TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/22 W164 2208419-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.10.2020
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Entscheidungsdatum

22.10.2020

Norm

AlVG §24
AlVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W164 2193725-1/10E
W164 2206813-1/10E
W164 2208419-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Vorsitzende, sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert POROD (aus dem Kreis der ArbeitgeberInnen) und Mag. Wolfgang SCHIELER (aus dem Kreis der ArbeitnehmerInnen) als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen drei Bescheide des Arbeitsmarktservice
1) vom 11.01.2018, VSNR XXXX , AMS 967-Wien Huttengasse, nach einer Beschwerdevorentscheidung vom 09.04.2018, GZ 2018-0566-9-000263

2) vom 13.06.2018, VSNR XXXX , AMS 967 Wien-Huttengasse nach einer Beschwerdevorentscheidung vom 24.07.2018, GZ. 2018-566-9-001654 und

3) vom 24.08.2018, VSNR XXXX , AMS 967 Wien-Huttengasse nach einer Beschwerdevorentscheidung vom 02.10.2018, GZ 2018-0566-9-002408,

nach einer mündlichen Verhandlung und nichtöffentlichen Beratung vom 16.10.2020 zu Recht erkannt:

A)

I.

Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 11.01.2018, VSNR XXXX , AMS 967-Wien Huttengasse, nach Beschwerdevorentscheidung vom 09.04.2018, GZ 2018-0566-9-000263 wird als unbegründet abgewiesen.

II.

Der Bescheid vom 13.06.2018, VSNR XXXX , AMS 967 Wien-Huttengasse, nach Beschwerdevorentscheidung vom 24.07.2018, GZ. 2018-566-9-001654, wird gemäß § 28 Abs 1, Abs 2 und Abs 5 VwGVG aufgehoben.

III.

Der Bescheid vom 24.08.2018, VSNR XXXX , AMS 967 Wien-Huttengasse, nach Beschwerdevorentscheidung vom 02.10.2018, GZ 2018-0566-9-002408, wird gemäß § 28 Abs 1, Abs 2 und Abs 5 VwGVG aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG bezüglich aller Spruchpunkte (I. II. und III.) nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Zu Spruchpunkt I.

Mit Bescheid vom 11.01.2018, VSNR XXXX , AMS 967-Wien Huttengasse sprach das Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) aus, dass der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) gemäß § 38 iVm § 10 AlVG den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum 28.12.2017 bis 07.02.2018 verloren habe. Eine Nachsicht sei nicht erteilt worden. Der angeführte Zeitraum verlängere sich um die in ihm liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen worden sei. Zur Begründung führte das AMS aus, der BF habe das Zustandekommen einer ihm vom AMS zugewiesenen zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeit bei der XXXX AG (im Folgenden C-AG) vereitelt.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde und räumte ein, dass ihm am 23.10.2017 ein Stelleninserat für die C-AG zugeschickt worden sei Der BF habe sich am 30.10.2017 für diese Stelle beworben. Er habe daraufhin aber keine E-Mail und keinen Anruf erhalten und habe daher nicht gewusst, dass er zu einem Vorstellungsgespräch zu erscheinen gehabt hätte. Am 29.12.2017 habe ihn das AMS informiert, dass sein Leistungsbezug vorläufig eingestellt werde. Zu dieser Zeit habe die C-AG Betriebssperre gehabt. Das vom AMS behauptete Datum des Arbeitsantritts 28.12.2017 sei somit nicht nachvollziehbar.

Im Zuge des Beschwerdeverfahrens hat das AMS durch telefonische Kontaktnahme mit der C-AG die Bestätigung erhalten, dass die in Aussicht gestellte Beschäftigungsmöglichkeit (Betreuer von LED-Produkten) keine spezielle Ausbildung erfordere. Als Techniker hätte der BF gute Voraussetzungen mitgebracht. Wenn er kommunikativ sei und bei Schulungsaffinität wäre er eingestellt worden. Der BF erhielt diese Mitteilung zur Kenntnis und wendete per E-Mail ein, er sei nicht kommunikativ und auch nicht schulungsaffin.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 09.04.2018, GZ 2018-0566-9-000263 wurde die Beschwerde des BF mit folgender Begründung abgewiesen: Der BF habe sich tatsächlich am 30.10.2017 auf das genannte Stelleninserat beworben. Daraufhin sei ihm als ausgewähltem Kandidaten seitens der C-AG an die E-Mailadresse XXXX @yahoo.de, eine Einladung zu einer Informationsveranstaltung im mit genauer Adresse umschriebenen Verwaltungsgebäude der C-AG für 02.11.2017 von 13:00 bis 15:00 übersandt worden. Der BF sei zu dieser Informationsveranstaltung jedoch nicht erschienen. Vom AMS zum Sachverhalt befragt habe der BF angegeben, er hätte die E-Mail nicht erhalten oder habe sie möglicherweise übersehen. Möglicherweise sei diese im „Spam-Ordner“ gelandet. Derartiges sei schon manchmal passiert.

Das AMS kam zu dem Schluss, dass einem Arbeitslosen ein solcher Sorgfaltsmaßstab zuzumuten sei, dass er mit seinen Kommunikationskanälen, über die er sich bewirbt, sorgfältig umgehe. Der BF habe mit einer Beantwortung seiner Bewerbung rechnen müssen. Diese sei im Übrigen schon einen Tag später eingetroffen. Durch sein nicht sorgfältiges Sichten seiner E-Mails habe der BF in Kauf genommen, eine möglicherweise eintreffende E-Mail der potentiellen Dienstgeberin zu übersehen. Die zugewiesene Beschäftigung hätte keine spezielle Qualifikation vorausgesetzt.

Dagegen erhob der BF fristgerecht einen Vorlageantrag.

Anlässlich der beim Bundesverwaltungsgericht abgehaltenen mündlichen Verhandlung machte der BF zu diesem Sachverhalt die folgenden Angaben: Er habe im Rahmen einer vom AMS finanzierten Umschulung beim Bfi Elektroanlageningenieur erlernt, 2006 abgeschlossen und diesen Beruf auch immer wieder ausgeübt. Bis zu seiner Umschulung sei er nach Abschluss der Handelsschule als Büromitarbeiter und Botenfahrer beschäftigt gewesen. Bei der C-AG habe sich der BF am 30.10.2017 per E-Mail beworben. Der BF bestätigte, dass die seitens des AMS laut Beschwerdevorentscheidung recherchierte E-Mail-Adresse XXXX @yahoo.de damals seine E-Mail-Adresse gewesen sei. Seine E-Mails habe er damals etwa alle zwei bis drei Tage kontrolliert, aber soweit erinnerlich, nicht auch in den SPAM-Ordner geschaut. Denn normalerweise sei dort nur Spamware gelandet, die Trojaner und Viren enthalte. Der BF habe das fast nie angeschaut. Dass dort wichtige E-Mails gelandet wären sei normaler Weise nicht passiert. Dass solches manchmal passieren würde, habe der BF beim AMS gesagt, weil ihn der Betreuer mit der E-Mail der C-AG konfrontiert hatte. Der BF sei auch davon ausgegangen, dass man für den angebotenen Job Verkaufstalent gebraucht hätte, was er seiner Meinung nach nicht habe. Der BF bezweifle ferner, dass das vom AMS angenommenen Datum des möglichen Arbeitsantritts – dies sei ein Fenstertag mitten in den Weihnachtsferien gewesen – der Realität entsprechen könne. Das AMS argumentierte dagegen, es habe ein fiktiver möglicher Arbeitsbeginn angenommen werden müssen, da der BF durch Nichtteilnahme an der Informationsveranstaltung im November 2017 bereits die Vereitelungshandlung gesetzt habe, dies dem AMS jedoch erst Ende Dezember 2017 durch telefonische Kontaktnahme mit der C-AG bekannt wurde. Das AMS betrachte die Stellenzuweisung als zumutbar. Der BF legte abschließend eine Bestätigung des Kriseninterventionszentrums XXXX vom 29.09.2020 darüber vor, dass der BF dort am XXXX .2020 aufgrund einer psychosozialen Krise vorgesprochen habe und von einer seit mehreren Jahren bestehenden Antriebs,-Lust-und Freudlosigkeit berichtet habe. Das Schreiben legt eine ausführliche differenzialdiagnostische u.a. medizinische Abklärung und Psychotherapie zum Erlernen neuer Copingstrategien nahe.

Zu Spruchpunkt II:

Mit Bescheid vom 13.06.2018, VSNR XXXX , AMS 967 Wien-Huttengasse sprach das AMS aus, dass der BF gemäß § 38 iVm § 10 AlVG den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum 28.05.2018 bis 08.07.2018 verloren habe. Eine Nachsicht sei nicht erteilt worden. Der angeführte Zeitraum verlängere sich um die in ihm liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen worden sei. Zur Begründung führte das AMS aus, der BF habe das Zustandekommen einer ihm vom AMS zugewiesenen zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeit bei der XXXX GmbH vereitelt. Der BF sei zu der in der Stellenzuweisung vorgesehenen Vorauswahl beim AMS Hietzinger Kai nicht erschienen.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 24.07.2018, 2018-566-9-001654 hat das AMS diese Beschwerde abgewiesen. Dagegen erhob der BF fristgerecht einen Vorlageantrag.

Mit Begleitschreiben zur Beschwerdevorlage räume das AMS ein, dass die verfahrensgegenständliche Stellenzuweisung versehentlich mit einer falschen Rechtsbelehrung an den BF gesendet wurde:

Laut der im Akt befindlichen Stellenzuweisung war der BF aufgefordert worden, sich persönlich Dienstags oder Donnerstags von 08:30 bis 11:00 beim AMS Hietzinger Kai zur Vorauswahl vorzusprechen. Die Rechtsbelehrung der dieses Verfahren betreffenden Stellenzuweisung lautet: „Diese Vorsprache gilt als Kontrollmeldung gemäß § 49 AlVG. Sollten Sie diesen Termin nicht einhalten, werden Ihre Leistungen ab diesem Tag eingestellt.“

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 16.10.2020 vertrat das AMS die Meinung, dass der festgestellte Sachverhalt dennoch den Tatbestand der Vereitelung gem. § 10 AlVG verwirklicht habe und im angefochtenen Bescheid daher zu Recht der Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe für den Zeitraum 28.05.2018 bis 08.07.2018 ausgesprochen worden sei. Die Verwendung des falschen Textbausteines in der Stellenzuweisung, wie oben dargelegt, sei aus Versehen erfolgt.

Zu Spruchpunkt III:

Mit Bescheid vom 24.08.2018, VSNR XXXX , AMS 967 Wien-Huttengasse sprach das AMS aus, dass die dem BF gewährte Notstandshilfe mangels Arbeitswilligkeit eingestellt werde. Zur Begründung führte das AMS aus, der BF habe das Zustandekommen einer ihm vom AMS zugewiesenen zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeit zum dritten Mal innerhalb eines Jahres vereitelt. Der Entzug des Arbeitslosengeldes sei ihm rechtzeitig angedroht worden. Die Anspruchsvoraussetzung der Arbeitswilligkeit sei nicht mehr gegeben.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 02.10.2018, GZ 2018-0566-9-002408 hat das AMS diese Beschwerde abgewiesen. Dagegen erhob der BF fristgerecht einen Vorlageantrag.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Hinsichtlich der Feststellungen des Sachverhaltes wird auf die in Punkt I. (Verfahrensgang) gemachten Ausführungen verwiesen.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 16.10.2020. Der Sachverhalt ist ausreichend ermittelt. Sämtliche wesentliche Beweismittel sind allen Parteien zur Kenntnis gebracht worden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 56 Abs. 2 AlVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer. Im vorliegenden Fall war daher Senatszuständigkeit gegeben.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A):

Zu Spruchpunkt I.:

§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 des Arbeitsmarktförderungsgesetzes (AMFG), BGBl. Nr. 31/1969, durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis als Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.

(2) Eine Beschäftigung ist zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist, in einem nicht von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb erfolgen soll, in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können. Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung. Die zumutbare tägliche Wegzeit für Hin- und Rückweg beträgt jedenfalls eineinhalb Stunden und bei einer Vollzeitbeschäftigung jedenfalls zwei Stunden. Wesentlich darüber liegende Wegzeiten sind nur unter besonderen Umständen, insbesondere wenn am Wohnort lebende Personen üblicher Weise eine längere Wegzeit zum Arbeitsplatz zurückzulegen haben oder besonders günstige Arbeitsbedingungen geboten werden, zumutbar.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG verliert die die arbeitslose Person, wenn sie sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde.

Unter einer Weigerung versteht man, die die ausdrückliche oder schlüssige Erklärung des Arbeitslosen, eine ihm zugewiesene zumutbare Beschäftigung nicht anzunehmen. Vereitelung ist ein für das Nichtzustandekommen der Beschäftigung ursächliches und auf den Eintritt dieser Wirkung gerichtetes (oder sie zumindest in Kauf nehmendes) Verhalten des Arbeitslosen (vgl. Krapf/Keul, Arbeitslosenversicherungsgesetz: Praxiskommentar, § 10 Rz 258). Die geforderte Kausalität liegt bereits dann vor, wenn die Chancen für das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses auf Grund der Vereitelungshandlung jedenfalls verringert wurden (VwGH 15.10.2014, 2013/08/0248).

Eine sonst sich bietende Arbeitsmöglichkeit unterscheidet sich nach dem aus dem Gesetzeswortlaut abzuleitenden Konzept des Gesetzgebers von der bloßen Vermittlung durch die regionale Geschäftsstelle dadurch, dass sich eine Arbeitsmöglichkeit in der Regel erst dann "bieten" wird, wenn es entweder nur mehr am Dienstnehmer liegt, dass ein Beschäftigungsverhältnis zustande kommt (Hinweis E 23.4.2003, 2002/08/0060), oder wenn zumindest der potenzielle Dienstgeber (oder ein von diesem Bevollmächtigter) direkt mit der arbeitssuchenden Person in Kontakt tritt (oder sich ein solcher Kontakt z.B. im Zuge einer "Jobbörse" ergibt - Hinweis E 20.12.2000, 95/08/0018) und ihr (zumindest) ein Vorstellungsgespräch offeriert. (vgl VwGH 2008/08/0085 vom 07.09.2011)

Wenn eine Beschäftigung nicht evident unzumutbar ist und das AMS nicht von vornherein Kenntnis von einem die Unzumutbarkeit der Beschäftigung begründenden Umstand hat, kann es den Arbeitslosen zu dieser Tätigkeit zuweisen. So dem Arbeitslosen keine Anhaltspunkte für die Unzumutbarkeit der Tätigkeit bekannt sind, trifft ihn zunächst die Verpflichtung, sich beim potentiellen Dienstgeber vorzustellen. Es liegt an ihm, die näheren Bedingungen der bekannt gegebenen Beschäftigungsmöglichkeit bei einem Vorstellungsgespräch zu erörtern (z.B. VwGH 25.06.2013, 2011/08/0052).

Der BF war im strittigen Zeitraum Bezieher von Notstandshilfe. Sein Einwand, die Stelle wäre ihm nicht zumutbar gewesen, da er als Techniker qualifiziert sei und kein Verkaufstalent habe, geht ins Leere: Als Bezieher von Notstandshilfe war die Zuweisung einer dem bisherigen Berufsfeld des BF fremden Beschäftigung zumutbar. Das AMS hat im Zuge des Beschwerdevorverfahrens durch Rücksprache mit der C-AG auch zweifelsfrei ermittelt, dass für die angebotene Stelle keine besonderen Qualifikationen vorausgesetzt wurden. Soweit der BF einwendet, er wäre nicht kommunikativ und nicht schulungsaffin, ist dem entgegenzuhalten, dass er Bedenken dieser Art mit der potentiellen Dienstgeberin im Zuge der angebotenen Informationsveranstaltung in angemessener Weise besprechen hätte können, denn möglicherweise hätten sich diese Bedenken nach dem Gespräch – der BF hätte als Techniker wahrscheinlich mit technischem Vokabular gut umgehen und möglicherweise in diesem Sinne verständlich und daher gut kommunizieren können - zerstreut.

Weitere Einwendungen gegen die Zumutbarkeit hat der Beschwerdeführer nicht gemacht und ergeben sich diesbezüglich auch keine amtswegig aufzugreifenden Anhaltpunkte aus dem vorgelegten Akt. Soweit der BF einwendet, im angefochtenen Bescheid sei ein möglicher Arbeitsbeginn zu einem völlig unrealistisches Datum angenommen worden, so ist dies für die vorliegende Beurteilung nicht relevant: Der BF hat durch die Nichtteilnahme an der seitens der C-AG für Auswahlkandidaten angeboten Informationsveranstaltung die Chancen für das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses jedenfalls verringert. Sein so festgestelltes Verhalten stellt eine für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses kausale Vereitelungshandlung dar.

Zur Frage des Vorsatzes:

Das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses muss nicht nur in der Sphäre des Vermittelten, sondern darüber hinaus in einem auf das Nichtzustandekommen gerichteten oder dies zumindest in Kauf nehmenden Tun des Vermittelten seinen Grund haben. Die Vereitelung verlangt daher ein vorsätzliches Handeln des Vermittelten, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung dieses Tatbestandes hingegen nicht hin. (VwGH 92/08/0042 vom 20.10.1992).

Wie der Verwaltungsgerichtshof zuletzt in seinem Erkenntnis 2020/08/0008 vom 14.05.2020 ausgeführt hat, kann das Verhalten einer langjährig arbeitslosen und daher jedenfalls mit der Bedeutung von Vermittlungsvorschlägen vertrauten Person, die Vermittlungsvorschläge nicht sorgfältig sortiert, nicht als bloß fahrlässig angesehen werden, wird doch damit - solange der arbeitslosen Person die Fähigkeit zur Selbstorganisation nicht überhaupt abzusprechen ist - offenkundig in Kauf genommen, dass Vermittlungsvorschläge verloren gehen oder vergessen werden und in der Folge kein Beschäftigungsverhältnis zustande kommt.

Im vorliegenden Fall kam die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zu Recht zu dem Schluss, dass der BF als Notstandshilfebezieher beim Umgang mit seinen Kommunikationskanälen (hier E-Mail) nicht mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen ist, sodass unter Berücksichtigung der oben zitierten höchstgerichtlichen Judikatur, davon ausgegangen werden muss, dass der BF das Nichtzustandekommen der in Aussicht gestellten Beschäftigung von vorn herein in Kauf genommen hat. Denn der BF war zur Arbeitssuche verpflichtet und hatte sich per E-Mail beworben. Er hatte somit Antwort-Mails potentieller DienstgeberInnen zu erwarten. In dieser Situation war dem BF zuzumuten, seine E-Mails in kurzen Zeitabständen sorgfältig zu sichten und auch den Spam-Ordner zu kontrollieren. Die vom BF in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Bestätigung des Krieseninterventionszentrums XXXX bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass dem BF die Fähigkeit zur Selbstorganisation überhaupt abzusprechen wäre. Im vorliegenden Fall ist daher bedingter Vorsatz gegeben.

Nachsichtsgründe iSd § 10 Abs 3 AlVG wurden vom BF nicht geltend gemacht und ergeben sich auch diesbezüglich keine Anhaltspunkte aus dem vorgelegten Verwaltungsakt.

Somit war über die Beschwerde gegen den Bescheid vom 11.01.2018, nach Beschwerdevorentscheidung wie in Spruchpunkt I. zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II.:

Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist die Feststellung, dass der BF gemäß § 38 iVm § 10 AlVG den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum 28.05.2018 bis 08.07.2018 wegen der Nichbewerbung auf eine zumutbare zugewiesne Arbeitsstelle verloren habe.

Die Bezug habende Stellenzuweisung hatte folgende Rechtsbelehrung enthalten: „Diese Vorsprache gilt als Kontrollmeldung gemäß § 49 AlVG. Sollten Sie diesen Termin nicht einhalten, werden Ihre Leistungen ab diesem Tag eingestellt.“

Gemäß 49 Abs 1 AlVG hat sich der Arbeitslose zur Sicherung des Anspruches auf den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe wöchentlich mindestens einmal bei der nach seinem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich zu melden. […]

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis 2005/08/0159 vom 20.12.2006 in einem gleichgelagerten Fall ausgesprochen:

„Ungeachtet der Frage der Zulässigkeit eines Kontrolltermins bei einer anderen als der nach § 49 Abs. 1 AlVG zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice ist jedenfalls davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer angesichts des Hinweises, dass es sich bei dem Termin am 28. April 2005 um einen Kontrolltermin im Sinne des § 49 AlVG handelt, nicht wissen musste, dass sein Verhalten bei diesem Vorauswahltermin für die Erlangung einer Beschäftigung ebenso relevant im Sinne der §§ 9 und 10 AlVG ist, wie etwa sein Verhalten bei einem Vorstellungstermin beim potenziellen Dienstgeber. Eine im Bezug von Arbeitslosengeld stehende Person ist nämlich grundsätzlich berechtigt, beim Betreuungsgespräch mit einem Mitarbeiter des Arbeitsmarktservice alles vorzubringen, was aus ihrer Sicht gegen eine geplante Zuweisung spricht, ohne befürchten zu müssen, dass deswegen ihr Leistungsanspruch gekürzt wird. Sie ist nur verpflichtet, nach allfälliger Belehrung über die Zumutbarkeit, einer Zuweisung zu einer offenen Arbeitsstelle auch tatsächlich nachzukommen. Soll daher mit einer arbeitslosen Person kein Beratungs-, sondern ein "Vorstellungsgespräch" geführt werden, so setzt dies voraus, dass der Unterschied deutlich gemacht wird. Die Sanktion des §§ 9 iVm 10 AlVG scheidet somit aber für ein Verhalten bei einem Termin aus, wenn dieser (auch) als "Kontrolltermin" vorgeschrieben worden ist. Die beiden Tatbestände sind folglich scharf voneinander abzugrenzen, sodass die Nichteinhaltung eines Kontrolltermins im Sinne des § 49 AlVG nicht der Vereitelung einer Beschäftigung im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 1 AlVG gleichgestellt werden kann.“

Unter Beachtung dieser höchstgerichtlichen Judikatur hätte dem BF im vorliegenden Fall nur der Verstoß gem. § 49 AlVG zur Last gelegt werden können.Denn das AMS hatte dem BF mit der verfahrensgegenständlichen Stellenzuweisung nicht deutlich gemacht, dass es sich bei der Dienstags und Donnerstags stattfindenden Vorauswahl um ein Vorstellungsgespräch handeln würde. Der diesbezügliche Einwand des AMS, es sei versehentlich der falsche Textbaustein in die Stellenzuweisung eingefügt worden, ist nicht geeignet zu einer anderen Beurteilung zu führen. Denn die im Akt aufliegende Stellenzuweisung enthielt objektiv betrachtet die eindeutige Feststellung, dass die dem BF zugewiesene Teilnahme an einer beim AMS abgehaltenen Vorauswahl als Kontrolltermin gelten würde. Eine zeitgerechte Berichtigung dieser Rechtsbelehrung und entsprechende Information des BF ist nicht erfolgt.

Da das AMS mit dem in Spruchpunkt II. genannten Bescheid vom 13.06.2018, nach Beschwerdevorentscheidung vom 24.07.2018, dem BF eine Vereitelungshandlung iSd § 10 AlVG zur Last gelegt hat, war bezüglich dieses Bescheides wie in Spruchpunkt II. zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt III

Gemäß § 24 Abs 1, erster Satz, AlVG ist das Arbeitslosengeld einzustellen, wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wegfällt.

Gemäß § 38 AlVG sind die Bestimmungen des Abschnittes 1 auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden, soweit in diesem Abschnitt nichts anderes bestimmt ist.

Gemäß § 33 Abs 2 AlVG ist Notstandshilfe nur zu gewähren, wenn der (die) Arbeitslose der Vermittlung zur Verfügung steht (§ 7 Abs. 2 und 3) und sich in Notlage befindet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist Voraussetzung für die Einstellung der Notstandshilfe mangels Arbeitswilligkeit die generelle Ablehnung der Annahme einer zumutbaren die Arbeitslosigkeit ausschließenden Beschäftigung. Hat eine binnen kurzer Zeit wiederholte Erfüllung des Tatbestands des § 9 AlVG - als Richtschnur können drei festgestellte Vereitelungshandlungen innerhalb eines Jahres gelten - zu temporären Verlusten der Notstandshilfe im Sinn des § 10 AlVG geführt, so ist aus dem Verhalten des Arbeitslosen zu schließen, dass bei ihm eine generelle Ablehnung der Annahme zumutbarer Beschäftigungen vorliegt und es daher auf Dauer an der Arbeitswilligkeit mangelt (Vgl. VwGH Ro 2014/08/0023 vom 23.03.2015).

Der vorliegende Bescheid des AMS vom 24.08.2018, nach Beschwerdevorentscheidung vom 02.10.2018, geht gestützt auf die oben näher ausgeführten Tatbestände von einer dreimaligen Vereitelung iSd § 10 AlVG innerhalb eines Jahres aus. Da aber der in Spruchpunkt II. angeführte Bescheid demäß § 28 Abs 5 VwGVG aufzuheben war, fehlt es an der Voraussetzung von drei Vereitelungshandlungen innerhalb eines Jahres.

Somit war bezüglich der Beschwerde gegen den Bescheid vom 24.08.2018, VSNR XXXX , AMS 967 Wien-Huttengasse, nach Beschwerdevorentscheidung vom 02.10.2018, GZ 2018-0566-9-002408 wie in Spruchpunkt III. zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG bezüglich keines der drei Spruchpunkte zulässig, weil keine der drei Entscheidungen von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weichen die gegenständlichen Entscheidungen von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechun.; Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Arbeitswilligkeit Einstellung Notstandshilfe Vereitelung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W164.2208419.1.00

Im RIS seit

10.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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