TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/8 W174 2126173-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.10.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

08.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
IntG §10
IntG §9

Spruch

W174 2126173-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Viktoria MUGLI-MASCHEK, als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX auch XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christian SCHMAUS, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.04.2016, Zl. 1077527410-15086505, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des bekämpften Bescheides gemäß §§ 3, 8 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides aufgehoben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 iVm §§ 9 und 10 Integrationsgesetz wird XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 11.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, ledig und Moslem zu sein und der Volksgruppe der Bayat anzugehören. Er stamme aus Afghanistan, der Provinz Ghazni und sei in Kabul geboren. Er habe 3 Jahre lang die Grundschule besucht, sein letzter Beruf sei Schneider gewesen. Vor seiner Ausreise habe er 3 Jahre lang im Iran gelebt. Seine gesamte Familie sei geflüchtet, wo sich seine Eltern und Geschwister aufhielten, wisse er nicht. Sein Bruder sei in Deutschland und ein Onkel in England. Sein Vater habe landwirtschaftliche Grundstücke in Afghanistan. Zwei Monate vor seiner Ausreise habe er den Entschluss gefasst, das Land zu verlassen. Er sei mit einem Pkw aus Teheran bis zur türkischen Grenze gefahren und habe diese zu Fuß überquert. In der Türkei habe er seinen Neffen getroffen, mit diesem reise er aktuell. Die Familie sei bei der weiteren Reise getrennt worden. Das Zielland wäre Deutschland gewesen, jedoch habe das Fahrzeug technische Probleme gehabt und somit seien er und sein Neffe von der Polizei aufgegriffen worden.

Zu seinem Fluchtgrund erklärte der Beschwerdeführer, seine Familie sei mit ihm vor 3 Jahren in den Iran geflüchtet, weil sein Vater als Beamter der Regierung Probleme mit den Taliban gehabt habe. Im Iran hätten er und seine Familie illegal gelebt, sie hätten aber legal dort leben wollen. Ein Iraner habe ihnen eine Aufenthaltskarte versprochen, diese sei aber gefälscht gewesen und sie hätten daher Schwierigkeiten mit der Polizei bekommen. Bei einer Rückkehr würden die Taliban den Beschwerdeführer umbringen.

3. Mit Schriftsatz vom 03.09.2015 wurde um Korrektur des Geburtsdatums des Beschwerdeführers ersucht.

4. Am 08.04.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Dabei erklärte er zunächst im Wesentlichen, der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören und schiitischer Moslem zu sein. Er sei in Kabul geboren und im Iran aufgewachsen. Er habe von 1370 bis 1392 (= 1991 bis 2013) einen legalen Aufenthaltstitel gehabt und danach sei er illegal gewesen. Als er und seine Eltern in den Irak gewollt hätten, seien sie an der Grenze aufgehalten worden und hätten einen Landesverweis bekommen (hierzu wurde ein Schreiben mit dem Staatswappen der islamischen Republik Iran vorlegt, wonach laut vorliegender Übersetzung ins Deutsche, es zu Festnahmen von Ausländern in verbotenen Städten gekommen sei und zwar in der Provinz Kermanshah am 28.9.92 (= 19.12.2013). Der Beschwerdeführer habe sich dann eine Woche in Afghanistan aufgehalten, zuerst in Kabul und später in der Provinz Ghazni. Seine Familie halte sich seit 1393 (= 2014) in Deutschland auf. Er selbst sei nach einem Jahr wieder in den Iran zurückgekehrt und seine Familie sei ihm 10 Tage später dorthin gefolgt. Sie hätten dann 5 bis 6 Monate im Iran bei der Schwester gelebt und seien dann gemeinsam aufgebrochen.
Weiters gab der Beschwerdeführer an, dass seine Familie Grundstücke in Ghazni habe und der Großvater ein Haus besitze. Sie hätten Einkünfte aus den Grundstücken gehabt und hätten dort auch arbeiten können, wenn sie geblieben wären. Er selbst sei Schüler gewesen und habe nie gearbeitet, er habe auch diese Arbeit am Land nicht verrichten wollen. Er wisse nicht, ob es noch weitschichtige Verwandte gebe. Später meinte der Beschwerdeführer, solche seien in Ghazni aufhältig.

Zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer insbesondere an, dass er selbst, seine Eltern und seine vier Schwestern ein Jahr, bis kurz vor der Ausreise, in Ghazni gelebt hätten und nichts passiert sei. Die Familie haben in Angst vor den Taliban und der dortigen Sicherheitslage gelebt. Sie hätten ca. 5 bis 7 Monate in ihrem Haus gelebt, als 6 oder 7 unbekannte Personen an der Türe geklopft hätten. Der Vater, der vor ca. 23/24 Jahren Beamter gewesen sei, für Dr. Najibullah gearbeitet habe und Ausweise ausgestellt habe, sei nicht zu Hause gewesen. Der Beschwerdeführer habe die Türe geöffnet, er sei nach seinem Namen gefragt worden und als der Beschwerdeführer diesen genannt habe, sei er von den Männern als Sohn eines Verräters beschimpft worden. Die Männer hätten lange Bärte gehabt, zwei oder drei seien vermummt gewesen und hätten ihre Waffen gezeigt. Die Männer hätten den Beschwerdeführer zwar zuerst festgehalten, dann aber von ihm abgelassen, denn sie hätten nur seinen Vater gewollt. Sonst habe es keine Vorfälle gegeben. Gefragt, warum der Beschwerdeführer und seine Familie nicht nach Kabul gezogen seien, gab dieser an, dass er ein schönes Leben in Europa haben und nicht in diesem verlorenen Land leben wolle. Bei einer Rückkehr ins Heimatland habe der Beschwerdeführer Angst, getötet oder misshandelt zu werden. Er kehre nicht freiwillig zurück, wahrscheinlich müsste er sich dem Jihad anschließen oder würde rekrutiert.

5. Mit dem gegenständlichen, im Spruch genannten, Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend stellte das Bundesamt fest, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststellbar sei, die Feststellungen zur Person basierten auf dessen Angaben. Obwohl der Beschwerdeführer keine Dokumente vorgelegt habe, seien seine Angaben insoweit glaubhaft. Im Falle des Beschwerdeführers sei keine Gefährdungsgrundlage vorhanden, es drohe ihm auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, welches einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

Obwohl es sich um ein wichtiges Ereignis handle, sei die Schilderung des Beschwerdeführers emotions-, inhalts- und zusammenhanglos, der Beschwerdeführer habe eher eine vage Darstellung der Ereignisse gegeben. Auch habe er erst auf Nachfrage, und um seine Fluchtgeschichte zu verstärken, von einer Rekrutierung gesprochen. Der Beschwerdeführer habe bei der Einvernahme lediglich Fragmente von sich gegeben und habe seine Angaben für Dritte nicht verständlich und nachvollziehbar schildern können. Dies erwecke den Eindruck, dass der Beschwerdeführer das Asylverfahren missbrauche, um sich den Aufenthalt zu erschleichen. Zudem habe der Beschwerdeführer angegeben, in Europa ein wirtschaftlich besseres Leben führen zu wollen.

6. Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer am 03.05.2016 Beschwerde. Beantragt wurden die Aufhebung des Bescheides, die Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten, die Feststellung der Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wegen inhaltlicher Fehler sowie Verfahrensmängel und falscher rechtlicher Beurteilung.

Begründend wird ausgeführt, die Art und Weise wie dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit abgesprochen werde, entspreche nicht den Anforderungen der amtswegigen Ermittlungspflicht. Das Bundesamt habe außer Acht gelassen, dass der Beschwerdeführer bei seiner Flucht aus Afghanistan erst ein Jahr alt gewesen und in Afghanistan nicht sozialisiert worden sei. Der Beschwerdeführer habe im Iran gelebt und kenne Afghanistan überhaupt nicht. Dies belaste die Entscheidung mit Willkür, denn es fehle ihr an jedem Begründungswert (VfSlg 13.302/1992). Betreffend die Sicherheitslage bedürfe es einer Begründung für den konkreten Einzelfall, inwiefern der Beschwerdeführer und in welchem Teil von Afghanistan es ihm möglich wäre zu überleben (VfGH 12.3.2013, U1674/12). Es gebe keinerlei Hinweise, dass der Beschwerdeführer über irgendwelche Bezugspunkte in Kabul verfüge.

7. Am 14.3.2017 wurde ein Schreiben der Deutschlehrerin des Beschwerdeführers vom Februar 2017 vorlegt, in dem ua. über seine großen Fortschritte beim Erlernen der deutschen Sprache berichtet wird.

Am 11.5. 2018 langte ein ÖSD Zertfikat A2 vom 2.3.2018 und eine Teilnahmebestätigung des XXXX vom 23.3.2018 über den Besuch des Seminars „Interkulturelle Genderkompetenz“ ein.

8. Mit Schriftsatz vom 6.11.2019 gab RA Dr. Christian SCHMAUS seine Vollmacht den Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zu vertreten bekannt.

9. Am 4.3.2020 wurden weitere Integrationsunterlagen vorlegt: Teilnahmebestätigung des ÖIF am Werte- und Orientierungskurs vom 2.8.2017 samt Zeugnis zur Integrationsprüfung B1 vom 23.6.2018, Teilnahmebestätigungen der Volkshochschule vom 17.5.2018 für die Kurse „F18-D/5G Deutsch als Zweitsprache/Grammatik, Kursniveau B1“ und „F18-AG Auffrischen der Grundkenntnisse in Deutsch & Mathematik“, Zeugnis über den Pflichtschulabschluss vom 12.12.2019 sowie 5 Empfehlungsschreiben und Befundbericht vom 3.10.2017.

Ergänzend wurde zur Beschwerde Stellung genommen und vorgebracht, dass der Beschwerdeführer wegen der groben Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens nicht sämtliche entscheidungsrelevante Tatsachen vorbringen habe können. Es gebe exzeptionelle Gründe in der Person des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr und die besondere Gefahr der Verletzung von Art. 2 und 3 MRK. Der Beschwerdeführer und sein Vater wären in Afghanistan Misshandlungen ausgesetzt gewesen und der Vater des Beschwerdeführers habe einen Finger verloren. Außerdem zähle der Beschwerdeführer zur Volksgruppe der Bayat und gehöre als Schiit der religiösen Minderheit in Afghanistan an. Der Beschwerdeführer sei im liberaleren Iran sozialisiert worden und habe nur wenige Monate seines Erwachsenenlebens vor Fluchtantritt in Afghanistan verbracht, wo er weder Bekannte, noch Ortskenntnisse habe und mit länderspezifischen Gepflogenheiten nicht vertraut sei. Die Kontakte des Beschwerdeführers nach Afghanistan seien erloschen und seine Familie befinde sich großteils in Deutschland.

Der Beschwerdeführer sei in seiner Integration fortgeschritten, sei trotz geringer Bildungserfahrung in der Kindheit laufend bestrebt seine Bildung zu verbessern und habe bereits lerntechnische Erfolge, wie sein Deutsch auf B1 Niveau und das Zeugnis über den erfolgreichen Pflichtschulabschluss zeige. Er pflege auch intensive Freundschaften zur österreichischen Mehrheitsbevölkerung. Zudem sei beim Beschwerdeführer eine PTBS/ Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden (siehe Befund 3.10.2017, VfGH 21.9.2015, E332/2015).

10. Am 9.3.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht teilnahm.

Dabei erklärte der Beschwerdeführer zunächst, jetzt gesund zu sein und nur wegen seiner saisonalen Allergie eine Tablette und ein Spray zu nehmen. Psychische Probleme habe er keine mehr, weil er beschäftigt sei, Freunde aus dem Deutschkurs treffe und in einem Verein freiwillig als Schneider und Gärtner arbeite.

Weiters gab er an, afghanischer Staatsangehöriger, ledig, schiitischer Moslem und in Ghazni geboren zu sein. Er gehöre zur Volksgruppe der Bayat und habe deswegen vor der Behörde vorgebracht, er sei Tadschike, weil seine Abstammung mittlerweile sehr klein geworden und vielen in Afghanistan unbekannt wäre. Wenn er einem Afghanen sage, dass er Bayat sei, würde er gefragt, ob er zum Beispiel Tadschike wäre, weil die Bayat so aussähen.

In Ghazni hätten sie – wie ihm sein Vater erzählt habe – in einem kleinen Dorf gelebt. Als diese Kriege begonnen hätten und die Familie in den Iran gezogen sei, sei der Beschwerdeführer ein oder eineinhalb Jahre alt gewesen. Wegen der Probleme dort sei der Beschwerdeführer mit seinen Eltern wieder für ca. drei Monate nach Afghanistan zurückgekehrt, die Geschwister jedoch im Iran geblieben. In der Heimat hätten sich der Beschwerdeführer und seine Eltern zwei oder drei Tage in Herat, wegen ihrer Dokumente eine Woche in Kabul und danach im Heimatdorf in Ghazni aufgehalten, Renovierungsarbeiten im Haus des Großvaters durchgeführt und dabei die Ersparnisse aufgebraucht. Ca. 20 Tage bis vor seiner Ausreise habe der Beschwerdeführer eine Arbeit als Schneider gehabt und auch ein bisschen Geld bekommen.

Im Iran habe der Beschwerdeführer ca. 22 Jahre gelebt. Bis zu seiner Rückkehr in die Heimat legal, danach vor der Ausreise nach Europa für ein paar Monate illegal. In Griechenland wäre die Familie getrennt worden, damit meine er seine vier Schwestern mit ihren Kindern und Ehemännern sowie seine Eltern. Mittlerweile befände sich seine ganze Familie in Deutschland, sie wäre ein bis eineinhalb Monate nachdem der Beschwerdeführer nach Österreich gekommen sei dorthin gelangt. Nur sein älterer Bruder lebe seit ca. elf Jahren in Deutschland und besitze die Staatsbürgerschaft. Der Beschwerdeführer stehe mit seiner Familie in Kontakt.

Die Großeltern des Beschwerdeführers seien verstorben, er habe sechs Onkel väterlicherseits, die alle, mit Ausnahme des jüngsten, dessen Aufenthaltsort unbekannt wäre, in Europa lebten. Eine Tante väterlicherseits befände sich im Iran und eine in Deutschland. Der Onkel mütterlicherseits wäre ebenfalls im Iran, ebenso wie manche Tanten. Weitere Verwandte kenne er nicht.

Im Alter von neun bis elf habe der Beschwerdeführer im Iran die Schule besucht und drei Klassen für Erwachsene absolviert, weil Einwanderer nicht eine normale Schule hätten besuchen können. Dann sei er hier ein Jahr in die Pflichtschule gegangen. Seit dem Alter von elf Jahren bis zu seiner Ausreise aus den Iran habe er als Schneider gearbeitet.

In Kabul habe die Familie niemanden und keinen Platz zum Leben, in Ghazni hätten sie Grundstücke, ein ca. 200 m² großes Wohnhaus mit großem Garten und Hof. Wie groß die landwirtschaftlichen Ländereien seien wisse er nicht, aber sie wären sehr groß und dort arbeiteten Bauern. Erträge gebe es aus diesen Grundstücken nicht, weil sie großteils keine Möglichkeit hätten, Wasser zu bekommen und die Geräte, die man für eine Landwirtschaft benötige, sehr teuer wären. Vorgehalten, er habe zuvor angegeben, auf diesem großen Grundstück seien Bauern, erwiderte der Beschwerdeführer, dies wäre früher so gewesen und sie hätten für seinen Großvater gearbeitet. Diese Grundstücke gebe es noch, die Großeltern seien verstorben und die Liegenschaften gehörten jetzt Tanten und Onkel väterlicherseits, die alle in Europa seien. Es gebe einige Menschen, die mit den Taliban verbunden wären und die Grundbuchsrolle von Grundstück und Haus verfälscht und auf ihren Namen ausgestellt hätten. Grund dafür sei das Problem mit seinem Vater gewesen.

Vor seiner Ausreise in den Iran sei der Vater ein Angestellter und die wirtschaftliche Lage normal gewesen. Er habe 14 oder 15 Jahre lang in einer Firma gearbeitet, die mit Plastik zu tun gehabt habe. Nach einem Bandscheibenvorfall habe er diese Tätigkeit nicht mehr fortsetzen können und der Beschwerdeführer und sein Bruder seien für die Lebenskosten zuständig gewesen.

Dass die Familie des Beschwerdeführers seinerzeit aus Afghanistan ausgereist sei, erklärte der Beschwerdeführer damit, dass der Vater zu der Zeit, als Najib an der Macht gewesen sei, staatlicher Angestellter gewesen wäre. Damals hätten die Taliban Kräfte sammeln wollen und - weil sein Vater studiert und Erfahrung gehabt habe - diesen einsetzen wollen, als der Dschihad begonnen habe. Sein Vater habe dies abgelehnt, weshalb sie begonnen hätten, ihn zu bedrohen. Deswegen und weil damals der Krieg begonnen und der Vater bereits vier Kinder gehabt habe, hätte die ganze Familie Afghanistan verlassen. Sein Vater glaube, weil er von dort geflüchtet sei, würden die Taliban an ihm Rache nehmen und er vermute, auch sein jüngerer Bruder (der Onkel des Beschwerdeführers) wäre deshalb festgenommen oder vielleicht getötet worden.

Im selben Ort wie die Familie hätten Menschen gelebt, die mit den Taliban zusammengearbeitet hätten. Sie wären in Kenntnis darüber gewesen, dass der Großvater sehr viel Grund und ein großes Haus besitze. Dies sei auch der Grund, dass sie die Zusammenarbeit mit dem Vater des Beschwerdeführers gewollt hätten. Nachdem er dies abgelehnt habe, hätten sie eine Art Wut gehabt und deshalb die Grundstücke und den Besitz an sich reißen wollen.

Dass die Taliban einen Bayat, einen schiitischen Moslem, dazu aufgefordert hätten, mit ihnen in den Dschihad zu ziehen, erklärte der Beschwerdeführer damit, sie dächten, weil die Familie schiitisch sei, wären sie Hazara. Die Taliban hätten eine Art Feindschaft mit Hazara und Schiiten und damals ihre Macht erweitern wollen, weshalb es für sie keinen Unterschied gemacht hätte.

Wie viele Jahre es her sei, dass sein Vater als Beamter für die afghanische Regierung gearbeitet habe, wisse der Beschwerdeführer nicht.

Vorgehalten, der Beschwerdeführer habe im Verfahren angegeben, er glaube, dass sein Vater deswegen Afghanistan verlassen hätte, weil er für die Regierung gearbeitet und Ausweise erstellt hätte, bejahte der Beschwerdeführer dies. Damals sei der Aufruf zum Dschihad gegen die Regierung gekommen, deren Angestellter der Vater gewesen sei. Sie hätten diesen damals entweder töten wollen oder seine Zusammenarbeit gewollt.

Der Beschwerdeführer selbst sei von den Taliban misshandelt worden, als sie damals dort in Ghazni gelebt hätten. Der Vater sei Richtung Iran gefahren, um die Schwester des Beschwerdeführers abzuholen. Ca. 8 bis 10 Tage danach sei der Beschwerdeführer freitags zu Hause gewesen und die Taliban hätten angeklopft und wissen wollen, wo sich sein Vater aufhalte. Dass dieser nicht da sei, hätten sie dem Beschwerdeführer nicht geglaubt, ihn deshalb aus den Garten vor dem Haus herausgezogen und misshandelt, um zu erfahren, wo sich der Vater befinde. Dabei hätten sie mit dem Ende einer Waffe in sein Gesicht geschlagen, wobei seine oberen Zähne gebrochen wären. Dann hätten sie ihn bedroht, auf den Boden geschubst und angekündigt, sie würden wiederkommen. Wenn er sie noch einmal anlüge, würde es viel schlimmer für ihn enden. Einer der Nachbarn, der dies beobachtet habe, habe seiner Mutter erklärt, wenn sie zurückkehrten, würden sie den Beschwerdeführer mitnehmen. Daraufhin sei der Beschwerdeführer in die Stadt Ghazni und von dort mit dem Taxi nach Kabul gereist, wo er einen Schlepper gefunden hätte, der ihn in den Iran gebracht habe.

Die Personen, die zu Ihnen nach Hause gekommen sei, hätten einen Turban, eine Art Schal um den Hals und einen langen Bart gehabt und seien bewaffnet gewesen. Sie hätten gewollt, dass sein Vater zu ihrem Stützpunkt komme. So wie sie gesprochen hätten und den Informationen nach, die sie gehabt hätten, komme es dem Beschwerdeführer so vor, dass jemand die Familie verraten habe. Der Vater habe diese Männer aus der Zeit, als er noch Angestellter der Regierung gewesen sei, gekannt. Nachgefragt, ob dies 20 Jahre später noch dieselben Männer gewesen seien, erwiderte der Beschwerdeführer, sein Vater hätte es ihm so erzählt.

Als der Beschwerdeführer damals in den Iran gekommen sei, sei sein Vater alleine Richtung Afghanistan gefahren und auf dem Weg nach Ghazni bei einem Kontrollpunkt mit vielen anderen Männern festgenommen worden. Dabei hätten sie seine Tazkira gefunden, ihn zu einem ihrer Stützpunkte gebracht und herausgefunden, wer er sei. Dann hätten sie ihn deshalb sehr belästigt und die Familie, als der Beschwerdeführer nicht mehr in Ghazni gewesen sei, noch einmal zu Hause aufgesucht. Sie hätten gedacht, der Vater wäre für die Flucht des Beschwerdeführers verantwortlich und hätten ihn mit heißem Metall auf seinen Bauch markiert und ihm einen Finger abgeschnitten, weil sie den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers hätten in Erfahrung bringen wollen. Gefoltert worden sei der Vater in diesem Stützpunkt, zwei Tage nach der Flucht des Beschwerdeführers seien die Taliban wieder bei ihnen zu Hause gewesen.

Vorgehalten, anlässlich seiner Einvernahme bei der Behörde habe er dazu unterschiedlich angegeben, dass es in der Zeit, in der er mit seiner Familie in Ghazni gelebt habe, keine weiteren Vorfälle gegeben hätte, erwiderte der Beschwerdeführer, damals sei es ihm nicht erlaubt gewesen, so zu sprechen.

Dass er im Falle einer Rückkehr in den Dschihad ziehen müsse, erklärte der Beschwerdeführer damit, dass man seinem Vater bei dessen Folter gesagt habe, er sei jetzt älter geworden und statt ihm müsse sein Sohn zu Ihnen kommen und sich ihnen anschließen, der Vater müsse ihn zu Ihnen bringen.

Von einer persönlichen Bedrohung wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit wisse der Beschwerdeführer nichts.

Zu seinen Angaben bei der belangten Behörde brachte der Beschwerdeführer vor, er habe im Bescheid gesehen, dass – wie auch in der Beschwerde ersichtlich – einiges nicht richtig protokolliert wäre und vor allem bei der Umrechnung einige Fehler passiert seien.

In Österreich lerne der Beschwerdeführer jetzt B2, A2 und B1 habe er schon absolviert. Zudem habe er einen Pflichtschulabschluss und besuche Integrationskurse.

Mitglied in einem Verein sei er nicht, weil er immer den Deutschkurs besuche und sehr beschäftigt mit Lernen sei. Die beiden Jahre im Camp habe er keine Möglichkeit gehabt, Deutsch zu lernen, seitdem er bei seiner Bekannten lebe, besuche er Deutschkurse und die Schule. Da habe er parallel ein wenig Zeit und ein paar Orte besucht, wo man freiwillige Arbeiten verrichten könne.

Der Beschwerdeführer habe ein paar österreichische Freunde, die er manchmal besuche. Auch stehe er zu seinen verschiedenen Deutschlehrern sowie ein oder zwei Lehrern aus der Schule noch in Kontakt.

Da er niemanden in Afghanistan habe und auch Farsi spreche, könne er nicht in Afghanistan leben. Damals hätte ihm sein Vater geholfen, eine Arbeit zu finden, weil er mit diesen Menschen in ihrem eigenen Dialekt gesprochen habe.

Vorgelegt wurde eine beglaubigte Übersetzung aus der Geburtsregisterkarte, die die Familie damals während ihrer Rückkehr in Kabul organisiert habe.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde die Vertrauensperson einvernommen, in deren Wohnung der Beschwerdeführer seit Ende 2017 lebt. Sie gab an, er habe sofort begonnen, Deutschkurse zu besuchen und sich für den Pflichtschulabschluss angemeldet. Die Vertrauensperson erlebe den Beschwerdeführer als selbstständigen und sehr praktischen Menschen, der sich an die Gepflogenheiten und Regeln halte. Er gehe mit Eifer an seine Lernaufgaben heran und habe familiären Anschluss bei der Vertrauensperson. Wenn es etwas zu tun gebe, helfe er immer. Der Beschwerdeführer könne auch immer bei ihrem Freundeskreis dabei sein, zudem habe er einen eigenen Freundeskreis, den die Vertrauensperson vom Sehen kenne.

Seitens der erkennenden Richterin wurde unter Einräumung einer Stellungnahmefrist auf das übermittelte bzw. ausgehändigte Länderinformationsmaterial verwiesen.

11. Am 24.3.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in der im Wesentlichen darauf hingewiesen wurde, dass er im Iran aufgewachsen und dort sozialisiert worden sei und in Afghanistan über keinerlei familiäre oder soziale Netzwerke verfüge. Zudem sei er herausragend in die österreichische Gesellschaft integriert, habe sehr gute Deutschkenntnisse, den Pflichtschulabschluss absolviert, ausgezeichnete Zukunftsperspektiven sowie eine tief greifende soziale Verwurzelung im Bundesgebiet.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Bayat an. Er ist schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari bzw. spricht er Farsi. Er ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Ghazni geboren, reiste mit Eltern und Geschwistern im Kleinkindalter in den Iran aus und kehrte mit seinen Eltern im Erwachsenenalter nach Afghanistan zurück, wo er zwei Tage in Herat, dann eine Woche in Kabul und zuletzt mehrere Monate im familieneigenen Haus in Ghazni aufhältig war, bevor er vor seiner Flucht nach Europa für einige Wochen in den Iran zurückkehrte.

Die Familie besitzt ein vom Großvater väterlicherseits geerbtes 200 m2 großes Haus samt großem Grundstück und Landwirtschaft im Heimatdorf. Das Haus wurde kurz vor der Ausreise nach Europa vom Beschwerdeführer und dessen Eltern renoviert. Es ist nicht glaubwürdig, dass sich die Gegner dieses mittels gefälschter Urkunde angeeignet hätten.

Der Beschwerdeführer besuchte im Iran zwei Jahre lang die Schule, wobei er drei Klassen absolvierte, und er holte in Österreich den Pflichtschulabschluss nach. Der Beschwerdeführer arbeitete im Iran seit dem Alter von elf Jahren als Schneider und war einige Zeit auch in Afghanistan als solcher tätig.

Der Beschwerdeführer wuchs im afghanischen Familienverband auf und ist somit nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.2.1.  Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie wurden in Afghanistan jemals von den Taliban oder von anderen Personen aufgesucht oder von diesen bedroht.

Der Beschwerdeführer wurde weder von den Taliban entführt noch festgehalten oder von diesen bedroht. Der Beschwerdeführer hatte keinen Kontakt zu den Taliban, er wird von diesen auch nicht gesucht.

Der Beschwerdeführer wurde nicht von den Taliban aufgefordert mit ihnen zusammen zu arbeiten oder für sie ein Selbstmordattentat durchzuführen.

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Bayat und wegen seiner Religionszugehörigkeit zu den Schiiten konkret und individuell weder physischer noch psychischer Gewalt ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer ist wegen seines Aufenthalts in einem westlichen Land oder wegen seiner Wertehaltung in Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt. Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt keine westliche Lebenseinstellung beim Beschwerdeführer vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist, und die ihn in Afghanistan exponieren würde.

1.2.2.  Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer auch keine Zwangsrekrutierung durch die Taliban oder durch andere Personen.

Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt.

1.3.    Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit 11.7.2015 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom selben Tag in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer besuchte im Bundesgebiet diverse Kurse, verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 und legte die ÖIF-Integrationsprüfung ab. Zuvor erwarb er ein ÖSD-Diplom A2. In der Verhandlung antwortete er sehr häufig auf Deutsch. Zurzeit besucht er den Kurs für das Niveau B2.

Der Beschwerdeführer absolvierte im Bundesgebiet den Pflichtschulabschluss.

Der Beschwerdeführer konnte in Österreich Freundschaften knüpfen und Unterstützungsschreiben vorlegen.

Der Beschwerdeführer wird von Vertrauenspersonen als höflich, fleißig, leistungsstark, motiviert, anpassungsfähig und praktisch beschrieben, er halte sich an die hier ortsüblichen Gepflogenheiten und Regeln. Er lebt bei seiner Vertrauensperson und ist in ihre Familie integriert. Der Beschwerdeführer verfügt weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen, wie Ehefrau oder Kinder in Österreich.

1.4.    Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz Ghazni aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Der Familie des Beschwerdeführers gehört ein großes Haus samt großem Grund in Ghazni sowie große landwirtschaftliche Grundstücke. Der Beschwerdeführer unterstützt seine Familie derzeit finanziell nicht.

Der Beschwerdeführer hat zumindest grundlegende Ortskenntnisse betreffend Herat.

Der Beschwerdeführer kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer alternativen Ansiedelung in den Städte Herat bzw. Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer auch möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten Herat bzw. Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.5.    Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Stand 13.11.2019, die EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO) und die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Schutzsuchender vom 30.8.2018 (siehe Anlage) stellen einen integrierten Bestandteil dieses Erkenntnisses dar und werden als Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat herangezogen.

1.6. Lage der Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

Zur allgemeinen Situation betreffend COVID-19 ist auszuführen, COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet.

Die Wahrscheinlichkeit von schweren Erkrankungen und Todesfällen steigt bei Personen über 65 Jahren und bei Personen mit definierten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf- Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen, geschwächtem Immunstatus, Krebs und Fettleibigkeit deutlich an. Diese Risikogruppen sind bis heute für die Mehrheit der schweren Erkrankungen und Todesfälle verantwortlich. Nach der Infektion gibt es aktuell (noch) keine spezifische Behandlung für COVID-19, jedoch kann eine frühzeitige unterstützende Therapie, sofern die Gesundheitsfürsorge dazu in der Lage ist, die Ergebnisse verbessern. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Krankheitsverlauf des COVID-19, sofern es durch das Coronavirus ausgelöst wurde, für die Allgemeinbevölkerung als mild bis moderat, für ältere Menschen mit definierten Risikofaktoren jedoch als gravierend bis tödlich eingeschätzt wird (s. www.who.int/health topics/coronavirus).

Im Hinblick auf die derzeit bestehende Pandemie, aufgrund des Corona-Virus, wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht unter die Risikogruppe der Personen über 65 Jahren und der Personen mit Vorerkrankungen fällt. Ein bei einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Afghanistan vorliegendes „real risk“ einer Verletzung des Art. 2 oder 3 EMRK ist hierzu nicht erkennbar.

2.       Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich insbesondere aus dem vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakt und dem vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Ermittlungsverfahren.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinem Aufwachsen sowie seiner familiären Situation, seiner Schulausbildung und seiner Berufserfahrung gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellung zur Sozialisierung des Beschwerdeführers nach den afghanischen Gepflogenheiten, ergibt sich daraus, dass er zwar die meiste Zeit im Iran, jedoch mit seiner afghanischen Familie aufgewachsen ist und durch diese sozialisiert wurde. Auch wenn er wegen seiner großteils im Iran verbrachten Kindheit Farsi spricht, so lebte er dennoch bei seinen Eltern, deren Muttersprache Dari ist.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

2.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers war insgesamt widersprüchlich, gesteigert, vage und nicht plausibel.

So erklärte er im Rahmen seiner Einvernahme vor der belangten Behörde, er hätte mit seiner Familie nach ihrer Rückkehr nach Ghazni ca. fünf bis sieben Monate in ihrem Haus gelebt, als sechs oder sieben unbekannte Personen an der Türe geklopft hätten. Der Vater, der vor ca. 23 oder 24 Jahren Beamter gewesen sei, für Dr. Najibullah gearbeitet und Ausweise ausgestellt habe, sei nicht zu Hause gewesen. Der Beschwerdeführer habe die Türe geöffnet, sei nach seinem Namen gefragt worden und als er diesen genannt habe, sei er von den Männern als Sohn eines Verräters beschimpft worden. Die Männer hätten den Beschwerdeführer zwar zuerst festgehalten, dann aber von ihm abgelassen, denn sie hätten nur seinen Vater gewollt. Sonst habe es keine Vorfälle gegeben.

Dieses Vorbringen wurde in weiterer Folge vor dem Bundesverwaltungsgericht jedoch gesteigert und selbst wenn man den erstmals nach der Beschwerde in der Stellungnahme vom März 2020 vage getätigten Angaben Glauben schenkte, dass der Beschwerdeführer nicht sämtliche entscheidungsrelevante Tatsachen hätte vorbringen können bzw. vieles falsch protokolliert worden wäre, so waren auch seine Aussagen im Rahmen der mündlichen Verhandlung widersprüchlich, gesteigert und nicht plausibel.

Dass seine Familie seinerzeit in den Iran gezogen war, erklärte er zunächst wie bisher damit, sein Vater wäre zu der Zeit, als Najib an der Macht gewesen sei, staatlicher Angestellter gewesen und führte dann aus, damals hätten die Taliban Kräfte sammeln und - weil sein Vater studiert und Erfahrung gehabt habe - diesen einsetzen wollen, als der Dschihad begonnen habe. Sein Vater habe dies abgelehnt, weshalb sie begonnen hätten, ihn zu bedrohen. Deswegen und weil damals der Krieg begonnen und der Vater bereits vier Kinder gehabt habe, hätte die ganze Familie Afghanistan verlassen. Sein Vater glaube, weil er von dort geflüchtet sei, würden die Taliban an ihm Rache nehmen und er glaube, auch sein jüngerer Bruder (der Onkel) wäre deshalb festgenommen oder vielleicht getötet worden.

Abgesehen davon, dass auch dieses Vorbringen äußerst schwach blieb, ist es vollkommen unplausibel, dass die Taliban, bei denen es sich um sunnitische Paschtunen handelt, einen schiitischen Bayat rekrutieren würden, selbst wenn er studiert hat und erfahren ist oder – wie in weiterer Folge angegeben - die Familie sehr viel Grund und ein großes Haus besitzt. Dass diese Leute, nachdem der Vater die Zusammenarbeit abgelehnt habe, eine Art Wut gehabt hätten und deshalb die Grundstücke und den Besitz an sich reißen wollten, ist ebenfalls nicht glaubwürdig, zumal die Familie über 20 Jahre später an eben diesen Grund zurückkehren konnte und sogar das Haus renovierte ohne deshalb Probleme zu bekommen.

Dass die Taliban einen Bayat, einen schiitischen Moslem, dazu aufgefordert hätten, mit ihnen in den Dschihad zu ziehen, versuchte der Beschwerdeführer auf Vorhalt hin überdies damit zu erklären, dass sie dächten, weil die Familie schiitisch sei, wären sie Hazara. Die Taliban hätten eine Art Feindschaft mit Hazara und Schiiten und damals ihre Macht erweitern wollen, weshalb es für sie keinen Unterschied gemacht hätte. Auch dies ist – ua. eben wegen der damaligen Feindschaft – nicht plausibel zumal die Taliban Gegnern nicht genug vertraut hätten, um solche Personen, also den Beschwerdeführer oder seinen Vater im Dschihad einzusetzen.

Vorgehalten, der Beschwerdeführer habe – im Widerspruch zu seinen jetzigen Erklärungen - im Verfahren angegeben, er glaube, dass sein Vater deswegen Afghanistan verlassen hätte, weil er für die Regierung gearbeitet und Ausweise erstellt hätte, bejahte der Beschwerdeführer dies und versuchte diesen Widerspruch dahingehend zu relativieren, damals sei der Aufruf zum Dschihad gegen die Regierung gekommen, deren Angestellter der Vater gewesen sei. Sie hätten diesen damals entweder töten wollen oder seine Zusammenarbeit gewollt.

Dementsprechend ist es auch nicht glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer selbst im Falle einer Rückkehr in den Dschihad ziehen müsse und die Taliban seinem Vater bei dessen Folter gesagt hätten, er sei jetzt älter geworden und statt ihm müsse sein Sohn zu ihnen kommen und sich ihnen anschließen. Überdies ist nicht plausibel, dass die Taliban den Beschwerdeführer nicht sofort daraufhin angesprochen haben, als sie seinen Vater gesucht und den Beschwerdeführer sogar misshandelt haben sollen, um den Aufenthaltsort des Vaters zu erfahren. Damals hätten sie nur gewollt, dass der Vater ihren Stützpunkt aufsuche und nichts davon erwähnt, dass der Beschwerdeführer nunmehr zu ihnen kommen solle. Sie hätten ihn bei diesem Vorfall nur deshalb bedroht bzw. misshandelt, weil sie geglaubt hätten, der Beschwerdeführer lüge sie an und verschweige den Aufenthaltsort seines Vaters. Erst im weiteren Verlauf der Verhandlung brachte der Beschwerdeführer die Gefahr einer Zwangsrekrutierung bezüglich seiner eigenen Person gesteigert vor.

Deshalb sind auch die weiteren Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht glaubhaft und außerdem widersprüchlich. Als der Beschwerdeführer damals in den Iran gekommen sei, sei sein Vater alleine Richtung Afghanistan gefahren und auf dem Weg nach Ghazni bei einem Kontrollpunkt mit vielen anderen Männern festgenommen worden. Dabei hätten sie seine Tazkira gefunden, ihn zu einem ihrer Stützpunkte gebracht und herausgefunden, wer er sei. Dann hätten sie ihn deshalb sehr belästigt und die Familie, als der Beschwerdeführer nicht mehr in Ghazni gewesen sei, noch einmal zu Hause aufgesucht. Sie hätten gedacht, der Vater wäre für die Flucht des Beschwerdeführers verantwortlich und hätten ihn mit heißem Metall auf seinem Bauch markiert und einen Finger abgeschnitten, weil sie hätten wissen wollen, wo sich der Beschwerdeführer aufhalte. Gefoltert worden sei der Vater in diesem Stützpunkt Zwei Tage nach der Flucht des Beschwerdeführers seien die Taliban wieder beim Haus der Familie gewesen.

Abgesehen davon, dass auch dieses Vorbringen sehr vage blieb, ist es auch höchst widersprüchlich, dass die Taliban zuerst den Beschwerdeführer misshandelt haben sollen, nur um den Aufenthaltsort des Vaters herauszufinden und dann, als sie diesen eher zufällig erwischt hätten, ihn nur deshalb gefoltert haben, um wieder an den Beschwerdeführer zu gelangen. Zu den im Akt befindlichen Fotos eines Mannes (des Vaters) mit einem verkürzten Finger ist der Vollständigkeit halber anzumerken, dass diese Verletzung auf verschiedenste Weise entstanden sein kann und kein Beweis für eine Folter ist.

Somit ist es dem Beschwerdeführer insgesamt nicht gelungen, glaubhaft zu machen, in der Heimat von Verfolgung durch die Taliban bedroht zu sein.

Festzuhalten ist auch, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich angab, er sei keiner persönlichen Bedrohung wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit ausgesetzt gewesen.

2.3.    Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich, insbesondere zur Aufenthaltsdauer, seinen Deutschkenntnissen, seinen fehlenden familiären oder engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich, stützen sich auf die Aktenlage, auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und den persönlichen Eindruck der erkennenden Richterin vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die von ihm während des gesamten Verfahrens vorgelegten, unter Punkt I. detailliert aufgezählten, Unterlagen.

2.4.    Zur Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

2.4.1. Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Ghazni ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten.

Die Feststellungen zu den Eigentums- und Vermögensverhältnissen der Familie des Beschwerdeführers in Afghanistan ergeben sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers und daraus, dass er selbst im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärte, sie hätten das (vom Großvater geerbte) Haus mit ihrem eigenen Geld während ihrer Rückkehr nach Afghanistan renoviert, sodass die kurze Zeit später gemachte Erklärung, die Grundstücke würden in Europa lebenden Verwandten gehören, ebenso wenig plausibel ist, wie die vage Angabe, mit seinem Vater verfeindete Personen hätten wegen der – wie unten unter Punkt II.2.2. ausgeführt - ebenfalls nicht glaubwürdigen fluchtauslösenden Probleme des Vaters die Eigentumsurkunden gefälscht.

Ebenso ist nicht glaubwürdig, dass die Landwirtschaft wegen Wassermangels bei einer Bewirtschaftung keine Erträge abwerfen würde, zumal der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht zunächst angegeben hatte, Bauern würden diese für die Familie bestellen und erst auf Vorhalt hin zu relativieren versuchte, dies wäre zur Zeit seines Großvaters gewesen.

Die Feststellungen zur Rückkehrhilfe ergeben sich aus den Länderberichten.

Die Feststellung zu den grundlegenden Ortskenntnissen über Herat ergibt sich aus der Aussage des Beschwerdeführers, dass er zwar noch nicht in Herat gelebt hat, aber er während seiner Rückkehr zwei Tage dort gewesen ist. Er kann auch innerhalb kurzer Zeit Ortskenntnisse erwerben.

Die Feststellung zur Anpassungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich daraus, dass er in Österreich den Pflichtschulabschluss nachholte, verschiedenste Kurse absolvierte, Deutsch bis zum Niveau B1 lernte, ehrenamtlichen Tätigkeiten nachgeht, bereits viele Jahre im Iran und kurze Zeit in Afghanistan als Schneider arbeitete, er sich in Österreich zurechtfindet und angab, einer Arbeit nachgehen zu können. Es sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die gegen eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit oder gegen eine Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers sprechen.

2.4.2. Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des Beschwerdeführers in den Städten Herat bzw. Mazar-e Sharif, ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR und EASO aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan – aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben des Beschwerdeführers. Die Feststellung zur Prognose, dass sich der Beschwerdeführer in den Städten Herat/Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen kann, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass Herat bzw. Mazar-e Sharif als relativ sicher gelten und unter der Kontrolle der Regierung stehen. Diese sind auch sicher erreichbar. Die Versorgung der Bevölkerung ist in diesen Städten grundlegend gesichert.

Der Beschwerdeführer ist durch seine Familie mit der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert. Er kann sich daher in diesen Städten zurechtfinden. Der Beschwerdeführer hat im Iran drei Schulklassen in zwei Jahren absolviert, in Österreich den Pflichtschulabschluss nachgeholt und mehrere Jahre im Iran und für einige Zeit in Afghanistan als Schneider gearbeitet. Zudem ist er im Bundesgebiet ehrenamtlich tätig. Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter, gesund, volljährig, alleinstehend, anpassungsfähig und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer hat keine Sorgepflichten. Er kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Das Bundesverwaltungsgericht geht daher auf Grund dieser Umstände davon aus, dass sich der Beschwerdeführer nach anfänglichen Schwierigkeiten auch in Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen und sich dort eine Existenz ohne unbillige Härte aufbauen kann.

2.5.    Zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u.a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist. Die in der Beschwerde zitierten Länderberichte sind durch die aktuellen, in den Feststellungen zitierten Länderinformationen überholt.

2.6. Zur Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

Die unter Punkt II.1.6. getroffenen unstrittigen Feststellungen zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus ergeben sich aus den unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen (z.B. https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html; https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/)

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und verfahrensrechtliche Grundlagen:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, liegt gegenständlich die Zuständigkeit der nach der geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts zuständigen Einzelrichterin vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte ist mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts durch das Verwaltungsgerichtsverfahrens (VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG idgF bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zweck des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG idgF sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß §§ 16 Abs 6 und 18 Abs 7 BFA-VG idgF sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

3.2. Zu Spruchpunkt A)

3.2.1.  Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:

3.2.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:

„Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1.         dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2.         der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

…“

3.2.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt also dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "begründete Furcht vor Verfolgung" (VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthalts zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011 ua).

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233, mwH).

Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH vom 17.06.1993, Zl. 92/01/1081; VwGH vom 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).

Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Eine Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zahl 98/01/0370; 22.10.2002, Zahl 2000/01/0322).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden k

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten