Entscheidungsdatum
15.10.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W233 2199785-1/28Z
W233 2199791-1/18E
W233 2199789-1/18E
W233 2230291-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Andreas FELLNER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1) XXXX , geboren am XXXX Staatsangehöriger von Kirgisistan, 2) XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörige von Kirgisistan, 3) XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Kirgisistan und 4) XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Kirgisistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.05.2018, Zln. 1129981303-161270570 (ad 1.), 1129976706-161270774 (ad 2.) und 1129976804-161270804 (ad 3.) sowie gegen den Bescheid vom 13.03.2020, Zl. 1261959905-200226702 (ad 4.), nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 22.11.2018 und am 30.06.2020, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I., II. und III. der jeweils angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.
II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt IV. der jeweils angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist und XXXX , XXXX , XXXX und XXXX jeweils gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 und § 58 Abs. 2 iVm § 55 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
I.1. betreffend den Erst-, die Zweit- und den Drittbeschwerdeführer:
I.1.1. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer reisten am 19.09.2016 zusammen mit ihrer Frau bzw. Mutter im Besitz eines Visums der Kategorie C für den Schengen Raum, gültig von 10.09.2016 bis 07.10.2016, in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten noch am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei die minderjährigen Beschwerdeführer durch ihre Eltern als ihre gesetzlichen Vertreter vertreten wurden.
I.1.2. In seiner Erstbefragung am selben Tag gab der Erstbeschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund befragt zusammengefasst an, sein Cousin, welcher bei ihm und seiner Familie gewohnt habe, sei in Folge von Streitigkeiten mit der Polizei von Polizisten umgebracht worden. Die Polizei habe ihn gezwungen, sein Haus auf die Polizei zu überschreiben. Wenn er dies nicht gemacht hätte, wäre er für acht Jahre ins Gefängnis gekommen. Am nächsten Tag habe er der Polizei sein Haus überschrieben und seine Frau sei daraufhin sofort zu ihren Eltern nach Kasachstan in die Stadt Almata gereist. Sein Cousin sei am 20.06.2016 in Bischkek von der Polizei getötet worden und habe der Erstbeschwerdeführer nunmehr Angst um sein Leben, da er Zeuge dieses Vorfalls geworden sei. Seine Frau und Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.
I.1.3. In der Folge wurde der Erstbeschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Dabei hielt er sein Vorbringen aus der Erstbefragung im Wesentlichen aufrecht und führte dieses weiter aus.
I.1.4. Mit den gegenständlichen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.05.2018 wurden die Anträge des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin sowie des Drittbeschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kirgisistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Kirgisistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).
I.1.5. Der Antrag der Ehefrau bzw. Mutter der Beschwerdeführer, einer kasachischen Staatsangehörigen, wurde ebenfalls mit Bescheid vom 25.05.2018 abgewiesen und wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Kasachstan zulässig ist.
I.1.6. Gegen diese Bescheide wurde mit Schriftsatz vom 25.06.2018 fristgerecht Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung für die Beschwerdeführer günstigere Bescheide erzielt worden wären, erhoben.
I.1.7. Zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes fand am 22.11.2018 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in welcher der Erstbeschwerdeführer sowie seine Frau, die Beschwerdeführerin zur GZ: W233 2199795-1, zu ihrem Fluchtvorbringen einvernommen wurden. In der Beschwerdeverhandlung wurden die aktuellen Länderinformationsblätter der Staatendokumentation zu Kirgisistan (Stand 18.05.2018) und Kasachstan (Stand 20.07.2018) und jeweils eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation über Kirgisistan und Kasachstan betreffend die jeweilige Situation von Familien mit kasachischer und kirgisischer Staatsbürgerschaft in das Verfahren eingebracht.
I.1.8. Mit Verfahrensanordnung vom 26.04.2019 wurde den Beschwerdeführern aufgetragen, näher bezeichnete Urkunden im Original vorzulegen. Die Beschwerdeführer kamen der Aufforderung nach, woraufhin das erkennende Gericht amtswegig Übersetzungen der Urkunden einholte und eine urkundentechnische Untersuchung veranlasste.
I.1.9. Am 30.06.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine weitere mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in welcher das Ergebnis der urkundentechnischen Untersuchung erörtert wurde und der Erstbeschwerdeführer sowie seine Frau ergänzend zu ihrem Fluchtvorbringen sowie zu ihrem Privat- und Familienleben in Österreich einvernommen wurden.
I.2. Verfahrensgang zum Antrag des Viertbeschwerdeführers
I.2.1. Der Viertbeschwerdeführer ist der Sohn des Erstbeschwerdeführers und seiner Ehefrau, der Beschwerdeführerin im hg. Verfahren zur GZ: W233 2199795-1. Er wurde am 16.02.2020 in Österreich geboren. Mit Schriftsatz vom 26.02.2020 stellte er im Wege seiner gesetzlichen Vertreter unter Vorlage seiner Geburtsurkunde einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2.2. Mit Bescheid vom 13.03.2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seinen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kirgisistan (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Kirgisistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
I.2.3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner Vertretung am 07.04.2020 fristgerecht Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen
II.1.1. Zur Person der Beschwerdeführer
Die Beschwerdeführer führen jeweils den im Spruch genannten Namen, sind Staatsangehörige Kirgisistans und bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Der Erstbeschwerdeführer ist mit der kasachischen Beschwerdeführerin im hg. Verfahren W233 2199795-1 verheiratet und Vater der gemeinsamen Kinder, der Zweitbeschwerdeführerin sowie des Dritt- und des Viertbeschwerdeführers.
Der Erst-, die Zweit- und der Drittbeschwerdeführer halten sich seit 19.09.2016, dem Tag ihrer Antragstellung auf internationalen Schutz, durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf. Der Viertbeschwerdeführer wurde am 16.02.2020 in Österreich geboren und hält sich seit diesem Tag ebenfalls durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf.
Der Erstbeschwerdeführer ist Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken. Er wurde in Kirgisistan geboren und ist dort aufgewachsen. Der Erstbeschwerdeführer spricht usbekisch (Muttersprache), kirgisisch und russisch und verfügt zudem über einfache Kenntnisse der deutschen und englischen Sprache. Er hat in Kirgisistan 11 Jahre lang die Schule besucht und danach Finanz- und Kreditwesen studiert, hat das Studium jedoch nicht abgeschlossen. Zuletzt hat er mit seiner Frau und seinen Kindern in seinem Haus in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek gelebt.
Der Erstbeschwerdeführer hat in seinem Herkunftsstaat für sich und seine Familie den Lebensunterhalt finanziert, während seine Frau die Kinderbetreuung übernommen hat. Er hat dort gemeinsam mit seinem Bruder eine Boutique betrieben und mit chinesischen Mobiletelefonen und Zubehör gehandelt. Diese Boutique wird seit der Ausreise der Beschwerdeführer von seinem Bruder geführt.
In Österreich bestreiten die Beschwerdeführer ihren Lebensunterhalt aus den Mitteln der Grundversorgung, wobei der Erstbeschwerdeführer durch Tätigkeiten auf Basis von Dienstleistungsschecks zum Lebensunterhalt der Familie beiträgt.
Im österreichischen Bundesgebiet hat der Erstbeschwerdeführer Deutschkurse besucht und am Lehrgang „Pflichtschulabschluss“ teilgenommen, ohne diesen jedoch abzuschließen. Der Erstbeschwerdeführer verfügt nicht über einen Nachweis über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 InteG.
Die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer wurden ebenfalls in Kirgisistan geboren und haben dort bis zu ihrem sechsten bzw. vierten Lebensjahr gelebt.
Im österreichischen Bundesgebiet besuchen die Zweitbeschwerdeführerin als auch der Drittbeschwerdeführer eine öffentliche Schule. So hat die Zweitbeschwerdeführerin im Schuljahr 2019/2020 die vierte Klasse der Volksschule überwiegend mit sehr guten Noten abgeschlossen. Der Drittbeschwerdeführer hat im Schuljahr 2019/2020 die zweite Klasse der Volksschule als außerordentlicher Schüler besucht.
Die Beschwerdeführer verfügen in Kirgisistan über Familienmitglieder, zu welchen der Erstbeschwerdeführer auch Kontakt pflegt. Zudem verfügen sich auch in Kasachstan, dem Herkunftsstaat der Ehefrau des Erstbeschwerdeführers und Mutter der gemeinsamen Kinder, der Zweit-, des Dritt- und des Viertbeschwerdeführers, über Familienmitglieder, zu denen sie ebenfalls in Kontakt stehen.
In Österreich hingegen verfügen die Beschwerdeführer, abgesehen von den Mitgliedern ihrer Kernfamilie, über keine weiteren Familienangehörigen oder Verwandten.
Die Beschwerdeführer leben in einem gemeinsamen Haushalt mit der Ehefrau des Erstbeschwerdeführers bzw. Mutter der minderjährigen Zweit- bis Viertbeschwerdeführer. Der Erstbeschwerdeführer und seine Frau betreuen die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer grundsätzlich gemeinsam. Da der minderjährige Viertbeschwerdeführer erst rund acht Monate alt ist und von seiner Mutter gestillt wird, ist sie seine Hauptbezugs- und Betreuungsperson.
In Österreich haben sich die Beschwerdeführer einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut.
Der Erst- und der Drittbeschwerdeführer sind gesund.
Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an Asthma und einer Tierhaarallergie. Allerdings kann nicht festgestellt werden, dass die Krankheiten der Zweitbeschwerdeführerin dermaßen schwer, akut lebensbedrohlich und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbar wären, dass sie die Abschiebung nach Kirgisistan unzulässig machen würden.
Der Erstbeschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten, die minderjährigen Beschwerdeführer sind nicht strafmündig.
Der Erstbeschwerdeführer wurde als Zeuge zur Hauptverhandlung am 08.07.2020 im Verfahren des Landesgerichts XXXX zur Zl. XXXX geladen. Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat wäre die Strafverfolgung des in diesem Verfahren Angeklagten nicht gehindert. Der Erstbeschwerdeführer hat nicht zu fürchten, dass er im Herkunftsstaat aufgrund seiner Zeugenaussage Repressalien ausgesetzt sein wird.
II.1.2. Zu den Flucht- und Verfolgungsgründen sowie zur Situation im Fall der Rückkehr nach Kirgisistan:
Die Beschwerdeführer waren vor ihrer Ausreise in ihrem Herkunftsstaat keinen unmittelbaren Bedrohungen oder konkreten Gefahren, im Besonderen nicht durch Organe der kirgisischen Polizei, ihre körperliche Unversehrtheit betreffend ausgesetzt. In Kirgisistan drohen ihnen keine physischen oder psychischen Gewalthandlungen durch staatliche Behörden oder nichtstaatliche Personen.
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer aufgrund ihrer Volksgruppe oder aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund einer politischen Gesinnung verfolgt wurden bzw. ihnen im Falle einer Rückkehr nach Kirgisistan eine solche Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.
Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Kirgisistan in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.
Schließlich kann auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.
II.1.3. Zur Fortführung des Familienlebens in der Kirgisischen Republik oder in der Republik Kasachstan
II.1.3.1. Voraussetzungen für die Einbürgerung in der Kirgisischen Republik sind ein ständiger Aufenthalt in Kirgisistan für mindestens fünf Jahre, Grundkenntnisse der Amtssprache Kirgisisch, die Verpflichtung sich an die Verfassung und die Gesetze zu halten, sowie eine Quelle zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Eine Doppelstaatsbürgerschaft ist grundsätzlich möglich, wird jedoch im Fall von Nachbarstaaten der Kirgisischen Republik ausgeschlossen. Eine Eheschließung hat keinen Einfluss auf die Staatsangehörigkeit (vgl. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Kirgisistan, Staatsbürgerschaftsrecht, vom 13.03.2018, S. 1).
Bürger der Republik Kasachstan können die Republik Kirgisistan visafrei für bis zu 60 Tage betreten. Ausländer oder Staatenlose benötigen in der Kirgisischen Republik eine Arbeitsgenehmigung, um eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
Eine befristete Aufenthaltsgenehmigung für die Republik Kirgisistan wird in folgenden Fällen ausgestellt:
- Arbeit in der Kirgisischen Republik;
- Studium in einer Bildungseinrichtung auf Antrag dieser Bildungseinrichtung und des kirgisischen Ministeriums für Bildung und Wissenschaft; und
- Nachgehen von Investitionstätigkeiten in der Kirgisischen Republik.
Sie kann durch Personen, die sich für mindestens sechs Monate in der Kirgisischen Republik aufhalten, bei den nächstgelegenen Organen des kirgisischen Innenministeriums beantragt werden. Eine befristete Aufenthaltserlaubnis wird für die Dauer von einem Jahr, mit der Möglichkeit einer späteren Verlängerung um höchstens fünf Jahre, erteilt. Die Prüfung eines Antrags auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung erfolgt in der Regel innerhalb von höchstens einem Monat.
Daueraufenthaltsgenehmigungen werden für eine Dauer von fünf Jahren erteilt, jedoch nicht über die Gültigkeitsdauer des ausländischen Reisepasses hinaus. Daueraufenthaltsgenehmigungen werden (unter anderem) für Ausländer oder Staatenlose, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihren ständigen Wohnsitz in der Kirgisischen Republik haben, ausgestellt (vgl. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Kirgisistan, Staatsbürgerschaftsrecht, vom 13.03.2018, S. 5ff.).
Für die Fortsetzung eines Familienlebens der Beschwerdeführer mit der Ehefrau des Erstbeschwerdeführers bzw. Mutter der gemeinsamen Kinder in Kirgisistan bedeutet dies:
Es steht nicht fest, dass die Ehefrau des Erstbeschwerdeführers bzw. die Mutter der minderjährigen Zweit- bis Viertbeschwerdeführer über eine Aufenthaltsberechtigung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht in Kirgisistan verfügt hat oder aktuell verfügt. Für sie besteht die Möglichkeit, sich für die Dauer von 60 Tagen visumsfrei in Kirgisistan aufzuhalten. Im Fall der Einreise nach Kirgisistan kann sie jedoch nicht darauf vertrauen, eine befristete oder unbefristete Aufenthaltsberechtigung zu erlangen. Die Voraussetzungen für die Einbürgerung in Kirgisistan erfüllt die Ehefrau des Beschwerdeführers nicht. Die Fortführung des gemeinsamen Familienlebens mit der kasachischen Ehefrau bzw. Mutter ist im Fall der Abschiebung der Beschwerdeführer in der Kirgisischen Republik sohin nicht gesichert.
II.1.3.2. Für eine Einbürgerung gibt es in Kasachstan mehrere Voraussetzungen. Dazu zählen ein ständiger Wohnsitz in Kasachstan für fünf Jahre, eine mindestens dreijährige Ehe mit einem kasachischen Staatsbürger, oder im Fall von Staatsangehörigen ehemaliger Unionsrepubliken mit ständigem Wohnsitz in Kasachstan, die Existenz eines nahen Verwandten (ein Kind, der Ehepartner, ein Elternteil, ein Geschwister, ein Großelternteil) mit der kasachischen Staatsbürgerschaft. Die Entscheidung über Anträge auf Einbürgerung als Staatsangehöriger der Republik Kasachstan obliegt dem Präsidenten der Republik Kasachstan. Das Staatsbürgerschaftsrecht der Republik Kasachstan erlaubt keine Doppelstaatsbürgerschaft (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Kasachstan, Staatsbürgerschaftsrecht vom 13.03.2018, S. 1).
In der Republik Kasachstan wird das Recht eines Ausländers auf dauerhaften Aufenthalt in Kasachstan durch eine Aufenthaltsgenehmigung verbrieft. Die Ausstellung dieses Dokuments erfolgt nach Ansuchen durch die Gebietskörperschaft des Migrationsdienstes. Die wichtigste Anforderung, die denjenigen gestellt wird, die in Kasachstan ankommen und eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen, ist der Nachweis ihrer Bonität. Eine Aufenthaltsgenehmigung für die Republik Kasachstan wird für die Dauer von 10 Jahren ausgestellt, oder für die Gültigkeitsdauer des Reisepasses des Fremden (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Kasachstan, Staatsbürgerschaftsrecht vom 13.03.2018, S. 6f.).
Für die Fortsetzung eines Familienlebens der Beschwerdeführer mit der Ehefrau des Erstbeschwerdeführers bzw. Mutter der gemeinsamen Kinder in Kasachstan bedeutet dies:
Den kirgisischen Beschwerdeführern kommt aktuell kein Aufenthaltsrecht in Kasachstan zu. Sie können nicht darauf vertrauen, in Kasachstan eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten und ist daher die Fortführung des gemeinsamen Familienlebens mit der kasachischen Ehefrau und Mutter in Kasachstan nicht gesichert. Die Voraussetzungen für die Einbürgerung in Kasachstan erfüllen die Beschwerdeführer nicht.
II.1.1.4. Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat Kirgisistan:
Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen werden folgende Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 18.05.2018):
Sicherheitslage
Die ruhig verlaufenen Parlamentswahlen vom 4.10.2015 haben die politische Lage weiter stabilisiert, jedoch stellen Armut und soziale Spannungen das Land weiterhin vor große Herausforderungen. Als Folge der schwierigen Wirtschaftslage nimmt die Kriminalität zu. Bei Demonstrationen besteht die Gefahr von gewalttätigen Ausschreitungen. Auch Terroranschläge können nicht ausgeschlossen werden (SDA 24.4.2018).
Die Rückkehr islamistischer Kämpfer, die Zeit im Dienst des sogenannten Islamischen Staates verbrachten, stellt eine Herausforderung dar, wenn auch derzeit von marginaler Bedeutung. Allerdings trägt die begrenzte staatliche Kapazität Kirgisistans, genauere Informationen hierüber zu erlangen, zu Sicherheitsbedenken in bestimmten ländlichen Gebieten bei (BTI 1.2018).
Die Präsidenten Kirgisistans und Usbekistans kamen im Oktober 2017 zu einem bahnbrechenden Treffen zusammen, das zur Lösung von 85% der Grenzstreitigkeiten zwischen den beiden Ländern führte und eine verstärkte Zusammenarbeit an vielen Fronten verspricht. So wurde kürzlich der Grenzübergang bei Dostyk wieder geöffnet, wodurch sich durch die Grenze getrennte Familien ohne mühsamen bürokratischen Prozess sehen können. Diese Entwicklung folgte auf den Tod des usbekischen Präsidenten Islam Karimow 2016 und die Machtübernahme seines reformorientierten Nachfolgers (Al Jazeera 14.11.2017).
Im April 2018 haben sich Grenzbeamte in Kirgisistan und Usbekistan darauf geeinigt, die Koordinierung anlässlich der Erschießung eines kirgisischen Bürgers durch usbekische Grenzschutzbeamte zu intensivieren. Nach einem Treffen in der usbekischen Stadt Namangan kamen Beamte beider Länder überein, den Einsatz von scharfer Munition gegen Zivilisten außer in Ausnahmefällen zu verbieten. Es ist geplant, eine gemeinsame Grenzkommission einzuberufen, um die Zusammenarbeit zur Stärkung des öffentlichen Bewusstseins für richtiges Verhalten in Grenzgebieten, die Koordinierung von Patrouillen und die Entwicklung eines einheitlichen Verhaltenskodex für das Grenzpersonal zu erörtern (Eurasia.net 13.4.2018).
Rechtsschutz / Justizwesen
Die Justiz ist traditionell die schwächste der drei Gewalten. Trotz anhaltender Diskussionen über die Justizreform und das Versprechen der Unabhängigkeit der Justiz hat es die Führung Kirgisistans - insbesondere der Präsident - versäumt, der Justiz echte Autonomie und Selbstverwaltung zu gewähren. Denn im Gegenteil hat sich entgegen der Reformrhetorik die Unterordnung der Justiz gegenüber der Regierung und insbesondere dem Präsidenten verstärkt. Für ein paar Jahre war die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs die einzige bemerkenswerte Ausnahme von der gerichtlichen Unterwerfung. Viele der Entscheidungen der Verfassungskammer waren nicht zu Gunsten der Regierung und einige von ihnen widersprachen stark den Präferenzen des Präsidenten. Seit 2015 hat das Gremium jedoch durch die Entlassung eines Richters, der den Präsidenten kritisiert hatte, und die Ernennung von zwei dem Präsidenten treuen Richtern viel von seiner Unabhängigkeit verloren. Der Rest der Justiz ist nach wie vor weitgehend der politischen Kontrolle unterworfen, korrupt und institutionell abhängig. In allen jüngsten Meinungsumfragen wurden die Gerichte als eine der beiden korruptesten Institutionen wahrgenommen (die andere ist die Polizei). Es gibt viele Gründe für die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz. Das Budget der Justiz wird von der Regierung zugewiesen, wodurch die Justiz finanziell abhängig wird. Die juristische Ausbildung ist ein weiteres systematisches Problem, das eine kaum reformierte juristische Schule im sowjetischen Stil kultiviert, die an allen Universitäten als sehr korrupt empfunden wird. Ein Mechanismus zur Gewährleistung einer unparteiischen und leistungsorientierten Richterauswahl, der Nationale Rat zur Auswahl der Richter, wurde unmittelbar nach seiner Gründung in Streitigkeiten verwickelt und ist zu einem unbedeutenden Organ geworden (BTI 1.2018).
Wie in den vergangenen Jahren haben NGOs und Überwachungsorganisationen, darunter das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte und die OSZE, Beschwerden über willkürliche Verhaftungen registriert. Die allgemeine gesetzliche Beschränkung der Untersuchungsdauer beträgt 60 Tage. Politische Machenschaften, komplexe Gerichtsverfahren, schlechter Zugang zu Rechtsanwälten und begrenzte Ermittlungskapazitäten verlängern oft die Zeit der Angeklagten in Untersuchungshaft über die 60-Tage-Grenze hinaus, wobei einige der Betroffenen bis zu einem Jahr festgehalten wurden. Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, aber die Richter sind der Beeinflussung oder der Korruption ausgesetzt. Es gibt Fälle, in denen die Ergebnisse der Gerichtsverhandlungen vorherbestimmt erscheinen. Mehrere Quellen, darunter NGOs, Anwälte, Regierungsbeamte und Privatpersonen, behaupten, dass Richter Bestechungsgelder zahlten, um ihre berufliche Positionen zu erreichen. Etliche Anwälte behaupten, dass Bestechung unter Richtern allgegenwärtig sei. Zahlreiche NGOs beschreiben allgegenwärtige Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren, einschließlich erzwungener Geständnisse, Anwendung von Folter, Verweigerung des Zugangs zu Rechtsbeistand und Verurteilungen in Ermangelung hinreichend schlüssiger Beweise oder trotz entlastender Beweise. Internationale Beobachter berichten von Drohungen und Gewalttaten gegen Angeklagte und Verteidiger innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals sowie von Einschüchterungen von Prozessrichtern durch Angehörige und Freunde der Opfer. Die Sitten und Gebräuche der Justiz widersprechen weiterhin dem Grundsatz der Unschuldsvermutung. Die Ermittlungen im Vorfeld des Verfahrens konzentrieren sich fast ausschließlich auf die Sammlung ausreichender Beweise zum Nachweis der Schuld. Verteidiger beschweren sich, dass Richter routinemäßig Fälle, wenn es nicht genügend Beweise gibt, an die Ermittler zurückgeben, um Schuld nachzuweisen, während dieser Zeit können Verdächtige in Haft bleiben. Richter verhängen für gewöhnlich zumindest eine bedingte Strafe (USDOS 20.4.2018).
Die Zahl der Fälle, in denen Beamte strafrechtlich verfolgt werden, hat in den letzten Jahren generell zugenommen. Es kommt häufiger vor, dass mittlere Steuerbeamte, Staatsanwälte, Polizisten und andere öffentliche Amtsträger wegen Amtsmissbrauchs, Korruption oder Unterschlagung angeklagt und verfolgt werden (BTI 1.2018).
Im Rule of Law Index 2017-18 des World Justice Project (WJP) rangiert Kirgisistan auf Platz 82 von 113 Ländern, was eine Verbesserung um einen Rang im Vergleich zu 2016 bedeutet. In der Subskala Ziviljustiz nimmt das Land den Rang 84 und in der Subskala Strafjustiz den Platz 101 von 113 Staaten ein (WJP 31.1.2018).
In der öffentlichen Meinung hinsichtlich der Arbeit von kirgisischen und internationalen Institutionen nehmen die nationalen Gerichte mit Abstand den letzten Platz ein. 50% beurteilen laut einer Studie [n=1.500] des International Republican Institute Ende 2017 die Arbeit der Gerichte negativ, während 41% diese positiv bewerten (bei 8% Unentschlossenen bzw. Antwortverweigerern). Hinsichtlich der Korruption hielten 83% der Befragten die Gerichte als sehr oder teilweise korrupt, lediglich von der staatlichen Autoinspektionsbehörde übertroffen (IRI 5.2.2018).
Mindestens 200 Demonstranten haben sich Anfang März 2018 in der Innenstadt von Bischkek versammelt, um Justizreformen und die Entlassung von "korrupten Richtern" zu fordern. Die Demonstranten versammelten sich vor dem Obersten Gerichtshof und marschierten dann zu dem Gebäude, in dem sich das kirgisische Parlament und die Präsidialverwaltung befinden. Die Demonstranten hatten eine Liste mit mehr als 20 angeblich korrupten Richtern und forderten Präsident Sooronbai Jeenbekov auf, diese zu ersetzen. Sie forderten auch den Rücktritt des Chefs des Staatlichen Komitees für Nationale Sicherheit, Abdil Segizbaev. Die Polizei hat sich nicht eingemischt (RFE/RL 5.3.2018).
Sicherheitsbehörden
Die Untersuchung allgemeiner und lokaler Verbrechen fällt in die Zuständigkeit des Innenministeriums, während Verbrechen auf nationaler Ebene in die Zuständigkeit des Staatskomitees für nationale Sicherheit (GKNB) fallen, welches auch den Sicherheitsdienst des Präsidenten kontrolliert. Die Generalstaatsanwaltschaft verfolgt sowohl lokale als auch nationale Verbrechen. Sowohl lokale als auch internationale Beobachter sagen, dass die GKNB und Strafverfolgungsbehörden in weit verbreitete willkürliche Verhaftungen verwickelt sind, darunter einige, die angeblich politisch motiviert sind, sowie in Misshandlung von Häftlingen und Erpressung, insbesondere im südlichen Teil des Landes. Die Behörden haben die meisten Verfahren wegen Korruption oder Amtsmissbrauch gegen Beamte des Innenministeriums abgewiesen. NGOs und andere Rechtsbeobachter stellen routinemäßig den Mangel an Frauen und ethnischen Minderheiten in der Polizei und in allen Regierungspositionen fest. Offiziell machen Frauen und Angehörige ethnischer Minderheiten etwa 6 bzw. 4% der Polizeikräfte aus. Nach UN-Statistiken machen ethnische Minderheiten jedoch etwa 27% der Bevölkerung aus (USDOS 20.4.2018).
Wenn die Regierung Reformen durchführt, hat sie oft auf den Widerstand der bestehenden Kader, die von den Veränderungen betroffen sind. Dies war zum Beispiel bei der Reform des Polizeisystems der Fall. Der Konservatismus des Systems hat bei jedem Reformprogramm zum gleichen Ergebnis geführt, nämlich dass die einzigen wesentlichen Änderungen neue Namen waren. Der Umstand ist mit der Korruption und der Politisierung der öffentlichen Verwaltung verbunden. Die Korruptionspyramide im Polizeidienst hat zu einer institutionellen Stagnation geführt, und das Fortbestehen der alten Strukturen und Muster bewirkt (BTI 1.2018).
Anfang April entließ Präsident Jeenbekov den Chef des Staatskomitees für Nationale Sicherheit, Abdil Segizbayev, und Generalstaatsanwältin Indira Joldubayeva, die als Verbündete von Ex-Präsident Atambayev galten und welche seit langem für das Vorgehen gegen Oppositionspolitiker und unabhängige Journalisten kritisiert wurden (RFE/RL 11.4.2018 u. 20.4.2018).
Folter und unmenschliche Behandlung
[…]
Korruption
Kirgisistan ist seit langem eines der korruptesten Länder der Welt. Jeder neue Präsident oder jede neue Regierung hebt die Korruption als ein großes Problem hervor, das angegangen werden muss. Trotz politischer Rhetorik bleibt die Korruptionsbekämpfung jedoch auf die selektive Bestrafung von politisch illoyalen Persönlichkeiten beschränkt. Im Jahr 2017 wurden mehrere hochkarätige Strafverfahren eingeleitet, bei denen die Angeklagten unter Anwendung des bisher selten applizierten Artikels 303 („Korruption“) des Strafgesetzbuches angeklagt wurden. Diese wurden jedoch weithin als politisch motivierte Schritte angesehen, die den selektiven Charakter der Korruptionsbekämpfung in Kirgisistan belegen. So waren alle Urteile gegen die oberste Führung der Oppositionspartei Ata Meken wegen Korruptionsvorwürfen in den Jahren 2010 oder 2011. Diese Fälle wurden als übereilte und politisch motivierte Verfolgung offener Kritiker des Präsidenten beschrieben (FH 11.4.2018).
Während das Gesetz strafrechtliche Sanktionen gegen Beamte vorsieht, die wegen Korruption verurteilt wurden, hat die Regierung das Gesetz nicht wirksam umgesetzt. Nach Angaben von Transparency International wurden offizielle Korruptionsfälle selektiv untersucht und verfolgt. Die Zahlung von Bestechungsgeldern zur Vermeidung von Ermittlungen oder Strafverfolgung war ein großes Problem auf allen Ebenen der Strafverfolgung. Strafverfolgungsbeamte, insbesondere im Süden des Landes, setzten häufig willkürliche Festnahmen, Folter und die Androhung von Strafverfolgung als Mittel zur Erpressung von Bargeldzahlungen von Bürgern ein. Die einzige Regierungsstelle, die befugt war, Korruption zu untersuchen, war die Antikorruptionsabteilung des Staatskomitees für nationale Sicherheit (GKNB). Dieses ist keine unabhängige staatliche Einrichtung, und ihr Haushalt verblieb im Rahmen des Funktionshaushalts des GKNB. Die Zusammenarbeit der Agentur mit der Zivilgesellschaft war begrenzt, und ihre Untersuchungen führten zu sehr wenigen Fällen, die vor Gericht gestellt wurden (USDOS 20.4.2018).
Kirgisistan belegt auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International für das Jahr 2017 Platz 135 von 180 Ländern (2016: Rang 136 von 176 Staaten) (TI 2018). In der Unterskala „Abwesenheit von Korruption“ des World Justice Project nimmt Kirgisistan Rang 104 von 113 Staaten ein (WJP 31.1.2018). Im World Competitive Index 2017/18 des Weltwirtschaftsforums nimmt Kirgisistan im Segment „illegale Zahlungen und Bestechungen“ Rang 122 von 137 Staaten ein (WEF 26.12.2017).
In einer Umfrage des IRI vom November 2017 sahen 95% der KirgisInnen die Korruption als ein sehr großes oder großes Problem an (74% „sehr großes Problem, 21% „großes Problem“. 20% meinten, dass die Regierung ausreichend Maßnahmen ergreift, um die Korruption zu bekämpfen. Zu den drei korruptesten Institutionen zählen, in den Augen der Öffentlichkeit, die staatliche Automobilinspektion (86% sehr oder teilweise korrupt), die Gerichte (83%) und die Polizei (83%). Bei keiner Institution überwog in Summe die Einschätzung von „wenig“ oder „gar nicht korrupt“ (IRI 5.2.2018).
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Allgemeine Menschenrechtslage
Das einst als "Insel für Demokratie und Freiheit" bekannte Kirgisistan macht seit einigen Jahren Rückschläge im Bereich der Menschenrechte durch. Obwohl die kirgisische Verfassung in Artikel 16 vorschreibt, dass alle in Kirgisistan lebenden Menschen vor dem Gesetz gleich sind und dass kein Mensch aufgrund von Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit, Sprache, Glauben, politischer Überzeugung, Ausbildung oder Behinderung diskriminiert werden darf, sieht die Realität häufig anders aus. Die jüngsten Verhaftungen in der politischen Landschaft Kirgisistans sind besorgniserregend. Nicht nur Politiker, sondern auch regierungskritische Journalisten und gesellschaftliche Aktivisten sind Zielscheibe der Justiz (GIZ 3.2018).
Die Behörden beschränkten das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung, insbesondere im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen. LGBTI-Personen waren weiterhin mit Diskriminierung und Gewalt durch staatliche und nichtstaatliche Akteure konfrontiert. Anfällige Gruppen, einschließlich Menschen mit Behinderungen, hatten zusätzliche Schwierigkeiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung (AI 22.2.2018).
Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören die Anwendung von Folter und willkürliche Verhaftungen durch Beamte der Strafverfolgungs- und Sicherheitsdienste, der zunehmende Druck auf unabhängige Medien, die Schikanierung von Journalisten, selektive und politisch motivierte Strafverfolgungsmaßnahmen, allgegenwärtige Korruption, Zwangsarbeit sowie Übergriffe, Drohungen und systematische Erpressung sexueller und ethnischer Minderheiten durch die Polizei. Die offizielle Straflosigkeit war ein großes Problem. Während die Behörden Berichte über offiziellen Missbrauch in den Sicherheitsdiensten und anderswo untersuchten, verfolgten und bestraften sie nur selten Beamte, die wegen Menschenrechtsverletzungen oder Mittäterschaft am Menschenhandel angeklagt waren (USDOS 20.4.2018).
Haftbedingungen
Mit Ende Jänner 2018 befanden sich rund 10.600 Personen in Haft, was einer Rate von 171 auf 100.000 Einwohner entspricht (Österreich: 94 im Juli 2017). Der Wert sank in der ersten Dekade kontinuierlich von einem Höchststand von 402 auf 183 im Jahr 2010. Seither bewegen sich die Werte zwischen 166 und 176. Der Prozentsatz von Untersuchungshäftlingen lag bei 18,4% aller Insassen (Österreich: 23,6%) (ICPR 2018).
Die Haftbedingungen sind hart und manchmal lebensbedrohlich aufgrund von Nahrungsmittel- und Medikamentenmangel, unzureichender Gesundheitsversorgung, fehlender Heizung und Misshandlungen. Die Einrichtungen für Untersuchungshaft und vorübergehende Inhaftierungen sind besonders überfüllt. Die Bedingungen sind im Allgemeinen schlimmer als in den Gefängnissen und Misshandlungen sind häufiger. Die Behörden halten Jugendliche in der Regel getrennt von Erwachsenen, transferieren diese aber in überfüllte provisorische Haftanstalten, wenn andere Einrichtungen nicht verfügbar sind. NGOs berichten, dass in einigen Fällen Gefängnisbanden die Gefängnisverwaltung und -disziplin kontrollierten, da es den Gefängnisbeamten an Kapazitäten und Fachwissen für den Betrieb einer Einrichtung fehlt. In einigen Fällen kontrollieren die Banden z.B. Essen und Kleidung, die ins Gefängnis gebracht werden. Nach Angaben von NGOs haben die Behörden nicht versucht, diese Gruppen zu zerschlagen, weil sie zu mächtig seien. NGOs berichten, dass Wachbeamte mehr Offenheit für Visiten von Beobachtern in Gefängnissen und Haftanstalten zeigen. Die meisten, darunter das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), berichten, dass sie ungehinderten Zugang erhalten. Einige NGOs haben das Recht, die Gefängnisse im Rahmen ihrer technischen Hilfe, wie etwa der medizinischen und psychologischen Betreuung, zu besuchen. Das Nationale Zentrum zur Prävention von Folter, eine unabhängige und unparteiische Einrichtung, ist befugt, Haftanstalten zu überwachen (USDOS 20.4.2018).
Todesstrafe
Die Todesstrafe wurde durch Gesetz im Juni 2007 für alle Straftaten abgeschafft. (AI 3.2018, vgl. AA 3.2018a).
Ethnische Minderheiten
Laut Schätzungen betrug 2017 der Anteil der Kirgisen 73,2% der Gesamtbevölkerung. Usbeken machten 14,6%, Russen 5,8% und Dunganen 1,1% aus. Die übrigen 5,3% verteilten sich u.a. auf Uiguren, Tadschiken, Türken, Kasachen, Tataren, Ukrainer, Koreaner und Deutsche (CIA 1.5.2018, vgl. MRGI 3.2018a).
Ethnische Usbeken bilden die größte Minderheit und leben hauptsächlich in den südlichen Regionen von Osch und Jalalabad. Die ethnischen Kirgisen machen heute fast drei Viertel der Bevölkerung aus. Slawen - hauptsächlich Russen, aber auch einige Ukrainer - waren bis vor kurzem die größte Minderheit in Kirgisistan. Anders als in anderen zentralasiatischen Staaten ist ein erheblicher Teil der Slawen Landbewohner. Ihre Zahl ist jedoch seit der Unabhängigkeit drastisch zurückgegangen. Auch die überwiegende Mehrheit der Deutschen ist ausgewandert, vor allem nach Deutschland. Juden, die einst in der Hauptstadt zahlreich waren und für ihren Beitrag zu Gesundheit, Technik und Kultur respektiert wurden, sind eine weitere Gruppe, die schnell schrumpft. Die überwiegende Mehrheit ist nach Israel ausgewandert, andere in die USA und nach Deutschland (MRGI 3.2018a).
Usbeken
Mit geschätzten 878.615 Personen (14,6% der Bevölkerung) stellen die Usbeken nach Angaben der Regierung im Jahr 2016 die größte Minderheit Kirgisistans dar und konzentrieren sich hauptsächlich auf die südlichen und westlichen Teile des Landes, insbesondere das Ferghana-Tal und die drei Verwaltungsbezirke Batken, Osch und Jalalabad. Usbeken sind überwiegend sunnitische Muslime der Hanafi-Schule, die von türkisch-mongolischen Invasoren mit stark iranischen Einflüssen abstammen. Trotz ihrer großen Zahl und geographischen Konzentration, auch in der Provinz Osch, wo sie die Mehrheit bilden, sind sie seit der Unabhängigkeit Kirgisistans eher von der Ausübung politischer Macht ausgeschlossen (MRGI 3.2018).
Die Spannungen zwischen ethnischen Usbeken, die fast 15% der Bevölkerung ausmachen, und den ethnischen Kirgisen bleiben problematisch, vor allem im südlichen Teil des Landes, wo die Usbeken fast die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Die Diskriminierung ethnischer Usbeken in Wirtschaft und Regierung sowie Schikanen und willkürliche Verhaftungen zeigten diese Spannungen auf. Ethnische Usbeken berichteten von großen öffentlichen Arbeiten und Straßenbauprojekten in überwiegend usbekischen Gebieten, die oft ohne öffentliche Konsultation durchgeführt wurden, die Nachbarschaften beeinträchtigten und Häuser zerstörten (USDOS 20.4.2018, vgl. MRGI 3.2018b).
In einem Urteil vom März 2017 stellte der UN-Menschenrechtsausschuss fest, dass vier ethnische Usbeken aus Südkirgisistan nach interethnischer Gewalt in Osch im Jahr 2010 willkürlich inhaftiert und misshandelt oder gefoltert wurden. Der Ausschuss kam zu dem Schluss, dass Kirgisistan die Foltervorwürfe der Beschwerdeführer untersuchen und eine angemessene Entschädigung leisten muss. Bis August 2017 waren 191 Personen wegen Terrorismus oder extremistischer Straftaten inhaftiert. Viele waren ethnische Usbeken, die behaupteten, sie seien aufgrund falscher Zeugenaussagen oder Beweise der Polizei verhaftet worden, und dass sie gefoltert und anderweitig in Polizeigewahrsam misshandelt worden seien (HRW 18.1.2018).
Während eine Reihe von Minderheiten im Land mit Herausforderungen in Bezug auf die Sprachrechte konfrontiert ist, sind die Erfahrungen der usbekisch-sprachigen Bevölkerung besonders akut. Während Usbekisch in Gebieten mit einem hohen Anteil an ethnischen Usbeken relativ weit verbreitet war, schrumpft seit 2010 der Raum für die usbekische Sprache im offiziellen Leben. Seit 2014-15 werden die Hochschulzugangsprüfungen nur noch in kirgisischer oder russischer Sprache angeboten (MRGI 3.2018b).
Der Hochkommissar für nationale Minderheiten der OSZE räumte anlässlich eines Besuches im April 2018 ein, dass sich acht Jahre nach den tragischen Ereignissen in Osch die interethnische Situation im Süden des Landes stabilisiert habe, aber die Herausforderungen bestehen bleiben, sodass konzertierte Anstrengungen notwendig sind, damit sichergestellt wird, dass sich alle Gemeinschaften einbezogen fühlen und frei am öffentlichen Leben teilnehmen können (OSCE 12.4.2018).
Frauen
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Kinder
Kirgisistan ist ein junges Land und 2,1 Millionen Kinder machen 36,5% der Bevölkerung aus. Kinderarmut ist ein ernstes Problem. Die Armut nimmt zu (32,1%), wobei Kinder in der Armutsstatistik überrepräsentiert sind (40,5% im Jahr 2015). Fast 900.000 Kinder in Kirgisistan leben in Armut und sind weiterhin von Armut betroffen. Kinder, die in Armut leben, versäumen die Vorschul- und Schulbildung sowie die Gesundheitsversorgung und sind der Unterernährung ausgesetzt. Die ärmsten Kinder leben hauptsächlich in ländlichen Gebieten im Süden des Landes. Viele gehören Familien mit drei und mehr Kindern und Familien mit arbeitslosen Erwachsenen an. Fast 73% der Kinder berichten von Missbrauch oder Vernachlässigung in der Familie. Es gibt jedoch einige Verbesserungen, um Kinder, die mit dem Gesetz in Berührung kommen, zu schützen. Mittlerweile wurde die Zahl der gegen Jugendliche verhängten Haftstrafen um 84% reduziert (UNICEF o.D.).
Nach Berichten von NGOs und der UNO waren Kindesmissbrauch, einschließlich Prügel, Kinderarbeit und kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Jungen und Mädchen, ein Problem. Kinder im Alter von 16 und 17 Jahren können mit Zustimmung der örtlichen Behörden legal heiraten, aber das Gesetz verbietet unter allen Umständen standesamtliche Ehen vor dem 16. Lebensjahr. Obwohl illegal, ging die Praxis der Brautentführung weiter. Die Nationale Statistikkommission schätzte, dass 15% der verheirateten Frauen zwischen 25 und 49 Jahren vor dem Alter von 18 Jahren und 1% unter 15 Jahren heiraten (USDOS 20.4.2018).
Wie in den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Berichte über die Vernachlässigung von Kindern aufgrund mangelnder Ressourcen der Eltern, und eine große Zahl von Kindern lebte in Heimen, bei Pflegefamilien oder auf der Straße. Etwa 80% der Straßenkinder waren interne Migranten. Straßenkinder hatten Schwierigkeiten beim Zugang zu Bildungs- und medizinischen Diensten. Die Polizei nahm Straßenkinder fest und schickte sie nach Hause, wenn eine Adresse bekannt war oder in ein Rehabilitationszentrum oder Waisenhaus. Staatliche Waisenhäuser und Pflegeheime waren nicht in der Lage, eine angemessene Betreuung zu gewährleisten, was zum Beispiel dazu führte, dass ältere Kinder in psychiatrische Einrichtungen verlegt wurden, auch wenn sie keine psychischen Probleme hatten (USDOS 20.4.2018).
Prostitution ist eine Praxis, die in Kirgisistan immer häufiger vorkommt. Viele Kinder, oft junge Mädchen, arbeiten in der Sexindustrie. In Bischkek sind mehr als 20% der Prostituierten junge Mädchen. Die meisten dieser Prostitutionsringe werden von weiblichen Zuhältern kontrolliert. Auch immer mehr Jungen im Alter von zwölf bis 16 Jahren werden ausgebeutet. Die Kunden, vor allem Geschäftsleute, kennen die Orte, an denen sie sexuelle Dienstleistungen von Schülerinnen für weniger als einen Dollar bekommen können. Viele Begleitservices sind in den großen Städten entstanden. Außerdem ist eine neue Praxis im Land aufgekommen: Junge Mädchen, meist zwischen elf und zwölf Jahren, fahren auf den Hauptbahnstrecken, um sich zu prostituieren. Sobald sie an der Endstation angekommen sind, werden diese Mädchen von ihren Kunden verlassen und bleiben ein oder zwei Tage auf der Straße, während sie auf einen neuen Reisenden warten (Humanium o.D.).
Bewegungsfreiheit
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Wirtschaft/ Grundversorgung
Kirgisistan rangiert im Doing Business 2017-Index der Weltbank auf Platz 75 von 190 Ländern und schneidet bei allen Kriterien für eine einfache Geschäftsabwicklung im Mittelfeld ab. Die Regierung verfolgt eine Politik zur Verbesserung der Marktbedingungen, wie z.B. den Abbau der zahlreichen bürokratischen Kontrollen. Einige systematische Herausforderungen wie Korruption und illegale Angriffe auf Eigentumsrechte bleiben jedoch bestehen, während einige Herausforderungen durch die Wirtschaftskrise in der Region noch verschärft werden. Die Währungsstabilität ist nach wie vor weitgehend gegeben. Es soll immer noch eine große informelle Wirtschaft geben, der die Regierung durch Erleichterung von Regulierung und Inspektionen beizukommen versucht. Es gibt keine verlässliche Schätzung der Größe der informellen Wirtschaft, obwohl verschiedene Quellen vermuten lassen, dass sie etwa 25% des BIP betragen könnte (BTI 1.2018).
Laut einer Umfrage aus 2017 sehen 52% der Kirgisen und Kirgisinnen Arbeitslosigkeit als das größte wirtschaftliche Problem des Landes an. Demgegenüber wirkt die offizielle Arbeitslosenzahl nicht sonderlich hoch. 2016 betrug der Anteil der arbeitslosen Menschen in Kirgisistan 8% der arbeitsfähigen Bevölkerung. Trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Lande hat das Nationale Statistik-Büro im Februar 2018 ein stabiles Wirtschaftswachstum festgestellt. Inflation trübt die Freude über positiven Entwicklungen für 2018, denn die Preise für Lebensmittel in Kirgisistan wachsen ständig. Zwei Drittel der Bevölkerung Kirgisistan leben in ländlichen Gebieten und betreiben vor allem landwirtschaftliche Subsistenzwirtschaft, produzieren also nur für den Eigenbedarf. Die Viehzucht, die schon in sowjetischer Zeit die Versorgung der Familie sicherte, nimmt auch heute noch einen hohen Stellenwert ein. Viele Familien haben ihr Leben zwischen Dorf und Stadt arrangiert. Ein Teil der Familie lebt auf dem Dorf, ein Teil in der Stadt. Oft hat die städtische Verwandtschaft dabei einen Teil ihres Besitzes in Vieh angelegt. Die Verwandten auf dem Dorf kümmern sich um die Herden der Verwandten und dürfen dafür in der Regel die Produkte der Tiere nutzen (GIZ 7.2017b).
Die kirgisische Wirtschaft hat sich von den externen Schocks 2014-15 erholt. Das Wachstum beschleunigte sich von 3,8% 2016 auf 4,5% im Jahr 2017, unterstützt durch weitere Verbesserungen in der russischen und kasachischen Wirtschaft und durch eine expansive makro-ökonomische Politik. Die Armutsquote (unter 3,2 US$ pro Tag im Jahr 2011) wird auf 19% im Jahr 2016 geschätzt. Niedriges Verbraucherpreiswachstum und höhere Überweisungszuflüsse stützten den Konsum der Haushalte. Gleichzeitig dämpfte das moderate Wachstum im Dienstleistungssektor und in der Landwirtschaft, in der etwa 50% der unteren 40% beschäftigt sind, das reale Arbeitseinkommenswachstum für die Armen (WB 2018).
Kirgisistan ist ein Wohlfahrtsstaat im Sinne der Verfassung und verfügt über ein System sozialer Sicherheitsgarantien, was weitgehend ein sowjetisches Erbe ist, einschließlich Kinderbetreuungsgeld, Mutterschaftsurlaub (oder Vaterschaft, selten genutzt, aber verfügbar), Arbeitslosengeld und Invaliditätsleistungen. Alle diese Zahlungen sind jedoch extrem niedrig und werden von den anspruchsberechtigten Bürgern häufig abgelehnt. Die meisten Ausgaben für diese Leistungen werden durch Steuereinnahmen gedeckt oder oder durch private Arbeitgeber, wenn sie gesetzlich vorgeschrieben sind (BTI 1.2018).
Sozialbeihilfen
Arbeitslosengeld:
Voraussetzungen:
Man muss bei einem Arbeitsamt angemeldet sein, arbeitsfähig und arbeitswillig sein. Die Leistung kann gekürzt, ausgesetzt oder beendet werden, wenn der Arbeitnehmer wegen Verstoßes gegen die Arbeitsdisziplin entlassen wird, das Arbeitsverhältnis ohne triftigen Grund verlässt, die Bedingungen für eine Arbeitsvermittlung oder Berufsausbildung verletzt oder betrügerische Absichten festgestellt werden. Auch an Studierende, die sich in den zwölf Monaten nach Abschluss des Studiums als arbeitslos melden, haben einen Anspruch.
Arbeitslosengeld:
250 bis 500 Som werden monatlich für bis zu sechs Kalendermonate ausbezahlt. Ergänzung: 10% des Arbeitslosengeldes werden für jeden Angehörigen gezahlt.
Familienzulagen:
Voraussetzungen: Kinder von Alleinerziehenden oder unverheirateten Müttern; Schüler unter 18 Jahren mit behinderten oder arbeitslosen Eltern.
Familienzulagen (Einkommensprüfung): 100% des garantierten Mindestlebensstandards (GM) werden monatlich für eine Mutter gezahlt, die ein Kind unter 18 Monaten oder zwei Kinder unter drei Jahren betreut; 150% des GM, wenn drei Kinder unter 16 Jahren betreut werden. Die GM ist 900 Som pro Monat (Oktober 2016).
Sozialhilfe: 810 Som wird jährlich gezahlt (Oktober 2016).
Geburtsbeihilfe:
Für jedes Neugeborene wird ein Pauschalbetrag von 300% des GM gezahlt.
Alterspension (Sozialversicherung, fiktive Beitragszusage [NDC] und obligatorisches Einzelkonto): Alter 63 mit mindestens 25 Beschäftigungsjahren bei Männer bzw. Alter 58 mit mindestens 20 Beschäftigungsjahren bei Frauen. Als Beschäftigungsjahre gelten Studienzeiten, Mutterschaftsurlaub, Betreuung von Menschen mit Behinderungen, registrierte Arbeitslosigkeit und andere durch Sonderverordnung genehmigte Urlaubszeiten. Die Anspruchsvoraussetzungen werden für Vollzeitarbeit unter Tage, Vollzeitarbeit unter gefährlichen Bedingungen, Arbeit im Zusammenhang mit der Tschernobyl-Katastrophe, für Mütter mit fünf oder mehr Kindern oder mindestens einem Kind mit einer Behinderung und für kleine Menschen reduziert.
Teilpension: Ausbezahlt bei weniger als den erforderlichen Beitragsjahren für eine volle Alterspension.
Zuschlag zur Altersrente: Ausbezahlt an Personen ab 80 Jahren, Veteranen des Zweiten Weltkriegs, Katastrophenhelfer von Tschernobyl, Personen mit einer Behinderung der Gruppe I (erfordert ständige Anwesenheit), Betreuer von Personen mit einer Behinderung der Gruppe II (vollständig behindert mit einem Mobilitätsverlust von 80%) und Einzelpersonen mit einer Behinderung der Gruppe II. Die Altersrente wird auch in der Russischen Föderation im Rahmen eines bilateralen Abkommens ausgezahlt.
Soziale Alterspension (Sozialhilfe): Auszahlung im normalen Pensionsalter an Personen, die keinen Anspruch auf eine Alterspension haben. Es gibt keinen Einkommenstest.
Invalidenpension (Sozialversicherung und NDC): Je nach Alter der versicherten Person sind ein bis fünf Jahre Versicherungszeiten notwendig, um mit einer Behinderung der Gruppe I (Vollinvalidität und ständige Anwesenheit erforderlich), der Gruppe II (Vollinvalidität mit 80% Mobilitätsverlust) oder der Gruppe III (Teilinvalidität mit Verlust der Erwerbsfähigkeit) bewertet zu werden. Eine Expertenkommission des Ministeriums für Arbeit, Migration und Jugend bewertet den Grad der Behinderung. Einen Zuschlag für durchgehende Anwesenheit wird bezahlt, wenn der Versicherte die ständige Anwesenheit von anderen zur Erfüllung seiner täglichen Aufgaben benötigt.
Eine Teilinvaliditätspension besteht für Personen, welche nicht die notwendigen Beitragsjahre für eine Vollinvaliditätspension zusammenbekommen. Schlussendlich besteht noch eine Invaliditätspension in Form der Sozialhilfe für Personen mit einer Behinderung, die keinen Anspruch auf eine Invalidenpension haben (SSA 2016).
Medizinische Versorgung
Die medizinische Versorgung in Kirgisistan entspricht nicht europäischen Verhältnissen. Es wird empfohlen, wichtige Medikamente sowie Verbandsmaterial und Einwegspritzen mitzuführen, da diese auch bei Behandlung in Krankenhäusern selbst beschafft werden müssen. Ein etwa mit Deutschland vergleichbares Rettungssystem mit intensivmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten ist nicht vorhanden. Selbst in der Hauptstadt können Notfälle meist nur unzureichend behandelt werden (AA 7.5.2018).
Das Gesundheitssystem in Kirgisistan ist nach wie vor mit Problemen konfrontiert, mit öffentlichen Einrichtungen, die durch eine Pflichtversicherung und symbolische Zuzahlungen, in der Regel unterfinanziert und mangelhaft ausgestattet sind. Neuere und hochwertigere private Einrichtungen sind teuer und sind meist nur in drei städtischen Gebieten konzentriert. Ein häufiges Phänomen in jüngster Zeit sind private Spendenaufrufe für Gesundheitsausgaben. Korruption im Bildungssystem, einschließlich der medizinischen Hochschulbildung, stellt eine Herausforderung dar, da sie neben der mangelnden technischen Ausstattung und Finanzierung auch die Qualität der Gesundheitsleistungen mindert (BTI 1.2018).
Krankengeld: Die monatliche Leistung beträgt 60% des durchschnittlichen Monatslohns des Versicherten für die ersten zehn Arbeitstage mit weniger als fünf Jahren Arbeit; 80% mit fünf bis acht Jahren; 100% mit acht oder mehr Jahren (100% mit drei oder mehr unterhaltspflichtigen Kindern, oder wenn jemand ein behinderter Veteran oder infolge der Tschernobyl-Katastrophe behindert ist). Nach zehn Tagen beträgt die monatliche Leistung das 50-fache des Basissatzes. Der Basissatz beträgt 100 Som pro Monat. Die Leistungen werden periodisch an die Entwicklung des nationalen Durchschnittslohns und des Verbraucherpreisindex angepasst (SSA 2016).
Mutterschaftsgeld: 100% des durchschnittlichen Monatslohns der Versicherten werden für die ersten zehn Arbeitstage ausgezahlt; das Zehnfache des Basissatzes vom 11. bis zu 126 Kalendertage vor und nach dem voraussichtlichen Geburtstermin (kann bei Komplikationen während der Geburt auf 140 Tage verlängert werden). Der Basissatz beträgt 100 Som pro Monat. Die Leistungen werden periodisch an die Entwicklung des nationalen Durchschnittslohns und des Verbraucherpreisindex angepasst (SSA 2016).
Rückkehr
Rückkehrer oder Personen, die wegen gescheiterter Asylanträge nach Kirgisistan zurückkehren, werden bei ihrer Ankunft individuell behandelt und beurteilt. Bei der Ankunft am Flughafen würde die Person wahrscheinlich zu einer ausführlichen Befragung herangezogen werden, wenn sie keine ordnungsgemäßen Reise- und Ausweispapiere vorlegt (insbesondere im Zusammenhang mit der Besorgnis der Regierung über die Teilnahme kirgisischer Bürger an den Kämpfen in Syrien). Die Person wird in eine Arrestzelle gesteckt und von Polizeibeamten befragt und/oder gemeinsam von Polizei und Geheimdiensten auf unbestimmte Zeit befragt. Rückkehrer, die ethnische Usbeken oder ethnische Uiguren sind, werden mit einem zusätzlichen Maß an Misstrauen behandelt, insbesondere Personen aus städtischen Regionen (Diese werden eher als islamistischen Gruppen zugetan angesehen). Außerdem werden junge Männer stärker unter die Lupe genommen. Die Behandlung der Person kann auch durch die Qualität des Beamten an der Grenze beeinflusst werden, und ob diese Person Bestechungsgelder annimmt oder nicht (IRB 12.2.2015).
II.1.1.5. Zur Situation aufgrund der Covid-19-Pandemie
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet.
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
Eine chronische Erkrankung zu haben, erhöht das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf noch nicht (z.B. Personen, deren hoher Blutdruck gut mit Medikamenten eingestellt ist). Wenn allerdings Personen mit einer schweren chronischen Grunderkrankung zusätzlich an COVID-19 erkranken, ist das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs erhöht.
Mit Stichtag vom 08.10.2020 werden von der World Health Organization (WHO) in Kirgisistan 48.097 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei im Fall von 1.069 der infizierten Personen der Todesfall bestätigt worden ist. Ebenso zeigt eine von der „Johns Hopkins University“ veröffentlichte Statistik, dass mit Stichtag 08.10.2020 in Kirgisistan 48.342 bestätigte COVID-19 Erkrankungen gezählt werden bzw. 1.073 Todesfälle in diesem Zusammenhang zu beklagen sind.
II.2. Beweiswürdigung:
II.2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer
Die Identität des Erst- bis Drittbeschwerdeführers kann aufgrund der vorgelegten Personaldokumente (kirgisische Reisepässe) festgestellt werden. Ferner ergibt sich die Identität des Viertbeschwerdeführers aus der vorgelegten Geburtsurkunde.
Die Feststellungen zur Person der Ehefrau des Erstbeschwerdeführers bzw. der Mutter der minderjährigen Zweit- bis Viertbeschwerdeführer stützen sich auf ihre Angaben in den mündlichen Beschwerdeverhandlungen sowie der Einsicht in den hg. Akt zu GZ: W233 2199795-1.
Die Feststellungen zur Einreise und zur Antragstellung ergeben sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt.
Die Feststellungen zu Volksgruppenzugehörigkeit, Religionsbekenntnis, Sprachkenntnissen, Schul- und Berufsbildung und den Lebensumständen des Erstbeschwerdeführers in Kirgisistan werden aufgrund seiner eigenen Angaben getroffen, an denen das Bundesverwaltungsgericht keine Zweifel hegt.
Ebenso werden die Feststellungen über das Leben des Beschwerdeführers in Österreich auf Grund seiner glaubhaften Angaben getroffen.
Die Feststellungen in Bezug auf die Zweit-, die Dritt- und den Viertbeschwerdeführer stützten sich auf die Angaben des Erstbeschwerdeführers bzw. seiner Ehefrau im Verfahren und auf die Vorlage entsprechender Urkunden (Zeugnisse, Geburtsurkunde).
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer werden aufgrund der Angaben des Erstbeschwerdeführers und seiner Frau im Verfahren in Zusammenschau mit den vorgelegten Befunden (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin) getroffen.
Die Feststellung betreffend die Unbescholtenheit des Erstbeschwerdeführers wird aufgrund einer Einsicht in das Strafregister getroffen.
Insoweit der Erstbeschwerdeführer eine Ladung des Landesgerichts XXXX zur Hauptverhandlung am 08.07.2020 im Verfahren zu Zl. XXXX in Vorlage brachte, ist festzuhalten, dass er im Ve