TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/9 W109 2195673-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.10.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W109 2195670-1/8Z
W109 2195593-1/8Z
W109 2195667-1/8Z
W109 2195664-1/8Z
W109 2195673-1/7Z

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), 4. XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ) und 5. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 16.04.2018, 1. Zl. XXXX - XXXX , 2. Zl. XXXX - XXXX , 3. Zl. XXXX - XXXX , 4. Zl. XXXX - XXXX und 5. Zl. XXXX - XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.09.2020 zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX und XXXX gemäß § 34 iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 sowie XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan erteilt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Am 28.12.2015 stellten die Zweitbeschwerdeführerin und der Erst-, Dritt und Viertbeschwerdeführer, alle afghanische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Hazara, nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich erstmals im Bundesgebiet Anträge auf internationalen Schutz.

Am 29.12.2015 gab der Erstbeschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, stamme aus Jaghuri, sei Analphabet und habe zuletzt als Hilfsarbeiter gearbeitet. Er sei wiederholt im Iran gewesen, um zu arbeiten. Zum Fluchtgrund befragt führte er aus, in Afghanistan gebe es keine Sicherheit, er habe Angst vor dem Daesh. Sie seien nach Österreich gekommen, damit seine Kinder eine bessere Zukunft hätten. Er sei Schiit und habe daher Angst um sein Leben, die Taliban und Daesh würden Schiiten töten. Die Zweitbeschwerdeführer gab im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, sie sei afghanische Staatsangehörige stamme ebenso aus Jaghuri, sei Analphabetin und zuletzt Hausfrau gewesen. Zu den Fluchtgründen befragt gab sie an, die Sicherheitslage in Afghanistan sei schlecht, die Taliban und der Daesh würden die Menschen töten, sie seien aus Angst um ihr Leben hierhergekommen.

Die Fünftbeschwerdeführerin wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren und stellte am 23.10.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 12.04.2018 gab der Erstbeschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst an, er habe Afghanistan wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen und weil er schiitischer Hazara sei. Deshalb habe er Probleme mit den Taliban und dem IS. Er könne sich nicht frei bewegen, Schiiten würden angehalten und entführt. Die Zweitbeschwerdeführern führte in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 12.04.2018 zu ihren Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, sie habe Afghanistan wegen der Taliban und dem IS verlassen, die Hazara würden verfolgt. Sie hätten sich nicht frei bewegen können.

2.       Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 16.04.2018, zugestellt am 19.04.2018, wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, es sei zu keinem Zeitpunkt von einer individuellen Verfolgung im Sinne der GFK berichtet worden. Im Hinblick auf die kursorische Darstellung ethnischer und konfessioneller Probleme werde angemerkt, dass sich sämtliche Angehörigen noch in der Herkunftsprovinz aufhalten würden. Da diese Personen einen innerstaatlichen Verzug nicht wenigstens erwogen hätten, könne nicht von einer Gruppenverfolgung ausgegangen werden. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei zumutbar.

3.       Am 14.05.2018 langte die vollumfängliche Beschwerde der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein in der im Wesentlichen ausgeführt wird, die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer seien aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit und ihres Glaubens asylrelevanter Verfolgung durch Taliban und Daesh ausgesetzt. Sie hätten einen westlichen Lebensstil entwickelt, sie würden sich nach westlicher Mode kleiden. Insbesondere die Zweitbeschwerdeführerin lehne Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und könne sich nicht mehr vorstellen, sich wieder dem konservativ-afghanischen Rollenbild für Frauen zu unterwerfen. Ihr drohe wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen im Fall der Rückkehr Verfolgung. Sicherheits- und Versorgungslage seien schlecht, eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar. Die Dritt- und Viertbeschwerdeführer, sowie die Fünftbeschwerdeführerin seien minderjährig, die belangte Behörde habe es unterlassen, die Minderjährigkeit in ihre Entscheidung einfließen zu lassen.

Am 01.09.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer, ihr bevollmächtigter Rechtsvertreter, eine im Akt namentlich genannte Zeugin und ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

In der mündlichen Verhandlung wurden Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt und hielten ihr Vorbringen einer Verfolgung der schiitischen Hazara, sowie einer „westlichen“ Orientierung der Zweitbeschwerdeführerin aufrecht.

In Lauf des Verfahrens wurden folgende Dokumente vorgelegt:

?        Zeugnisse und andere Schulunterlagen betreffen die Dritt- und Viertbeschwerdeführer

?        Teilnahmebestätigungen des Erstbeschwerdeführers betreffend Freizeitaktivitäten und Deutschkurse

?        Teilnahmebestätigungen der Zweitbeschwerdeführerin für Deutschkurs

?        Empfehlungsschreiben

?        Teilnahmebestätigung des Erstbeschwerdeführers für einen Werte- und Orientierungskurs

?        Teilnahmebestätigung der Zweitbeschwerdeführerin für einen Werte- und Orientierungskurs

?        Bestätigungen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin über gemeinnützige Tätigkeiten

?        Teilnahmebestätigungen des Dritt- und Viertbeschwerdeführers für das Fußballtraining

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen

Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin, der Dritt- und Viertbeschwerdeführer, sowie die Fünftbeschwerdeführerin sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Ihre Muttersprache ist Dari.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet, die Dritt- und Viertbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin sind ihre gemeinsamen Kinder.

Der Erstbeschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde am XXXX in einem Dorf im Distrikt Jaghuri, Provinz Ghazni geboren. Er war als Mauerer tätig und hat auch gelegentlich im Iran gearbeitet. Im Bundesgebiet hat er einige Deutschkurse und einen Werte- und Orientierungskurs besucht und leistet in Österreich ehrenamtliche Arbeit, etwa auf einem Friedhof.

Die Zweitbeschwerdeführerin trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde im Jahr XXXX in einem Dorf im Distrikt Jaghuri, Provinz Ghazni, geboren. Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin war in der Landwirtschaft tätig. Sie hat keine Schule besucht, war im Herkunftsstaat Hausfrau und nie berufstätig.

In Österreich lebt die Zweitbeschwerdeführerin von der Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Seit dem Jahr 2018 besucht die Zweitbeschwerdeführerin regelmäßig Deutschkurse, dann wird die Fünftbeschwerdeführerin vom Erstbeschwerdeführer betreut. Eine Deutschprüfung hat sie noch nicht abgelegt. Sie spricht kaum Deutsch. In ihrer Freizeit nimmt die Zweitbeschwerdeführerin regelmäßig an einem internationalen Frauentreffen teil und leistet im Begegnungszentrum der Gemeinde wöchentlich ehrenamtliche Putzdienste. Die Zweitbeschwerdeführerin fährt Rad, geht schwimmen und kauft selbstständig Lebensmittel und Kleidung ein. Sie trägt kein Kopftuch mehr. Die Zweitbeschwerdeführerin ist schwanger, sie besucht männliche Ärzte. Konkrete Schritte in Richtung Berufstätigkeit hat die Beschwerdeführerin nicht unternommen.

Der Drittbeschwerdeführer trägt den im Spruch angeführte Namen und wurde im Jahr XXXX geboren. Er besucht im Bundesgebiet die Volksschule. In seiner Freizeit nimmt er drei Mal in der Woche am Training seines Fußballvereines teil.

Der Viertbeschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde im Jahr XXXX geboren. Er besucht die Neue Mittelschule. In seiner Freizeit nimmt auch er drei Mal in der Woche am Training seines Fußballvereines teil.

Die Fünftbeschwerdeführerin trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren. Sie geht noch nicht in den Kindergarten.

Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Alle Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer sind gesund.

Der Erstbeschwerdeführer hat zwei Brüder und zwei Schwestern, alle sind verheiratet, haben Kinder und leben in der Provinz Ghazni, Distrikt Jaghuri. Seine Eltern sind verstorben. Kontakt besteht kaum.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat zwei Brüder und drei Schwestern, diese sind ebenso verheiratet, haben Kinder und leben in ihrem Herkunftsdorf im Distrikt Jaghuri, Provinz Ghazni. Kontakt besteht kaum. Ihre Eltern sind verstorben.

1.2.    Zu den Fluchtgründen

Der Zweit- und Fünftbeschwerdeführerin, sowie dem Erst-, Dritt- und Viertbeschwerdeführer drohen im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit keine Übergriffe durch private oder staatliche Akteure.

Frauen können sich in Afghanistan abgesehen von großen Städten nicht ohne männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit. In ländlichen Gebieten und in Gebieten unter der Kontrolle Aufständischer werden Frauen, die soziale Normen missachten, beispielsweise, indem sie kein Kopftuch tragen, bedroht und diskriminiert. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert nach Region und ethnischer Zugehörigkeit, in den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen präsent und viele Frauen gehen aus Furcht vor sozialer Ächtung keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach. In den meisten Teilen Afghanistans ist es Tradition, dass Frauen und Mädchen selten außerhalb des Hauses gesehen werden. Traditionell wird der Mann als Ernährer betrachtet, während Frauen Tätigkeiten im Haushalt verrichten. Berufstätige Frauen berichten über Beleidigungen, sexuelle Belästigung, fehlende Fahrgelegenheiten und fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme von Frauen in der Politik und bei Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft ein. Politisch tätige Frauen sind mit Gewalt konfrontiert.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat während ihres beinahe fünfjährigen Aufenthaltes in Österreich keine Lebensweise angenommen, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein anerkannten und verbreiteten Werten in Afghanistan darstellen würde und die insbesondere Teil ihrer Identität geworden wäre. Dass der Zweit- und Fünftbeschwerdeführerin allein aufgrund ihres Geschlechts im Herkunftsstaat Übergriffe drohen, wird nicht festgestellt.

Dem Erst-, Dritt- und Viertbeschwerdeführer, sowie der Fünftbeschwerdeführerin drohen im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Übergriffe durch staatliche oder private Akteure, weil sie als „verwestlicht“ wahrgenommen würde. Die Lebensführung der Erst-, Dritt- und Viertbeschwerdeführer bricht nicht mit in Afghanistan an Männer gestellten Rollenerwartungen.

1. 3.   Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Sicherheitslage in der Provinz Ghazni hat sich zuletzt verschlechtert, die Provinz zählt zu den besonders volatilen Provinzen des Herkunftsstaates. Im Jahr 2018 kam es zu einem Anstieg der zivilen Opfer um 84 % gegenüber 2018, ebenso 2018 kam es zu heftigen Kämpfen zwischen Taliban und afghanischen Streitkräften. Im November 2019 starteten die Taliban eine Großoffensive gegen die Hazara-Gebiete in Jaghuri und Malistan und wurden gegen Ende November wieder vertrieben. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 gehörte Ghazni ebenso zu den aktivsten Konfliktgebieten. Jaghuri ist umkämpft.

Im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsdistrikt droht den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern die Gefahr, dass sie im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Übergriffe Aufständischer misshandelt oder verletzt werden bzw. zu Tode zu kommen.

Afghanistan ist von der COVID-19-Pandemie betroffen, dies gilt insbesondere für Kabul, Balkh und Herat. Es gibt landesweit Beschränkungen von Mobilität, sozialen und geschäftlichen Aktivitäten sowie Regierungsdiensten. In größeren Städten wird auf die Einhaltung der Maßnahmen stärker geachtet. Der Flugverkehr wurde wenn auch eingeschränkt wiederaufgenommen. Der Verkehr in den Städten hat sich wieder normalisiert, Restaurants und Parks sind wieder geöffnet. Die Nahrungsmittelpreise steigen, aufgrund der Maßnahmen gibt es weniger Gelegenheitsarbeit. Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung, was zu einer Verschärfung von Armut und einem Rückgang der Staatseinnahmen führt. Besonders Familien mit sind von den wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie betroffen.

Im Fall einer Niederlassung des Dritt- und Viertbeschwerdeführers, sowie der Fünftbeschwerdeführerin in Kabul (Stadt), Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) besteht die Gefahr, dass der Erstbeschwerdeführer kein ausreichendes Einkommen erwirtschaften kann, um die gesamte (noch) fünfköpfige Familie zu ernähren und zu versorgen. Den Dritt- und Viertbeschwerdeführern, sowie der Fünftbeschwerdeführerin droht daher aufgrund ihrer Abhängigkeit von der Versorgung durch den Erstbeschwerdeführer die Gefahr, ihre notwendigen Lebensbedürfnisse wie Nahrung und Unterkunft nicht befriedigen zu können und so in eine ausweglose Lage zu geraten.

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und Muttersprache, sowie den familiären Beziehungen beruhen auf den gleichbleibenden Angaben im Lauf des Verfahrens, die auch die belangte Behörde nicht in Zweifel zog.

Im Hinblick auf die Fünftbeschwerdeführerin wurde zudem eine Geburtsurkunde in Vorlage gebracht, aus der hervorgeht, dass sie die Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin ist.

Die Feststellungen zur Identität des Erstbeschwerdeführers, seiner Herkunft und seinen Lebensverhältnissen im Herkunftsstaat beruhen auf seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben. Im Hinblick auf seinen Namen hat der Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht angegeben, er hätte zwei Vornamen, dies sei ihm zu lang. Er wolle anstatt XXXX nur XXXX heißen. Hierzu wird angemerkt, dass die Angabe des Erstbeschwerdeführers, er finde den Namen zu lang, nicht ausreicht, um eine andere Identität festzustellen, weil diese den vollständigen Namen zu umfassen hat. Das Bundesverwaltungsgericht behält daher den vollen Namen des Erstbeschwerdeführers bei.

Die Feststellungen zu Identität der Zweitbeschwerdeführerin, Herkunft, Lebenswandel und Lebensverhältnissen im Herkunftsstaat beruhen auf ihren gleichbleibenden, konsistenten Angaben im Lauf des Verfahrens. Dass die Zweitbeschwerdeführerin Grundversorgung bezieht, geht aus dem im Akt einliegenden, aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem hervor. Dieser bestätigt auch, dass die Zweitbeschwerdeführerin – wie von ihr selbst auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.09.2020 angegeben – schwanger ist, wobei als Entbindungstermin der XXXX aus dem Auszug hervorgeht. Zu ihren Deutschkursen hat die Zweitbeschwerdeführerin Bestätigungen vorgelegt (Beilagen zu OZ 5), ebenso zu ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit. Dass sie inzwischen nach fünf Jahren Aufenthalt ist Österreich Deutsch gelernt hat, um sich gut im Alltag ohne Hilfe zurechtzufinden, ist nicht ersichtlich Ihr Freizeitverhalten hat die Zweitbeschwerdeführerin im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.09.2020 lebensnah und plausibel dargestellt. Dass sie kein Kopftuch mehr trägt und wie es dazu kam, hat die Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.09.2020 lebhaft und nachvollziehbar geschildert. Hinsichtlich künftiger Berufswünsche hat die Zweitbeschwerdeführerin keinerlei konkrete Angaben gemacht und die Thematik im Zusammenhang mit ihrem Leben in Österreich bzw. mit jenen Aspekten in der Lebensführung, die sie in Afghanistan nicht beibehalten könnte, nicht berührt.

Die Feststellungen zur Identität des Drittbeschwerdeführers beruhen auf den Angaben seiner Eltern im Lauf des Verfahrens, wobei der Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.09.2020 im Wesentlichen angab, die Geburtsdaten seiner Söhne seien verwechselt worden (OZ 5, S. 15). Aufgrund dieser plausiblen Angaben hat das Bundesverwaltungsgericht die Geburtsdaten richtiggestellt. Hinsichtlich des Ersuchens, den zweiten Vornamen zu streichen, wird angemerkt, dass die Angabe des Erstbeschwerdeführers, er finde dies zu lang, nicht ausreicht, um eine andere Identität festzustellen, weil diese den vollständigen Namen zu umfassen hat. Das Bundesverwaltungsgericht behält daher die Identität des Drittbeschwerdeführers bei. Zum Besuch der Volksschule wurden Zeugnisse und weitere Unterlagen vorgelegt, zum Fußballverein eine Bestätigung (Beilagen zu OZ 5).

Die Feststellungen zur Identität des Viertbeschwerdeführers beruhen auf den Angaben seiner Eltern im Lauf des Verfahrens, wobei der Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.09.2020 im Wesentlichen angab, die Geburtsdaten seiner Söhne seien verwechselt worden (OZ 5, S. 15). Aufgrund dieser plausiblen Angaben hat das Bundesverwaltungsgericht die Geburtsdaten richtiggestellt. Zum Besuch der Neuen Mittelschule wurden Zeugnisse und weitere Unterlagen vorgelegt, zum Fußballverein eine Bestätigung (Beilagen zu OZ 5).

Die Feststellungen zur Identität der Fünftbeschwerdeführerin beruhen auf der vorgelegten Geburtsurkunde. Dass die Fünftbeschwerdeführerin noch nicht in den Kindergarten geht, hat die Zweitbeschwerdeführerin im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.09.2020 angegeben (OZ 5, S. 11).

Die Feststellung zur Unbescholtenheit von Erstbeschwerdeführer, Zweitbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer beruht auf den im jeweiligen Akt einliegenden aktuellen Auszügen aus dem Strafregister.

Zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer ist anzumerken, dass diese im Lauf des Verfahrens kein anderslautendes Vorbringen erstattet und auch keine medizinischen Unterlagen vorgelegt haben, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder Erkrankung nachweisen würden. Überdies gaben der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin diesbezüglich befragt im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.09.2020 an, sie seien alle gesund (OZ 5, S. 6).

Die Feststellungen zu den Angehörigen des Erstbeschwerdeführers beruhen auf dessen Angaben im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 12.04.2018 (AS 52), wobei der Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.09.2020 nachvollziehbar angab, es gebe keine Internet-Verbindung in dem Gebiet und der Kontakt über das Telefon sei schwierig (OZ 5, S. 13).

Die Feststellungen zum Verbleib der Geschwister der Zweitbeschwerdeführerin beruhen auf ihren plausiblen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.09.2020 (OZ 5, S. 8), wobei sie nachvollziehbar darlegte, dass sich der Kontakt zu den Geschwistern schwierig gestalte, weil in ihrem Gebiet kein Internet verfügbar sei. Nachdem sich aber Kontakt– wenn auch mühsam – herstellen lässt, wurde festgestellt, dass kaum Kontakt besteht.

2.2.    Zu den Fluchtgründen

Hinsichtlich der wiederholt von Erstbeschwerdeführerin und Zweitbeschwerdeführerin angeführten Gefährdung schiitischer Hazara ist zunächst auszuführen, dass dem mit Ladung des Bundesverwaltungsgericht vom 04.08.2020 (OZ 3) in das Verfahren eingebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 19.11.2019, letzte Information eingefügt am 21.07.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt), zufolge die schiitische Religionszugehörigkeit wesentlich zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara zählt (Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, insbesondere Unterkapitel 16.3. Hazara). Bedingt durch die nach der Berichtslage untrennbare Verbundenheit von Ethnie und Religionszugehörigkeit kann den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien) – ebenso mit Ladung des Bundesverwaltungsgericht vom 04.08.2020 (OZ 3) in das Verfahren eingebracht – oftmals nicht eindeutig zwischen einer Diskriminierung und Misshandlung aufgrund der Religion einerseits oder aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit andererseits unterschieden werden (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Unterabschnitt Schiiten, S. 69-70). Daher scheint in diesem Fall eine gemeinsame Betrachtung der Merkmale der Religions- und der Volksgruppenzugehörigkeit geboten.

Weder aus dem Länderinformationsblatt (Kapitel 15. Religionsfreiheit, insbesondere Unterkapitel 15.1. Schiiten sowie Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, insbesondere Unterkapitel 16.3. Hazara) noch aus den UNHCR-Richtlinien (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) religiöse Minderheiten [S. 66 ff.], insbesondere Unterabschnitt Schiiten [S 69 f.] und Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara [S. 106 f.]), ergibt sich, dass es systematisch und verbreitet zu so intensiven Übergriffen gegen schiitische Hazara kommt, dass gleichsam jeder Angehörige dieser Volksgruppe aufgrund seiner Anwesenheit im afghanischen Staatsgebiet mit Übergriffen rechnen muss. Zwar berichtet das Länderinformationsblatt von sozialen Ausgrenzungen und Diskriminierung ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag, die nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert werden und auch, dass ethnische Spannungen weiterhin zu Konflikten und Tötungen führen, gleichzeitig ist aber auch von einer grundsätzlichen Verbesserung der Lage der Hazara seit dem Ende der Taliban-Herrschaft sowie von deren Etablierung in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft die Rede. Auch berichtet wird von sozialer Diskriminierung, illegaler Besteuerung, Zwangsrekrutierung, physischer Misshandlung und Festnahme. Auch die vom Bundesverwaltungsgericht ebenso mit Ladung vom 04.08.2020 (OZ 3) in das Verfahren eingebrachte EASO Country Guidance Afghanistan von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance) berichtet hinsichtlich Angehörigen der Volksgruppe der Hazara, diese seien von Angriffen Aufständischer betroffen, sowie, dass diese üblicherweise (auch) mit deren Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam verknüpft seien. Es komme zu Entführungen und Tötungen entlang der Straßen, Orte, wo Schiiten zusammenkommen (etwa Moscheen und Demonstrationen) würden angegriffen (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69-70 und Buchstabe b. Shia, including Ismaili, S. 70). Der Einschätzung von EASO zufolge ist jedoch nicht davon auszugehen, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara bzw. der schiitischen Glaubensrichtung hiervon betroffen ist, es sie viel mehr auf individuelle Merkmale und Risikofaktoren abzustellen. Eine konkrete Betroffenheit von derartigen Umständen wird in den Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin jedoch nicht substantiiert und konkret dargetan, sondern beschränken sich diese auf Floskeln, ohne aber einen konkreten Vorfall zu schildern oder indivuelle Risikofaktoren oder Merkmale zu benennen.

Die Feststellungen zur Lage der Frauen in Afghanistan beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 17. Relevante Bevölkerungsgruppen, Unterkapitel 17.1. Frauen.

Im Hinblick auf Frauen, die sich mit westlichen Werten identifizieren, ist der EASO Country Guidance zu entnehmen, dass diese Opfer von Angriffen aufständischer Gruppierungen werden könnten und, wenn sie sich an ihre Freiheiten und Unabhängigkeit gewöhnt hätten, Schwierigkeiten mit der Anpassung an die sozialen Restriktionen in Afghanistan haben könnten. Im Hinblick auf Frauen wird berichtet, diese würden insbesondere als verwestlicht angesehen, wenn sie außerhalb des Hauses arbeiten oder über einen höheren Bildungsabschluss verfügen. Als verwestlicht wahrgenommene Frauen hätten mit Übergriffen durch Aufständische, die eigene Familie oder ihre konservative Umgebung zu rechnen (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 13. Individuals perceived as ‘Westernised’, S. 65-66).

Im Hinblick auf die Lebensweise der Zweitbeschwerdeführerin und die Frage, ob die Zweitbeschwerdeführerin eine neue Lebensweise derart verinnerlicht hat, dass er Teil ihrer Identität geworden ist, ist zunächst Bedacht darauf zu nehmen, wie die Zweitbeschwerdeführerin ihr Fluchtvorbringen erstattet hat. Diese deutet nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht darauf hin, dass die Zweitbeschwerdeführerin ein verfestigtes Bewusstsein für die ihr in Österreich zukommenden Möglichkeiten hinsichtlich Bewegungsfreiheit, Erwerbstätigkeit und Selbstbestimmung entwickelt hat und diesen Aspekten in ihrem persönlichen Empfinden keine große Relevanz zuschreibt. So beschränkt sich die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.09.2020 auf die Aufforderung hin, die Gründe, warum sie ihren Herkunftsstaat verlassen habe, möglichst abschließend und umfassend zu schildern, lediglich auf Angaben zur Sicherheitslage sowie auf ihr Fluchtvorbringen im Hinblick auf ihre Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit (OZ 5, S. 8). Befürchtungen, sich im Hinblick auf eine selbstbestimmte Lebensweise einschränken zu müssen, äußert die Zweitbeschwerdeführerin nicht aus eigenem Antrieb. Dies wertet das Bundesverwaltungsgericht als starkes Indiz dafür, dass die Beschwerdeführerin die Inanspruchnahme ihrer Grundrechte nicht verinnerlicht hat, mag sie im Bundesgebiet auch einen weiteren außerhäuslichen Aktionsradius pflegen, als sie dies in Afghanistan getan hat und im Fall der Rückkehr tun könnte. Erst auf konkrete Befragung durch ihren Rechtsvertreter, ob sie in Afghanistan Probleme hätte, weil sie eine Frau sei, gibt die Beschwerdeführerin einige allgemeine Floskeln im Hinblick auf Bewegungseinschränkungen und die Verpflichtung ein Kopftuch zu tragen wieder (OZ 5, S. 9), stellt aber keinen konkreten Bezug zu sich selbst her, der erkennen ließe, welche konkreten Lebenspläne sie dann nicht verwirklichen könnte. Weiter gibt die Zweitbeschwerdeführerin zwar an, sie habe im Herkunftsstaat keine Schule besuchen und keine Ausbildung machen dürfen, obwohl sie dies gern gewollt habe (OZ 5, S. 7). Auch dies entpuppt sich jedoch vor dem Hintergrund der von der Zweitbeschwerdeführerin im Bundesgebiet tatsächlich gelebten Partizipation an Bildungsangeboten als Floskel. So hat die Zweitbeschwerdeführerin in fünf Jahren Aufenthalt zwar Deutschkurse besucht, jedoch weder eine Prüfung abgelegt, noch andere Fortbildungsmöglichkeiten wahrgenommen. Dies begründet die Zweitbeschwerdeführerin zwar nachvollziehbar damit, dass jemand habe zuhause bleiben und sich um die Tochter habe kümmern müssen (OZ 5, S. 10). Dieser Umstand ändert jedoch nichts daran, dass die Zweitbeschwerdeführerin ihre Möglichkeiten tatsächlich kaum wahrgenommen hat und insbesondere auch keinerlei Pläne für die Zukunft äußert. So legt die Zweitbeschwerdeführerin weder einen Berufswunsch noch andere konkrete Vorstellungen für ihre künftige Lebensgestaltung dar. Auch die Angaben der Zweitbeschwerdeführerin, sie würde das Geld der Familie verwalten schienen einstudiert. So scheint geradezu lebensfremd, dass der Erstbeschwerdeführer – wie im Übrigen auch der gemeinsame Sohn – von der Zweitbeschwerdeführerin ein „Taschengeld“ erhält (OZ 5, S. 10), während die Zweitbeschwerdeführerin ansonsten die Finanzhoheit innehat. Zumindest ist es mit der behaupteter maßen angestrebten gleichberechtigten Partnerschaft nicht in Einklang zu bringen. Gleiches gilt für die von der Zweitbeschwerdeführerin behaupteten Entscheidungsgewalt für Angelegenheiten, die die Familie betreffen (OZ 5, S. 10). Zusätzlich ist im Übrigen anzumerken, dass die Zweitbeschwerdeführerin etwa im Hinblick auf die Frage, warum sie damals ein Kopftuch trug und heute keines mehr trägt, durchaus lebendig und lebensnah den Prozess zu schildern vermochte, der für sie dazu geführt hat, dass sie seit kurzem kein Kopftuch mehr trägt (OZ 5, S. 10). Damit ist nicht nachvollziehbar, warum die Beschwerdeführerin im Hinblick auf andere Aspekte der Lebensführung lediglich Floskeln präsentieren kann und keine persönlichen Aspekte einbringt.

Der gesamtheitliche Eindruck, der sich aus den Lebensführungsaspekten und Angaben der Erstbeschwerdeführerin ergibt, deutet darauf hin, dass sie eine Lebensweise, die einen Bruch mit den allgemein anerkannten und verbreiteten Werten in Afghanistan, wie sie etwa dem Länderinformationsblatt (Kapitel 17. Relevante Bevölkerungsgruppen, Unterkapitel 17.1. Frauen) zu entnehmen sind, nicht verinnerlicht hat, wenn sich auch dahingehende Ansätze bereits zeigen mögen.

Mangels eines sich in ihrer zum Teil ihrer Identität gewordenen Lebensweise ausdrückenden Bruchs der Erstbeschwerdeführerin mit den in Afghanistan allgemein anerkannten und verbreiteten Werten erscheint das Risiko, dass sie im Fall einer Rückkehr als „verwestlicht“ im Sinne des bereits oben zitierten Risikoprofils i) Als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen (UNHCR-Richtlinien, S. 52) oder als eine Frau, die gesellschaftliche Normen überschreitet (siehe dazu UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe h) Frauen im öffentlichen Leben, S. 51) wahrgenommen würde und deshalb mit Übergriffen zu rechnen hätte, auch nicht gegeben. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin nicht berufstätig und hat keine dahingehenden Ziele oder (Aus)bildungswünsche geäußert.

Eine geschlechtsspezifische Gefährdung von Frauen, ohne das Hinzutreten weiterer Merkmale, wie etwa eine Ausrichtung an einem „westlichen“ Lebensstil oder die Ausübung öffentlicher oder politischer Ämter (siehe dazu das schon zitierten Risikoprofil h) Frauen im öffentlichen Leben der UNHCR-Richtlinien, S. 51) lässt sich den Vorliegenden Informationen zur Lage im Herkunftsstaat nicht entnehmen und konnte daher nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführerin allein aufgrund ihres Geschlechts im Herkunftsstaat Übergriffe drohen. Dies gilt im Übrigen auch für die Fünftbeschwerdeführerin.

Im Hinblick darauf, dass das auf „westliche“ Orientierung bezogene Fluchtvorbringen in der Beschwerde Namens der ganzen Familie erstattet wird, ist zunächst anzumerken, dass in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.09.2020 im Hinblick auf den Erst-, Dritt- und Viertbeschwerdeführer, sowie die Fünftbeschwerdeführerin konkretes Vorbringen nicht erstattet wurde. So gibt der Erstbeschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt lediglich an, in Afghanistan herrsche Krieg, es gebe keine Sicherheit und Hazara würden verfolgt. Ansonsten beziehen sich seine Angaben auf seine Frau, nämlich insofern, als er angibt, Frauen könnten sich in Afghanistan nicht frei bewegen, würden belästigt, vergewaltigt und hätten kein leichtes Leben (OZ 5, S. 13). Seine Frau könne nicht in Afghanistan leben, sie lebe nicht mehr, wie eine afghanische Frau, habe ihr Kopftuch abgelegt, kleide sich anders und sei nicht mehr, wie vor fünf Jahren. Er habe damit kein Problem, man solle sich in jedem Land der Gesellschaft anpassen (OZ 5, S. 14). Hierin ist jedoch nicht erkennbar, dass der Erstbeschwerdeführer davon ausgeht, er selbst habe eine Lebensweise angenommen, die mit afghanischen männlichen Rollenbildern nicht im Einklang stehe. Im Übrigen ergibt sich auch zwar aus der EASO Country Guidance, dass Personen, die aus westlichen Staaten zurückkehren, Ziel von Aufständischen werden können, weil sie als unislamisch wahrgenommen werden könnten (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 13. Individuals perceived as ‘Westernised’, S. 65-66). Auch die UNHCR-Richtlinien erwähnen Vorfälle, dass Rückkehrer aus westlichen Ländern von regierungsfeindlichen Gruppierungen bedroht, gefoltert oder getötet wurden, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen Gemächt hätten und „Ausländer“ geworden seien (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe i) Als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen, S. 52-53). UNHCR stellt dies jedoch nicht als „Massenphänomen“ dar. Für Männer berichtet zudem EASO, dieses Risiko sei minimal und von den spezifischen Umständen abhängig (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 13. Individuals perceived as ‘Westernised’, S. 65-66). Zudem ist anzumerken, dass es mit der Situation von Frauen vergleichbare Einschränkungen in der Lebensführung für Männer nicht gibt und eine mit der Situation für Frauen vergleichbare Situation auch nicht behauptet wurde.

Hinsichtlich seiner Kinder gibt der Erstbeschwerdeführer lediglich an, es herrsche Krieg, seine Kinder könnten dort nicht leben (OZ 5, S. 13). Sie würden in Österreich in die Schule gehen, hätten Freunde, würden Fußballspielen (OZ 5, S. 14), hätten in Österreich alle Möglichkeiten (OZ 5, S. 15). Er wolle, dass seine Tochter selbst entscheide, wen sie heirate, wenn sie erwachsen sei, ebenso seine Söhne. Sie müssten ihre Entscheidungen selbst treffen, wenn es um ihre Ehepartner oder ihre Religion gehe (OZ 5, S. 14). Auch die Zweitbeschwerdeführerin gibt hinsichtlich ihrer Tochter an, diese solle selbst entscheiden, wen sie heirate (OZ 5, S. 10). Im Übrigen gibt sie hinsichtlich ihrer Kinder lediglich an, sie wolle nichts Weiteres angeben und sagen, sie seien wegen ihrer Kinder hergekommen (OZ 5, S. 11). Im Hinblick auf Kinder, die sich an die Freiheiten und Unabhängigkeit im „Westen“ gewöhnt hätten, berichtet die EASO Country Guidance, diese könnten Schwierigkeiten haben, sich an die afghanischen sozialen Einschränkungen anzupassen (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 13. Individuals perceived as ‘Westernised’, S. 65-66). In Zusammenschau mit den Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Kinder ist allerdings nicht ersichtlich, dass über Anpassungsschwierigkeiten hinausgehende Gefährdungen zu erwarten sind, wobei das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich des Dritt- und Viertbeschwerdeführer nochmals auf die obigen Ausführungen zum Erstbeschwerdeführer zu verweisen ist. Hinsichtlich der Fünftbeschwerdeführerin ist angesichts ihres Alters noch nicht davon auszugehen, dass sie bereits ein ausgeprägtes Bewusstsein für geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen entwickelt hat. Davon, dass sie bereits eine „westliche“ Lebensweise angenommen hat, die Teil ihrer Identität geworden ist, ist damit nicht auszugehen.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, EASO Country Guidance und dem auch deren Grundlage bildenden EASO COI Report. Afghanistan. Security situation. von Juni 2019 sowie den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Ghazni beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. Sicherheitslage, Unterkapitel 3.10. Ghazni. Diese Informationen decken sich auch mit der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. subsidiary protection, Unterkapitel Article 15(c) QD, Buchstabe c. Indisriminate violance, Abschnitt Ghazni, S. 96. EASO stuft Ghazni im Hinblick auf das „real risk of serious ham under Article 15(c) QD nunmehr – im Gegensatz zur EASO Country Guidance: Afghanistan von Juni 2018 (Kapitel III. subsidiary protection, Unterkapitel Article 15(c) QD, Buchstabe b. Indisriminate violance, Abschnitt Indiscriminate violence assessment per province of Afghanistan, Unterabschnitt Ghazni, S. 81) – in der zweithöchsten und nicht mehr in der dritthöchsten Kategorie ein. Jaghori weist der EASO COI Report. Afghanistan. Security situation. von Juni 2019 als umkämpft aus.

Die Feststellungen zur COVID-19-Pandemie und ihren wirtschaftlichen Folgen beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Information eingefügt am 21.07.2020 und am 29.06.2020.

Die Feststellung zu den Folgen einer Niederlassung der Dritt- und Viertbeschwerdeführer sowie der Fünftbeschwerdeführer in Mazar-e Sharif, Herat (Stadt) oder Kabul (Stadt) beruht auf einer Zusammenschau von deren individuellen Umständen und Merkmalen.

Maßgebliche Faktoren für die Frage, ob sich der Dritt- und Viertbeschwerdeführer sowie der Fünftbeschwerdeführer im Fall einer Rückführung nach Herat (Stadt) oder Mazar-e Sharif eine Lebensgrundlage werden aufbauen können, sind insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, ethnischer und sprachlicher Hintergrund, Religion, das Vorhandensein von Identitätsdokumenten, Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten, sozialer und ökonomischer Hintergrund, Bildungshintergrund, Zugang zu einem sozialen Unterstützungsnetzwerk und Religion (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Unterabschnitt Reasonableness to settle, S. 135 ff.). Damit übereinstimmend stellen nach den UNHCR-Richtlinien insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, Verwandtschaftsverhältnisse sowie Bildungs- und Berufshintergrund (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers, S. 122) relevante Faktoren dar, wobei neben der Berücksichtigung dieser spezifischen persönlichen Umstände den UNHCR-Richtlinien zufolge auch darauf Bedacht zu nehmen ist, ob der Betreffende seine grundlegenden Menschenrechte wird ausüben können sowie ob er im für die Neuansiedelung in Betracht gezogenen Gebiet Möglichkeiten für ein wirtschaftliches Überleben (Zugang zu Unterkunft, Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur [Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung], Lebensgrundlage) unter würdigen Bedingungen vorfindet (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe c) Achtung der Menschenrechte und wirtschaftliches Überleben, S. 123 f.). Speziell zu Familien mit Kindern ist der EASO Country Guidance zudem zu entnehmen, dass insbesondere der soziale und ökonomische Hintergrund der Familie und deren Möglichkeit, Unterstützung bei einem sozialen Netzwerk zu erlangen, relevant ist. Der Zugang zu Schulbildung müsse im Zusammenhang mit der generellen Situation in der Stadt, sowie den individuellen Umständen der Familie betrachtet werden (EASO Country Guidance, Kapitel V. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, Unterabschnitt Individul circumstances, Profil Families with children, S. 138).

Zunächst sind der Dritt- und Viertbeschwerdeführer, sowie die Fünftbeschwerdeführerin als Minderjährige von der Versorgung durch erwachsene Bezugspersonen abhängig. Zwar würde eine Rückkehr im Familienverband erfolgen. Allerdings ist hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin, die Zeit ihres Lebens Hausfrau war und damit über keinerlei Berufserfahrung verfügt unter Berücksichtigung der im Herkunftsstaat ohnehin geringen Erwerbsbeteiligung von Frauen und der Schwierigkeiten, mit denen diese auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert sind, nicht zu erwarten dass die Zweitbeschwerdeführerin maßgeblich zum Haushaltseinkommen wird beitragen können (Länderinformationsblatt, Kapitel 17. Relevante Bevölkerungsgruppen, Unterkapitel 17.1. Frauen, Abschnitt Berufstätigkeit von Frauen). Vor dem Hintergrund der jüngsten weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Afghanistan infolge der COVID-19-Pandemie auch unter Berücksichtigung der bereits zuvor hohen Arbeitslosigkeit (Länderinformationsblatt, Kapitel 20. Grundversorgung), die – wie festgestellt – insbesondere Familie stark betrifft und das Angebot an Gelegenheitsarbeit verringert hat, ist nicht davon auszugehen, dass der Erstbeschwerdeführer ein zur Versorgung der gesamten Familie ausreichendes, regelmäßiges Einkommen wird erwirtschafte können. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Erstbeschwerdeführer Analphabet ist und die Familie über keinerlei soziale Anknüpfungspunkte in einer der afghanischen Städte verfügt. Der EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020 berichtet, dass für Rückkehrer insbesondere erweiterte Familiennetzwerke wesentlich sind, um Arbeit und Unterkunft zu finden (Kapitel 2.2.3 Employment opportunities for IDPs and returnees, S. 31) und berichtet ebenso – wie auch das bereits zitierte Länderinformationsblatt – von einer Verschärfung der wirtschaftlichen Lage, die insbesondere Familien betriff. Hinsichtlich Rückkehrern wird auch berichtet, sie seien besonders stark von Lebensmittelunsicherheit (Kapitel 2.4.2 Food security for IDPs and returnees, S. 40) betroffen, sowie von besonderen Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche (Kapitel 2.2.3 Employment opportunities for IDPs and returnees, S. 31). Im Hinblick auf den ökonomischen Hintergrund der Familie ist zudem anzumerken, dass der Erstbeschwerdeführer bereits zuvor im Herkunftsstaat als Hilfsarbeiter tätig war und außergewöhnliche finanzielle Ressourcen nicht ersichtlich sind. Insgesamt ist damit nicht davon auszugehen, dass der Erstbeschwerdeführer ein für die Versorgung der (noch) Fünfköpfigen Familie ausreichendes Einkommen wird erwirtschaften können, weswegen die Versorgung der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer, sowie der Fünftbeschwerdeführerin nicht gewährleistet ist.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Im Hinblick auf den ebenso herangezogenen EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020 ist anzumerken, dass Parteiengehör bezüglich dieses Berichtes entfallen konnte. Die belangte Behörde hat aufgrund ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Abfassung von Länderberichten sowie als spezialisierte Fachbehörde Kenntnisse über ebendiese Länderberichte; weiter wurden diese ausschließlich zugunsten der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer verwendet. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 30.08.2018, Ra 2017/18/0119 mwN).

3.1.1.  Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen der Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeine Gefahr eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, so hat jedes einzelne Mitglied schon aufgrund seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten. Diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (zuletzt VwGH 07.02.2020, Ra 2019/18/0400 mwN).

Der Beschwerdeführer konnte wie festgestellt seine Zugehörigkeit zur Gruppe der schiitischen Hazara glaubhaft machen.

Der Verwaltungsgerichthof nahm in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara irgendwo in Afghanistan an (zuletzt VwGH 07.02.2020, Ra 2019/18/0400). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara – unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit – nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

Da eine Gruppenverfolgung – in Hinblick auf die Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit – von Hazara und Schiiten in Afghanistan wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt nicht gegeben ist und die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer sich diesbezüglich auch keine individuelle Bedrohung dargetan haben, lässt sich hieraus eine asylrelevante Verfolgung nicht ableiten.

3.1.2.  Zur behaupteten Verfolgungsgefahr der Zweitbeschwerdeführerin wegen „westlicher“ Orientierung

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten „westlich“ orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Es reicht aus, dass die Asylwerberin diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (zuletzt VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0459).

Dabei führt nicht jede Änderung der Lebensführung, die im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste. Entscheidend ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine grundlegende und verfestigte Änderung der Lebensführung, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte. Die Verfolgung liegt darin, dass solche Frauen, obwohl ihr westliches Verhalten oder ihre westliche Lebensführung ein solch wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dieses Verhalten unterdrücken müssten (VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0303).

Im Hinblick auf die Lebensführung der Zweitbeschwerdeführerin im Bundesgebiet ist in Relation zur Frauen im Herkunftsstaat zugestandenen Teilnahme am öffentlichen Leben ersichtlich, dass die Zweitbeschwerdeführerin einen weiteren Aktionsradius pflegt, insbesondere etwa an einem Deutschkurs teilnimmt und sich alleine außer Haus in der Öffentlichkeit bewegt und etwa Schwimmen und Radfahren geht, an einem Frauenstammtisch teilnimmt, kein Kopftuch mehr trägt und ehrenamtliche Tätigkeit leistet. Damit ist zwar eine Änderung der Lebensführung ersichtlich, die mit Blick auf die festgestellte Lebensführung von Frauen im Herkunftsstaat im Fall der Rückkehr nicht aufrechterhalten werden konnte. Allerdings konnte die Zweitbeschwerdeführerin – wie beweiswürdigend ausgeführt – nicht im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes glaubhaft machen, dass sie einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein anerkannten und verbreiteten Werten in Afghanistan vollzogen hat und dass dieser Bruch bzw. ihre darauf gründende Lebensweise Teil ihrer Identität geworden wäre. Die Zweitbeschwerdeführerin konnte damit nicht glaubhaft machen, dass ihr im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung im Sinne der oben zitierten Judikatur zum „westlich“ orientierten Lebensstil droht.

3.1.3.  Zur behaupteten Verfolgungsgefahr der Erst-, Dritt- und Viertbeschwerdeführer, sowie der Drittbeschwerdeführerin wegen „westlicher“ Orientierung

Festzuhalten ist zunächst, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung die Asylgewährung wegen eines gelebten „westlich“ orientierten Lebensstils auf Frauen beschränkt hat. Zudem ist zum Gehalt des „westlich“ orientierten Lebensstils auszuführen, dass dieser vor allem eine selbstbestimmte Lebensweise umfasst, insbesondere Zugang zu Bildung und Ausbildung, Berufstätigkeit (ohne männliche Zustimmung), selbstständige Lebensführung auch außer Haus, Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung, Entscheidungshoheit über die eigene Lebensführung, etc. Zudem ist anzumerken, dass nach der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits bei Frauen nicht jede Änderung der Lebensführung, die im Fall der Rückkehr nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, bereits zur Schutzgewährung führt. Gegenständlich wurde festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, dass die Lebensführung des Erst-, Dritt- und Viertbeschwerdeführers nicht mit in Afghanistan an Männer gestellten Rollenerwartungen bricht. Ansonsten wurden festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, dass mit Übergriffen durch staatliche oder private Akteure, weil Erst-, Dritt- und Viertbeschwerdeführer, sowie die Fünftbeschwerdeführerin als „verwestlicht“ wahrgenommen sind, nicht zu erwarten sind. Allfällige anfängliche Anpassungsschwierigkeiten an die sozialen Gepflogenheiten im Herkunftsstaat erreichen die in der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes umrissene Intensitätsschwelle nicht.

Im Ergebnis waren die Beschwerden hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides daher als unbegründet abzuweisen.

3.2.    Zur Stattgebung der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides (Subsidiärer Schutz)

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Mit Erkenntnis vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106 hat der Verwaltungsgerichtshof sich mit der Rechtsprechung des EuGH zu den Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auseinandergesetzt. Danach sei subsidiärer Schutz nur in jenen Fällen zu gewähren, in denen die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK auf einen ernsthaften Schaden iSd Art. 15 Statusrichtlinie zurückzuführen ist, der vom Verhalten eines Akteurs iSd Art. 6 Statusrichtlinie verursacht wird (Art. 15 lit a. und b.), bzw. auf eine Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt (Art. 15 lit. c) zurückzuführen ist. Nicht umfasst sei dagegen die reale Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführende Verletzungen von Art. 3 EMRK. Insofern habe der nationale Gesetzgeber die Bestimmungen der Statusrichtlinie fehlerhaft umgesetzt, weil nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 AsylG jegliche reale Gefahr (real risk) einer Verletzung von Art 2. Art. EMRK, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führe (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

An diese Judikatur anschließend spricht der der Verwaltungsgerichthof in seinem Erkenntnis vom 21.05.2019, Ro 2019/19/0006 aus, dass die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausschließlich anhand Art. 15 Statusrichtlinie geprüft werden könne. Die Bestimmung sei – obgleich fehlerhaft in das nationale Recht umgesetzt – nicht unmittelbar anwendbar, weil dies zulasten eines bzw. zur Vorenthaltung von Rechten des Einzelnen nicht in Frage komme. Die nationale Regelung des § 8 Abs. 1 AsylG sei günstiger. Deren unionsrechtskonforme bzw. richtlinienkonforme Auslegung finde ihre Schranke jedoch in einer Auslegung contra legem des nationalen Rechtes. Eine einschränkende Auslegung des Wortlautes des § 8 Abs. 1 AsylG im Sinne einer teleologischen Reduktion sei vor dem Hintergrund des klaren gesetzgeberischen Willens – den der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung herausarbeitet – nicht zu rechtfertigen. Daher halte der Verwaltungsgerichtshof an seiner Rechtsprechung, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG begründen kann (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006 m.w.N.).

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes reicht es, um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen He

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten