TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/7 W178 2164969-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2020
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Entscheidungsdatum

07.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W178 2164969-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Drin Maria PARZER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Herrn XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des BFA RD Oberösterreich Außenstelle Linz vom 01.06.2017, Zl. 1020075505-14664464, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.07.2020 zu Recht erkannt:

A)

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II.      Die Beschwerde wird hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

III.    a) Die Beschwerde zu Spruchpunkt III. 1. Absatz wird als unbegründet abgewiesen.

b) Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III., 2. und 3. Absatz des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 52 FPG 2005 iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

IV.      Gemäß § 54 Abs. 1 Z 2, § 58 Abs. 2 iVm § 55 AsylG 2005 wird Herrn XXXX der befristete Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" in der Dauer von zwölf Monaten ab Zustellung dieses Erkenntnisses erteilt.

V.       Der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste am 28.05.2014 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, dass er von unbekannten Männern aufgefordert worden sei, eine Tasche in die Bank, in der er arbeitete, mitzunehmen. Die Männer hätten ihn mit dem Tod bedroht.

2. Mit Bescheid des BFA vom 01.06.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich des Status des Asylberechtigten abgewiesen, der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, ein Aufenthaltstitel nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt.

3. Der Beschwerdeführer brachte im Wege seiner ausgewiesenen Vertretung fristgerecht Beschwerde ein.

4. Am 20.07.2020 brachte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ein.

5. Am 23.07.2020 fand eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG statt.

6. Am 29.07.2020 übermittelte der Beschwerdeführer (neuerlich) eine Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs vom 29.06.2016, ein Empfehlungsschreiben und eine Bestätigung über seine Tätigkeit als Übersetzungshilfe.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen Fluchtgründen:

Der Beschwerdeführer wurde in Kabul geboren, er ist Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem. Im Alter von 4,5 Jahren hat der Beschwerdeführer mit seinen Eltern Afghanistan verlassen. Die Familie lebte 13,5 Jahre in Pakistan. Im Jahr 2010 kehrte die Familie nach Afghanistan zurück. Der Beschwerdeführer lebte bis zu seiner Flucht in Kabul.

Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Er hat eine gute Schulbildung, er besuchte 10 Jahre lang die Schule. Neben der Schule arbeitete er als Teppichknüpfer und Schneider. In Kabul arbeitete der Beschwerdeführer nach der Rückkehr aus Pakistan in einer Bank als IT- Kraft (Sicherheitsbeauftragter). Die Familie des Beschwerdeführers (Eltern und Geschwister) lebt mittlerweile seit etwa 1,5 Jahren im Iran. Ein Onkel väterlicherseits lebt noch in Kabul in einem Haus, das die Familie vom Großvater geerbt hat. Mit seiner Kernfamilie im Iran hat der Beschwerdeführer regelmäßig telefonischen Kontakt.

Der Beschwerdeführer wurde in seinem Herkunftsland nicht wegen seiner Religion oder wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt. Er war nicht Mitglied einer politischen Partei. Er war nicht vorbestraft und hatte keine Probleme mit Gerichten oder Behörden.

Er wurde von Kriminellen aufgefordert, ihnen durch Außerbetriebssetzung der Sicherheitsanlage der Bank einen Raub zu ermöglichen. Dies hat er abgelehnt. Daraufhin haben ihn die Männer mit dem Umbringen bedroht.

Der Beschwerdeführer lebt seit mehr als 6 Jahren in Österreich. In dieser Zeit hat der Beschwerdeführer Deutschkurse bis zum Niveau A2 sowie den Werte- und Orientierungskurs absolviert und eine Lehre als Koch in der Pflegeeinrichtung „ XXXX Mauthausen“ abgeschlossen, wobei er die Berufsschule mit einem guten Notenschnitt besuchte. Weiters hat der Beschwerdeführer beim Roten Kreuz an einem Erste-Hilfe-Kurs teilgenommen.

Er ist inzwischen als Küchenhilfe beschäftigt und bezieht ein regelmäßiges Einkommen. Er ist selbsterhaltungsfähig und wohnt in einer Gemeindewohnung. Seit Ende 2016 bezieht der Beschwerdeführer keine Grundversorgung mehr, seit 2017 erhält er auch keinen Wohnzuschuss mehr. Im Juli 2020 betrug das Nettoeinkommen des Beschwerdeführers 1.246,86 Euro.

Der Beschwerdeführer unterstützte in seiner Freizeit immer wieder Behörden, Quartiergeber und Gesundheitseinrichtungen bei der Betreuung von nicht oder nur schlecht Deutsch sprechenden Asylwerbern, indem er die Personen begleitet und Übersetzungstätigkeiten vornimmt.

Der Beschwerdeführer hat viele und gute soziale Kontakte zu Menschen in verschiedenen Altersgruppen in seinem Wohnort, etwa zu Freunden, Nachbarn und Arbeitskollegen. Mit diesen trifft er sich zum Spazierengehen, für Sportaktivitäten und bei Besuchen. Weiters unterstützt der Beschwerdeführer Nachbarn unentgeltlich bei kleineren Arbeiten.

Der Beschwerdeführer ist in seinem Wohnort sehr beliebt und hochgeschätzt, was durch vorgelegte Empfehlungsschreiben bestätigt wird.

Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

II.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan (Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, Aktualisierung am 18.05.2020 und 29.06.2020, letzte Änderung 21.07.2020):

1.2.1. Provinz Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 verzeichnete die Provinz Kabul 2018 eine Zunahme der Schlafmohnanbaufläche um 11% gegenüber 2017. Der Schlafmohnanbau beschränkte sich auf das Uzbin-Tal im Distrikt Surubi (UNODC/MCN 11.2018).

1.2.2. Kabul-Stadt – Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-20 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht, expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile – auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) – zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-20 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den „jüngsten Einwanderern“ (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen: Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man „seine Nachbarn nicht mehr kenne“ (AAN 19.3.2019).

Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art „Dorfgesellschaft“ entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

1.2.3. Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018).

Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamen Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden – so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 2.9.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command – Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018).

1.2.4. Erreichbarkeit

Die Infrastruktur bleibt ein kritischer Faktor für Afghanistan, trotz der seit 2002 erreichten Infrastrukturinvestitionen und -optimierungen (TD 5.12.2017). Seit dem Fall der Taliban wurde das afghanische Verkehrswesen in städtischen und ländlichen Gebieten grundlegend erneuert. Beachtenswert ist die Vollendung der „Ring Road“, welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (TD 26.1.2018). Investitionen in ein integriertes Verkehrsnetzwerk werden systematisch geplant und umgesetzt. Dies beinhaltet beispielsweise Entwicklungen im Bereich des Schienenverkehrs und im Straßenbau (z.B. Vervollständigung und Instandhaltung der Kabul Ring Road, des Salang-Tunnels, des Lapis Lazuli Korridors etc.) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 5.12.2017), aber auch Investitionen aus dem Ausland zur Verbesserung und zum Ausbau des Straßennetzes und der Verkehrswege (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TN 18.6.2018; SIGAR 15.7.2018, TET 13.12.2018, TD 26.1.2018, TD 8.1.2019, TN 25.5.2019, CWO 26.8.2019).

Internationale Flughäfen in Afghanistan

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt (Migrationsverket 23.1.2018). Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul – Herat und Kabul – Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan Airlines angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (AG 3.11.2017).

Internationaler Flughafen Kabul

Der Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul ist ein internationaler Flughafen (TN 18.12.2017; vgl. HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in „Internationaler Flughafen Hamid Karzai“ umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o.D.).

Folgende internationale Airlines fliegen nach Kabul: Turkish Airlines aus Istanbul, Silk Way Airlines aus Baku, Emirates und Flydubai aus Dubai, Air Arabia aus Sharjah, Mahan Air aus Teheran und Emirates aus Hong Kong (Flightradar 24 4.11.2019).

Nationale Airlines (Kam Air und Ariana Afghan Airlines) fliegen Kabul international aus Istanbul, Ankara, Medina, Dubai, Urumqi, Dushambe an (Flightradar 24 4.11.2019).

Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Kabul (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kandahar, Bost (Helmand, nahe Lashkargah), Zaranj, Farah, Herat, Mazar-e Sharif, Maimana, Bamian, Faizabad, Chighcheran und Tarinkot (Flightradar 24 4.11.2019).

1.2.5. Zur Wirtschaft und Versorgungslage in der Stadt Kabul

Die Wirtschaft der Provinz Kabul hat einen weitgehend städtischen Charakter, wobei die wirtschaftlich aktive Bevölkerung in Beschäftigungsfeldern, wie dem Handel, Dienstleistungen oder einfachen Berufen tätig ist (CSO 8.6.2017). Kabul-Stadt hat einen hohen Anteil an Lohnarbeitern, während Selbstständigkeit im Vergleich zu den ländlichen Gebieten Afghanistans weniger verbreitet ist (USIP 10.4.2017). Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul gehört der Dienstleistungssektor, darunter auch die öffentliche Verwaltung (CSO 8.6.2017). Die Gehälter sind in Kabul im Allgemeinen höher als in anderen Provinzen, insbesondere für diejenigen, welche für ausländische Organisationen arbeiten (USIP 10.4.2017). Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten (USIP 10.4.2017).

Ergebnisse einer Studie ergaben, dass Kabul unter den untersuchten Provinzen den geringsten Anteil an Arbeitsplätzen im Agrarsektor hat, dafür eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Die besten (Arbeits)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul am größten (49,6 Prozent). Im Gegensatz dazu zeigt die Provinz Ghor ist der traditionelle Agrarsektor hier bei weitem der größte Arbeitgeber, des Weiteren, existieren hier sehr wenige Möglichkeiten (Jobs und Ausbildung) für Kinder, Jugendliche und Frauen (CSO 8.6.2019).

1.2.5.1. UNHCR-Richtlinie, Stand 30.08.2018, S. 124 f

Bezüglich der Zumutbarkeit (im Rahmen der Prüfung der internen Fluchtalternative, auch hier anzuwenden) führt UNHCR allgemein aus:

UNHCR ist ferner der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne die oben beschriebenen besonderen Gefährdungsfaktoren dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen.

1.2.5.2. EASO Country Guidance, Stand Juni 2019, S. 139 f

Auch aus der EASO Country Guidance ergeben sich Herausforderungen für Rückkehrer. Sie legt die Prüfung bestimmter Kriterien nahe, um die Zumutbarkeit einer Neuansiedlung zu überprüfen. Dazu gehört etwa das Vorliegen eines lokalen Unterstützungsnetzwerks, beruflicher Erfahrungen und einer Ausbildung sowie etwaige Vorerfahrungen mit dem selbstständigen Leben.

Afghan nationals who resided outside of the country over a prolonged period of time may lack essential local knowledge necessary for accessing basic subsistence means and basic services. An existing support network could also provide the applicant with such local knowledge. The background of the applicant, including their educational and professional experience and connections, as well as previous experience of living on their own outside Afghanistan, could be relevant considerations. For applicants who were born and/or lived outside Afghanistan for a very long period of time, IPA may not be reasonable if they do not have a support network which would assist them in accessing means of basic subsistence. 1.2.3.2.:Kabul: [Security situation 2019, 2.15]

Kabul province is located in central Afghanistan and is divided in 15 districts. It borders Parwan, Kapisa, Laghman, Nangarhar, Logar and Wardak. Major roads depart from Kabul City and connect the capital with the rest of the country.

In Kabul province, outside of Kabul city, the major insurgent actor were the Taliban, whereas the ISKP is primarily active in the provincial capital.

According to LWJ, all districts of Kabul province are categorised as under government control or undetermined.

According to GIM, 324 incidents related to insurgents were reported in the period of January 2018 – February 2019 in the province; 36 of them outside of the capital city (average of 0.6 incidents per week).

Examples of incidents include airstrikes by Afghan security forces in Surobi district, killing and wounding Taliban insurgents. There were reports of security forces as well as civilians being killed in attacks by the Taliban, and reports of explosions, for example attacks on Afghan security forces’ outposts in Surobi district. Roadside bombs exploded in Paghman district, killing security forces and civilians. It was reported that security incidents were taking place along the road network in Paghman district and occasional incidents along the highways through Qarabagh and Dehsabz districts took place.

UNAMA documented 1 866 civilian casualties (596 deaths and 1 270 injured) in the province in 2018, representing 38 civilian victims per 100 000 inhabitants. This is an increase of 2 % compared to 2017. The leading causes for the civilian casualties were suicide/complex attacks, followed by (non-suicide) IEDs and targeted killings. The majority of the victims were in Kabul City.

In the period 1 January 2018 – 28 February 2019, 35 persons were displaced from Surobi district, the majority within the province itself. In the same period, 10 598 persons were displaced to the province of Kabul, the majority of them to the capital city.

In the map depicting conflict severity in 2018, UNOCHA places the district of the capital in the highest category. The remaining districts fall in the four lowest categories.

Focus on the capital: Kabul City

[Security situation, 2.1]

Kabul is the capital of Afghanistan. It is reported that the city, which before 2001 counted 12 wards, expanded to 22 wards as a result of its significant demographic growth and horizontal expansion. Its population is officially reported to be 4 117 414. Kabul city hosts an airport, which is served by international and domestic passenger flights.

The Taliban as well as the ISKP are active in the provincial capital. According to LWJ, the capital city is considered as under government control or undetermined.

Because of frequent high-profile attacks in the city throughout 2017, the Afghan government announced in August 2017 the development of a new security plan for Kabul, called the ‘Green Belt’. Moreover, a special unit within the Afghan police called the Crisis Response Unit was created, in order to prevent and respond to attacks.

According to GIM, 288 incidents related to insurgents were reported in the period of January 2018 – February 2019 (average of 4.8 incidents per week).

The picture of conflict in Kabul City is characterised by asymmetric tactical warfare, with suicide bombers and IEDs as weapons of attack. The attacks mainly targeted civilians, including the civilian government administration, places of worship, education facilities, electionrelated sites and other ‘soft’ targets.

Examples of incidents include several complex attacks by the ISKP, killing and injuring civilians, especially the Shia population; for example, an attack on a voter registration centre in the Hazara-dominated neighbourhood of Dasht-e-Barchi and a suicide attack near the Karte Sakhi shrine, where hundreds, many of them Shia, had gathered to celebrate the start of Nowruz, the New Year festivity. The Taliban also carried out attacks in the provincial capital throughout 2018, killing and wounding civilians. The most prominent security incident occurred in late January 2018, when a van painted to look like an ambulance exploded outside of a government compound, killing 114 civilians and wounding 229 civilians. The Taliban also carried out an attack on the Intercontinental Hotel, as well as attacks on polling centres.

UNAMA documented 1 686 civilian casualties (554 deaths and 1 132 injured) from suicide and complex attacks in the city in 2018, representing 41 civilian victims of such attacks per 100 000 inhabitants. This is an increase of 5 % compared to 2017. Between 16 November 2018 and 7 February 2019, suicide attacks in Afghanistan overall decreased by 61 %, compared with the same period the year before, which, according to the UN Secretary General may reflect successful interdiction efforts by security forces in the cities of Kabul and Jalalabad.

No displacement from the capital was recorded in the period 1 January 2018 – 28 February 2019, however 10 430 persons were displaced to the city. The IDPs arriving and residing in Kabul add pressure on the community, basic services and social infrastructure, strongly affecting the absorption capacity of the city.

UNOCHA places the capital of Kabul in the highest category of conflict severity.

Looking at the indicators, it can be concluded that indiscriminate violence is taking place in the province of Kabul and in Kabul City, however not at a high level and, accordingly, a higher level of individual elements is required in order to show substantial grounds for believing that a civilian, returned to the territory, would face a real risk of serious harm within the meaning of Article 15(c) QD.

1.2.6. Zur Lage der Rückkehrer

Seit 1.1.2020 sind 279.738 undokumentierter Afghan/innen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt. Die höchste Anzahl an Rückkehrer/innen ohne Papiere aus dem Iran wurden im März 2020 (159.789) verzeichnet. Die Anzahl der seit 1.1.2020 von IOM unterstützten Rückkehrer/innen aus dem Iran beläuft sich auf 29.019. Seit Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan (Anm.: 23.4.-24.5.2020) hat sich die Anzahl der Rückkehr/innen (undokumentierter, aber auch unterstützter Rückkehr/innen) reduziert. Im gleichen Zeitraum kehrten 1.833 undokumentierte und 1.662 von IOM unterstütze Personen aus Pakistan nach Afghanistan zurück (IOM 11.3.2020). Pakistan hat temporär und aufgrund der COVID-19-Krise seine Grenze nach Afghanistan geschlossen (VoA 4.4.2020; vgl. IOM 11.5.2020; TN 18.3.2020; TiN 13.3.2020). Durch das sogenannte „Friendship Gate“ in Chaman (Anm.: in Balochistan/ Spin Boldak, Kandahar) wurden im April 37.000 afghanische Familien auf ausdrücklichen Wunsch der afghanischen Regierung von Pakistan nach Afghanistan gelassen. An einem weiteren Tag im Mai 2020 kehrten insgesamt 2.977 afghanische Staatsbürger/innen nach Afghanistan zurück, die zuvor in unterschiedlichen Regionen Balochistans gestrandet waren (DA 10.5.2020).

Im Zeitraum 1.1.2019 – 4.1.2020 kehrten insgesamt 504.977 Personen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurück: 485.096 aus dem Iran und 19.881 aus Pakistan (IOM 4.1.2020). Im Jahr 2018 kehrten aus den beiden Ländern insgesamt 805.850 nach Afghanistan zurück: 773.125 aus dem Iran und 32.725 aus Pakistan (IOM 5.1.2019). Im Jahr 2017 stammten 464.000 Rückkehrer aus dem Iran 464.000 und 154.000 aus Pakistan (AA 2.9.2019).

Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrer als positiv empfunden (MMC 1.2019; vgl. IOM KBL 30.4.2020). Jedoch ist der Reintegrationsprozess der Rückkehrer oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (MMC 1.2019).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (BFA 4.2018). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (AA 2.9.2019).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert (BFA 13.6.2019). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse – auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA 4.2018).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird (AA 2.9.2019). UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (BFA 13.6.2019).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden (AA 2.9.2019). UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (BFA 13.6.2019).

Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (AA 2.9.2019). Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig (USDOS 13.3.2019). Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (BFA 13.6.2019).

Viele Rückkehrer, die wieder in Afghanistan sind, werden de-facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren (UNOCHA 12.2018). Trotz offenem Werben für Rückkehr sind essentielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet (AAN 31.1.2018). Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (UNOCHA 12.2018).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA 4.2018). Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer (BFA 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (AAN 19.5.2017).

In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Return and Reintegration Network (ERRIN) wird im Rahmen des ERRIN Specific Action Program sozioökonomische Reintegrationsunterstützung in Form von Beratung und Vermittlung für freiwillige und erzwungene Rückkehrer angeboten (IRARA 9.5.2019).

Unterstützung durch IOM

Die internationale Organisation für Migration (IOM – International Organization for Migration) unterstützt mit diversen Projekten die freiwillige Rückkehr und Reintegration von Rückkehrer/innen nach Afghanistan. In Bezug auf die Art und Höhe der Unterstützungsleistung muss zwischen unterstützter freiwilliger und zwangsweiser Rückkehr unterschieden werden (IOM KBL 26.11.2018; vgl. IOM AUT 23.1.2020; BFA 13.6.2019; BFA 4.2018). Im Rahmen der unterstützten freiwilligen Rückkehr kann Unterstützung entweder nur für die Rückkehr (Reise) oder nach erfolgreicher Aufnahme in ein Reintegrationsprojekt auch bei der Wiedereingliederung geleistet werden (IOM AUT 23.12.020).

Mit 1.1.2020 startete das durch den AMIF der Europäischen Union und das österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanzierten Reintegrationsprojekt, RESTART III. Im Unterschied zu den beiden Vorprojekten RESTART und RESTART II steht dieses Projekt ausschließlich RückkehrerInnen aus Afghanistan zur Verfügung. RESTART III, ist wie das Vorgängerprojekt auf drei Jahre, nämlich bis 31.12.2022 ausgerichtet und verfügt über eine Kapazität von 400 Personen. Für alle diese 400 Personen ist neben Beratung und Information – in Österreich sowie in Afghanistan – sowohl die Bargeldunterstützung in der Höhe von 500 Euro wie auch die Unterstützung durch Sachleistungen in der Höhe von 2.800 Euro geplant (IOM AUT 23.1.2020).

Diese Ausführungen sind auch für die Rückkehr in die Herkunftsprovinz (hier Kabul) anzuwenden, nicht nur in den Fällen, in denen aufgrund der Sicherheitslage

Im konkreten Fall von Kabul als einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative, sieht UNHCR folgende Leitlinien vor (siehe Abschnitt III.C.4). Zur Beurteilung der Relevanz von Kabul als möglicher interner Schutzalternative und insbesondere des Risikos, dass der Betroffene einer tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens – einschließlich einer schwerwiegenden Gefahr für Leben, Sicherheit, Freiheit oder Gesundheit, oder schwerer Diskriminierung – ausgesetzt wäre, müssen die Entscheidungsträger die negativen Trends in Bezug auf die Sicherheitslage für Zivilisten in Kabul gebührend berücksichtigen. Von besonderer Bedeutung ist hier der Jahresbericht der UNAMA vom Februar 2018 über den Schutz von Zivilpersonen, in dem es heißt, dass die Mission 2017 „wieder Höchstwerte im Hinblick auf die Zahl ziviler Opfer in der Provinz Kabul dokumentierte, die vor allem auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren. Von den in der Provinz Kabul registrierten 1 831 zivilen Opfern (479 Tote und 1 352 Verletzte) resultierten 88 Prozent aus Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) in der Stadt Kabul”. UNAMA berichtete, dass die Zahl der 2017 durch Selbstmordanschläge und komplexe Angriffe in der Stadt Kabul ums Leben gekommenen oder verletzten Zivilisten 70 Prozent aller 2017 dokumentierten zivilen Opfer solcher Angriffe in Afghanistan ausmachte.

UNHCR stellt fest, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen.

Zur Beurteilung der Zumutbarkeit von Kabul als vorgeschlagener interner Schutzalternative muss festgestellt werden, dass die Person Zugang zu Folgendem hat:

(i)      einer Unterkunft;

(ii)    grundlegender Versorgung, wie Trinkwasser, sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung;

(iii)   Lebensgrundlagen oder erwiesener und nachhaltiger Unterstützung, um einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen.

Maßgebliche Informationen, die die Entscheidungsträger diesbezüglich zu berücksichtigen haben, sind unter anderem die schwerwiegenden Bedenken, die Akteure der humanitären Hilfe und Entwicklungsarbeit hinsichtlich der begrenzten Aufnahmekapazität Kabuls zum Ausdruck gebracht haben. Seit dem Fall des einstigen Taliban-Regimes 2001 hat die Region Kabul City den größten Bevölkerungszuwachs in Afghanistan erlebt. Offiziellen Bevölkerungsschätzungen zufolge hatte die Region Kabul City Anfang 2016 5 Millionen Einwohner, 60 Prozent davon in der Stadt Kabul. Dazu kamen 2016, wie in Abschnitt II.F beschrieben, über eine Million aus Iran und Pakistan zurückkehrender Afghanen, gefolgt von weiteren 620 000 Heimkehrern im Jahr 2017. Der Protection Cluster in Afghanistan stellte schon im April 2017, nach den Rückkehrerströmen von 2016, aber noch vor den meisten Rückkehrern des Jahres 2017, Folgendes fest: „Der enorme Anstieg der Zahl der Heimkehrer [aus Pakistan und Iran] führte zu einer extremen Belastung der bereits an ihre Grenzen gelangten Aufnahmekapazität der wichtigsten Provinz- und Distriktzentren Afghanistans, nachdem sich viele Afghanen den Legionen von Binnenvertriebenen anschlossen, da sie aufgrund des sich zuspitzenden Konflikts nicht in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren konnten. [...] Mit begrenzten Lebensgrundlagen, ohne soziale Schutznetze und angewiesen auf schlechte Unterkünfte sind die Vertriebenen nicht nur mit einem erhöhten Risiko der Schutzlosigkeit in ihrem alltäglichen Leben konfrontiert, sondern werden auch in erneute Vertreibung und negative Bewältigungsstrategien gezwungen, wie etwa Kinderarbeit, frühe Verheiratung, weniger und schlechtere Nahrung usw.”

Laut der Erhebung über die Lebensbedingungen in Afghanistan 2016-2017 leben 72,4 Prozent der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder unter unzulänglichen Wohnverhältnissen. Das International Growth Centre vermerkte im Januar 2018: „Kabul hat in den letzten drei Jahrzehnten eine rasante Urbanisierung erfahren. Das Bevölkerungswachstum in der Stadt übersteigt die Fähigkeit der Stadt, die nötige Infrastruktur sowie die erforderlichen Versorgungsdienste und Arbeitsplätze für die Bewohner bereitzustellen, wodurch ausgedehnte informelle Siedlungen entstehen, in denen geschätzte 70 Prozent der Stadtbewohner leben.”

Vor dem Hintergrund der allgemeinen Sorge angesichts der zunehmenden Armut in Afghanistan – der Anteil der Bevölkerung, der unter der nationalen Armutsgrenze lebt, ist Berichten zufolge von 34 Prozent in 2007/2008 auf 55 Prozent im Berichtszeitraum 2016/2017 angestiegen – stellte die Asia Foundation in ihrer Erhebung über die afghanische Bevölkerung aus dem Jahr 2017 fest, dass eine Verschlechterung der Finanzlage in der Region Zentralafghanistan/Kabul mit 43,9 Prozent am stärksten wahrnehmbar war. Im Januar 2017 wurde berichtet, dass 55 Prozent der Haushalte in den informellen Siedlungen Kabuls mit ungesicherter Nahrungsmittelversorgung konfrontiert waren.

2. Beweiswürdigung:

Die oben angeführten Feststellungen ergeben sich aus den glaubwürdigen und gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, insbesondere aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung sowie aus den im Akt befindlichen Bestätigungen und sonstigen Dokumenten.

Zu I. Das Vorbringen, dass ihn Männer dazu zwingen wollten, eine Tasche in eine Bank zu schmuggeln und das Sicherheitssystem auszuschalten, ist grundsätzlich glaubhaft. Auch brachte der Beschwerdeführer durchaus glaubwürdig vor, dass ihn die Männer aufgrund seiner Weigerung mit dem Tod bedroht haben. Hinsichtlich der Asylrelevanz dieser Bedrohung wird auf die untenstehenden Ausführungen unter 3.1. verwiesen.

Zu II. Die Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers nach Kabul (bzw Mazar-e Sharif oder Herat) wurden unter Berücksichtigung der Länderinformationen, der UNHCR-Richtlinien, der EASO-Country Guidance, der Schulbildung und Berufserfahrung, der Ortskenntnisse des Beschwerdeführers in Kabul, der familiären Kontakte in Kabul (Onkel), des Kontaktes zu seiner Familie und des Gesundheitszustands des Beschwerdeführers getroffen.

Zu III: Die Abwägung der zu berücksichtigenden Interessen (Lebensumstände des BF, Privat- bzw. Familienleben, öffentliche Interessen) wurde in Beachtung der Vielzahl an vorgelegten Belegen, der Aussagen des BF und des von ihm in den Beschwerdeverhandlungen erweckten persönlichen Eindrucks, den vorgelegten Empfehlungsschreiben, Zeugnissen und Bestätigungen und eines Auszuges aus dem Strafregister vorgenommen.

Zu Afghanistan:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Den EASO Richtlinien misst das Unionsrecht besondere Bedeutung bei, vgl. dem Erk des VfGH vom 08.07.2020, E 517/2020, Rz.12, ebenso den UNHCR–Richtlinien.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu A) I. – Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.1.1. Gesetzliche Grundlagen und Judikatur

Gemäß § 3 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 78/1974 (in der Folge GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 28.5.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/011; 28.5.2009, 2008/19/1031). Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungs-handlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454; 9.4.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.2.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet.

Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.6.1994, 94/19/0183; 18.2.1999, 98/20/0468).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 1.6.1994, 94/18/0263; 1.2.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Macht-ausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256).

Eine asylrelevante Verfolgung liegt dann nicht vor, wenn kein Konnex zwischen dem Fehlen staatlichen Schutzes und einem Konventionsgrund besteht (vgl. E 2020/14/0306 vom 05.08.2020; vgl. zur Asylrelevanz von Verfolgungen, die von Privatpersonen ausgehen, etwa VwGH 12.6.2018, Ra 2018/20/0177; 20.5.2015, Ra 2015/20/0030).

3.1.2. Auf den Beschwerdefall bezogen:

Die vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfälle sind glaubhaft, spielen sich aber ausschließlich im Bereich der Kriminalität ab und haben daher keinen Bezug zu einem asylrelevanten Grund. Es ist kein Konnex zu einer Schutzverweigerung aufgrund ethischer oder politischer Gründe festzustellen. Da somit keine asylrelevante wohlbegründete Furcht vor Verfolgung vorliegt, war der Beschwerde zu Spruchpunkt I. keine Folge zu geben.

Es kann bezüglich Afghanistan nicht von einem gänzlichen Versagen des Staates gesprochen werden.

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist.

3.2. Zu A) II. – Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

3.2.1. Gesetzliche Grundlagen und Judikatur

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11 AsylG) offensteht.

Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.2.2004, Zahl 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen (zB. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294; 25.1.2001, 2000/20/0438; 30.5.2001, 97/21/0560). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des „real risk“, wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.3.2005, 2002/20/0582; 31.5.2005, 2005/20/0095; 29.4.2019, Ra 2019/20/0175; 31.1.2019, Ra 2018/14/0404; 12.6.2018, Ra 2018/20/0284, jeweils mwN)).

Für die zur Prüfung der Notwendigkeit subsidiären Schutzes erforderliche Gefahrenprognose ist nach der Judikatur des VfGH bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr abzustellen (VfGH 12.3.2013, U 370/2012).

Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036, mwN; 8.9.2016, Ra 2016/20/006; 25.4.2017, Ra 2017/01/0016; VwGH 19.6.2017, Ra 2017/19/0095, mit zahlreichen Hinweisen auf die Vorjudikatur sowie die Judikatur des EGMR).

3.2.1. Auf den Beschwerdefall bezogen

3.2.1.1. Rückkehr nach Kabul

Die Sicherheitslage in Kabul ist nach den obigen Länderfeststellungen nicht als derart angespannt anzusehen, dass eine Rückkehr dorthin aus diesem Grund nicht möglich wäre, vgl. dazu insbesondere EASO, Country Guidance Afghanistan, Zusammenfassung, S.102 Printversion

Zur Frage, ob der Bf in eine ausweglose Lage geraten würde und ihm die Rückkehr in seine Herkunftsprovinz zumutbar ist:

Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird (vgl. oben, Auszug aus LIB

Auch nach den UNHCR-Richtlinien ist für Personen, die in Kabul ein Netzwerk haben, die Rückkehrmöglichkeit nicht ausgeschlossen (vgl. Seite 127 UNHCR-Richtlinie Schutzbedarf Afghanistan).

Der BF ist ein gesunder, volljähriger, junger Mann im erwerbsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilitäten, bei dem die grundsätzliche Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann.

Der Beschwerdeführer ist in Kabul geboren und verbrachte seine ersten Lebensjahre dort. Im Jahr 2010 kehrte er mit seiner Familie wieder nach Kabul zurück und verbrachte wieder einige Jahre dort. Es ist also davon auszugehen, dass er mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut ist und über ausreichende Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten verfügt. Der Beschwerdeführer spricht zudem muttersprachlich eine Landessprache.

In Kabul verfügt der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte, da ein Onkel vs dort wohnt.

Da sein Onkel in Kabul in einem Haus wohnt, das die Familie des Bf vom Großvater geerbt hat, ist zu erwarten, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr dort (zumindest vorübergehend) Unterkunft beziehen könnte und auch finanzielle Unterstützung durch seinen Onkel erhalten könnte.

Da er somit durch seinen mehrjährigen Aufenthalt Einblicke in die dortigen örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten erhalten hat, ist Kabul auch nicht gänzlich fremd für den BF.

Der Beschwerdeführer hat in Kabul die Möglichkeit, seine Grundbedürfnisse einschließlich Wohnen und Essen aufgrund dieser Umstände zu decken, ohne dass er in eine aussichtlose Lage geraten wird

3.2.1.2. Corona-Pandemie

Von der Corona-Pandemie ist der Beschwerdeführer zwar betroffen und es haben sich auch in Kabul die Verhältnisse verschlechtert, aber durch die Kontakte zu Familienangehörigen sind die Kriterien, die in anderen Fällen zur Zuerkennung geführt haben (enge Wohnverhältnisse in den inoffiziellen Siedlungen, Misstrauen gegen vom Ausland heimkehrenden Personen, Verweigerung von Quartier, keine bzw. schlechte Möglichkeiten, einen Tagelöhnerjob zu bekommen) fallbezogen nicht gegeben.

Der Beschwerdeführer gehört aufgrund seines Alters und aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht zur COVID-19 Risikogruppe.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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