TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/29 W180 2227983-9

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Entscheidungsdatum

29.09.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77

Spruch

W180 2227983-9/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Georg PECH als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Nigeria, in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer (in Folge auch BF), ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 27.05.2013 illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 18.07.2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge auch BFA, Bundesamt oder Behörde genannt) den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria ab (Spruchpunkt II.) und erteilte dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß den §§ 57 und 55 AsylG nicht, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG iVm. § 9 BFA-Verfahrensgesetz gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.) und setzte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Die Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen dahingehend, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde vom 29.07.2014 wurde, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.12.2015, mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.12.2015 als unbegründet abgewiesen.

4. Am 15.03.2016 stellte der BF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz und begründete dies mit psychischen Problemen.

5. Der BF blieb unentschuldigt der Ladung für eine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 20.04.2016 fern. Er wurde neuerlich geladen, nunmehr für eine Einvernahme am 10.05.2016. Der BF erschien ebenfalls unentschuldigt nicht. Um 22:31 wurde nachträglich per Fax von Seiten des rechtsfreundlichen Vertreters erklärt, dass es dem BF aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme nicht möglich gewesen sei, der Ladung Folge zu leisten.

6. Einer Mitteilung der LPD vom 12.05.2016 ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer jedenfalls bis Ende April 2016 Zeitungen verkauft habe.

7. Der Beschwerdeführer wurde vom Bundesamt neuerlich geladen, nunmehr mit Ladungsbescheid, für eine Einvernahme am 18.05.2016. Wiederum erschien der Beschwerdeführer nicht, sondern wurde am nächsten Tag von Seiten der rechtsfreundlichen Vertretung erklärt, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner psychischen Erkrankung die Einvernahme nicht möglich gewesen sei.

8. Mit Ladungsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.06.2016 wurde der BF für den 14.06.2016 geladen. Zugleich wurde die rechtsfreundliche Vertretung aufgefordert, den Aufenthaltsort des BF bekanntzugeben und etwaige medizinische Unterlagen binnen einer Woche vorzulegen.

9. Am 12.06.2016 wurde von Seiten des rechtsfreundlichen Vertreters erklärt, dass die medizinischen Unterlagen nachgereicht würden. Zum Aufenthaltsort des BF wurde nur ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer bemühen würde, außerhalb XXXX medizinische Hilfe zu finden.

10. Am 13.06.2016 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Ladungsbescheid vom 01.06.2016.

11. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.08.2016 wurde die Beschwerde gegen den Ladungsbescheid vom 01.06.2016 als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass der BF einen Hinderungsgrund für das Erscheinen zu der Einvernahme nicht glaubhaft dargelegt bzw. bescheinigt hat. Es wurde festgestellt, dass der BF seinen Mitwirkungswirkungspflichten im Asylverfahren nicht nachgekommen war.

12. Mit Bescheid des BFA vom 16.08.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 15.03.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FBG festgestellt, dass eine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III). Unter Spruchpunkt IV wurde festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für eine freiwillige Ausreise besteht. Der Beschwerde gegen den Bescheid wurde mit Spruchpunkt V gemäß § 18 Abs. 1 Ziffer 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI).

13. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.09.2017 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2017 mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Dauer des Einreiseverbotes in Spruchpunkt VI mit zwölf Monaten befristet wurde.

14. Am 28.12.2017 wurde ein weiterer Folgeantrag gestellt, den der Beschwerdeführer damit begründete, dass er an einer psychischen Krankheit leide und dass sich sein Gesundheitszustand seit August 2017 verschlechtert habe.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2018, wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz vom 28.12.2017 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Sache zurück.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.05.2018 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2018 als unbegründet abgewiesen.

15. Am 03.08.2019 wurde der BF als nigerianischer Staatsangehöriger durch die Botschaft identifiziert. Der BF wurde am 30.10.2019 durch ein Organ des BFA einvernommen.

16. Am 03.01.2020 wurde der BF im Rahmen von Suchtgiftermittlungen in seinem Wohnhaus nach Erlassung eines Festnahmeauftrages festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum überstellt.

Im Rahmen einer Einvernahme durch das BFA gab der BF im Wesentlichen an, er habe eine Wohnsitzauflage im Jahre 2018 nicht beachtet, da er seinen Arzt in XXXX habe und nicht weggehen habe wollen. Er habe keine Dokumente und sei illegal im Lande. Er habe mentale Probleme sowie eine Erkältung und nehme das Medikament Trittico Retart 75 gegen seine Depressionen. Er wollte in Österreich bleiben und nicht nach Nigeria zurückgehen. Er habe hier eine Arbeit, er verkaufe Zeitungen. Aufgrund seiner Krankheit habe er bisher nicht in Erwägung gezogen, nach Nigeria zurückzukehren. In Nigeria habe er niemanden. Er wolle nicht nach Nigeria zurück, er werde in Österreich bleiben, was immer auch passiere. Er werde unter keinen Umständen nach Nigeria zurückgehen.

17. Sohin wurde über den BF die gegenständliche Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass der BF durch sein Vorverhalten die Tatbestände des § 76 Abs. 3 Z 1, 3, 8 und 9 FPG erfüllt habe und sohin Sicherungsbedarf bestehe. Da der BF nicht freiwillig ausreisen wolle und er eine Ausreisewilligkeit bisher nur vorgetäuscht habe, um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates zu verzögern, zeige sich ebenso, dass der BF zur Ausreise aus Österreich verhalten werde müsse.

18. Am 04.01.2020 begann der BF mit einem Hungerstreik und stellte einen weiteren Asylfolgeantrag (nunmehr vierter Asylantrag). Zu seinem Folgeantrag befragt gab der Beschwerdeführer an, er sei bedroht worden und habe man sein Geschäft zerstört. Er habe psychische Probleme und in seinem Herkunftsland niemanden, der sich um ihn kümmere. Er wolle in Österreich bleiben, da er hier jede Menge Freunde habe, die ihn unterstützen. Er habe Angst, umgebracht zu werden.

Am selben Tage wurde seitens des BFA ein Aktenvermerk zur Aufrechterhaltung der Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufgenommen und umfassend begründet, dass davon auszugehen sei, dass der nunmehrige Folgeantrag mit Verzögerungsabsicht gestellt worden sei.

19. Mit Bescheid des BFA vom 17.01.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 04.01.2020 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und auch sonst kein Aufenthaltstitel gewährt. Gegen den Beschwerdeführer wurde neuerlich eine Rückkehrentscheidung ausgesprochen, ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen sowie festgestellt, dass eine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung wurde keine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht.

20. Am 24.01.2020 brachte der BF durch seine bevollmächtigte Vertreterin eine Beschwerde gegen die Anordnung der Schubhaft und Anhaltung in Schubhaft ein, wobei er insbesondere auf seine psychischen Probleme verwies.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis vom 30.01.2020, W171 2227983-1/9E – nach amtsärztlicher Begutachtung des Beschwerdeführers – diese Beschwerde abgewiesen und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft gegeben sind. In dieser Entscheidung wurde (insbesondere auch unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit) umfassend auf die gesundheitlichen/psychischen Probleme des BF Bezug genommen.

21. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.02.2020, W154 2227983-2, vom 29.04.2020, W115 2227983-3, vom 27.05.2020, W137 2227983-4 und vom 26.06.2020, W154 2227983-5 wurde jeweils die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des BF in Schubhaft festgestellt.

22. Am 04.07.2020 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren – fünften - Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt stellte daraufhin dem Beschwerdeführer am 04.07.2020 einen ausführlich begründeten Aktenvermerk nach § 76 Abs. 6 FPG zur Aufrechterhaltung der Schubhaft zu.

23. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.07.2020, W278 2227983-6 wurde die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft festgestellt.

24. Mit Schriftsatz vom 31.07.2020 erhob der BF neuerlich Beschwerde gegen die weitere Anhaltung in Schubhaft. Diese Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 05.08.2020, W117 2227983-7, als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

25. Der fünfte Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 04.07.2020 wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 06.08.2020 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde vom 27.08.2020 wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 18.09.2020, I410 2128301-4, dem BF zugestellt am selben Tag, rechtskräftig abgewiesen.

26. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.09.2020, W278 2227983-8, wurde abermals die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft festgestellt.

27. Das Bundesamt legte dem Bundesverwaltungsgericht am 19.09.2020 den Verwaltungsakt gemäß § 22a BVA-VG zur neuerlichen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft vor. In einer Stellungnahme wurde darauf verwiesen, dass ursprünglich bei der Festnahme des BF geplant gewesen sei, ihn am 23.01.2020 mit Charterbuchung nach Nigeria abzuschieben, dies jedoch wegen seines Folgeantrags auf internationalen Schutz vom 04.01.2020 nicht möglich gewesen sei. Eine in der Folge für den 25./26.06.2020 geplante Charterabschiebung des BF habe aufgrund der Covid-19-Krise storniert und verschoben werden müssen. Derzeit sei geplant, den BF mit einem Charter nach Nigeria am 20.-23.10.2020 abzuschieben, sollte dies aus irgendwelchen Gründen nicht möglich sein, werde als Ersatztermin der 25.11.2020 ins Auge gefasst. Seitens der nigerianischen Botschaft sei bereits die mündliche Zusage erfolgt, dass für den BF ein Heimreisezertifikat ausgestellt werde, sobald Flüge nach Nigeria wieder möglich seien.

28. Auf Anforderung des Bundesverwaltungsgerichts wurde am 29.09.2020 ein aktueller Auszug aus dem Krankenakt des BF sowie Befund und Gutachten eines Amtsarztes übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter I.1. bis I.28. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

Der BF ist volljährig und verfügt über keine Dokumente, die seine Identität bescheinigen. Die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht, er ist weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

Er wird seit 03.01.2020 in Schubhaft angehalten.

Der BF ist gegenwärtig nicht Asylwerber. Sein letzter Antrag auf internationalen Schutz (von insgesamt fünf Anträgen, davon zwei Anträge im Stande der Schubhaft) vom 04.07.2020 wurde im Beschwerdewege mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.09.2020, I410 2128301-4, rechtskräftig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Es liegt eine rechtskräftige und durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria vor (Bescheid des Bundeamtes vom 17.01.2020, mit dem der vierte Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wurde und gegen den BF eine Rückkehrentscheidung und ein auf drei Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen wurde).

Der BF wurde einer nigerianischen Delegation vorgeführt; seine Staatsangehörigkeit wurde bestätigt. Es liegt auch eine grundsätzliche Zusage zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats vor. Sobald der BF auf einen Charterflug nach Nigeria gebucht werden kann, ist mit der Ausstellung eines Heimreisezertifikats seitens der nigerianischen Botschaft zu rechnen. Charterflüge nach Nigeria sind derzeit beginnend mit Oktober 2020 geplant. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist mit einer Abschiebung des BF im vierten Quartal 2020 – jedenfalls aber innerhalb der zulässigen Schubhafthöchstdauer – zu rechnen.

Der BF hat eine bereits für 23.01.2020 geplante Abschiebung durch Einbringung eines letztlich unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz (seines vierten einschlägigen Antrags) vereitelt.

Der BF verfügt in Österreich über einen gesicherten Wohnsitz. Er ist in Österreich weder beruflich noch sozial integriert und nicht selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer hat bereits gegen Wohnsitzauflagen verstoßen und ist Ladungen nicht nachgekommen. Von 04.01.2020 bis 01.03.2020 sowie von 11.04.2020 bis 05.05.2020 trat er in Hungerstreik, den er jeweils freiwillig beendete. Er ist insgesamt nicht vertrauenswürdig.

Der BF leidet an einer Schlafstörung auf Basis einer posttraumatischen Belastungsstörung, welche mittels schlafanstoßender, stimmungsaufhellender Dauermedikation behandelt wird. Abgesehen davon ist der BF grundsätzlich gesund und jedenfalls haftfähig. Es steht ihm im Polizeianhaltezentrum eine psychiatrische und medizinische Betreuung zur Verfügung.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus dem Verfahrensakt des Bundesamtes, dem vorliegenden Akt des Bundesverwaltungsgerichtes und den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes die oben angeführten Schubhaft- und Asylverfahren des BF betreffend.

2.2. Aus den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes das Asylverfahren des Beschwerdeführers betreffend ergibt sich, dass der Beschwerdeführer keine Dokumente vorgelegt hat, die seine Identität bescheinigen.

2.3. Dass der BF seit 03.01.2020 in Schubhaft angehalten wird, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und den damit übereinstimmenden Eintragungen in der Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

2.4. Dass der BF zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung kein Asylwerber (mehr) ist, ergibt sich aus dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts zu I410 2128301-4.

2.5. Die Feststellungen zur rechtskräftigen Rückkehrentscheidung ergeben sich aus der Aktenlage. Gleiches gilt für das laufende HRZ-Verfahren. Hinweise, dass die Ausstellung eines Heimreisezertifikats für Nigeria aussichtslos erscheinen würde, liegen nicht vor. Solche Zertifikate werden regelmäßig ausgestellt werden und die Zusammenarbeit mit der Botschaft und den nigerianischen Behörden funktioniert grundsätzlich. Dass Charterrückführungen nach Nigeria ab Oktober 2020 geplant sind, entnimmt das Gericht der Stellungnahme des Bundesamtes vom 19.09.2020. Eine Abschiebung des BF in seinem Herkunftsstaat im nächsten Quartal dieses Jahres, jedenfalls aber innerhalb der zulässigen Schubhafthöchstdauer, ist realistisch.

Eine bereits terminisierte Abschiebung im Jänner 2020 wurde vom BF durch einen abermaligen, zwischenzeitlich rechtskräftig zurückgewiesenen Asylfolgeantrag vereitelt. Sein weiterer Asylfolgeantrag vom 04.07.2020 wurde ebenfalls zwischenzeitlich in Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.09.2020 rechtkräftig zurückgewiesen.

Aus der Aktenlage, insbesondere den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen ergibt sich auch, dass der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel in Österreich verfügt.

2.6. Aus der Aktenlage ergeben sich auch keine Hinweise auf familiäre oder substanzielle soziale und berufliche Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Ein bestehender Wohnsitz wurde schon im Schubhaft-Beschwerdeverfahren (vom Jänner 2020) der Entscheidung zugrunde gelegt. Aktenkundig sind darüber hinaus die Verletzung der Wohnsitzauflage sowie die Missachtung von Ladungen durch den BF. Die Hungerstreiks sind in der Anhaltedatei verzeichnet.

Die fehlende Vertrauenswürdigkeit des BF ergibt sich wiederum aus diesem Vorverhalten.

2.7. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus den medizinischen Unterlagen in den Schubhaftakten des Bundesverwaltungsgerichts. Insbesondere stützen sich die Feststellungen auf ein aktuelles Gutachten eines Amtsarztes vom 29.09.2020, welches die Haftfähigkeit des BF bestätigt. Der BF stehe demnach in regelmäßiger psychiatrischer Betreuung. Er werde mit schlafanstoßender, stimmungsaufhellender Dauermedikation therapiert. Laut Gutachten weise der BF durch die getroffenen Maßnahmen in den letzten Wochen ein gutes psychisches und physisches Allgemeinempfinden auf.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch

3.1.1. §§ 76 und 77 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 22a Abs. 4 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten auszugsweise:

Schubhaft (FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (FPG)

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.         in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.         sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2.         eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)

§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. Die begründete Annahme, dass eine Aufenthaltsbeendigung erfolgen wird, ist dabei ausreichend. Dass die Effektuierung mit Gewissheit erfolgt, ist nicht erforderlich (vgl. dazu etwa VwGH 07.02.2008, Zl. 2006/21/0389; VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/21/0039). Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Anderenfalls erwiese sich die Schubhaft nämlich als für die Erreichung des Haftzweckes (der Abschiebung) "nutzlos". Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FPG ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Den erwähnten Verlängerungstatbeständen liegt freilich zu Grunde, dass die in Frage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann. (vgl. VwGH 11.06.2013, Zl. 2013/21/0024).

3.1.3. Aufgrund der oben zitierten gesetzlichen Bestimmungen hat die Behörde nach § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung, welche über die Viermonatsfrist gehen solle, und danach alle vier Wochen vorzulegen. Dabei hat sie darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig sei. Es ist Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes hierüber im Verfahren eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen und hat sich im Rahmen dieser Überprüfung auch im Hinblick auf die vorzunehmende Zukunftsprognose für das Gericht ergeben, dass die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers weiter als verhältnismäßig angesehen werden kann.

Hinsichtlich der Fluchtgefahrtatbestände des §76 Abs. 3 FPG hat sich in Hinblick auf das letzte Vorerkenntnis zur gegenständlich zu überprüfenden Schubhaft die Fluchtgefahr nicht vermindert. Die Schubhaft ist weiterhin jedenfalls wegen hoher Fluchtgefahr aufrechtzuerhalten, weil aus dem Verhalten des Beschwerdeführers – siehe Darstellung im Rahmen des Verfahrensganges und der Feststellungen – mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit darauf geschlossen werden kann, dass der Beschwerdeführer seine Abschiebung mit allen Mitteln zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtigt. Es besteht daher jedenfalls Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 1, 3, 5, 8 und 9 FPG.

Zur Dauer der Schubhaft:

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden, wenn ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden kann, weil

1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13)

widersetzt, oder

4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen
oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint.

Gegenständlich ist jedenfalls der Tatbestand der Z 4 durch das Vorverhalten des BF verwirklicht. Bereits vor den pandemiebedingten Flugeinschränkungen hat der Beschwerdeführer durch Stellung seines vierten unbegründeten Asylantrages im Stande der Schubhaft seine bereits mit einem Charterflug organisierte Abschiebung verhindert. Auch erfolgte die fünfte Asylantragstellung ausschließlich zur Verzögerung der Durchführung seiner Abschiebung. Er hat sich bereits während seines zweiten Asylverfahrens durch mehrmalige Nichtbefolgung von Ladungen dem Verfahren entzogen und hat Wohnsitzauflagen nicht befolgt.

Der Beschwerdeführer hatte keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würde. Die Schubhaft ist vor dem Hintergrund, dass die Behörde sich laufend um ein Heimreisezertifikat und die Abschiebung des Beschwerdeführers bemüht hat, auch verhältnismäßig. Der Flugverkehr kam zwar aufgrund der COVID-19-Krise im März 2020 beinahe gänzlich zum Erliegen und ist der Flugverkehr und die transnationale Bewegungsfreiheit weiterhin eingeschränkt. Anhaltspunkte, dass innerhalb der Schubhafthöchstdauer von 18 Monaten keine Abschiebung des Beschwerdeführers möglich wäre, sind jedoch nicht gegeben. Weiters wird festgehalten, dass eine Abschiebung nicht die Wiederaufnahme des regulären Flugbetriebes voraussetzt. Ab Oktober 2020 sind wieder Charterrückführungen nach Nigeria geplant.

Das Verhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit schließt auch weiterhin die Anordnung gelinderer Mittel aus. Es besteht ein grundsätzliches öffentliches Interesse am effizienten Vollzug des Fremdenrechts. In diesem Sinne hat die Behörde sichergestellt, dass das Abschiebeverfahren (immer noch) zeitnah und zweckmäßig durchgeführt wird. Der Beschwerdeführer war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin, wie sich aus der aktuellen amtsärztlichen Untersuchung vom 29.09.2020 ergibt.

Die getroffenen Feststellungen und ihre rechtliche Würdigung lassen im Hinblick auf ihre Aktualität und ihren Zukunftsbezug keine, die Frage der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft ändernde Umstände erkennen. In einer Gesamtschau kommt dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung des BF nach wie vor ein höherer Stellenwert zu als den privaten Interessen des BF. Der BF befindet sich gegenwärtig etwas weniger als 9 Monate in Schubhaft und somit knapp die Hälfte der für ihn geltenden Schubhafthöchstdauer von 18 Monaten. Angesichts des Vorverhaltens des BF, insbesondere das Ignorieren von Wohnsitzauflagen und der Versuche, durch Hungerstreik die Entlassung aus der Schubhaft zu erwirken, ist die Anhaltung weiterhin als verhältnismäßig zu beurteilen.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

3.2. Zu Spruchteil B. - Revision

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie zu Spruchpunkt A. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Fluchtgefahr Folgeantrag Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Gesundheitszustand Haftfähigkeit Heimreisezertifikat öffentliche Interessen PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit Vertrauenswürdigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W180.2227983.9.00

Im RIS seit

10.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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