Entscheidungsdatum
23.09.2020Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
W137 2228228-8/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter Hammer als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl 1078427300/200145672, über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Algerien, in Schubhaft zu Recht erkannt:
A)
Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 15.07.2015 unter Verwendung von Aliasidentitäten einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Nachdem sich der Beschwerdeführer durch Untertauchen dem Verfahren entzog, wurde das Asylverfahren am 22.09.2015 gemäß § 24 Abs. 1 AsylG eingestellt.
2. Mit Bescheid vom 16.01.2020 wurde dem Beschwerdeführer keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Abschiebung nach Algerien für zulässig erklärt. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Der gegen diesen Beschied erhobenen Beschwerde wurde stattgegeben und der angefochtene Beschied behoben.
Am 17.01.2020 wurde der Beschwerdeführer aus der Strafhaft entlassen und dieser in Schubhaft genommen. Am 18.01.2020 stellte der Beschwerdeführer während Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag zurück. Dieser Bescheid ist mittlerweile rechtskräftig.
3. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 07.02.2020 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz angeordnet. Der Beschwerdeführer wird seit 07.02.2020 in Schubhaft angehalten.
4. Der Beschwerdeführer erhob am 23.03.2020 gegen den Bescheid vom 07.02.2020 Beschwerde. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.03.2020, W140 2228228-2/6E, wurde die Beschwerde abgewiesen und festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in weiterer Folge im Rahmen amtswegiger Verhältnismäßigkeitsprüfungen regelmäßig – zuletzt am 26.08.2020 – ausgesprochen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft vorliegen und diese verhältnismäßig ist.
5. Am 16.09.2020 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt neuerlich zur amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. Ausgeführt wurde in einer Stellungnahme – neben dem Verweis auf den bisherigen Verfahrensgang – dass eine Vorführung zur algerischen konsularischen Vertretung aufgrund der Pandemiesituation bisher nicht habe erfolgen können. Der Identifizierungsprozess sei im Laufen; es werde regelmäßig urgiert. Die Behauptung einer libyschen Staatsangehörigkeit (am 09.07.2020) habe nicht verifiziert werden können; sie wurde vom libyschen Konsul nach Vorführung ausgeschlossen. Ein Vorführtermin bezüglich Algerien sei nun für 18.09.2020 geplant. Abschiebungen mit Linienflügen seien derzeit nicht möglich; von einer Abschiebung im Rahmen der gesetzlich zulässigen Anhaltedauer (18 Monate) sei aber weiterhin auszugehen.
Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Algerien. Er verfügt über keine Personal oder Reisedokumente. Betreffend den Beschwerdeführer liegt eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung (aus 2020) hinsichtlich seines Herkunftsstaates Algerien vor. Der für 18.09.2020 geplante Delegationstermin bei den Vertretern der algerischen Botschaft im Zuge der Rückkehrvorbereitungen (HRZ-Verfahren) wurde nicht durchgeführt.
Der Beschwerdeführer ist nicht Asylwerber; es kommt ihm kein faktischer Abschiebeschutz zu.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 07.02.2020 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz angeordnet. Der Beschwerdeführer wird seit 07.02.2020 in Schubhaft angehalten. Der Beschwerdeführer erhob am 23.03.2020 gegen den Bescheid vom 07.02.2020 Beschwerde. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.03.2020 wurde die Beschwerde abgewiesen und festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft gemäß § 22a Abs 2 BFA-VG iVm § 76 Abs 2 Z 2 FPG vorliegen.
Der Beschwerdeführer weist in Österreich folgende strafgerichtlichen Verurteilungen auf:
Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 12.08.2015 wurde der Beschwerdeführer unter dem Namen RACHID Wanis gemäß § 229 (1) StGB § 15 StGB, §§ 127, 130 1. Fall StGB § 15 StGB, § 241e (3) StGB § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten, wobei die Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde. Mit Urteil eines Landesgerichts vom 13.01.2020 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls, des Vergehens der Urkundenunterdrückung, dem Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel und dem Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden (§§ 223 Abs 2, 224 StGB; § 229 Abs 1 StGB; § 241e Abs 3 StGB; §§ 127, 128 Abs 1 1 Z 5, 130 Abs 1, erster Fall StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von 9 Monaten unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Der Beschwerdeführer hat in den Asylverfahren unterschiedliche Angaben zu seinem Namen und zu seinem Geburtsdatum gemacht. Der Beschwerdeführer versucht seine Identität zu verschleiern um einer Abschiebung zu entgehen. Bei seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz behauptete der Beschwerdeführer wahrheitswidrig, er sei noch minderjährig.
Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich dem Asylverfahren durch Untertauchen entzogen. Der Beschwerdeführer hat die Auflage einer täglichen Meldeverpflichtung nicht eingehalten und versucht mit einem Zug nach Italien zu gelangen um einer Abschiebung zu entgehen. Der Beschwerdeführer hält die Meldevorschriften in Österreich nicht ein. Er versucht sich vor den Behörden verborgen zu halten. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft wird der Beschwerdeführer untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten um sich einer Abschiebung zu entziehen.
Der Beschwerdeführer stellte während der Anhaltung in Schubhaft einen Folgeantrag auf internationalen Schutz um seine Abschiebung zu verhindern. Der Beschwerdeführer begab sich vom 09.02.2020 bis 15.02.2020 sowie vom 13.04.2020 bis 14.04.2020 während der Anhaltung in Schubhaft in Hungerstreik um seine Freilassung zu erpressen. Der Beschwerdeführer ist in keiner Form vertrauenswürdig. Es besteht ein massives öffentliches Interesse an der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer ist haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim Beschwerdeführer vor. Der Beschwerdeführer hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig sowie jedenfalls haftfähig.
Der Beschwerdeführer hat weder Verwandte noch enge soziale Anknüpfungspunkte in Österreich. Er ist beruflich in Österreich nicht verankert. Er verfügt über keinen eigenen gesicherten Wohnsitz. Er ist in Österreich nie einer legalen Beschäftigung nachgegangen.
Die Ausstellung eines Heimreisezertifikats innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer ist möglich. Mit einer weiteren Anhaltedauer von einigen Monaten ist derzeit zu rechnen. Durch Mitwirkung bei den algerischen Behörden kann der Beschwerdeführer zu einer raschen Identitätsfeststellung und Ausstellung eines Heimreisezertifikats aktiv beitragen. Nach Ausstellung eines Heimreisezertifikats ist von einer zeitnahen Abschiebung des Beschwerdeführers auszugehen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Beweiswürdigung:
1.1. Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage im gegenständlichen Verfahren sowie den Gerichts- und Verwaltungsakten zu den weiteren asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren des Beschwerdeführers. Insbesondere gilt das auch für bewusst falsche Angaben zur Identität und zur Entziehung aus dem Verfahren. Die Feststellungen bezüglich der Meldeadressen des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Aktenlage. Die Zeiten des Hungerstreiks sind der Anhaltedatei entnommen. Aus diesen Umständen ergibt sich wiederum zweifelsfrei die fehlende Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers sowie das besondere staatliche Interesse an einer Effektuierung der Rückkehrentscheidung.
Die Feststellungen betreffend den rechtlichen Status des Beschwerdeführers und das Fehlen eines faktischen Abschiebeschutzes ergeben sich ebenfalls aus der Aktenlage.
1.2. Die realistische Möglichkeit der Rücküberstellung ergibt sich aus der diesbezüglich grundsätzlich problemlosen Zusammenarbeit mit den Vertretungen und Behörden des Herkunftsstaates. Ein Heimreisezertifikat kann nach einer Identitätsfeststellung für den Beschwerdeführer ausgestellt werden. Abschiebungen fanden vor Ausbruch der CoVid-19-Pandemie regelmäßig statt. Eine Identifizierung seitens der algerischen Vertretungsbehörde war für 18.09.2020 angesetzt – aus einer Abfrage der Anhaltedatei vom 22.09.2020 ist diese nicht verzeichnet. Das entsprechende Verfahren wird vom Bundesamt aber zweifelsfrei mit Nachdruck betrieben. Nach positivem Abschluss kann der Beschwerdeführer - nach Ausstellung eines Heimreisezertifikats durch die algerischen Behörden – außer Landes gebracht werden. Weiterhin besteht die realistische Möglichkeit der Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Höchstdauer der Schubhaft; voraussichtlich sogar innerhalb einiger Monate. Allfällige, der Pandemie geschuldete, vorübergehende Einschränkungen des Reise- und Luftverkehrs oder Verzögerungen bei Vorführungen zur Identifizierung können daran nichts ändern.
1.3. Die Feststellungen zur fehlenden Integration des Beschwerdeführers und seiner Vermögenslage ergeben sich aus der Aktenlage. Die in besonderem Maße geminderte Vertrauenswürdigkeit ergibt sich aus den vom Beschwerdeführer bewusst getätigten falschen Angaben zu seiner Person, dem wiederholten Antritt eines Hungerstreiks sowie der substanziellen Straffälligkeit in Österreich. Überdies hat der Beschwerdeführer auch explizit angekündigt, sich einer Abschiebung widersetzen zu wollen. Hinweise für ein Fehlen der Haftfähigkeit oder gesundheitliche Probleme sind im Verfahren nicht hervorgetreten.
2. Rechtliche Beurteilung:
Zu A. (Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft):
Entsprechend dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 – FrÄG 2015 vom 18.06.2015, BGBl. I Nr. 70/2015, lautet §22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) wie folgt:
„§ 22a. (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“
§22a Abs. 4 bildet im gegenständlichen Fall die formelle Grundlage, da der Beschwerdeführer seit 07.02.2020 in Schubhaft angehalten wird.
Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen (innerstaatlichen) verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Art 5 Abs. lit. f EMRK und des Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG sowie einfachgesetzlichen Normen des mit 20. Juli 2015 im Rahmen des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2015 – FrÄG 2015 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 lauten:
Art 5 Abs. 1 lit. F EMRK
(1) Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
f) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.
Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG
(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
7. wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.
§ 76 FPG (in der nunmehr gültigen Fassung)
„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“
Gemessen also an § 76 Abs. 3, konkret an dessen ersten Satz „liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 2 - immer noch - vor, da „bestimmte Tatsachen“, nämlich jene bereits im Rahmen der angeführten Beweiswürdigung relevierten, indizieren, dass sich der Beschwerdeführer einer drohenden Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen wird.
Die Gründe, aus denen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Schubhaft anordnete (Ziffern 1, 3 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG), haben sich seither nicht geändert und sind – hinsichtlich der Ziffern 1 (Entziehung aus dem Verfahren, Aufenthalt im Verborgenen) und 3 (rechtskräftige Rückkehrentscheidung) auch zweifelsfrei belegt. Für Änderungen im Zusammenhang mit der Ziffer 9 gibt es keine Anhaltspunkte; insbesondere leben die Freundin und der Sohn des Beschwerdeführers nach seinen Angaben in Paris. Die Existenz von in Österreich lebenden Verwandten wurde stets verneint.
Mit der Anordnung gelinderer Mittel kann dementsprechend weiterhin nicht das Auslangen gefunden werden. Angesichts vollständig fehlender persönlicher Vertrauenswürdigkeit – siehe dazu auch die Nutzung falscher Identitätsangaben und die substanzielle Kriminalität – kommen diese schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht.
Der Beschwerdeführer war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin.
Verzögerungen im Zusammenhang mit der Abschiebung, die in der Sphäre des Bundesamtes liegen würden, sind nicht zu erkennen. Vielmehr kümmert sich das Bundesamt um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates.
Die (zum Entscheidungszeitpunkt) voraussichtliche Dauer der Anhaltung ergibt sich aus den oben angeführten Umständen. Festzuhalten ist dabei auch, dass der Beschwerdeführer gegenwärtig etwas mehr als sechs Monate in Schubhaft angehalten wird, womit erst etwas mehr als die Hälfte der gesetzlich zulässigen Anhaltedauer ausgeschöpft worden ist. Selbst bei einer Abschiebeperspektive erst in fünf Monaten – die derzeit jedenfalls als realistisch angesehen werden kann - wären lediglich zwei Drittel des zulässigen Anhaltezeitraums ausgenutzt. Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer – der ohne Dokumente einreiste und falsche Angaben zu seiner Identität machte – allein verantwortlich für das Erfordernis der Beschaffung eines Heimreisezertifikats. Dass dieses durch die aktuelle Pandemiesituation zusätzlich verzögert wird, ist jedenfalls dem Bundesamt nicht anzulasten.
Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Beschwerdeführer durch entsprechend kooperatives Verhalten (allenfalls auch den Antrag auf freiwillige Ausreise) selbst zu einer deutlichen Reduktion der Anhaltedauer beitragen kann. Er hat allerdings unmittelbar vor Schubhaftanordnung sogar explizit angekündigt, sich einer Abschiebung widersetzen zu wollen.
Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft gegeben ist.
Zu B (Revision)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.
Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Haftfähigkeit Identität Meldeverpflichtung Meldeverstoß öffentliche Interessen Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Staatsangehörigkeit Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Untertauchen Verhältnismäßigkeit Verschleierung VertrauenswürdigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W137.2228228.8.00Im RIS seit
10.12.2020Zuletzt aktualisiert am
10.12.2020