TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/24 W131 2200103-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.2020
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Entscheidungsdatum

24.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W131 2200103-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag Reinhard GRASBÖCK über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.05.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer am 22.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung vom Folgetag gab dieser zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass sie in Afghanistan Probleme mit den Taliban gehabt hätten, sein Vater sei von ihnen umgebracht worden. Das Leben als Afghane im Iran sei sehr schwer, er habe illegal im Iran gelebt und habe Angst vor seiner Abschiebung nach Afghanistan bzw der Rekrutierung für den Krieg in Syrien gehabt.

2. Im Rahmen einer am 23.01.2018 durch die belangte Behörde durchgeführten Einvernahme wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen die Angaben aus der Erstbefragung und führte weiters aus, dass er zwar ein geborener Moslem sei, seine Denkweise aber anders als die normaler Muslime sei, beispielsweise glaube er an Sachen, die er mit seinen Augen sehen könne. Hier habe er verschiedene Kirchen besucht, aber noch nicht die richtige gefunden. Er habe im Iran nicht weiterleben wollen, da er in einem Alter sei, wo alles für ihn gefährlicher werde. Er habe sich immer Gedanken über seine Religion gemacht. Seitdem er in Österreich sei, beschäftige er sich immer mehr mit dem Gedanken. Er habe noch keine Religion gefunden, die ihn überzeuge.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Weiters sprach sie aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Zuletzt stellte die belangte Behörde fest, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

4. Dagegen richtet sich die binnen offener Frist erhobene Bescheidbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

5. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

6. Mit Schriftsatz vom 29.10.2018 legte der Beschwerdeführer den beim Magistrat Wien am 05.07.2018 gemeldeten Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich vor.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 26.08.2020 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch. Zur Frage seiner Religion führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass es in seinem Land keine Meinungsfreiheit gebe. Er könne nicht die Dinge äußern, die er sich denke, er könne nicht in einem Land mit Gott und Diktator leben. Er glaube nicht an Gott und den Islam, er könne nicht sein Leben lang dort eine Rolle als Moslem spielen. Er faste beispielsweise im Ramadan nicht, Fasten bedeute nichts. Wissenschaftlich gesehen müsse ein Mensch alle 8 Stunden etwas zu sich nehmen, Fasten schade dem Körper. Im Monat Moharam würden sich die Schiiten selbst schlagen. Sich für eine Person, die vor 1400 Jahren gestorben sei, zu schlagen, bedeute überhaupt nichts. Er trinke wöchentlich zwei Dosen Bier, da das Bier seine inneren Organe reinigen würde. Warum solle er an eine Religion glauben, weil seine Eltern der Religion angehörten? Er sei jetzt erwachsen geworden und könne selbst entscheiden. Seine Religiosität würde nur dazu führen, sich von den Dingen, die ihm Freude machen, abzuhalten. Und er wisse, dass die Dinge, die er tue, niemandem schaden würden. Alle Religionen, die auf der Erde existieren und wichtig seien, würden auf Blutvergießen basieren. Wir würden im 21. Jahrhundert leben und könnten friedlich ohne Religion leben. Solange er im Iran gewesen sei, habe er das nicht machen können, weil der Iran eine islamische Diktatur sei. Als er nach Österreich gekommen sei, habe diese Entscheidung für sich getroffen, es sei das erste Mal gewesen, dass er für sich so eine große Entscheidung getroffen habe. In Österreich herrsche freie Meinungsäußerung, er könne sich jederzeit auch über Religion äußern. Hier könne ihm niemand mit etwas drohen. Von religiösen Sätzen, beispielsweise Gott sei Dank oder In Shallah, halte er nichts. Jeder Mensch solle sich selbst danken, wenn er etwas zustande gebracht habe. Er könne über alles mit jedem diskutieren oder sich unterhalten, weil er an Bücherreligionen nicht glaube und Atheist sei. Er könne in Afghanistan nicht frei darüber sprechen, an keinen Gott zu glauben, weil er dort als Ungläubiger bezeichnet würde, die Strafe für Ungläubige sei der Tod. Er habe sein Leben in den Ländern mit Diktaturen verbracht, hier sei er frei. Er könne frei über alles reden und seine persönliche Meinung äußern. Er möchte nicht in Afghanistan die Rolle eines Moslems spielen, er wisse auch nicht, wie lange er diese Rolle spielen sollte. Er sei ein Mensch, er wolle seine Freiheit und er wolle seine Meinungsäußerungsfreiheit. Sein einziges Verbrechen sei, dass er als Moslem geboren worden sei. Nun möchte er dieser Religion nicht mehr angehören. Jeder Mensch sei ohne Befragung auf die Welt gekommen. Wer in der Lage ist zu denken, habe auch das Recht, auf der Erde die Entscheidung über sein Leben selbst zu treffen. Er nehme allgemein an keinen religiösen Veranstaltungen teil. Er benutze auch keine religiösen Ausdrücke wie In Shallah oder Allahuakbar. Wenn er in seiner Umgebung feststelle, dass die Leute diese Ausdrücke benützen, versuche er mit ihnen darüber zu diskutieren. Er habe in Österreich auch muslimische Freunde, wenn sie sehen, dass der Beschwerdeführer Bier trinke, würden sie ihn darauf hinweisen, dass das nicht haram sei. Er debattiere dann mit ihnen über die Ausdrücke, bedauerlicherweise gebe es auch den ein oder anderen, der ihm die Freundschaft gekündigt habe. Auf seiner Instagramseite habe der Beschwerdeführer ein paar Clips gepostet, die den Ursprung der Menschen auf der Erde zeigen würden. Auch aus diesem Grunde hätten einige Freunde ihm die Freundschaft gekündigt, sie hätten ihm vorgeworfen, dass er ungläubig geworden sei. Er bedaure den gewissen religiösen Rassismus, der in diesem Jahrhundert herrsche. Vom Richter dazu befragt, wie er unter der Voraussetzung einer eventuellen muslimischen Mehrheit in Österreich reagieren werde, würde er vor die Wahl einer Rückkehr zum islamischen Glauben oder der Todesstrafe gestellt, führte der Beschwerdeführer aus, dass dies gegen die Menschlichkeit sei. Er habe gesagt, Menschen sollen frei leben. Er wisse, dass die Gesetze Österreichs sich von Religion seit dem 16. Jahrhundert getrennt hätten. Es dürfe kein Mensch das Leben eines anderen Menschen auslöschen, nur weil er nicht dieselben Meinungen vertrete. Vor die Wahl gestellt, bevorzuge er den Tod, bevor er gezwungen werde, eine Religion zu akzeptieren. Er möchte in Freiheit leben. In islamischen Ländern würde einem Dieb die Hand abgehackt. Wenn eine Person gestohlen hat, weil er sonst verhungern müsse, ist dies die Schuld der Religion und des Staates. Begehe jemand Diebstähle aus anderen Gründen, solle darüber ein Richter entscheiden. Eine Freundin zu haben sei im Islam solange haram, bis man verheiratet sei. Er persönlich glaube nicht daran, dass ein Mullah oder ein Scheich aus einem Buch etwas lese und deswegen die zwei Personen füreinander erlaubt seien.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer hat den im Spruch genannten Namen und das Geburtsdatum, er ist afghanischer Staatsangehöriger. Er ist in Österreich strafrechtlich unbescholten und glaubhaft Atheist und damit in Afhghanistan mit naheliegender Wahrscheinlichkeit deshalb mit verfolgung bedroht..

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Fassung vom 21.07.2020, Punkt 15.5., 15.5. Apostasie, Blasphemie, Konversion)

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (AA 2.9.2019).

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 21.6.2019) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).

Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie (AA 2.9.2019); auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen – weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017; vgl. USDOS 21.6.2019) und auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 21.6.2019).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).

Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld (AA 2.9.2019). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 1.6.2017).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu den Personalien des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen diesbezüglich unbedenklichen Angaben.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug.

Die Feststellung zur atheistischen Lebenseinstellung des Beschwerdeführers ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Sowohl vor der belangten Behörde als auch dem Bundesverwaltungsgericht führte der Beschwerdeführer aus, dass er Religionen immer schon sehr kritisch gegenübergestanden sei. Dies belegte er nicht nur mit einigen Beispielen für seines Erachtens sinnlose religiöse Praktiken, sondern machte Angaben, die die Fundamente sowohl des Islam als auch anderer Religionen in ihren Grundfesten zu erschüttern vermögen bzw als blasphemisch aufgefasst werden könnten. So führte er aus, dass alle wichtigen Religionen auf Blutvergießen basieren würden, dass sein einziges Verbrechen seine Geburt als Moslem sei und dass all jene, die in der Lage sind zu denken, auch das Recht hätten, auf der Erde die Entscheidung über ihr Leben selbst zu treffen. Der Beschwerdeführer hinterließ bei seiner Einvernahme vor Gericht einen sehr glaubwürdigen Eindruck, sein Vorbringen war auch deswegen glaubhaft, weil er nicht nur Argumente dafür fand, warum er den Islam ablehnt, sondern fand er auch Argumente dafür, alle Religionen abzulehnen, weil er sie nur als Einschränkung seiner persönlichen Freiheiten sieht. Besonders ins Treffen zu führen sind hier jene Argumente des Beschwerdeführers, die sich in logisch-argumentativer Art und Weise mit dem Islam auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang führte der Beschwerdeführer beispielsweise aus, dass das Fasten für den Körper sehr schlecht sei, wissenschaftlich gesehen müsse man spätestens nach 8 Stunden Nahrung zu sich nehmen. Auch konnte der Beschwerdeführer dem Grundgedanken des erlaubten Zusammenlebens von Mann und Frau ausschließlich innerhalb der Ehe nichts abgewinnen, weil er den Gedanken, dass ein Mullah aus Buch vorlese und sodann eine Erlaubnis gegeben sei, nicht für nachvollziehbar hält. Zuletzt waren die Ausführungen des Beschwerdeführers auch deswegen glaubhaft, weil er, ohne religiös zu sein, auch keine religiösen Ausdrücke wie in Gott sei Dank, Inshallah oder Allahuakbar verwenden will und mit seinen Freunden über deren Verwendung dieser Begriffe sogar diskutiert, diesfalls nimmt er in Kauf und musste er in der Vergangenheit in Kauf nehmen, dass sich Freunde von ihm abwenden. Zuletzt formalisierte er seine Ablehnung des Islam dadurch, dass er aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich austrat.

Insgesamt sind bei der Befragung des Beschwerdeführers keine Tatsachen hervorgekommen, die an seiner inneren Überzeugung, Religionen begründet und reflektiert abzulehnen, Zweifel hervorgerufen haben. Es war somit festzustellen, dass der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung Atheist ist.

Die Glaubhaftigkeit der Verfolgung wegen Atheismus ergibt sich aus den wiedergegebenen Länderberichten.

2.3. Zur Situation im Herkunftsstaat

Angesichts der Seriosität der Quelle und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Sie erweisen sich für das Vorbringen des Beschwerdeführers auch als hinreichend aktuell und es hat sich seither aufgrund des Amtswissens die Lage im Heimatland nicht maßgeblich geändert, sodass dieser Länderbericht den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnte. Der zitierte Länderbericht enthält eine Vielzahl von Berichten, legt damit ein ausgewogenes Bild betreffend die Situation in Afghanistan dar und bezieht sich zudem auch auf die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers.

Zu A)

Zur Beschwerdestattgabe im Asylpunkt

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung droht.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (VwGH 31.07.2018, Ra 2018/20/0182). Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011).

Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (VwGH 16.02.2000, 99/01/0397). Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Einer von Privatpersonen und privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 21.04.2011, 2011/01/0100). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; 28.10.2009, 2006/01/0793, mwN). Die Richtlinie (EU) 2011/95 (Statusrichtlinie) sieht einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119).

Abgesehen davon, dass einer derartigen, nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 10.03.1993, 92/01/1090) bzw wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl etwa VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551).

Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können positive Feststellungen von der Behörde nicht getroffen werden (vgl VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069, Rz 16).

Gemäß § 3 Abs 3 Z 1 und § 11 Abs 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann („innerstaatliche Fluchtalternative“). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann (vgl zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 zB VwGH 15.03.2001, 99/20/0036 und 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist – wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert – nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „inländischen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539; VwGH 08.09.1999, 98/01/0614).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 22.10.2002, 2000/01/0322; VwGH 09.03.1999, 98/01/0370;). Dabei reicht für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/20/0089).

Auch aus einer Mehrzahl allein jeweils nicht ausreichender Umstände im Einzelfall kann sich bei einer Gesamtschau die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem oder mehreren von asylrelevanten Gründen ergeben (vgl dazu VwGH 26.06.1996, 95/20/0423).

Daraus ergibt sich in der Sache:

Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne von Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK, gegeben, da der Beschwerdeführer Atheist ist. Aus den obzitierten Länderberichten ergibt sich klar, dass Atheisten, Apostaten und Andersgläubige auf dem gesamten Staatsgebiet Afghanistans Verfolgungshandlungen in einer Intensität zu gewärtigen haben, die eine asylrelevante Verfolgung bedeutet. Dem Bf droht ausweislich ausweislich des LIB als Apostaten der Tod in Afghanistan. Abzulehnen war in diesem Zusammenhang das Argument der belangten Behörde, wonach der Beschwerdeführer seine Einstellung zum Islam für sich behalten könne, sein Grundrecht auf Religionsfreiheit also auf das forum internum beschränken möge, hier ist die belangte Behörde auf Art 10 Abs 1 lit b der Statusrichtlinie (RL 2011/95/EU) zu verweisen. Die Religionsfreiheit des Bf als Menschenrecht umfasst unionsrechtlich eben auch die Freiheit, öffentlich sagen zu dürfen, dass man keiner religiösen Lehre anhängt.

Mit der Asylzuerkennung war die Feststellung gemäß § 3 Abs 5 AsylG zu verbinden, wobei idZ festzuhalten ist, dass Asylausschlussgründe weder substantiiert vorgebracht noch sonst bekannt geworden sind.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Apostasie asylrechtlich relevante Verfolgung befristete Aufenthaltsberechtigung gesamtes Staatsgebiet Nachfluchtgründe Religion wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W131.2200103.1.00

Im RIS seit

10.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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