des BF hat das Heimatdorf nicht, aufgrund des Versuchs der Zwangsrekrutierung durch die Taliban, verlassen. Weiters wird seine Familie nicht von den lokalen Arbaki unterdrückt und muss keine monatliche Geldzahlung an sie leisten.
Außerdem war oder wäre der BF zukünftig, aufgrund des von ihm vorgelegten Mitgliedsausweises der politischen Partei von Abdul Rashid Dostum, in Afghanistan keiner persönlichen Bedrohung oder Verfolgung durch regierungsfeindliche Gruppierungen, staatliche Behörden oder andere Personen ausgesetzt.
Der BF konnte somit nicht glaubhaft machen, dass er seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte.
8. Dem BF würde bei einer Überstellung nach Afghanistan in die Provinz Faryab ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK drohen.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Herat oder Mazar-e-Scharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Dem BF steht somit eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in den Städten Herat oder Mazar-e-Scharif zur Verfügung.
Im Hinblick auf die derzeit bestehende Pandemie, aufgrund des Corona-Virus, ist festzuhalten, dass der BF aktuell 31 Jahre alt und gesund ist, womit er nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen fällt. Ein bei einer Überstellung des BF nach Afghanistan vorliegendes „real risk“ einer Verletzung des Art. 2 oder 3 EMRK ist hierzu nicht erkennbar.
b) Zum Leben und zur Integration des BF in Österreich:
Der BF hält sich seit September 2015 durchgehend in Österreich auf. Er hat sich bereits außerordentlich gut in die österreichische Gesellschaft integriert und hat sich erfolgreich an die hiesigen Lebensbedingungen angepasst.
Er befindet sich nicht mehr in der Grundversorgung und übt im Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit aus, deren Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze gemäß § 5 Abs. 2 ASVG liegt.
Der BF hat sich stets bemüht einer Beschäftigung nachzugehen. Die Anträge des XXXX und der XXXX auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für die Tätigkeit des BF jeweils als Küchengehilfe, „Hausbursch“ und Hausmeister wurden vom AMS, aufgrund begrenzter Kontingente und der irrtümlichen Annahme er habe keine Aufenthaltsberechtigung, abgewiesen. Doch dann wurden dem XXXX vom AMS jeweils vom 07.10.-30.11.2019, vom 01.12.2019-05.01.2020, vom 12.03.-30.04.2020 und zuletzt vom 08.06.-31.08.2020 Beschäftigungsbewilligungen für die Tätigkeit des BF als Abwäscher, sowie Hilfskraft erteilt. Zu seinen Aufgaben gehören insbesondere Schwarz- und Weißgeschirrreinigung, Hilfsarbeiten in der Küche und Sauberkeit in der Küche sicherstellen, Speisekammer, Kühlraum, Pflege der Außenanlagen, Reinigung der Böden in Küche, Speisekammer, Kühlraum, Reinigung des Saunabereichs und Instandhaltungsarbeiten. Der BF erfüllt seine Position zur vollsten Zufriedenheit und entspricht den Erwartungen in jeder Hinsicht in bester Weise. Er entwickelt sehr viel Eigeninitiative und ist jederzeit bereit und fähig, neue Ideen durch konstruktive Vorschläge zu unterstützen und bei deren Realisierung den entscheidenden Beitrag zu leisten. Er erledigte seine Aufgaben stets mit äußerster Sorgfalt und größter Genauigkeit. Er ist ein sehr freundlicher und hilfsbereiter Mitarbeiter. Sein Verhalten gegenüber Vorgesetzen, Kollegen und Mitarbeitern ist immer einwandfrei. Er ist sehr vertrauenswürdig. Bei anspruchsvollen Gästen ist er wegen seines zuvorkommenden und gewinnenden Wesens anerkannt und sehr geschätzt. Seit 12.03.2020 bewohnt der BF ein Zimmer im XXXX und ist dort gemeldet. Er verfügt über eine Einstellungszusage des Gasthofs. Zwischen den Beschäftigungsbewilligungen vom 01.05. und 01.06.2020 hat er sich selbst versichert.
Nebenbei war er auf Basis von Dienstleistungschecks bei der XXXX beschäftigt. Er wurde als sehr sympathischer und kooperativer Mitarbeiter wahrgenommen, der sich an die österreichischen Anforderungen ausgezeichnet anpasst. Er war bemüht, die österreichische Sprache und den sozialen Umgang zu pflegen. Seine Erfahrung im Bereich der Landwirtschaft war von großem Vorteil und auch bei allen anderen Hausmeistertätigkeiten war er vielfältig einsetzbar. Er ist bereits ein wertvoller Bestandteil des Unternehmens geworden. Seitens der XXXX liegt ebenfalls eine Arbeitsplatzzusage, mit einer Beschäftigungsgarantie für zumindest zwei Jahre, vor. Außerdem hat er im Rahmen von Dienstleistungschecks verschiedene Arbeitstätigkeiten für österreichische Privatpersonen verrichtet.
Der BF verfolgt seit seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet kontinuierlich den Erwerb der deutschen Sprache und ist in der Lage sich in seinem Alltag, bei der Verrichtung seiner Arbeitstätigkeit, seinem ehrenamtlichen Engagement und im freundschaftlichen Kontakt mit Österreich, gut auf Deutsch zu verständigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass er in seiner Muttersprache Analphabet ist, weshalb seine Sprachkenntnisse besonders anerkennenswert sind. Er hat regelmäßig, mit großem Eifer und hohem Engagement an verschiedenen Alphabetisierungs-, Deutsch- und Basisbildungskursen teilgenommen. Er hat im Jahr 2018 alle Module des Integrationspasses der Stadt XXXX absolviert. Er hat das XXXX -Sprachcafé besucht. Er hat zuletzt von August bis Juli 2020 an einem weiteren Basisbildungskurs teilgenommen. Zudem lernt er in Eigeninitiative und mit Unterstützung seiner Vertrauensperson Deutsch. Er ist bereits für einen weiteren Deutschkurs A1 angemeldet. Seine Sprachkenntnisse haben sich durch seine Arbeitstätigkeiten stark verbessert.
Der BF hat in Österreich soziale Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern geknüpft und ist in der österreichischen Gesellschaft fest verankert. Er hat eine österreichische Freundin und hat durch seine Arbeitstätigkeit und durch seine Vertrauensperson viele Freundschaften geschlossen. Der BF führt in Österreich ein Leben, wie es für junge Erwachsene üblich ist. Er geht seiner Arbeitstätigkeit nach, spielt mit Freunden Karten, unternimmt Wanderungen und fährt gerne Rad. Er steht in engem Kontakt zu seinen österreichischen Freunden.
Er hat sich ehrenamtlich im Verein XXXX bei unterschiedlichen Vereinsaktivitäten engagiert. Er verbringt einmal wöchentlich fünf bis sechs Stunden mit freiwilligen Tätigkeiten in einem Pflegeheim. Der BF zeigt große Empathie gegenüber den Hausbewohnern und hilft wo er kann. Seine Tätigkeiten umfassen vor allem Reinigungstätigkeiten sowie Tätigkeiten im Hauswirtschaftsbereich. Zu einem der Hausbewohner hat er eine freundschaftliche Beziehung entwickelt, bringt ihm kleine Geschenke mit und tauscht sich mit ihm über afghanische und österreichische Gepflogenheiten aus. Der BF hilft seiner Vertrauensperson freiwillig im Garten und im Haus so oft er kann. Da seine Vertrauensperson im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zum gefährdeten Personenkreis zählt, kaufte er regelmäßig für sie ein.
Er wird von seinen Arbeitgebern, Kollegen und Freunden als ordentlich, fleißig, außergewöhnlich hilfsbereit, herzlich, feinfühlig, offen, integrationswillig, wissbegierig, positiv und höflich beschrieben.
Der BF hat keine Familienangehörigen in Österreich.
c) Zur Lage im Herkunftsstaat
Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 18.05.2020:):
1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.07.2020:
Allgemeine Sicherheitslage:
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil, nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten. Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren
Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten. Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand.
Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück.
Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war.
Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018.
Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17), landesweit betrug die Zahl 88. Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte.
Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten
Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen. Der ISKP bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt. Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt. Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich.
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan.
Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel.
Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan.
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren.
Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern. Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen.
49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert. Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen. Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt.
Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen.
Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen
Taliban
Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte der Taliban erfolgt: sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura ist für die Rekrutierung verantwortlich (LI 29.6.2017).
In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren (DAI/CNRR 10.2016), wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden (LI 29.6.2017). Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen (LI 29.6.2017). Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (EASO 6.2018).
Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junge, desillusionierte Männer, deren Motive der Wunsch nach Rache und Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe (LI 29.6.2017).
Vor einigen Jahren waren Mittel wie Pamphlete, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web-basierter Verbreitung wichtige Instrumente des Propagandaapparats. Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook haben sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt, sie dienen auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potentiellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Die Taliban haben verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations-und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut. Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke (LI 29.6.2017).
Die Entscheidung, Rekruten zu mobilisieren, wird von den Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Gemeindevorstehern getroffen. Dadurch wird dies nicht als Zwangsrekrutierung wahrgenommen, da die Entscheidungen der Anführer als legitim und akzeptabel gesehen werden. Personen, die sich dem widersetzen, gehen ein Risiko ein, dass sie oder ihre Familien bestraft oder getötet werden (DAI/CNRR 10.2016; vgl. EASO 6.2018), wenngleich die Taliban nachsichtiger als der ISKP seien und lokale Entscheidungen eher akzeptieren würden (TST 22.8.2019).
Quellen haben bestätigt, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen. Die Gruppe der Stammesältesten ist gezielten Tötungen ausgesetzt. Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind (LI 27.6.2017). Eine Quelle verweist hier auf Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfern verweigert haben. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Mehrere Gesprächspartner von Landinfo, einschließlich einer NGO, die in Taliban-kontrollierten Gebieten arbeitet, meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher heute vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen. Bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft müssen Kämpfer vor Ort mobilisiert werden. In einem solchen Fall mag es schwierig sein, sich zu entziehen. Die erweiterte Familie kann einer Quelle zufolge allerdings auch eine Zahlung leisten, anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich freizukaufen. Es ist bekannt, dass – wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen – die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, die die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen (LI 29.6.2017).
Kabul
Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-20 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht, expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile – auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) – zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-20 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).
Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).
Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den „jüngsten Einwanderern“ (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).
Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen: Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man „seine Nachbarn nicht mehr kenne“ (AAN 19.3.2019).
Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art „Dorfgesellschaft“ entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018).
Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden – so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 2.9.2019).
In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command – Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).
Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 1.563 zivile Opfer (261 Tote und 1.302 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020).
Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden (KP 27.3.2019; vgl. TN 26.3.2019, SAS 26.3.2019, TN 23.10.2018,. KP 23.10.2018, KP 9.7.2018). Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch (TN 7.8.2019; vgl. PAJ 7.7.2019, TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019). Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet (TN 7.8.2019) und verhaftet (TN 7.8.2019; PAJ 7.7.2019; vgl TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019), sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert (TN 9.6.2019; vgl. PAJ 28.5.2019).
Balkh
Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).
Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).
Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).
Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 22% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. (UNAMA 2.2020).
Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.9.2019; vgl KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.1.2019; vgl. KP 9.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 9.1.2019; vgl. TN 10.1.2019), Chemtal (TN 11.9.2018; vgl. TN 6.7.2018), Dawlatabad (PAJ 3.9.2018; vgl. RFE/RL 4.9.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.4.2019) an.
Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.8.2019; vgl. 10.8.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.8.2019).
Herat
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere „temporäre“ Distrikte – Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) –, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).
Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).
Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).
Auf Seiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 400 zivile Opfer (144 Tote und 256 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einer Steigerung von 54% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020).
In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).
Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).
Faryab
Die Provinz Faryab grenzt im Westen und Norden an Turkmenistan, im Osten an Jawzjan und Sar-e Pul, im Süden an Ghor und im Südwesten an Badghis und liegt im Nordwesten Afghanistans (UNOCHA 4.2014). Die Provinzhauptstadt ist Maimana. Die Provinz umfasst die folgenden Distrikte: Almar, Andkhoy, Bilchiragh, Dawlat Abad, Gurziwan, Khani Charbagh, Khwaja Sabz Posh-i Wali, Kohistan, Maimana, Pashtun Kot, Qaram Qul, Qaisar, Qurghan, Shirin Tagab (CSO 2019; vgl. IEC 2018).
Die Zugehörigkeit des Distrikts Ghormach ist umstritten: Während UNODC den Distrikt seit 2017 als Teil von Faryab führt (UNODC/MCN 11.2018), wurde im August 2018 berichtet, dass die Verwaltungsangelegenheiten von Ghormach aus Sicherheitsgründen zurück nach Badghis transferiert würden (FRP 28.8.2018). Auch für die Bevölkerungsschätzungen der CSO und die Parlamentswahlen wurde Ghormach Badghis zugeschrieben (CSO 2019; vgl. IEC 2018).
Die CSO schätzt die Bevölkerung von Faryab für den Zeitraum 2019-20 auf 1.089.228 Personen (CSO 2019). Zusammen mit Sar-e Pul ist Faryab eine der beiden Provinzen mit usbekischer Mehrheit in Afghanistan. Darüber hinaus leben in der Provinz Tadschiken/Aimaqs, Paschtunen, Hazara, Moghol und andere kleinere Ethnien (AAN 17.3.2017; vgl. PAJ o.D.).
Ein Teil der Ring Road führt durch Faryab und verbindet die Provinz mit der Nachbarprovinz Jawzjan und schließlich Mazar-e Sharif in Balkh (TD 5.12.2017). Trotz erheblicher Finanzierung seit 2005 waren im September 2017 nur rund 15% eines geplanten 233 Kilometer langen Abschnitts der Ring Road zwischen dem Distrikt Qaisar in Faryab und dem Ort Laman in Badghis fertiggestellt. SIGAR führte das Projektversagen hauptsächlich auf Sicherheitsprobleme zurück und schätzte die Aussichten auf eine zeitnahe Fertigstellung aufgrund zunehmender Unsicherheit in der Region als düster ein (SIGAR 6.2018).
Gemäß dem UNODC Opium Survey 2018 gehörte Faryab 2018 zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans – allerdings befand es sich im untersten Drittel dieser zehn größten Anbauprovinzen. Im Vergleich zu 2017 sank die Größe der Mohnanbaufläche in Faryab 2018 um 64%, obwohl UNODC Ghormach – einen Distrikt mit großen Anbauflächen – 2018 erstmals als Teil von Faryab zählte. UNODC führt den Rückgang hauptsächlich auf die Wetterbedingungen des Jahres zurück, da Faryab von einer Dürre betroffen war (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Im Januar 2019 wurde berichtet, dass Faryab zu den relativ volatilen Provinzen im Norden Afghanistans gehört, in denen Taliban-Kämpfer in einigen Distrikten aktiv sind und oft versuchen, Angriffe auf Regierungsinstitutionen und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen (KP 14.1.2019). Die Gewalt nahm in der vormals friedlichen nördlichen Region in den vergangenen Jahren zu, nachdem die afghanischen Sicherheitskräfte gegen die Aufständischen im Süden und Osten des Landes vorgingen (XI 21.7.2019). Faryab hat strategische Bedeutung, da es die westlichen Teile Afghanistans mit dem Norden verbindet (AAN 17.3.2017).
Einem Bericht zufolge wurden die Taliban in der Provinz zunehmend erfolgreicher, nachdem sie begannen auf lokale Kämpfer zurückzugreifen. Dies ist eine Strategieänderung gegenüber ihrer Vorgehensweise vor 2001 (AAN 3.7.2015; vgl. AAN 17.3.2017). Neben lokalen Taliban-Aufständischen gibt es angeblich Kämpfer des zentralasiatischen Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) in Faryab und Jawzjan. Die UN schätzt die Truppenstärke der IMU in ganz Afghanistan auf höchstens 100 Personen, wobei die Hälfte davon Familienmitglieder der Kämpfer sein sollen (UNSC 13.6.2019).
Einem UN-Bericht zufolge gibt es eine Gruppe von rund 170 Kämpfern in der Provinz Faryab, die mit dem IS sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Im August 2018 wurde von Kämpfen zwischen Taliban und IS-Sympathisanten in den Provinzen Jawzjan und Faryab berichtet (JF 10.8.2018).
Aufseiten der Regierungskräfte liegt Faryab im Verantwortungsbereich des 209. ANA Shaheen Corps (USDOD 6.2019; vgl. NYT 14.8.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Neben den regulären Regierungstruppen gibt es in Faryab eine Miliz oder „popular uprising group“, welche Abdul Rashid Dostum nahe steht (NYT 4.7.2018; vgl. TN 2.7.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 665 zivile Opfer (199 Tote und 466 Verletzte) in der Provinz Faryab. Dies entspricht einer Steigerung von 3% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und nicht explodierten Kampfmitteln (unexploded ordnance, UXO)/Landminen. (UNAMA 2.2020).
Faryab befand sich im Jahr 2018 unter den acht Provinzen mit der höchsten Anzahl an Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte (SIGAR 30.4.2019). Auch zu Beginn des Jahres 2019 zählte Faryab zu den Provinzen mit der höchsten Konzentration an Kämpfen (BAAG 2.2019; vgl. ACLED 29.1.2019). Im April 2019 fanden dort nach Nangarhar und Ghazni die meisten Angriffe in ganz Afghanistan statt (PAJ 2.5.2019).
Berichten zufolge, standen im Herbst 2018 die meisten Distrikte von Faryab unter Taliban-Kontrolle (PAJ 28.11.2018). Die RS-Mission verzeichnete im Oktober 2018 in sieben der 14 Distrikte von Faryab Aktivitäten von Aufständischen, in einem Distrikt – Bilchiragh – wurden die Aktivitäten als „hoch“ eingeschätzt. Fünf Distrikte standen unter Regierungseinfluss, zwei Distrikte – Dawlat Abad und Khwaja Sabz Posh i Wali – galten als umkämpft (SIGAR 30.1.2019). Im Juni 2019 konnten die Regierungstruppen den Distrikt Bilcheragh wieder von den Taliban zurückerobern (TN 25.6.2019). Zehn Distrikte in Faryab werden von der Provinzhauptstadt aus regiert, wobei ein Distriktgouverneur die unsichere Lage als Grund für seine Abwesenheit im Distrikt nannte (SW 24.6.2019).
Die Regierungskräfte haben ihre Luftangriffe zumindest seit Jänner 2018 intensiviert (AAN 12.3.2018). Luftangriffe der Afghan Air Force (AAF) sowie Zusammenstöße zwischen Taliban und Regierungstruppen setzten sich auch 2019 fort. Einem UN-Bericht von Februar 2019 zufolge, gehörte Faryab im Zeitraum 7.12.2018 bis 28.2.2019 zu den sechs Provinzen mit der größten Anzahl an Luftangriffen in Afghanistan. Die Winteroffensive der ANDSF fokussierte unter anderem auf Faryab (UNGASC 28.2.2019).
Erreichbarkeit von Städten in Afghanistan:
Beachtenswert ist die Vollendung der „Ring Road“, welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (LIB 13.11.2019, S. 229). Die Ring Road, auch bekannt als Highway One, ist eine Straße, die das Landesinnere ringförmig umgibt. Die afghanische Ring Road ist Teil eines Autobahnprojekts. Sie verbindet außerdem Kabul mit den vier bedeutendsten Provinzhauptstädten Herat, Kandahar City, Jalalabad und Mazar-e Sharif.
In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt. Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul – Herat und Kabul – Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan Airlines angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt.
Der Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul ist ein internationaler Flughafen. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. Mehrere internationale Airlines fliegen nach Kabul.
Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet. Folgende internationale Airline fliegt nach Maza-e Sharif: Turkish Airlines aus Istanbul. Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Mazar-e Sharif (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kabul und Maimana.