TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/20 W127 2182556-1

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Veröffentlicht am 20.10.2020
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Entscheidungsdatum

20.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W127 2182556-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Fischer-Szilagyi über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH – ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer ist in die Republik Österreich eingereist und hat am 15.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15.11.2015 gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund die unsichere Lage sowie die Armut in Afghanistan an. In der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 22.11.2017 begründete der Beschwerdeführer seine Antragstellung mit Auseinandersetzungen zwischen den Kutschi und den Hazara.

2. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III). Es wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).

3. Hiegegen wurde Beschwerde erhoben und der gesamte Bescheid in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft.

4. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 11.01.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

5. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung mit 07.05.2020 neu zugewiesen.

6. Mit Schreiben vom 02.09.2020 wurde bekanntgegeben, dass der Beschwerdeführer sich vom muslimischen Glauben abgewandt habe und zum christlichen Glauben konvertiert sei. Hiezu wurden die Taufbescheinigung und die Bestätigung des Religionsaustrittes aus der islamischen Glaubensgemeinschaft vorgelegt.

7. Mit Schreiben vom 15.09.2020 wurden Zeugen zum Beweis dafür, dass der Beschwerdeführer sich aus innerer Überzeugung zum Christentum hingewandt habe, genannt und deren Einvernahme beantragt; darüber hinaus wurden Unterlagen zur Integration des Beschwerdeführers vorgelegt und zu Länderberichten Stellung genommen.

5. Am 13.10.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher das Bundesamt nicht teilnahm. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner Vertretung und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari insbesondere zu seiner Konversion befragt und wurden die Aussagen zweier Zeugen über eigene Wahrnehmungen hinsichtlich des Glaubensweges des Beschwerdeführers und seine Glaubensausübung zu Protokoll genommen. Darüber hinaus wurden aktuelle Länderinformationen in das Verfahren eingebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die vorliegenden Verwaltungsakten, durch Befragung des Beschwerdeführers und zweier Zeugen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und Einsichtnahme in die in der Verhandlung vorgelegten Dokumente sowie durch Einsicht insbesondere in folgende Länderberichte: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29.06.2018, aktualisiert mit 04.06.2019; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018; EASO, Country Guidance Afghanistan vom Juni 2019; EASO, Afghanistan: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen, Dezember 2017; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage von zum Christentum konvertierten Personen insbesondere in Kabul und Masar-e-Scharif, 07.08.2018; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa, 01.06.2017 und BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation – Afghanistan: Nichtausübung des Islam und Apostasie, 25.10.2018.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und bekannte sich früher zum muslimischen Glauben. Er ist in das Bundesgebiet eingereist und hat am 15.11.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund und arbeitsfähig. Er hat in Afghanistan nie die Schule besucht und keinen seiner Muttersprache weder schreiben noch lesen. Er ist ledig und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer ist nicht straffällig im Sinne des Asylgesetzes. Er ist nicht legal in das Bundesgebiet eingereist und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich. Er hat in Österreich Kurse zur Integration besucht, seine Deutschkenntnisse sind jedoch mangelhaft. Er betätigt sich ehrenamtlich in der Gemeinde, bei der Caritas sowie in der Freien Evangelikalen Gemeinde K.

1.2. Zum Fluchtvorbringen:

Der Beschwerdeführer bekannte sich in Afghanistan zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam, ist aber am 24.10.2018 aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ausgetreten. Er interessiert sich ungefähr seit Anfang 2018 für den christlichen Glauben und begann an Gottesdiensten und einem wöchentlichen Taufkurs der Freien Evangelikalen Gemeinde K. Teilzunehmen. Der Beschwerdeführer wurde am 22.09.2019 getauft.

Der Beschwerdeführer lebt seine religiöse Überzeugung offen und vertritt seine kritischen Ansichten gegenüber dem Islam auch nach außen. Es ist nicht anzunehmen, dass er seine innere Überzeugung in seinem Herkunftsstaat Afghanistan dauerhaft verleugnen würde.

Dem Beschwerdeführer droht daher bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Konversion zum Christentum bzw. seiner Abwendung vom islamischen Glauben (Apostasie) physische und/oder psychische Gewalt bzw. Strafverfolgung.

1.3. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge sind 40 % Paschtunen, rund 30 % Tadschiken, ca. 10 % Hazara, 9 % Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen können allerdings weiterhin in Konflikten und Tötungen resultierten.

Etwa 99,7 % der Bevölkerung Afghanistans sind Muslime, der Großteil davon sind Sunniten. Schätzungen zufolge, sind etwa 10 bis 19 % der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie beispielsweise Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1 % der Bevölkerung aus.

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen. Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern. Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden. Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikhs, Hindus und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt und in manchen Fällen sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch.

Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt. Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Kinder von Apostaten gelten als Muslime, wenn sie nicht das Erwachsenenalter erreichen, ohne zum Islam zurückzukehren, in welchem Fall ihnen die Hinrichtung droht.

Personengruppen wie Atheisten, Säkularisten oder Konvertiten, deren Ansichten als eine Abwendung vom Islam betrachtet werden können, müssen Selbstzensur üben und können ihre persönliche Meinung oder ihr Verhältnis zum Islam nicht in der Öffentlichkeit äußern, ohne Sanktionen oder Gewalt fürchten zu müssen. Diese Menschen müssen nach außen weiterhin als Muslime erscheinen und die religiösen und kulturellen Verhaltenserwartungen ihres Umfelds erfüllen, ohne dass diese ihren inneren Überzeugungen entsprechen.

Eine Person wird allerdings in Afghanistan – insbesondere im städtischen Raum – nicht notwendigerweise als nichtgläubig angesehen, wenn sie nicht an religiösen Handlungen im öffentlichen Raum teilnimmt, da es auch viele Muslime gibt, die nicht regelmäßig die Moschee besuchen. Auch für strenggläubige Muslime kann es darüber hinaus legitime Gründe geben, religiösen Zeremonien fernzubleiben.

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, ethnischen und zur bisherigen religiösen Zugehörigkeit sowie zur (fehlenden) Schulbildung des Beschwerdeführers beruhen auf den diesbezüglich plausiblen und im Wesentlichen gleichbleibenden und mit den vorgelegten Unterlagen in Einklang stehenden Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Asylverfahrens. Auch die Feststellungen zum Alter, Familienstand, zur Arbeitsfähigkeit sowie zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers stützen sich auf dessen plausibles mündliches und schriftliches Vorbringen.

Die Feststellungen zur Einreise, Antragstellung und dem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt des bezughabenden Verwaltungsaktes und den damit in Einklang stehenden Angaben des Beschwerdeführers.

Hinsichtlich der Feststellungen zu dem aktuellen Privat- und Familienleben sowie insbesondere der Integration des Beschwerdeführers in Österreich wurden das Vorbringen des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sowie die vorgelegten Nachweise und Empfehlungsschreiben den Feststellungen zugrunde gelegt. Die Feststellung der Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.2. Zum Fluchtvorbringen:

Die Feststellungen betreffend die geänderte religiöse Überzeugung sowie die religiöse Betätigung des Beschwerdeführers beruhen insbesondere auf dem glaubhaften Vorbringen des Beschwerdeführers sowie den Aussagen der beiden Zeugen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellung zum Austritt des Beschwerdeführers aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich gründet auf der Bestätigung vom 24.10.2018, die Feststellung zur Taufe am 22.09.2019 auf der Taufbescheinigung.

Sowohl aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers als auch aus den Aussagen der beiden Zeugen der Freien Evangelikalen Gemeinde K. geht hervor, dass sich der Beschwerdeführer bereits über einen Zeitraum von etwa einem Jahr intensiv mit dem christlichen Glauben beschäftigt und aktiv am christlichen Leben seiner Gemeinde teilnimmt. Die religiöse Betätigung in der christlichen Gemeinde ist für den Beschwerdeführer ein wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden. Er lehnt den in seiner Heimat gelebten Islam aus innerer Überzeugung ab und würde seine Haltung auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan vor seinem sozialen Umfeld nicht dauerhaft verbergen. Auch wenn der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht immer die ihm gestellten Fragen entsprechend beantworten konnte, so ist doch unter Beachtung der Tatsache, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan niemals die Schule besucht hat, sohin in seiner Muttersprache weder lesen noch schreiben kann und ihm daher auch die Möglichkeit des eigenständigen Lesens einer farsisprachigen Bibel genommen ist, und er lediglich ein einfaches Leben ausschließlich im Familienverband geführt hat, davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auf die ihm beschränkt zugängliche Weise den christlichen Glauben für sich selbst dermaßen verinnerlicht hat, dass er nicht mehr gewillt ist, darauf zu verzichten.

Aufgrund der nach außen getragenen religiösen Haltung des Beschwerdeführers und des von ihm zu erwartenden Verhaltens bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat ist auch bei einer Neuansiedlung in einer afghanischen Großstadt, in der grundsätzlich ein geringeres Risiko für Personen besteht, die islamische Glaubensvorschriften nicht einhalten und etwa die Moschee nicht regelmäßig besuchen, von einer Gefährdung des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit seinem Glaubensabfall bzw. seiner kritischen Haltung gegenüber islamischen Lehren auszugehen.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet.

Zur Lage von Apostaten und Konvertiten wurden ergänzend folgende – in den Kernaussagen übereinstimmende – Berichte herangezogen: EASO, Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen, Dezember 2017; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage von zum Christentum konvertierten Personen insbesondere in Kabul und Masar-e-Scharif, 07.08.2018; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa, 01.06.2017 und BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation – Afghanistan: Nichtausübung des Islam und Apostasie, 25.10.2018.

Die Parteien sind den im Rahmen der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebrachten Länderberichten nicht konkret entgegengetreten und die Beschwerdeführervertreterin hat lediglich auf das Vorbringen in der Rechtsmittelschrift hingewiesen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Zuständigkeit und Kognitionsbefugnis:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Zu A)

3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der „wohlbegründeten Furcht“ vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Dem Beschwerdeführer ist es – wie oben dargelegt – gelungen, drohende Verfolgung in seinem Herkunftsstaat glaubhaft zu machen. Aus den Länderberichten ergibt sich, dass die bloße Passivität zum Islam, wie etwa das Unterlassen des Betens oder des Fastens während des Ramadan, generell nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu gesellschaftlichen oder allenfalls auch staatlichen Handlungen oder Maßnahmen führt, welche eine asylrechtlich relevante Intensität erreichen. Der Beschwerdeführer vermochte allerdings einen Abfall vom islamischen Glauben und eine von innerer Überzeugung getragene Hinwendung zum Christentum glaubhaft zu machen. Bei weiterer Ausübung seines inneren Entschlusses, in Ablehnung islamischer Lehren nach dem christlichen Glauben zu leben bzw. sich zumindest weiter intensiv mit christlichen Glaubensinhalten auseinanderzusetzen, muss er im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, aus diesem Grund mit Sanktionen belegt zu werden. Dem Beschwerdeführer drohen dabei neben massiven Einschränkungen im persönlichen Bereich auch schwere Eingriffe in die physische Integrität sowie strafrechtliche Sanktionen (bis zur Todesstrafe). Die Gefahr einer Verfolgung des Beschwerdeführers geht im vorliegenden Fall einerseits vom afghanischen Staat und andererseits auch von der afghanischen Bevölkerung aus, die von traditionell islamischen Vorstellungen geprägt ist; wobei insgesamt vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen davon ausgegangen werden kann, dass der afghanische Staat nicht willens und in der Lage ist, den Beschwerdeführer entsprechend zu schützen.

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt nur dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einen in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Grund, nämlich jenen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung anknüpft. Im Fall des Beschwerdeführers liegt das oben dargestellte Verfolgungsrisiko in seiner nunmehrigen religiösen Überzeugung begründet.

Die Verfolgung aus Gründen der Religion ist nach Artikel 1 Abschnitt A Z 2 GFK geschützt, wobei der Begriff der Religion auch atheistische Glaubensüberzeugungen umfasst (vgl. Artikel 10 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU – Statusrichtlinie). In seinem Urteil vom 04.10.2018, Bahtiyar Fathi, C-56/17, hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) präzisiert, dass eine „schwerwiegende Verletzung“ der Religionsfreiheit vorliegen muss, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt, damit die betreffenden Handlungen als Verfolgung im asylrechtlichen Sinne (vgl. Artikel 9 Abs. 1 und 2 der Statusrichtlinie) gelten können. Dieses Erfordernis ist erfüllt, wenn die Person, die internationalen Schutz beantragt, aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in ihrem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Artikel 6 der Richtlinie genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Die Tatsache, dass einem Asylwerber im Herkunftsstaat etwa aufgrund eines Gesetzes über Apostasie eine Todes- oder Freiheitsstrafe droht, kann für sich genommen eine „Verfolgung“ im Sinne von Artikel 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie darstellen, sofern eine solche Strafe in dem Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird (VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395).

Aufgrund des in ganz Afghanistans gültigen islamischen Rechts (Scharia) und der in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie aufgrund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und der Intoleranz gegenüber Apostaten bzw. Konvertiten, ist aufgrund der offen nach außen getragenen Haltung des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass sich die oben dargelegte Situation für den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan gleichermaßen darstellt, weshalb keine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG 2005 für den Beschwerdeführer besteht.

Da auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

Anders als im Fall der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, für den § 8 Abs. 4 AsylG 2005 die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung vorsieht, wird das Einreise- und Aufenthaltsrecht des Asylberechtigten unmittelbar kraft Gesetzes bestimmt. Die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter hat somit nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu erfolgen. Auch gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016 kommt dem Asylberechtigten eine entsprechende Aufenthaltsberechtigung zu, ohne dass eine darüberhinausgehende Erteilung dieser Berechtigung vorzunehmen wäre (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373).

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung befristete Aufenthaltsberechtigung gesamtes Staatsgebiet Konversion Nachfluchtgründe Religion Schutzunfähigkeit Schutzunwilligkeit staatliche Verfolgung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W127.2182556.1.00

Im RIS seit

10.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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