TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/28 W141 2232380-1

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Veröffentlicht am 28.09.2020
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Entscheidungsdatum

28.09.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W141 2232380-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard HÖLLERER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Stephan WAGNER sowie den fachkundigen Laienrichter Robert ARTHOFER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX ,
geboren am XXXX , VN XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 15.06.2020, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Vekehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:
1.         Mit Wirksamkeit ab 09.07.2009 hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) der Beschwerdeführerin einen Behindertenpass ausgestellt und einen Grad der Behinderung von 50 vH eingetragen.
2. Die Beschwerdeführerin hat am 20.12.2019 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines Befundes, einen Antrag auf Eintragung des Zusatzvermerkes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gestellt.
2.1.         Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten von einer Fachärztin für Neurologie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 27.02.2020, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzvermerkes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nicht vorliegen.
2.2.         Mit bei der belangten Behörde am 10.03.2020 einlangten Schreiben brachte die Beschwerdeführerin eine schriftliche Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme ein.

Von der Beschwerdeführerin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass es sich beim Leiden Multiple Sklerose um eine chronische Autoimmunerkrankung handle. Leider habe sie MS und des weiteren COPD - was trotz ihrer Erwähnung nicht berücksichtigt worden wäre. Die dazu notwendigen Medikamente (Foster, Spiriva) wären im beil. Medikamentenverordnungsblatt festgehalten.

Darüber hinaus wäre im Sachverständigengutachten ein MRT erwähnt worden. Hierbei müsse es sich um einen Irrtum handeln, da die Beschwerdeführerin noch nie ein MRT gemacht habe. Grund dafür wäre, dass ihr nach ihren Aneurysmaoperationen angeraten worden wäre keine MRT durchführen zu lassen. Angeblich wären Metallclips im Kopfbereich verblieben.

Sie führte weiter aus, dass im ADL Bereich behauptet werde, dass sie keine soziale Hilfe benötige und selbstständig sei. Dies würde insofern stimmen, als sie kein PG erhalte und sie notwendige Hilfestellungen im Alltag selbstständig finanzieren müsse. D.h. sie benötige für alle Tätigkeiten die Kraft und Ausdauer (Beine, Arme) benötigen würden Unterstützung.

Zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gab die Beschwerdeführerin zudem an, dass leider alle Verkehrsmittel etwas weiter entfernt wären. Laut Wiener Linien wäre erst nach einem Fußweg von ca. 20 Minuten die Erreichbarkeit diversen Linien möglich. Auch mit einem Gehstock sei es für die Beschwerdeführerin unmöglich eines dieser Ziele zu erreichen. Noch dazu komme COPD, welche das Atmen bei Anstrengung erschwere. Darüber hinaus spiele es eine Rolle, ob bei Bus und Straßenbahn alte oder neue Fahrzeuge eingesetzt werden würden. Das Festhalten sei ebenso schwierig, da man selten beide Hände zum Ergreifen von Haltgelegenheiten frei haben würde. Stiegen (manchmal 2-3 Stockwerke) und Rolltreppen könne sie ebenfalls nicht benutzen und wäre sie daher auf Aufzüge für das Erreichen von Bahnsteigen angewiesen. Somit sei für sie eine Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zumutbar.

Dem Vorbringen waren diverse Unterlage beigelegt. Rezente neurologische Befunde wurden nicht vorgelegt.
2.3.         Aufgrund der neu vorgelegten Unterlagen und der eingelangten Stellungnahme wurden von der belangten Behörde weitere Sachverständigengutachten durch eine Fachärztin für Neurologie am 01.04.2020, basierend auf der Aktenlage, sowie durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin am 28.04.2020, ebenfalls basierend auf der Aktenlage, und eine Gesamtbeurteilung durch dieselbe Ärztin für Allgemeinmedizin mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzvermerkes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nicht vorliegen.
3.         Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15.06.2020 hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar“ in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 BBG abgewiesen.

Dem Bescheid waren das neurologische Sachverständigengutachten vom 27.02.2020, das neurologische Sachverständigengutachten vom 01.04.2020 sowie das allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten und die Gesamtbeurteilung vom 28.04.2020 der Ärztin für Allgemeinmedizin beigelegt.
4.         Gegen den Bescheid vom 15.06.2020 wurde von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 24.06.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben.

Die Beschwerdeführerin führte im Wesentlichen wiederholend ihre bereits in der Beschwerde gemachten Angaben an.
5.         Mit Schreiben vom 26.06.2020 hat die belangte Behörde den Verwaltungsakt und die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Da sich die Beschwerdeführerin mit der Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar“ in den Behindertenpass nicht einverstanden erklärt hat, war dies zu überprüfen.

1.       Feststellungen:

1.1.    Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines Behindertenpasses.

1.2.    Zur beantragten Zusatzeintragung:

Der Beschwerdeführerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

1.2.1.  Art der Funktionseinschränkungen:

-        Multiple Sklerose-chronisch progredienter Verlauf

-        Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)

-        Bluthochdruck, Zustand nach Aneurysmaruptur

1.2.2. Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen:

Allgemeinzustand: Eine Spur reduziert
Ernährungszustand: Gut
Größe: 158,00 cm Gewicht: 52,00 kg Blutdruck:

Klinischer Status – Fachstatus:

Neurologischer Status:
wach, voll orientiert, kein Meningismus
Caput: Visus korrigiert, übrige HN unauffällig.
OE: Rechtshändigkeit, Trophik unauffällig, Tonus unauffällig, grobe Kraft proximal und distal 5/5, Vorhalteversuch der Arme: unauffällig, Finger-Nase-Versuch: Dysmetrie bds,
MER (RPR, BSR, TSR) seitengleich übermittellebhaft auslösbar, Eudiadochokinese beidseits,
Pyramidenzeichen bds positiv
UE: Trophik unauffällig, Tonus seitengleich unauffällig, grobe Kraft proximal und distal 5/5,
Positionsversuch der Beine: unauffällig, Knie-Hacke-Versuch: keine Ataxie, MER (PSR, ASR)
seitengleich mittellebhaft auslösbar, Pyramidenzeichen negativ.
Sensibilität: intakte Angabe. Sprache: unauffällig
Romberg: unauffällig
Unterberger: unsicher-Abbruch
Fersen- und Zehengang: unauffällig.

Gesamtmobilität – Gangbild:
Mobilitätsstatus: Gangbild: sicher, mittelschrittig ohne Hilfsmittel, Standvermögen: sicher, prompter Lagewechsel.
Führerschein vorhanden, fahre auch

Status Psychicus:
wach, in allen Qualitäten orientiert, Duktus kohärent, Denkziel wird erreicht, Aufmerksamkeit unauffällig, keine kognitiven Defizite, Affekt unauffällig, Stimmungslage ausgeglichen, Antrieb unauffällig, Konzentration Spur reduziert, keine produktive Symptomatik.

1.2.3.  Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

Trotz der Funktionseinschränkungen bei Multipler Sklerose und der pulmonalen Funktionseinschränkung bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) ist bei ausreichend guter körperlicher Belastbarkeit und ausreichend sicherem Stand und Gang, sowie keiner maßgeblichen Einschränkung der Kognition oder Mnestik und keiner relevanten psychischen Funktionseinschränkung die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausreichend sicher möglich. Die Beschwerdeführerin kann kurze Wegstrecken von etwa 300 bis 400 m aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe und ohne maßgebende Unterbrechung, allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe zurücklegen. Ebenso kann die Beschwerdeführerin Niveauunterschiede, wie sie z. B. beim Ein- und Aussteigen in bzw. aus öffentlichen Verkehrsmitteln gegeben sind, überwinden und sich während des Transportes ausreichend festhalten. Die Zuhilfenahme von einfachen Hilfsmitteln bei Bedarf ist zumutbar. Die Orientierung und Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum sind gegeben. Bezüglich der pulmonalen Funktionseinschränkungen sind das sichere Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, sicheres Ein- und Aussteigen und der sichere Transport gewährleistet. Keine relevant eingeschränkte körperliche Belastbarkeit, keine Langzeitsauerstofftherapie etabliert.
1.3.         Der Verwaltungsakt ist unter Anschluss der Beschwerdeschrift am 26.06.2020 im Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

2.       Beweiswürdigung:

Aufgrund der vorliegenden Beweismittel und des Aktes der belangten Behörde ist das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes Bild zu machen. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76).

Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: „Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (…)“.

Zu 1.1.) Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem mit Stichtag 29.06.2020 aus dem zentralen Melderegister eingeholten Datenauszug.

Zu 1.2.) Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen gründen sich – in freier Beweiswürdigung – auf die erstinstanzlich eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten einer Allgemeinmedizinerin sowie einer Fachärztin für Neurologie und Ärztin für Allgemeinmedizin. Diese sind schlüssig, nachvollziehbar und weisen keine Widersprüche auf.

Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wurde zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel eingehend Stellung genommen.

Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin erhobenen klinischen Befund und der Aktenlage, entsprechen unter Berücksichtigung der vorgelegten Beweismittel den festgestellten Funktionseinschränkungen.

Die vorgelegten Beweismittel sind in die Beurteilung eingeflossen, die befassten Sachverständigen haben sich eingehend damit auseinandergesetzt.

Die befassten Sachverständigen fassen deren Inhalt nachvollziehbar wie folgt zusammen:

-        Dr Ledwon, 19.12.2019 Befund: Klagt über Müdigkeit. Gang etwas ataktisch. Unsicher. Neurostatus: HNV intakt. MT normal. Kraft allenfalls leichtgradig in bd. Beinen reduziert. MER lebhaft seitengleich. FNV sowie KHV dysmetrisch. Romberg nach Augenschluß leichtgradig path. Leichtgradige Dysarthrophonie EC-Duplex: winzige Plaques im Bulbus bds. ansonsten keine Pathologie. Diagnose Chron. progredienter Verlauf einer MS. EDSS 2,5 In den letzten Jahren Verkürzung der Gehstrecke. Chron. Müdigkeit. Vermehrte belastungsabhängige Müdigkeit. Unsystematischer Schwindel. Therapie Eine Anpassung des GdB wird begehrt. Die Patientin berichtet nicht mehr in der Lage zu sein öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

-        Medikamenteverordnungsblatt Dr. Marlies Walter, Ärztin für AM, 29.01.2020

-        Dr. Uhor 01/20: Lungenemphysem, COPD; mittelgradige Atemflussminderung, Verschlechterungstendenz, stabile Belastungsdyspnoe

Die Beweismittel stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis des eingeholten Sachverständigenbeweises, es wird kein aktuell höheres Funktionsdefizit beschrieben als gutachterlich festgestellt wurde und sie enthalten auch keine neuen fachärztlichen Aspekte, welche unberücksichtigt geblieben sind.

Die medizinische Sachverständige beschreibt die wahrgenommene Gesamtmobilität im Gutachten vom 24.02.2020 anschaulich. Das Gangbild der Beschwerdeführerin ist sicher und mittelschrittig ohne Hilfsmittel. Das Standvermögen ist sicher, prompter Lagewechsel.

Die neurologische Sachverständige erklärt im Gutachten vom 01.04.2020 nachvollziehbar, dass die Grunderkrankung der Beschwerdeführerin zwar zu einer Einschränkung der Gehstrecke führt, das objektivierbare Ausmaß des Defizits jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen kann. Sie hält nachvollziehbar fest, dass kurze Wegstrecken von etwa 300 bis 400 m von der Beschwerdeführerin aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe und ohne maßgebende Unterbrechung, allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe zurückgelegt werden können. Um das Sturzrisiko bei angegebenen Gleichgewichts-und Koordinationsstörungen hintanzuhalten, ist ein einfaches Hilfsmittel wie ein Gehstock zumutbar. Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit der Beschwerdeführerin sind ausreichend.

Weiters führt die Sachverständige aus, dass Niveauunterschiede überwunden werden können, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen gewährleistet ist. Bei genügender Funktionsfähigkeit der oberen Extremitäten ist das Festhalten beim Ein- und Aussteigen sowie die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich anzuhalten, genügend, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar.

Zu den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunden führt die neurologische Sachverständige unter anderem aus, dass laut vorliegendem neurologischen Befund von
Dr. Ledwon, 19.12.2019 (siehe relevante Befunde des VGA 02/2020) ein EDSS (Expanded Disability Status Scale, Leistungsskala zur Erhebung des Schweregrades der Behinderung bei Multiple Sklerose-Patienten, Skalierung von 0-10) von 2,5, einer leichtgradigen Behinderung ohne wesentlicher Beeinträchtigung im Alltag entsprechend besteht. Im Rahmen der Untersuchung vom 27.02.2020 konnten keine Paresen objektiviert werden, das Gangbild stellte sich, ohne Verwendung von Hilfsmitteln, sicher und mittelschrittig bei sicherem Standvermögen und prompten Lagewechsel dar. Orientierung und Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum sind gegeben. Einwendungen bezüglich der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund lokaler Begebenheiten bzw. individueller Infrastruktur können zur Beurteilung nicht herangezogen werden (siehe dazu rechtliche Beurteilung).

Bezüglich dem Einwand der Beschwerdeführerin betreffend das "MRT" ist festzuhalten, dass im Rahmen der neurologischen Untersuchung (die Beschwerdeführerin lag rücklings bereits auf der Liege) von Seiten der Sachverständigen die Frage gestellt wurde, wann die letzte MRT Untersuchung durchgeführt wurde. Dies wurde von der Beschwerdeführerin mit "vor 5-6 Jahren" beantwortet und auch genauso im Rahmen der "Anamnese" des VGA 02/2020 festgehalten.

Die allgemeinmedizinische Sachverständige führt in Gutachten vom 28.04.2020 weiters aus, dass im Vergleich zum Vorgutachten vom 27.02.2020 das Leiden Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) hinzugefügt wurde.

Sie führt nachvollziehbar aus, dass trotz der Funktionseinschränkungen bei Multipler Sklerose und der pulmonalen Funktionseinschränkungen bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) das sichere Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, ein sicheres Ein- und Aussteigen und der sichere Transport gewährleistet sind. Bei der Beschwerdeführerin sind zudem keine relevant eingeschränkte körperliche Belastbarkeit und keine relevante Mobilitätseinschränkung, sowie psychische oder kognitive Funktionseinschränkung beschrieben. Darüber hinaus ist keine Langzeitsauerstofftherapie etabliert. Auch liegt keine schwere Erkrankung des Immunsystems vor. Die Zuhilfenahme von einfachen Hilfsmitteln bei Bedarf ist zumutbar.

Die Krankengeschichte der Beschwerdeführerin wurde umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt.

Die Sachverständigengutachten stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Zur Erörterung der Rechtsfrage, ob der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, siehe die rechtlichen Erwägungen unter Punkt II 3.1.

Zu 1.3.) Das Schreiben, mit welchem die Beschwerdevorlage durch die belangte Behörde erfolgt ist, weist am Eingangsvermerk des Bundesverwaltungsgerichtes das Datum 26.06.2020 auf.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichtes mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)
1.         Zur Entscheidung in der Sache:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten (§ 1 Abs. 2 BBG).

Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen (§ 42 Abs. 1 BBG).

Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist (§ 42 Abs. 2 BBG).

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG).

Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu (§ 45 Abs. 2 BBG).

Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist u.a. jedenfalls einzutragen:

3.       die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen (§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise).

Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 5 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen).

In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird u.a. Folgendes ausgeführt:

Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise):

Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.

Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.

Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.

Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionsein-schränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-        arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-        Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-        hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-        Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-        COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-        Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-        mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

-        Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr

-        hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten

-        schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen

?        nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).

Die Funktionseinschränkung bei Multipler Sklerose führt zwar zu einer Einschränkung der Gehstrecke, das objektivierbare Ausmaß des Defizits kann jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen. Kurze Wegstrecken von etwa 300 bis 400 m können aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe und ohne maßgebende Unterbrechung, allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe zurückgelegt werden. Um das Sturzrisiko bei angegebenen Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen hintanzuhalten, ist ein einfaches Hilfsmittel wie ein Gehstock zumutbar. Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit der Beschwerdeführerin sind ausreichend. Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der
Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen gewährleistet sind. Bei genügender Funktionsfähigkeit der oberen Extremitäten ist das Festhalten beim Ein- und Aussteigen sowie die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich anzuhalten, genügend, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar. Die Orientierung und Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum sind gegeben. Bezüglich der pulmonalen Funktionseinschränkungen sind das sichere Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, sicheres Ein- und Aussteigen und der sichere Transport gewährleistet. Keine relevant eingeschränkte körperliche Belastbarkeit, keine Langzeitsauerstofftherapie etabliert.

Trotz der Funktionseinschränkungen bei Multipler Sklerose und der pulmonalen Funktionseinschränkung bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) sind das sichere Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke ohne maßgebliche Pause, das sichere Ein- und Aussteigen und der sichere Transport gewährleistet. Niveauunterschiede können ausreichend sicher überwunden werden. Das Anhalten kann ausreichend sicher erfolgen. Der sichere Transport ist gewährleistet. Der Stand und Gang sind ausreichend sicher, ebenso ist die körperliche Belastbarkeit ausreichend gut. Es sind keine wesentliche Agora- oder Soziophobie beschrieben und keine wesentliche Einschränkung der Kognition.

Da es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ankommt, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren, ist das Vorbringen betreffend die mangelnde Infrastruktur (Vorhandensein und Erreichbarkeit, Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel) nicht von Relevanz und kann daher bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht berücksichtigt werden.

Die Beschwerdeführerin kann sich im öffentlichen Raum selbstständig fortbewegen, eine kurze Wegstrecke aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, auch unter Verwendung der zweckmäßigsten Behelfe, ohne Unterbrechung zurücklegen bzw. wird durch die Verwendung des erforderlichen Behelfes die Benützung des öffentlichen Transportmittels nicht in hohem Maße erschwert. Die festgestellten Defizite wirken sich nicht maßgebend auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens aus. Der sichere und gefährdungsfreie Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht erheblich eingeschränkt und somit gewährleistet.

Bei der Beschwerdeführerin liegen weder erhebliche Kraft- und Muskeldefizite noch eine cardiorespiratorische Leistungseinschränkung vor bzw. konnten keine maßgebenden Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder von Sinnesfunktionen festgestellt werden, es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden. Somit sind das Erreichen, ein gesichertes Ein- und Aussteigen und ein gesicherter Transport im öffentlichen Verkehrsmittel möglich.

Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar“ rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
2.         Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG).

Die Verhandlung kann entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (§ 24 Abs. 2 VwGVG).

Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden (§ 24 Abs. 3 VwGVG).

Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen (§ 24 Abs. 4 VwGVG).

Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden (§ 24 Abs. 5 VwGVG).

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für den beantragten Zusatzvermerk sind die Art, das Ausmaß und die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.

Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher von der belangten Behörde ärztliche Sachverständigengutachten eingeholt. Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurden diese als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.

Sohin erscheint der Sachverhalt geklärt und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird ausgeführt, dass damit präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden sollen. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt. Es war sohin keine – von der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abweichende – Neuregelung beabsichtigt.

Vielmehr wird in den Erläuterungen ausdrücklich festgehalten, dass im Hinblick auf die ab 01.01.2014 eingerichtete zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Einheitlichkeit der Vollziehung der im Behindertenpass möglichen Eintragungen sicherzustellen, die Voraussetzungen, die die Vornahme von Eintragungen im Behindertenpass rechtfertigen, in einer Verordnung geregelt werden sollen.

Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W141.2232380.1.00

Im RIS seit

10.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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