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24/01 Strafgesetzbuch;Norm
FrG 1993 §18 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über die Beschwerde des (am 25. August 1963 geborenen) KI, vertreten durch Dr. Gerhard Ebner und Dr. Joachim Tschütscher, Rechtsanwälte in Innsbruck, Anichstraße 24, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 17. Juli 1996, Zl. III 276/96, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1, Abs. 2 Z. 1 und den §§ 19, 20, 21 FrG ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von vier Jahren erlassen. In der Begründung dieses Bescheides ging die belangte Behörde davon aus, daß sich der Beschwerdeführer seit 1989 erlaubterweise im Bundesgebiet aufhalte und einer Tätigkeit als Hilfsarbeiter nachgehe. Er sei seit 1989 verheiratet und lebe mit seiner Gattin und seinem 1990 geborenen Sohn im gemeinsamen Haushalt. Die Gattin und der Sohn des Beschwerdeführers hätten eine unbefristete Aufenthaltsbewilligung.
Der Beschwerdeführer sei mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 18. Jänner 1994 wegen des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB mit einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe belegt worden. Der Beschwerdeführer habe gemeinsam mit einem weiteren Täter einer namentlich genannten Person auf andere Weise die persönliche Freiheit entzogen, indem er diese Person gegen ihren Willen in dem mit Kindersperre versperrten Fahrzeug nach Landeck und dort in eine Wohnung verbracht habe, wobei er die Person mit Gewalt in das bereitstehende Auto gezerrt habe; durch Versetzen von Schlägen gegen das Opfer habe der Beschwerdeführer diesem eine Prellmarke über der rechten Augenbraue und zwei Prellungen im mittleren Brustkorbbereich zugefügt. Aus dem Urteil ergebe sich, daß der Beschwerdeführer seine namentlich genannte Verwandte in die Türkei "abschieben" habe wollen.
Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Bezirksgerichtes Landeck vom 28. Juli 1995 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB mit einer unbedingten Geldstrafe belegt worden, weil er am 28. April 1995 als Lenker eines PKW die im Straßenverkehr notwendige Sorgfalt außer acht gelassen habe, indem er beim Linksabbiegen mit einem vorschriftsmäßig entgegenkommenden PKW zusammenstieß, wobei eine namentlich genannte Person eine Brustbeinprellung im unteren Drittel und ein Hämatom am rechten Unterschenkel erlitten habe.
Die Bezirkshauptmannschaft Landeck habe den Beschwerdeführer mit in Rechtskraft erwachsener Strafverfügung vom 23. November 1995 wegen Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 2 lit. e i.V.m. § 31 Abs. 1 StVO mit einer Geldstrafe belegt, weil er am 21. September 1995 gegen 17.00 Uhr als Lenker eines PKW auf einer Gemeindestraße Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs (Zaun) im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall beschädigt und es entgegen den Bestimmungen des § 99 Abs. 2 lit. e StVO i.V.m. § 31 Abs. 1 StVO unterlassen habe, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle oder den Straßenerhalter unter Bekanntgabe der Identität ohne unnötigen Aufschub zu verständigen.
Schließlich sei der Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft Landeck mit in Rechtskraft erwachsener Strafverfügung vom 25. März 1996 wegen Verwaltungsübertretung nach § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG mit einer Geldstrafe von S 2.500,-- belegt worden, weil er sich zumindest seit 10. Jänner 1996 entgegen den Bestimmungen des § 15 Abs. 1 Z. 2 und § 15 Abs. 3 Z. 2 FrG nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, zumal ihm kein Sichtvermerk und keine Bewilligung gemäß § 1 AufG erteilt worden sei bzw. die Befristung der Bewilligung mit 31. Dezember 1995 abgelaufen sei.
Die rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen erfüllten den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall FrG; die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme sei gerechtfertigt. Das Aufenthaltsverbot stelle einen relevanten Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers dar. Dieser Eingriff sei jedoch zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Grundrechte anderer notwendig.
Die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers am weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet wögen im Hinblick auf seine Neigung zu Verwaltungsstraftaten höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei daher auch im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG zulässig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer meint, die festgestellten Sachverhalte seien keineswegs so schwerwiegend, daß sie den bestimmten Tatsachen im Sinne des § 18 Abs. 2 (gemeint Abs. 1) FrG zu unterstellen wären.
Der belangten Behörde ist zuzustimmen, daß die beiden gerichtlichen Verurteilungen den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall FrG erfüllen. Bei Vorliegen eines der im § 18 Abs. 2 FrG aufgezählten Tatbestände ist jedoch die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme noch nicht als erfüllt anzusehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 1996, Zl. 95/21/0154). § 18 Abs. 1 FrG ordnet vielmehr an, daß bei Vorliegen eines der im Abs. 2 leg. cit. aufgezählten Tatbestände eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen ist, ob dieser Tatbestand in concreto die umschriebene Annahme rechtfertigt. Ausgehend von dem festgestellten den Verurteilungen zugrunde liegenden Sachverhalt sowie der verwaltungsbehördlichen Bestrafungen kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie diese Annahme als gerechtfertigt ansah.
Der Beschwerdeführer meint, die Verhängung des Aufenthaltsverbotes sei unverhältnismäßig, weil die Erheblichkeit des Eingriffes in sein Privat- und Familienleben in keinem Verhältnis zur Geringfügigkeit der von ihm begangenen Vergehen und Übertretungen stehe.
Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides auf. Gemäß § 19 FrG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte strafbare Verhalten erfüllt nicht die Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle. Das der rechtskräftigen Verurteilung durch das Landesgericht Innsbruck vom 18. Jänner 1994 zugrundeliegende strafbare Verhalten liegt einerseits bereits mehr als drei Jahre zurück, andererseits wurde ihm trotz dieser rechtskräftigen Verurteilung eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz erteilt. Diese Umstände relativieren die von der belangten Behörde angenommene Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses erheblich.
Das der Verurteilung wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB zugrundeliegende Fehlverhalten bewirkt an sich keine derartige Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen, daß die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes dringend geboten wäre (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0308). Dies gilt auch für die im vorliegenden Fall ausgesprochene Bestrafung wegen der Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 2 lit. e i.V.m.
§ 31 Abs. 1 StVO. Ausgehend von diesem jeweils nicht sehr gravierenden Gewicht der einzelnen dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Fehlverhalten kann angesichts der ungeachtet der gerichtlichen Verurteilungen erteilten Aufenthaltsbewilligung auch die Summe aller ihm zur Last liegenden Fehlverhalten nicht die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 19 FrG begründen.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastet sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996210656.X00Im RIS seit
12.06.2001