TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/9 W172 2214023-1

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Veröffentlicht am 09.09.2020
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Entscheidungsdatum

09.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W172 2214023-1/27E

Schriftliche Ausfertigung des am 09.01.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Martin MORITZ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX 1990, StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie-Flüchtlingsdienst gem. GmbH-ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48, 3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.12.2018, Zl. 1118490400-160816285, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.12.2019 und am 09.01.2020 zu Recht erkannt:

A.)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am XXXX .2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbefragung fand am XXXX .2016 statt, die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: belangte Behörde) fand am 31.10.2018 statt.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und es wurde gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (im Folgenden auch: „BFA-VG“) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (im Folgenden auch: „FPG“) erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VII.) und gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VIII.). Die belangte Behörde sprach aus, dass der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 07.12.2018 verloren habe (Spruchpunkt IX.).

3. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde. Zudem ersuchte der Beschwerdeführer die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

4. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 19.12.2019 und am 09.01.2020 eine mündliche Verhandlung durch, an denen der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an den Verhandlungen.

Am Schluss dieser Verhandlung wurde die gegenständliche Entscheidung mündlich verkündet.

Als Zeuge wurde in der Verhandlung vom 19.12.2019 XXXX einvernommen.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX .1990. Er ist afghanischer Staatsangehöriger. Dessen Volksgruppenzugehörigkeit ist unbekannt. Er ist schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Farsi. Er ist ledig und kinderlos. Der Beschwerdeführer wurde in der Stadt Mashhad in Iran geboren. Der Beschwerdeführer lebte nie in Afghanistan. Seine Familie stammt aus Herat in Afghanistan. In Afghanistan leben keine Familienangehörigen, in Iran leben seine Eltern und eine Schwester, zwei Tanten und ein Onkel, in Österreich lebt eine weitere Schwester. Der Beschwerdeführer besuchte fünf Jahre lang die Schule in Iran. Der Beschwerdeführer erlernte keinen Beruf. Der Beschwerdeführer arbeitete zwei Jahre als Schweißer in Iran. Seit dem XXXX 2016 hält sich der Beschwerdeführer in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer leidet an rez. depressiven Episoden. Ansonsten ist der Beschwerdeführer gesund.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX .2018 wegen Vergehen im Zusammenhang mit dem unerlaubten Umgang mit Suchtgiften (§§ 27 Abs. 1 Z 1 7.und 8. Fall, 27 Abs. 4 Z 1 SMG sowie §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. und 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG) und mit Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX 2018 wegen Vergehen im Zusammenhang mit dem unerlaubten Umgang mit Suchtgiften (§§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs. 4 Z 1 SMG und §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG) zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt fünf Monaten, die unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt.

1.2.    Zu den Flucht- und Verfolgungsgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer wurde in Iran in einem vergleichsweise säkularen Umfeld sozialisiert. Der Beschwerdeführer hält sich nicht an islamische Vorschriften und hat eine säkular-liberale Weltanschauung. Der Beschwerdeführer führt in Österreich eine westlich-geprägte Lebensweise. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan läuft der Beschwerdeführer Gefahr, dass ihm dort, aufgrund seiner westlich-geprägten Lebensweise sowie seiner säkular-liberalen bzw. nicht-konfessionellen Einstellung, Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität droht.

1.3.    Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019;

UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018;

Gutachten von Dr. Sarajuddin RASULY im Auftrag des BVwG.

„Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan

„Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (USDOS 21.6.2019).

Anmerkung: Zu Konversion, Apostasie und Blasphemie siehe Unterabschnitt Fehler! Textmarke nicht definiert..

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 21.6.2019).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 21.6.2019). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 21.6.2019).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 21.6.2019).

Quellen:

•        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juli_2019%29%2C_02.09.2019.pdf, Zugriff 11.9.2019

•        BBC (11.4.2019): Afghanistan’s one and only Jew, https://www.bbc.com/news/av/world-asia-47885738/afghanistan-s-one-and-only-jew, Zugriff 2.9.2019

•        CIA – Central Intelligence Agency (30.4.2019): The World Factbook – Afghanistan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html, Zugriff 2.5.2019

•        FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004321.html, Zugriff 3.5.2019

•        ICRC – International Committee of the Red Cross (o.D.): National Implementation of IHL, https://ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/ihl-nat.nsf/implementingLaws.xsp?documentId=598034855221CE85C12582480054D831&action=openDocument&xp_countrySelected=AF&xp_topicSelected=GVAL-992BU6&from=state&SessionID=DNMSXFGMJQ, Zugriff 2.9.2019

•        UP – Urdu Point (16.8.2019): Afghanistan's Only Jew Has No Plans To Emigrate, Says Lives 'Like A Lion Here', https://www.urdupoint.com/en/world/afghanistans-only-jew-has-no-plans-to-emigra-691600.html, Zugriff 2.9.2019

•        USDOS – U.S. Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2019/05/AFGHANISTAN-2018-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 24.6.2019

•        USDOS – U.S. Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/1436774.html, Zugriff 2.9.2019

•        USE – U.S. Embassy in Afghanistan (o.D.): Marriage, https://af.usembassy.gov/u-s-citizen-services/local-resources-of-u-s-citizens/marriage/, Zugriff 3.5.2019

Apostasie, Blasphemie, Konversion

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (AA 2.9.2019).

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 21.6.2019) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).

Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie (AA 2.9.2019); auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen – weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017; vgl. USDOS 21.6.2019) und Auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 21.6.2019).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).

Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld (AA 2.9.2019). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 1.6.2017).

Quellen:

•        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juli_2019%29%2C_02.09.2019.pdf, Zugriff 11.9.2019

•        FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004321.html, Zugriff 3.5.2019

•        LIFOS - Center för landinformation och landanalys inom migrationsområdet (21.12.2017): Temarapport: Afghanistan –Kristna, apostater och ateister, https://www.ecoi.net/en/file/local/1420820/1226_1515061800_171221551.pdf, Zugriff 6.5.2019

•        MoJ - Ministry of Justice (15.5.2017): Strafgesetz, http://moj.gov.af/content/files/OfficialGazette/01201/OG_01260.pdf, Zugriff 3.5.2019

•        RA KBL – Lokaler Rechtsanwalt in Kabul (1.6.2017): Auskunft per E-Mail.

•        USDOS – US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/1436774.html, Zugriff 3.5.2019.

Rechtsschutz / Justizwesen

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind (Casolino 2011). In islamischen Rechtsfragen lässt sich der Präsident von hochrangigen Rechtsgelehrten des Ulema-Rates (Afghan Ulama Council – AUC) beraten (USDOS 29.5.2018). Dieser Ulema-Rat ist eine von der Regierung unabhängige Körperschaft, die aus rund 2.500 sunnitischen und schiitischen Rechtsgelehrten besteht (REU 24.11.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.: Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (APE 3.2017). Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen – einschließlich Menschenrechtsverträge – vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (APE 3.2017; vgl. UNAMA 22.2.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle, als auch das islamische Recht anzuwenden (APE 3.2017).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tief greifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht (USIP 3.2015).

Gemäß dem allgemeinen Scharia-Vorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, sodass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem, islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits, zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen und stehen Fortschritten im Menschenrechtsbereich entgegen.(AA 2.9.2019). Wenn keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht durch. Es gibt einen Mangel an qualifiziertem Justizpersonal und manche lokale und Provinzbehörden, darunter auch Richter, haben nur geringe Ausbildung und fundieren ihre Urteile auf ihrer persönlichen Interpretation der Scharia, ohne das staatliche Recht, Stammesrecht oder örtliche Gepflogenheiten zu respektieren. Diese Praktiken führen oft zu Entscheidungen, die Frauen diskriminieren (USDOS 13.3.2019).

Trotz erheblicher Fortschritte in der formellen Justiz Afghanistans, bemüht sich das Land auch weiterhin für die Bereitstellung zugänglicher und gesamtheitlicher Leistungen; weit verbreitete Korruption sowie Versäumnisse vor allem in den ländlichen Gebieten gehören zu den größten Herausforderungen (CR 11.2018). Auch ist das Justizsystem weitgehend ineffektiv und wird durch Drohungen, Befangenheit, politischer Einflussnahme und weit verbreiteter Korruption beeinflusst (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019, FH 4.2.2019). Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten durchgesetzt (USDOS 13.3.2019). Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent (AA 2.9.2019) und innerhalb des Landes uneinheitlich angewandt (USDOS 13.3.2019).

Dem Gesetz nach gilt für alle Bürgerinnen und Bürger die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Beschuldigte werden von der Staatsanwaltschaft selten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informiert. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt. Dem Justizsystem fehlen die Kapazitäten, um die große Zahl an neuen oder veränderten Gesetzen zu absorbieren. Der Zugang zu Gesetzestexten wurde verbessert, jedoch werden durch die schlechte Zugänglichkeit immer noch einige Richter und Staatsanwälte in ihrer Arbeit behindert (USDOS 13.3.2019).

Richterinnen und Richter:

Das Justizsystem leidet unter mangelhafter Finanzierung und insbesondere in unsicheren Gebieten einem Mangel an Richtern (USDOS 13.3.2019). Die Unsicherheit im ländlichen Raum behindert eine Justizreform, jedoch ist die Unfähigkeit des Staates, eine effektive und transparente Gerichtsbarkeit herzustellen, ein wichtiger Grund für die Unsicherheit im Land (CR 11.8.2018).

Die Rechtsprechung durch unzureichend ausgebildete Richter (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019) basiert in vielen Regionen auf einer Mischung aus verschiedenen Gesetzen (FH 4.2.2019). Ein Mangel an Richterinnen – insbesondere außerhalb von Kabul – schränkt den Zugang von Frauen zum Justizsystem ein, da kulturelle Normen es Frauen verbieten, mit männlichen Beamten zu tun zu haben (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019). Nichtsdestotrotz, gibt es in Afghanistan zwischen 250 und 300 Richterinnen (FMF 18.4.2019; vgl. UNWOMEN 7.11.2018). Der Großteil von ihnen arbeitet in Kabul; aber auch in anderen Provinzen wie in Herat, Balkh, Takhar und Baghlan (FMF 18.4.2019).

Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 13.3.2019). Richter und Anwälte erhalten oft Drohungen oder Bestechungen von örtlichen Machthabern oder bewaffneten Gruppen (FH 4.2.2019). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern, jedoch kommt es immer wieder zu Übergriffen auf und Bedrohung von Strafverteidigern durch die Staatsanwaltschaft oder andere Dienststellen der Exekutive (USDOS 13.3.2019). Anklage und Verhandlungen basieren vorwiegend auf unverifizierten Zeugenaussagen, einem Mangel an zuverlässigen forensischen Beweisen und willkürlichen Entscheidungen, die oft nicht veröffentlicht werden (FH 4.2.2019).

Einflussnahme durch Verfahrensbeteiligte oder Unbeteiligte sowie Zahlung von Bestechungsgeldern verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems (AA 2.9.2019). Es gibt eine tief verwurzelte Kultur der Straflosigkeit in der politischen und militärischen Elite des Landes (FH 4.2.2019; vgl. AA 2.9.2019). Im Juni 2016 wurde auf Grundlage eines Präsidialdekrets das „Anti-Corruption Justice Center“ (ACJC) eingerichtet, um gegen korrupte Minister, Richter und Gouverneure vorzugehen (AJO 10.10.2017). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (ATL 9.3.2017; vgl. TN 22.4.2019). Das ACJC, zu dessen Aufgaben auch die Verantwortung für große Korruptionsfälle gehört, verhängte Strafen gegen mindestens 67 hochrangige Beamte, davon 16 Generäle der Armee oder Polizei sowie sieben Stellvertreter unterschiedlicher Organisationen, aufgrund der Beteiligung an korrupten Praktiken (TN 22.4.2019). Alleine von 1.12.2018-1.3.2019 wurden mehr als 30 hochrangige Personen der Korruption beschuldigt und bei einer Verurteilungsrate von 94% strafverfolgt. Unter diesen Verurteilten befanden sich vier Oberste, ein stellvertretender Finanzminister, ein Bürgermeister, mehrere Polizeichefs und ein Mitglied des Provinzialrates (USDOD 6.2019).

Quellen:

•        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juli_2019%29%2C_02.09.2019.pdf, Zugriff 11.9.2019

•        AJO – Afghanistan Justice Organization (10.10.2017): Anti-Corruption Justice Center (ACJC) Coordination Meeting with Civil Society Organizations, https://www.afghanjustice.org/article/articledetail/anticorruption-justice-center-acjc-coordination-meeting-with-civil-society-organizations, Zugriff 21.5.2019

•        APE – Archivio Penale (3.2017): Dalla Comunità internazionale, F. Romoli, Il nuovo codice penale afghano tra speranze della comunità internazionale e resistenze interne, http://www.archiviopenale.it/File/Download?codice=ee07681d-820f-4ab2-a953-d41228bf7fd8, Zugriff 21.5.2019

•        ATL – Atlantic, the (9.3.2017): The Impossible Job of Afghanistan's Attorney General, https://www.theatlantic.com/international/archive/2017/03/afghanistan-justice-attorney-general/517014/, Zugriff 21.5.2019

•        Casolino, Ugo Timoteo (2011): "Post-war constitutions" in Afghanistan ed Iraq, Ricerca elaborata e discussa nell’ambito del Dottorato di ricerca in Sistema Giuridico Romanistico, Università degli studi di Tor Vergata, Facoltà di Giurisprudenza – Roma, http://eprints.bice.rm.cnr.it/3858/1/TESI-TIM_Definitiva.x.SOLAR._2011.pdf, Zugriff 21.5.2019

•        CR – Conciliation Ressources (11.8.2018): Institutionalising inclusive and sustainable justice in Afghanistan: Hybrid possibilities, https://www.c-r.org/accord/afghanistan/institutionalising-inclusive-and-sustainable-justice-afghanistan-hybrid, Zugriff 22.5.2019

•        FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004321.html, Zugriff 21.5.2019

•        FMF – Feminist Majourity Foundation (18.4.2019): Afghanistan Now Has 260 Female Judges, https://feminist.org/blog/index.php/2017/04/18/afghanistan-now-has-260-female-judges/, Zugriff 26.8.2019

•        TN – Tolonews (22.4.2019): Attorney General Defends Performance But Critics Remain Skeptical, https://www.tolonews.com/afghanistan/attorney-general-defends-performance-critics-remain-skeptical, Zugriff 26.8.2019

•        UNAMA – United Nations Assistance Mission in Afghanistan (22.2.2018): UNAMA welcomes Afghanistan’s new penal code - calls for robust framework to protect women against violence, https://unama.unmissions.org/unama-welcomes-afghanistan%E2%80%99s-new-penal-code-calls-robust-framework-protect-women-against-violence, Zugriff 21.5.2019

•        UN WOMEN (7.11.2019): In the words of Justice Anisa Rasooli: “Not all women in Afghanistan are women in blue burqas begging…we can be the best engineers, doctors, judges, teachers”, https://www.unwomen.org/en/news/stories/2018/11/in-the-words-of-justice-anisa-rasooli, Zugriff 26.8.2019

•        USDOD – United States Department of Defense (6.2019): Enhancing Security and Stability in Afghanistan, https://media.defense.gov/2019/Jul/12/2002156816/-1/-1/1/ENHANCING-SECURITY-AND-STABILITY-IN-AFGHANISTAN.PDF, Zugriff 23.7.2019

•        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004129.html, Zugriff 21.5.2019

•        USDOS – US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436774.html, Zugriff 21.5.2019

•        USIP – United States Institute of Peace (3.2015): Islamic Law, Customary Law, and Afghan Informal Justice, https://www.usip.org/sites/default/files/SR363-Islamic-Law-CustomaryLaw-and-Afghan-Informal-Justice.pdf, Zugriff 21.5.2019

Todesstrafe

Die Todesstrafe ist in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen (AA 2.9.2019). Das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, hat die Anzahl der mit Todesstrafe bedrohten Verbrechen von 54 auf 14 Delikte reduziert (AI 10.4.2019). Vorgesehen ist die Todesstrafe für Delikte wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriff gegen den Staat, Mord und Zündung von Sprengladungen, Entführungen bzw. Straßenraub mit tödlicher Folge, Gruppenvergewaltigung von Frauen u.a. (MoJ 15.5.2017: Art. 170). Die Todesstrafe wird vom zuständigen Gericht ausgesprochen und vom Präsidenten genehmigt (MoJ 15.5.2017: Art. 169). Sie wird durch Erhängen ausgeführt (AI 10.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Unter dem Einfluss der Scharia hingegen droht die Todesstrafe auch bei anderen Delikten (z.B. Blasphemie, Apostasie, Ehebruch sog. „Zina“, Straßenraub). In der afghanischen Bevölkerung trifft diese Form der Bestrafung und Abschreckung auf eine tief verwurzelte Unterstützung. Dies liegt nicht zuletzt auch an einem als korrupt und unzuverlässig geltenden Gefängnissystem und der Tatsache, dass Verurteilte durch Zahlungen freikommen können (AA 2.9.2019).

Obwohl Präsident Ghani sich zwischenzeitlich positiv zu einem möglichen Moratorium zur Todesstrafe geäußert hat und Gesetzesvorhaben auf dem Weg sind, welche eine Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen, ist davon auszugehen, dass weiterhin Todesurteile vollstreckt werden (AA 2.9.2019). Im Jahr 2018 wurden in Afghanistan drei Menschen hingerichtet (AI 10.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Alle wurden am 28.1.2018 wegen Entführung und Mord an einem Kind exekutiert. Zahlen zu eventuellen weiteren Exekutionen liegen jedoch nicht vor (AI 10.4.2019). . Zu Jahresende 2018 befanden sich mindestens 343 Personen im Todestrakt (AI 10.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Im Jahr 2018 wurden in Afghanistan 44 Todesurteile umgewandelt und 50 zum Tode Verurteilte aufgrund der Vergebung durch die Opferfamilien begnadigt. Es gibt eine Initiative der Regierung, alle Todesurteile neu zu untersuchen (AI 10.4.2019).

Quellen:

•        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juli_2019%29%2C_02.09.2019.pdf, Zugriff 11.9.2019

•        AI – Amnesty International (10.4.2019): Death Sentences and Executions 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006174/ACT5098702019ENGLISH.PDF, Zugriff 13.5.2019

•        MoJ - Ministry of Justice (15.5.2017): Strafgesetz: http://moj.gov.af/content/files/OfficialGazette/01201/OG_01260.pdf, Zugriff 13.5.2018“

Gutachten von Dr. Sarajuddin RASULY im Auftrag des BVwG

„Flüchtlinge mit iranischer Sozialisation

Iran ist ein Nachbarstaat Afghanistans und die Iraner sprechen die gleiche Sprache, nämlich Farsi, mit Dialektunterschieden, Daher ist der langjährige Aufenthalt eines Afghanen im Iran nicht mit Nachteilen verbunden, wenn diese Person nach Afghanistan zurückkehrt (vgl. GA 02.04.2017 zu GZ W172 213443-1).

Afghanistan und Iran als Nachbarländer, die schon lange in reger Beziehung zueinander stehen. Die Sprache Farsi ist in Afghanistan eine Art Lingua Franca und wird von der Mehrheit der Bevölkerung, vor allem von Hazaras, gesprochen. Dabei haben die Hazaras einen eigenen Dialekt der Farsi-Sprache, nämlich Hazaragi-Farsi bzw. Hazaragi Dari. Dari ist eine in Afghanistan gesprochene Variante der Farsi-Sprache, d.h. in beiden Länder wird die Farsi-Sprache mit Dialekt unterschiedlich gesprochen, so wie z.B. Deutsch in Österreich, Deutsch in Südtirol, Deutsch in Luxemburg und Deutsch in Deutschland. Die meisten Lese- und Lehrbücher werden aus dem Iran besorgt, weil das Buchdruckwesen im Iran schon seit jeher sehr gut entwickelt ist (vgl. GA 21.06.2018 zu GZ W172 2162847-1).

Zusatz: (Junge) Flüchtlinge mit iranischer Sozialisation

Demgegenüber kann ein (jugendlicher) Afghane, der ausschließlich im Iran gelebt hat, dessen Großeltern schon im Iran gelebt haben und/oder dessen Eltern im Iran geheiratet und im Iran sozialisiert worden sind, auf keinen Fall in die Heimatregion seiner Familie zurückkehren. Aber auch in anderen Städten, wie Kabul, wird ein solcher (jugendlicher) Entwurzelter es sehr schwer haben. Er wird kaum im Falle einer Rückkehr, besonders in einem jugendlichen Alter, ohne Verwandtschaftsverhältnisse bzw. Familienrückhalt in Afghanistan mit dem Leben zurechtkommen. Vor allem ein Jugendlicher benötigt, wenn er keinen Familienrückhalt hat, effektive Betreuung durch eine Jugendorganisation, die ihn ausbildet und ihm eine Zukunftsperspektive ermöglicht (vgl. GA 02.10.2018 zu GZ W172 2162920-1/14, 05.10.2018 zu GZ W172 2177367-1/17).“

Resümee

Aus dem oben angeführten Länderberichtsmaterial, insbesondere auch zur Situation von Rückkehrern aus Iran in den afghanischen Großstädten wie Kabul, Herat oder Mazar-i Sharif, geht im Wesentlichen zusammengefasst Folgendes hervor:

Vor dem Hintergrund eines in den vergangenen fünf Jahren aus verschiedenen Gründen erfolgten massiven Einbruchs der afghanischen Wirtschaft stellt sich auch in der Stadt Kabul - neben einer prekären Sicherheitslage - die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wohnraum insbesondere für alleinstehende Rückkehrer ohne familiären oder sonstigen sozialen Rückhalt und ohne finanzielle Unterstützung nur unzureichend dar, weshalb diese mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert und bei fehlender Bildung bzw. Fachausbildung in ernste Versorgungsschwierigkeiten und eine akute Gefährdung ihres Überlebens geraten werden. Der Zugang zu Arbeit, Wohnraum und sonstigen überlebenswichtigen Ressourcen erfolgt in Afghanistan in der Regel über bestehende Kontakte und Netzwerke.

Näher ausgeführt bedeutet dies, dass die für die Grundversorgung benötigten Waren auch für die breite Schicht der Bevölkerung in der Stadt Kabul so teuer geworden sind, dass Hilfsarbeiter in der Regel am Rande der Stadt in Slums unter schwierigen und menschenunwürdigen (hierbei u.a.: hygienischen) Bedingungen ohne Wasch-, Koch- oder Heizgelegenheit unter ständiger Gefahr des Verlusts ihrer Behausung leben. Die Situation ist von einer hohen Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Der weitgehende Abzug internationaler Truppen, der Einbruch von Investitionen und die Verringerung der Entwicklungshilfe führten dabei in jüngster Vergangenheit zu Problemen v.a. innerhalb des Baugewerbes und des Dienstleistungssektors.

Schätzungen zufolge leben ca. drei Millionen Afghanen in Pakistan und ca. 2,5 Millionen Afghanen in Iran, worunter sich auch viele im Exil geborene Afghanen befinden. Die Stadt Kabul als Hauptzielort von Rückkehrbewegungen ist massiv vom starken Anstieg der Zahl der (auch unfreiwilligen) Rückkehrer aus Pakistan, der im Jahresvergleich gleichbleibend großen Zahl an (auch unfreiwilligen) Rückkehrern aus Iran und von den vom Konflikt (sowie auch von Naturkatastrophen) betroffenen Binnenvertriebenen (v.a. aus der Zentralregion) betroffen, weshalb sich die Wohnraumsituation sowie die Lage im Dienstleistungsbereich als extrem schwierig darstellen.

Besonders problematisch stellt sich die Situation von für einen längeren Zeitraum in Iran bzw. in Pakistan aufhältig gewesenen afghanischen Staatsangehörigen dar, denen oftmals vorgeworfen wird, ihr Land im Stich gelassen zu haben, dem Krieg entflohen zu sein und im Ausland ein wohlhabendes Leben geführt zu haben, weshalb sie von ihren Landsleuten, die ihr „Territorium" in den Bereichen Bildung, Arbeit, Eigentum und sozialer Status bedroht sehen, als unerwünschte „Eindringlinge" angesehen werden. Viele Afghanen geraten bei einer Rückkehr nach Afghanistan beim Wiederaufbau einer Lebensgrundlage in gravierende Schwierigkeiten, insbesondere im Hinblick auf Zugang zu Nahrungsmitteln sowie Wasser und Wohnraum. Nach längerer Abwesenheit aus Afghanistan sind „Rückkehrer" weitgehend von Verwandtschafts-, Geschäfts- und Patronage-Beziehungen - falls solche zuvor überhaupt vorhanden waren - ausgeschlossen, weshalb es für sie besonders schwierig ist, ohne etwaige Verwandte, Freunde oder zumindest Bekannte Zugang zu Arbeitsstätten sowie zu nützlichen Ressourcen zu bekommen.

Angesichts der aus den o.a. Länderberichten ersichtlichen aktuellen politischen Lage in Afghanistan ist zudem eine längerfristige und ausreichende Unterstützung von staatlicher Seite sehr unwahrscheinlich; aus den o.a. Länderberichten zum Herkunftsstaat geht auch nicht hervor, dass Rückkehrern automatisch z.B. eine dauerhafte Wohngelegenheit zur Verfügung gestellt werden würde.

Bei der vorliegenden Beurteilung sind auch Richtlinien bzw. Berichte des UNHCR von Bedeutung, denen nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Indizwirkung zukommt (s. u.a. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103; vgl. auch VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118). Laut den o.a. Richtlinien des UNHCR vom 19.04.2016 müssen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtslage von intern vertriebenen afghanischen Staatsangehörigen bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative berücksichtigt werden, wobei angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft auf Grund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung hierfür jeweils eine Einzelfallprüfung notwendig ist. Weiters hält UNHCR in seinen Richtlinien fest, dass eine interne Schutzalternative in den vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten nicht gegeben ist. Generell ist nach UNHCR eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar, wenn die betroffene Person im Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe hat und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Betroffenen auch tatsächlich zu unterstützen. Auch in seinen Anmerkungen von Dezember 2016 bleibt UNHCR bei seiner Empfehlung, dass es ein starkes soziales Netzwerk im vorgeschlagenen Gebiet der Neuansiedlung geben muss, wenn die Zumutbarkeit einer Neuansiedlung bewertet werden soll. Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar; diese Personen können „unter bestimmten Umständen" ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen Auch nach den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender in der aktuellsten Fassung vom 30.08.2018 steht eine interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative in Kabul allgemein nicht zur Verfügung. Unter bestimmten Umständen könnten aber alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne familiäre und soziale Unterstützung in urbaner und semi-urbaner Umgebung leben, soweit diese Umgebung über die notwendige Infrastruktur und Lebensgrundlagen verfüge, um die Grundbedürfnisse des Lebens zu decken und soweit diese einer wirksamen staatlichen Kontrolle unterliegen würden.

2.       Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einvernahme von XXXX als Zeugen.

Folgende Beweismittel brachte der Beschwerdeführer in das Verfahren ein, nämlich zu:

- gesundheitlichen Beschwerden (diverse Befunde bzw. Arztbriefe);

- Deutschsprachkursen (Zeugnis der Integrationsprüfung);

- ordentlichen Beschäftigungen (Bewerbung für ein Volontariat als Schweißer);

- gemeinnützigen bzw. ehrenamtlichen Tätigkeiten (Bestätigung der Marktgemeinde XXXX );

- Teilnahme an gesellschaftlichen Aktivitäten (Bestätigung bezüglich der Mitgliedschaft im Verein XXXX , Bestätigung bezüglich der Teilnahme beim Kunst- und Integrationsprojekt XXXX , Bestätigung über die Mitarbeit im Verein XXXX , Bestätigung über die Mitarbeit im Kulturverein „ XXXX “);

- sonstigen Integrationsmaßnahmen und –bemühungen (diverse Unterstützungsschreiben).

2.1.    Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seine familiäre Situation in Afghanistan und in Iran, seiner Schul- und fehlenden Berufsausbildung und seiner Berufserfahrung gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund von ihm vorgelegten Dokumenten (siehe oben).

2.2.    Zu den Feststellungen zum Vorbringen zu den Flucht- und Verfolgungsgründen des Beschwerdeführers:

Den Angaben des Beschwerdeführers zu den Flucht- bzw. Verfolgungsgründen konnte im Ergebnis gefolgt werden, da diese zu den wesentlichen Umständen, so zu Ablauf der Ereignisse, Namen von Beteiligten und Ortsbezeichnungen, zu seiner Person und Einstellung, auch damals schon im Iran, konkret, detailliert und stimmig waren, über das gesamte Verfahren im Wesentlichen gleich blieben bzw. etwaige Unstimmigkeiten nachvollziehbar aufklären konnte, nämlich, dass er vor allem wegen einer iranischen strafgerichtlichen Verurteilung unter Hinweis auch auf im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten diesbezüglichen Dokumenten sowie mit den allgemeinen Verhältnissen im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sowie im Iran laut den dem erkennenden Gericht vorliegenden Informationen übereinstimmten. Der Beschwerdeführer kam auch seiner Mitwirkungsverpflichtung im Ermittlungsverfahren nach, indem er umgehend antwortete und flüssig sprach. Für seine Glaubwürdigkeit sprach im Besonderen, dass sich eine Kontinuität einer hedonistischen und säkularen Einstellung beim Beschwerdeführer zeigte, da dessen ablehnende Haltung bei religiösen Konventionen durch Alkohol- und Drogenkonsum und seine Gleichgültigkeit gegenüber diesen schon bei seinem Aufenthalt im Iran aufgetreten waren und die sich in auch in seiner Lebensweise in Österreich fortsetzten. Auch war er schon durch seine iranische und urban geprägte Sozialisation offener gegenüber sog. westlich-liberalen Werthaltungen und Lebensstilen eingestellt, die auch eine diesbezügliche Eingliederung in die österreichische Gesellschaft in kultureller und sozialer Hinsicht erleichterte und beschleunigte. Daran kann auch der Aspekt seiner strafgerichtlichen Verurteilungen wegen Suchtmittelvergehen nichts ändern, da aus diesen für sich gesehen nur der Vorwurf eines fehlenden rechtskonformen Verhaltens abgeleitet werden kann. Er wirkte daher mit seiner verwestlichten Haltung, zudem mit seinem authentischen Auftreten in der mündlichen Verhandlung (zur besonderen Bedeutung der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung s. für viele VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0316), sehr überzeugend auf das erkennende Gericht (vgl. allgemein zu den Grundanforderungen an einem Vorbringen des Asylwerbers, wonach dieses substantiiert, schlüssig und plausibel und der Asylwerber persönlich glaubwürdig sein muss, sodass eine Flüchtlingseigenschaft glaubwürdig bzw. darüber hinaus glaubhaft ist: Materialien zum Asylgesetz 1991, RV 270 BlgNR 18. GP, zu § 3). Der in der Verhandlung einvernommene Zeuge unterstützte das Vorbringen des Beschwerdeführers, Dessen Aussagen konnte gefolgt werden, da aufgrund seines seriösen und ernsthaften Auftretens sowie seines persönlichen vertrauensbildenden Gesamtbildes keine seiner Glaubwürdigkeit entgegensprechende Anhaltspunkte hervorkamen

In Würdigung aller Umstände überwiegen daher im Ergebnis jedenfalls diejenigen, die für eine Beurteilung des Vorbringens des Asylwerbers als glaubwürdig sprechen (vgl. UNHCR, Handbuch und Richtlinien über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 2011, Rz. 196, 203 f. mit dem Hinweis, nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Antragsteller“ zu verfahren).

2.3.    Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich, insbesondere zur Aufenthaltsdauer, zu seinen Deutschkenntnissen, seinen familiären oder fehlenden engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich, stützen sich auf die Aktenlage, auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen (siehe oben).

Die Feststellungen beruhen zudem auch auf den in dieser Verhandlung einvernommenen Zeugen dessen Aussagen gefolgt werden konnte, da aufgrund seines seriösen und ernsthaften Auftretens sowie seines persönlichen vertrauensbildenden Gesamtbildes keine seiner Glaubwürdigkeit entgegensprechende Anhaltspunkte hervorkamen.

Die Feststellung zu den gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.4.    Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u.a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A.I.)

3.1.    Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:

„Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1.         dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2.         der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

…“

3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.1.3. Wie festgestellt, konnte der Beschwerdeführer glaubwürdig vor dem erkennenden Gericht eine Verfolgungsgefahr im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen seiner „westlich“ orientierten Werthaltungen und seines diesbezüglichen Lebensstils darlegen.

Nach der Rechtsprechung des VwGH können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten „westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017-0018, mwN). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388).

Diese Rechtsprechung gilt sinngemäß auch für Männer, die aufgrund eines gelebten „westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt werden würden.

3.1.4. Die Abkehr des Beschwerdeführers vom Islam ist durch die Nichtbefolgung religiöser (islamischer) Vorschriften und seiner Hinwendung zu einer säkular-liberalen bzw. nicht-konfessionellen Einstellung, insbesondere auch nach außen hin erkennbar, womit er im völligen Gegensatz zu den in Afghanistan vorherrschenden religiösen Zwängen und Dogmen steht. Es kann mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan seine nicht-islamische Überzeugung und daran orientierte Lebensführung nach außen trägt bzw. es kann ihm auch nicht im Sinne der obigen Judikatur zugesonnen werden, diese immer für sich zu behalten und seine innere Einstellung dauerhaft zu verleugnen.

Wie sich aus obigen Länderfeststellungen ergibt, ist nach der Scharia der Abfall vom Glauben grundsätzlich ein todeswürdiges Verbrechen. So ist den Länderfeststellungen zusammengefasst etwa zu entnehmen, dass unter dem Einfluss der Scharia die Todesstrafe auch bei Delikten wie z.B. Konversion, Blasphemie oder Apostasie droht. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge, Konventionen sowie die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts zu verstehen. Die in der Verfassung verankerte Religionsfreiheit gilt ausdrücklich nur für Anhänger anderer Religionen als dem Islam. Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Konversion und Apostasie) nach Scharia-Recht eben auch strafbewehrt. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Die afghanische Verfassung verabsäumt es explizit, die individuellen Rechte in Bezug auf Religionsfreiheit zu schützen und einfachgesetzliche Bestimmungen werden in einer Weise angewendet, die internationale Menschenrechtsstandards verletzt. Staatliche und nicht-staatliche Akteure führen Aktionen gegen Personen aus, die ihrer Ansicht nach „unislamische" Aktivitäten setzen.

Die Gefahr einer Verfolgung des Beschwerdeführers ist daher im vorliegenden Fal

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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