TE Vfgh Beschluss 2020/10/8 V505/2020

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Veröffentlicht am 08.10.2020
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 Z1
VwGG §38a
Kundmachung der BM für EU und Verfassung gemäß §38a VwGG, BGBl I 55/2020
GlücksspielG §52 Abs2
VStG 1991 §16, §64 Abs2
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Unzulässigkeit eines Antrags betreffend die Aufhebung der Kundmachung einer Bundesministerin mangels Verordnungsqualität; Kundmachung eines Beschlusses des VwGH betreffend gleichartige Rechtsfragen in einer erheblichen Anzahl von Verfahren bewirkt lediglich erhöhte Publizität und stellt kein taugliches Anfechtungsobjekt dar

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antragsvorbringen

1. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich begehrt gemäß Art139 Abs1 Z1 B-VG, "der Verfassungsgerichtshof möge die mit BGBI I 55/2020 gemäß §38a VwGG erfolgte 'Kundmachung der Bundesministerin für EU und Verfassung über den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes in dem zur dg. Zl Ra 2020/17/0013 anhängigen Verfahren' zur Gänze als gesetzwidrig aufheben".

2. Dem Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich liegt nach den Angaben des antragstellenden Gerichtes folgender Sachverhalt zugrunde:

2.1. Sowohl am 9. August 2017 als auch am 19. Oktober 2017 führten Exekutivorgane der Finanzpolizei in einem näher bezeichneten Gewerbebetrieb eine Kontrolle wegen des Verdachtes des Vorliegens von Verstößen gegen §52 GSpG durch. Hiebei beschlagnahmten sie vorläufig acht betriebsbereit aufgestellte Geräte, für die keine nach dem Glücksspielgesetz erforderlichen behördlichen Konzessionen bestanden.

2.2. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck erließ in der Folge vier Straferkenntnisse – zwei gegen den handelsrechtlichen Geschäftsführer der Eigentümerin der beschlagnahmten Glücksspielautomaten, eines gegen die handelsrechtliche Geschäftsführerin der Mieterin des Geschäftslokales sowie eines gegen die handelsrechtliche Geschäftsführerin eines Unternehmens, das im vorliegenden Fall Personal überlassen hat – jeweils wegen Übertretung des §52 Abs1 Z1 viertes Tatbild GSpG. Die jeweils verhängten Strafen gründen auf §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG.

2.3. Gegen diese vier Straferkenntnisse wurden beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich Beschwerden eingebracht. In diesen wird im Wesentlichen vorgebracht, die angefochtenen Bescheide litten an Verfahrens-, insbesondere Begründungs- und Sachverhaltsfeststellungsmängeln. Vor allem erweise sich aber das im Glücksspielgesetz normierte Monopolsystem als unionsrechtswidrig bzw träfe die beschwerdeführenden Parteien im Hinblick auf die diesbezüglich unklare Rechtslage kein Verschulden. Schließlich seien die verhängten Strafen auch als überhöht anzusehen. Aus diesen Gründen werde jeweils die Aufhebung der angefochtenen Straferkenntnisse beantragt.

2.4. Aus Anlass dieser Beschwerden stellt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich den vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag auf Aufhebung der "Kundmachung der Bundesministerin für EU und Verfassung über den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes in dem zur Zl Ra 2020/17/0013 anhängigen Verfahren gemäß §38a VwGG" wegen Gesetzwidrigkeit.

3. Das antragstellende Landesverwaltungsgericht begründet die Präjudizialität der angefochtenen Regelung folgendermaßen:

"1. Im Zuge der Entscheidung über die hg. zu Zln LVwG-413736, 413737, 413740 u. 413743 anhängigen, auf Art130 Abs1 Z1 B-VG gestützten Beschwerden hat das LVwG Oberösterreich ua jeweils die Bestimmungen des §52 Abs2 dritter Strafsatz des Glücksspielgesetzes, BGBl 620/1989 in der zuletzt durch BGBI I 13/2014 geänderten Fassung, sowie des §16 VStG, BGBl 51/1991, und des §64 Abs2 VStG, BGBI 52/1991 in der zuletzt durch BGBI I 33/2013 geänderten Fassung, anzuwenden.

2. Hinsichtlich dieser Bestimmungen hat der Verwaltungsgerichtshof (im Folgen-den auch: VwGH) mit Beschluss vom 27. April 2020, ZI Ra 2020/17/0013-7, unter anderem ausgesprochen, dass Grund zur Annahme bestehe, dass künftig i.S.d. §38a Abs1 VwGG eine erhebliche Anzahl von Revisionen eingebracht werden wird, in denen gleichartige Rechtsfragen zu lösen sein werden. Dabei werde es um die Fragen gehen, ob §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG sowie die §§16 bzw 64 Abs2 VStG gegen Unionsrecht (Art56 AEUV sowie Art49 Abs3 EGRC) verstoßen; sollte dies zutreffen, so wären wegen der allenfalls daraus folgenden Unanwendbarkeit dieser Bestimmungen die angefochtenen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte jeweils als rechtswidrig, nämlich als ohne gesetzliche Grundlage ergangen, anzusehen.

Unter einem wurde der Bundeskanzler mit diesem Beschluss auf seine in §38a Abs2 VwGG festgelegte Verpflichtung zur unverzüglichen Kundmachung von dessen Spruch im Bundesgesetzblatt sowie auf die mit dieser Kundmachung eintretenden, in §38a Abs3 VwGG genannten Rechtsfolgen hingewiesen.

3. Mit BGBI I 55/2020, ausgegeben am 30. Juni 2020, hat die Bundesministerin für EU und Verfassung die Spruchpunkte I. bis IV. des Beschlusses des VwGH vom 27. April 2020, ZI Ra 2020/17/0013-7, wörtlich kundgemacht.

4. Diese Kundmachung hat ua nach §38a Abs3 Z1 VwGG zur Folge, dass seit dem 1. Juli 2020 in Rechtssachen, in denen ein Verwaltungsgericht die im Beschluss genannten Rechtsvorschriften anzuwenden und eine in dessen Spruch genannte Rechtsfrage zu beurteilen hat, nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden dürfen, die durch das in diesem Zusammenhang künftig ergehende Erkenntnis des VwGH nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten (sog 'Sperrwirkung'). Eine in diesem Zeitraum dennoch ergehende Entscheidung würde die Verfahrensparteien in deren Grundrecht auf den gesetzlichen Richter verletzen (vgl zB VfGH vom 14.3.2027, E3126/2016).

5. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die mit dieser Kundmachung gemäß §38a Abs3 Z1 VwGG verbundene Sperrwirkung nunmehr auch die oben […] angeführten, beim LVwG OÖ derzeit anhängigen Anlassfälle, in denen jeweils die Bestimmungen des §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG und die §§16 bzw 64 Abs2 GSpG anzuwenden sind, erfasst.

6. Die mit der Kundmachung BGBI I 55/2020 vorgenommene Regelung ist somit für die rechtliche Beurteilung der hg. zu Zln LVwG-413736, 413737, 413740 u. 413743 anhängigen Anlassfälle jeweils präjudiziell."

4. Nach Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich kommt der Kundmachung, BGBl I 55/2020, aus folgenden Gründen Verordnungsqualität zu:

"1. Ob der mit Kundmachung vom 30. Juni 2020, BGBI I 55/2020 (im Folgenden auch kurz: Kundmachung), verlautbarte Rechtsakt in formeller Hinsicht als eine Verordnung i.S.d. Art139 B-VG zu qualifizieren ist, könnte v.a. deshalb fraglich sein, weil diese Kundmachung selbst zwar zweifelsfrei von einem Verwaltungsorgan (nämlich: der Bundesministerin für EU und Verfassung) vorgenommen wurde und sich wohl auch an einen generell-abstrakten Adressatenkreis richtet: Denn gemäß Pkt. IV. dieser Kundmachung i.V.m. §38a Abs3 Z1 VwGG entfaltet sie jedenfalls für sämtliche Verwaltungsgerichte (der Länder) in allen derzeit bei die-sen anhängigen (und künftig anhängig werdenden) Verfahren, in denen diese VwGe die Bestimmungen des §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG und/oder des §16 VStG und/oder des §64 Abs2 VStG zu vollziehen haben (werden), und darüber hinaus auch für sämtliche Parteien solcher Anlassverfahren jeweils rechtliche Wirkungen.

2. Allerdings verkörpert diese Kundmachung in inhaltlicher Hinsicht die Publikation einer individuell-konkreten gerichtlichen Entscheidung, nämlich eines in einem beim VwGH anhängigen Revisionsverfahren ergangenen Beschlusses.

In diesem Zusammenhang ließe sich nun die Auffassung vertreten, dass diese Kundmachung gleichsam nur deshalb nicht durch das Gericht selbst, sondern von einer Behörde vorgenommen wurde, weil das – im Hinblick auf Rechtsvorschriften die größte Breitenwirkung aufweisende – Verlautbarungsmedium 'Bundesgesetzblatt' von Verfassungs wegen traditionell der Handhabung durch Verwaltungsorgane vorbehalten ist (vgl gegenwärtig die Art48 ff B-VG i.V.m. §4 BGBIB).

3. Man könnte daher davon ausgehend auch der Rechtsmeinung anhängen, dass gleichsam der 'Beitrag der Verwaltung' zur Entstehung der Rechtsverbindlichkeit der vorliegenden Kundmachung nicht konstitutiver, sondern bloß deklarativer Natur ist, sodass gesamthaft betrachtet kein Verwaltungsakt, sondern vielmehr ein solcher der Gerichtsbarkeit vorliegt.

In diesem Zusammenhang ließe sich zudem anführen, dass der Verfassungsgerichtshof (im Folgenden auch: VfGH) bereits ausgesprochen hat, dass beispiels-weise weder der Kundmachung eines Wahlergebnisses noch den derselben vorausgehenden Teilakten einer Wahl der Charakter einer Verordnung i.S.d. Art139 B-VG zukommt (vgl VfGH vom 11.10.1990, B1549/89 = VfSlg 12500/1990 [wobei der darin enthaltene Hinweis auf VfSlg 8602/1979 insoweit allerdings wohl nicht zutreffend sein dürfte]). Indem es sich dort zumindest um eine einen Selbstverwaltungsträger (Ärztekammer) betreffende Wahl handelte, könnte aus dieser Entscheidung der Größenschluss gezogen werden, dass behördliche Kundmachungen von (einer anderen Staatsgewalt, nämlich) der Gerichtsbarkeit zurechenbaren Akten erst recht keine Verordnungen verkörpern.

4.1. Dem steht jedoch zunächst gegenüber, dass der VfGH in ständiger Judikatur davon ausgeht, dass eine Rechts- oder Verwaltungsverordnung stets dann vor-liegt, wenn es sich – unabhängig von der Bezeichnung des Aktes – um eine von einer Verwaltungsbehörde im Rahmen der Hoheitsverwaltung erlassene generelle Rechtsnorm handelt, wobei für die normative Wirkung eines Verwaltungsaktes ausschließlich sein Inhalt entscheidend ist: Wird durch eine generelle Norm die Rechtslage der Betroffenen (worunter auch – wie bei Verwaltungsverordnungen – staatliche Organe zu verstehen sind) gestaltet, so wendet sich diese ihrem Inhalt nach an die Allgemeinheit und stellt somit eine Verordnung dar (vgl zB VfGH vom 10.10.2003, G222/02 ua = VfSlg 17023/2003; s.a. VfSlg 17869/2006 und 17023/2003).

Alle diese essentiellen Kriterien treffen auch auf die verfahrensgegenständliche Kundmachung BGBI I 55/2020 zu.

4.2. Weiters hat der VfGH im Besonderen etwa auch die Kundmachung von Druckfehlern in Bezug auf (Enuntiationen einer anderen Staatsgewalt, nämlich) Gesetze (vgl VfSlg 16852/2003) oder generell verbindliche Äußerungen, die sich zwar formal nur an Unterbehörden richten, der Sache nach aber subjektive Rechte gestalten (vgl zB VfSlg 18495/2008 und 19717/2012, jeweils m.w.N.), als Verordnungen qualifiziert.

4.3. Von insgesamt entscheidender Bedeutung dürfte aber wohl sein, dass im Lichte des rechtsstaatlichen Grundprinzips jedenfalls im Zweifel dann vom Vorliegen einer Verordnung auszugehen ist, wenn einerseits die Qualifikation als eine sonstige Rechtssatzform noch ferner liegt und andererseits eine Unanfechtbarkeit dieses Aktes wegen Fehlens einer entsprechenden Rechtsschutzmöglichkeit resultieren würde: Denn das Rechtsstaatsprinzip setzt voraus, dass die Rechtsordnung stets einen ausreichend effizienten Rechtsschutz gewähren muss (vgl zB G126/96 v 11.12.1996 = VfSlg 14702/1996 mit Hinweis auf VfSlg 11196/1986, 12409/1990, 13223/1992, 13699/1994 und 13834/1994).

4.4. Aus allen diesen Gründen geht das LVwG OÖ somit zusammengefasst davon aus, dass die mit BGBI I 55/2020 erfolgte Kundmachung der Bundesministerin für EU und Verfassung als Verordnung i.S.d. Art139 B-VG zu qualifizieren ist."

5. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich legt seine Bedenken gegen die Gesetzwidrigkeit der "Kundmachung der Bundesministerin für EU und Verfassung über den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes in dem zur Zl Ra 2020/17/0013 anhängigen Verfahren gemäß §38a VwGG" wie folgt dar:

"2. Wie insbesondere aus lita des §38a Abs3 Z1 VwGG folgt, setzt diese Bestimmung voraus, dass eine rechtliche Bindungswirkung an die Entscheidung des VwGH besteht. Denn nur bei Zugrundelegung eines derartigen Ausgangspunktes erhält die Beschränkung der VwGe, vorläufig nur solche (unaufschiebbaren) Handlungen vornehmen bzw Anordnungen oder Entscheidungen treffen zu dürfen, durch die das künftige Erkenntnis des VwGH nicht beeinflusst werden kann oder die (gleichartige Rechts-)Frage nicht abschließend geregelt (gelöst) wird, ihren maßgeblichen Sinn. Dies gilt in erster Linie für die Ausgangssituation von/einer bereits beim VwGH anhängigen Revision/en, darüber hinaus aber auch für den darauf aufbauenden Sonderfall von erst zukünftig dg. eingehenden Revisionen.

Fasst der VwGH also einen Beschluss gemäß §38a VwGG, so resultiert daraus hinsichtlich der damit aufgeworfenen Rechtsfrage einerseits eine vorläufige Bindungswirkung auf Grund dieses Beschlusses und andererseits eine endgültige Bindungswirkung an die abschließende Entscheidung des VwGH gemäß §63 Abs1 VwGG; diese Bindungswirkungen erfassen jedoch – erstens – nur (bereits anhängige oder künftig anhängig werdende) Revisionsverfahren und unter diesen – zweitens – nur jene, in denen jeweils die vom VwGH beschlussmäßig konkretisierte Rechtsfrage zu lösen ist sowie schließlich – drittens – Rechtsfragen, hinsichtlich denen gemäß §38a Abs3 Z1 lita VwGG i.V.m. §63 Abs1 VwGG abstrakt eine entsprechende Bindungswirkung bestehen kann.

3. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden auch: EuGH) hat ein mitgliedstaatliches Gericht zufolge des Grundsatzes der Effektivität des Vorranges des Unionsrechts die Frage der Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Regelung mit EU-Recht eigenständig und ohne Bindung an die diesbezügliche Rechtsmeinung anderer nationaler – allenfalls auch im Instanzenzug übergeordneter – Gerichte zu beurteilen und davon ausgehend allein auf dieser eigenständigen Rechtsmeinung basierend zu entscheiden (vgl speziell zu Österreich bzw zu §63 Abs1 VwGG zB EuGH vom 15.10.2015, C-581/14, Rn 33 ff, und vom 7.6.2018, C-589/16, Rn 35, jeweils m.w.N.).

Daraus ergibt sich, dass hinsichtlich Fragen der Vereinbarkeit von konkreten nationalen Rechtsvorschriften mit dem Unionrecht – bzw allgemeiner: hinsichtlich der Auslegung von Unionsrecht – schon von vornherein keine Bindungswirkung der VwGe an diesbezügliche Entscheidungen des VwGH besteht.

4. In der vorliegenden Fallkonstellation zielt die vom VwGH beschlussmäßig konkretisierte Rechtsfrage ausdrücklich – und auch ausschließlich – darauf ab, die Problematik der Vereinbarkeit des §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG, des §16 VStG und des §64 Abs2 VStG mit dem Unionsrecht, im Besonderen mit Art56 AEUV und Art49 Abs3 EGRC, einer Lösung zuführen zu wollen.

Mit der Heranziehung des in §38a VwGG geregelten Verfahrens dürfte hierfür je-doch aus den zuvor genannten Gründen eine unzulässige und damit gesetzwidrige Vorgangsweise gewählt worden sein.

5. Betrifft es die Auslegung bzw die Vereinbarkeit von nationalem mit Unionsrecht, ist in §38b VwGG ein – wohl gleichsam spezifisches – (Sonder-)Verfahren vorgesehen:

Bestehen dementsprechende Zweifel, muss der VwGH als ein i.S.d. Art267 AEUV letztinstanzliches Gericht die zugrunde liegende(n) Frage(n) dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen (wie dies im Übrigen auch bereits mit Beschluss des VwGH vom 27.4.2020, EU 2020/0002-1, erfolgt ist – vgl dazu das beim EuGH zu C-231/20 anhängige Verfahren).

Da den Verwaltungsgerichten gemäß den §§17 und 38 VwGVG i.V.m. §38a AVG eine gleichartige Möglichkeit wie dem VwGH nach §38b VwGG zukommt und da-von abgesehen insoweit – wie zuvor […] ausgeführt – schon von vornherein keine (wechselseitige) Bindungswirkung besteht, würde sich daher insgesamt betrachtet das Bestehen bzw die Einrichtung einer zu §38a VwGG analogen Sperrwirkung in §38b VwGG hinsichtlich des Problemkreises 'Auslegung/Vereinbarkeit von nationalem mit Unionsrecht' offenbar sogar als systemwidrig erweisen.

6. Mit Abs1 Z2 der auf Art77 Abs3 B-VG gestützten Entschließung vom 29.1.2020, BGBl II 17/2020 (im Folgenden auch kurz: Entschließung), hat der Bundespräsident der Bundesministerin im Bundeskanzleramt ua auch die sachliche Leitung der zum Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes gehörenden 'Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit' übertragen.

6.1. Zunächst kann dem Art77 Abs3 B-VG nicht entnommen werden, ob eine derartige Übertragung auch hinsichtlich solcher Agenden zulässig ist, die durch Gesetz – wie etwa gemäß §38a Abs2 VwGG – nicht dem 'Bundeskanzleramt' (als Hilfsorgan), sondern dezidiert dem 'Bundeskanzler' (als monokratischem Verwaltungsorgan) zur Vollziehung zugewiesen sind.

6.2. Aber selbst wenn dies zutreffen sollte, können durch Entschließungen gemäß Art77 Abs3 B-VG doch wohl nur amtsinterne Leitungsagenden übertragen werden; außenwirksame, v.a. die behördliche Zuständigkeit des Bundeskanzlers auf einen anderen Minister verschiebende Delegationen dürften durch diese Verfassungsbestimmung entweder nicht gedeckt sein oder zumindest voraussetzen, dass explizit – zB durch eine Wendung wie: 'für den Bundeskanzler:' – zum Ausdruck kommt, dass es sich hierbei um einen delegierten Akt handelt.

6.3. Davon abgesehen hätte die Kundmachung BGBI I 55/2020 wohl nicht im 'Bundesgesetzblatt I' erfolgen dürfen, sondern gemäß §4 Abs2 des Bundesgesetzblattgesetzes, BGBI I 100/2003 i.d.g.F. BGBI I 24/2020, vielmehr im 'Bundegesetzblatt II' vorgenommen werden müssen.

7. Zusammengefasst dürfte sich die Kundmachung BGBI I 55/2020 somit insoweit als gesetzwidrig erweisen, weil diese

• insofern auf einer widerrechtlichen Verfahrensart basiert, als die Vorausset-zungen des §38a VwGG nicht vorlagen,

• vom unzuständigen Organ erlassen wurde und

• nicht in der gesetzlich vorgesehenen Form kundgemacht wurde."

6. Die Bundesministerin für EU und Verfassung erstattete eine Äußerung, in der sie den Antrag als unzulässig, in eventu als unbegründet erachtet.

6.1. Die Bundesministerin für EU und Verfassung bringt zur Zulässigkeit des vorliegenden Antrages Folgendes vor:

"1. Gemäß Art139 Abs1 Z1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag eines Gerichtes. Zu einem solchen Antrag ist ein (ordentliches) Gericht gemäß Art89 Abs2 B-VG verpflichtet, wenn es gegen die Anwendung einer Verordnung aus dem Grunde ihrer Gesetzwidrigkeit Bedenken hegt. Diese Verpflichtung gilt sinngemäß ebenso für die Verwaltungsgerichte (vgl Art135 Abs4 B-VG).

Die Zulässigkeit eines auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrages setzt somit (1.) das Vorliegen einer Verordnung, welche (2.) im konkreten gerichtlichen Verfahren anzuwenden ist, und (3.) die Antragstellung durch ein Gericht voraus. Im hier zu beurteilenden Fall fehlt es – wie nachfolgend dargelegt wird – schon an der ersten Voraussetzung, nämlich dem Vorliegen einer Verordnung.

2.1. Die verfassungsrechtliche Grundlage für die Erlassung von Verordnungen bildet Art18 Abs2 B-VG. Demnach kann jede Verwaltungsbehörde auf Grund der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereiches Verordnungen erlassen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist unter einer Verordnung iSd Art18 Abs2 B-VG – unabhängig von der Bezeichnung – eine von einem Verwaltungsorgan erlassene, an die Allgemeinheit überhaupt oder an einen nach Gattungsmerkmalen umschriebenen Personenkreis adressierte Rechtsnorm zu verstehen, welche die Rechtslage der Betroffenen gestaltet (vgl zB VfSlg 17.137/2004 mwN; grundlegend VfSlg 1398/1931).

Verordnungen können somit nur von Verwaltungsorganen erlassen werden, nicht auch von Organen der Gesetzgebung (vgl zB VfSlg 2542/1953) oder von Gerichten iSd Art87 Abs2 B-VG (vgl zB VfSlg 6090/1969).

Wesentlich für die Bejahung der Verordnungsqualität eines verwaltungsbehördlichen Aktes ist, wie sich schon aus Art18 Abs2 B-VG ergibt (arg. 'kann … erlassen'), dass im Falle der Beteiligung mehrerer Organe an der Verordnungserlassung der die Verordnung in letzter Konsequenz erlassenden Behörde ein entsprechendes Ermessen verbleibt. Eine Regelung, durch welche eine Behörde beispielsweise verpflichtet würde, 'auf Antrag' einer anderen Stelle (Nichtbehörde) eine Verordnung zu erlassen, ohne dass ihr dabei ein eigenes Ermessen zukäme, verstieße klar gegen Art18 Abs2 B-VG (vgl idS Mayer, Die Verordnung, 1977, 20). Würde die Verordnungskompetenz oberster Verwaltungsorgane vom Erfordernis der Zustimmung, des Einvernehmens oder der Genehmigung durch außerhalb der Verwaltung stehende Stellen abhängig gemacht, würde dadurch nach Lehre und Rechtsprechung ein verfassungsrechtlich nicht vorgesehenes Verwaltungsorgan eingerichtet (vgl Mayer, Die Verordnung, 1977, 20 mwN; VfSlg 6495/1971, 7402/1974).

2.2. Im vorliegenden Fall könnte man zwar zunächst – mit dem antragstellenden Gericht – meinen, dass es sich bei der Kundmachung BGBI I Nr 55/2020 um eine dem obersten Verwaltungsorgan 'Bundesministerin für EU und Verfassung' zuzurechnenden Verwaltungsakt handle. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich freilich, dass der genannten Bundesministerin in Bezug auf die fragliche Kundmachung weder eine inhaltliche Gestaltungsbefugnis noch ein sonstiges Ermessen iSd Art18 Abs2 B-VG zukommt.

Aus §38a Abs1 VwGG ergibt sich vielmehr, dass die Frage, ob es im Endergebnis überhaupt zu einer entsprechenden Kundmachung iSd §38a Abs2 VwGG kommt, im Ermessen des VwGH bzw des im konkreten Verfahren nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senates liegt. Unter den in §38a Abs1 VwGG genannten Voraussetzungen (Anhängigkeit erheblicher Anzahl von Verfahren über Revisionen mit gleichartigen Rechtsfragen oder Grund zur Annahme, dass eine erhebliche Anzahl solcher Revisionen eingebracht werden wird) kann der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss aussprechen, dass die genannten Voraussetzungen vorliegen.

Hat der VwGH von seinem Ermessen Gebrauch gemacht und einen Beschluss iSd §38a Abs1 VwGG gefasst, so tritt automatisch die in §38a Abs2 VwGG für diesen Fall angeordnete Rechtsfolge ein: Soweit es sich bei den im Beschluss genannten Rechtsvorschriften zumindest auch um Gesetze, politische, gesetzändernde oder gesetzesergänzende Staatsverträge oder Staatsverträge, durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, handelt, hat der Bundeskanzler der zuständige Landeshauptmann oder die ansonsten zuständige oberste Behörde des Bundes oder des Landes die unverzügliche Kundmachung vorzunehmen.

Aus dem Gesagten folgt, dass es sich bei der angefochtenen Kundmachung iSd §38a Abs2 VwGG mangels jeglichen Einflusses auf den Inhalt und Zeitpunkt der Setzung des fraglichen Aktes seitens der zur Kundmachung berufenen Verwaltungsbehörden um keine Verordnung der Bundesministerin für EU und Verfassung iSd Art18 Abs2 B-VG handeln kann (vgl idS auch Puck, Massenverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof – Bemerkungen zu §38a VwGG, in Bammer et al (Hrsg.), FS Machacek/Matscher (2008), 367 (377) und Forster/Herbst/Pichler, Das Massenverfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, ZfV 2017, 287 (297)).

In die Richtung der hier vertretenen Auslegung, nämlich der Nichtzurechenbarkeit der fraglichen Kundmachung zu Verwaltungsbehörden, weist im Übrigen auch die Entstehungsgeschichte des §38a VwGG. Ursprünglich war nämlich eine Kundmachung des (ursprünglich mit eingeschränkterem sachlichem Anwendungsbereich ausgestatteten) 'Massenverfahrens-Beschlusses' durch den Präsidenten des VwGH selbst im Bundesgesetzblatt vorgesehen (vgl §26a Abs1 VwGG idF IA 318/A 21. GP 1). Später wurde der VwGH-Präsident dann durch den Bundeskanzler und den Landeshauptmann bzw die obersten Verwaltungsorgane ersetzt.

2.3. Als Ergebnis der vorstehenden Erwägungen zeigt sich, dass der Inhalt der Kundmachung durch den Senatsbeschluss des VwGH bestimmt wird und sich somit als ein Akt der Gerichtsbarkeit darstellt. Die daran anschließende Kundmachung durch die Verwaltungsbehörde stellt sich insofern lediglich als eine zusätzliche Bedingung zur Erzeugung der in §38a Abs3 VwGG genannten Rechtswirkungen dar, welche eben erst ab Kundmachung eintreten.

Die Kundmachung für sich genommen erzeugt dagegen keine Rechtswirkungen iS einer Verordnung (dazu noch näher unten). Da Gerichte bzw deren Untergliederungen – wie bereits erwähnt – nicht die rechtliche Fähigkeit zur Erlassung von Verordnungen iSd Art18 Abs2 B-VG besitzen (vgl wieder VfSlg 6090/1969), muss auch unter dem Gesichtspunkt der tatsächlichen inhaltlichen Bestimmung der Kundmachung deren Verordnungsqualität verneint werden.

3. Dass den Kundmachungen iSd §38a Abs2 VwGG keine Verordnungsqualität zukommt, indiziert auch die Spruchpraxis des VwGH. Letzterer hatte sich nämlich in früheren Beschlüssen – entgegen dem hier diskutierten – nicht auf den Ausspruch der Kundmachung im Bundesgesetzblatt beschränkt, sondern ausdrücklich das Bundesgesetzblatt II als Ort der Publikation genannt (vgl bspw. VwGH 30.1.2003, 2003/17/0001, 0004, 0025 und 0053; 14.1.2004, 2002/08/0038; 06.05.2011, 2011/08/0090). Damit hat er Beschlüsse im hier interessierenden Sinne als 'sonstige Kundmachungen' iSd nunmehrigen §4 Abs2 BGBlG behandelt und hat damit zugleich implizit zum Ausdruck gebracht, dass er diese nicht als Verordnungen eines Bundesministers iSd §4 Abs1 Z2 BGBlG und damit auch nicht iSd Art18 Abs2 B-VG betrachtet.

4. Neben den oben diskutierten spezifischen Rollen der am Zustandekommen der fraglichen Kundmachung beteiligten Instanzen bzw Behörden sprechen auch inhaltliche Argumente gegen die Einstufung der Kundmachung als Verordnung iSd Art18 Abs2 B-VG.

4.1. Zufolge der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kommt es für die Qualität als Verordnung in allererster Linie auf den Inhalt des Verwaltungsaktes an (zB VfSlg 8647/1979, 11.472/1987, 13.021/1992, 13.632/1993, 17.244/2004; VfGH 29.11.2017, G282/2016, V54/2016). Eine wesentliche Rolle für die Verordnungsqualität des zu beurteilenden Verwaltungsaktes wäre demnach, dass seine Formulierungen imperativ gehalten sind und für eine allgemein bestimmte Vielzahl von Personen unmittelbar Geltung beanspruchen (vgl idS zB VfSlg 4759/1964, 8649/1979, 8807/1980, 9416/1982, 10.170/1984, 10.518/1985, 11.467/1987, 13.021/1992, 13.632/1993; VfGH 29.11.2017, G282/2016, V54/2016). Nach dieser Rechtsprechung darf sich ein Normtext, um als Verordnung qualifiziert werden zu können, nicht in einer bloßen Wiederholung des Gesetzestextes erschöpfen (stRsp; vgl bspw. VfSlg 20.293/2018).

4.2. Betrachtet man den mit BGBI I Nr 55/2020 kundgemachten Beschluss des VwGH, so zeigt dieser durchgehend einen feststellenden Duktus auf. Entsprechend dem durch §38a Abs1 VwGG vorgegebenen Rahmen stellt der VwGH in Spruchpunkt I. fest, dass Grund zur Annahme bestehe, dass eine erhebliche Anzahl von Revisionen eingebracht werden wird, in denen gleichartige Rechtsfragen zu lösen sind. Es gehe um die Fragen, ob §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG sowie im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldstrafen gemäß §52 Abs2 dritter Strafsatz leg. cit., die §§16 und 64 VStG gegen Unionsrecht (Art56 AEUV sowie Art49 Abs3 GRC) verstoßen und ob die vor dem Verwaltungsgerichtshof in Revision gezogene Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark wegen der allenfalls daraus folgenden Unanwendbarkeit ohne gesetzliche Grundlage ergangen ist.

In Spruchpunkt II. zitiert der VwGH sodann jene Bestimmungen, die er zur Beantwortung der in Spruchpunkt I. genannten Rechtsfragen anzuwenden hat. In Spruchpunkt III. nennt er die Revision, welche er behandeln wird. Und in Spruchpunkt IV. schließlich gibt der VwGH den Inhalt des §38a Abs2 wieder und verweist im Übrigen auf die Rechtsfolgen nach §38a Abs3 VwGG.

Aus dem Gesagten folgt, dass sich jedenfalls Spruchpunkt IV. des Beschlusses als reine Wiederholung des Gesetzestextes (§38a Abs2 und 3 VwGG) darstellt und ihm schon deshalb kein Verordnungscharakter zukommen kann. Dem Inhalt der übrigen Spruchpunkte fehlt es wiederum am imperativen Charakter.

Soweit an den Senatsbeschluss rechtliche Gestaltungswirkungen anknüpfen, ergeben sich diese primär schon aus dem Gesetz. Mit Vorliegen des Beschlusses iSd §38a Abs1 VwGG wird quasi lediglich ein Tatbestandsmerkmal erfüllt bzw stellt der Beschluss das Vorliegen bestimmter Umstände fest (vgl Mayhofer/Metzler, in Fischer/Pabel/Raschauer (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2014, Rz 117 mwN). Dessen Vorliegen löst die Kundmachungsverpflichtung nach §38a Abs2 VwGG aus. Die Kundmachung schließlich setzt die an sich bereits unmittelbar aus §38a Abs3 VwGG erfließenden Rechtswirkungen in Gang. Zutreffend wird hier von 'Tatbestandswirkungen' gesprochen (vgl wieder Mayhofer/Metzler, a.a.O, Rz 117 FN 446).

Auch unter dem Gesichtspunkt des Inhalts und der originären Rechtsgestaltungswirkung sprechen daher die besseren Gründe dafür, die gesetzlich in §38a Abs2 angeordnete Kundmachung des VwGH-Beschlusses nicht als selbständigen Normsetzungsakt im Sinne einer Verordnung zu werten.

5. Das antragstellende Gericht führt im Sinne einer Deutung der Kundmachung BGBI I Nr 55/2020 als Verordnung ua ins Treffen, dass eine solche aus rechtsstaatlichen Gründen geboten sei. Letzteres setze voraus, dass die Rechtsordnung stets einen ausreichend effizienten Rechtsschutz gewähren müsse (unter Verweis auf VfSlg 14702/1996 mwN).

Diese Argumentation verkennt freilich, dass es der fraglichen Kundmachung im konkreten Fall an einer Gestaltungswirkung in Bezug auf subjektive Rechte von Verfahrensbeteiligten mangelt. Deren Rechtsposition wird genau genommen erst durch die Enderledigung nach Wegfall der Sperrwirkungen des VwGH-Beschlusses tangiert. Dagegen könnte zwar eingewendet werden, dass die Sperrwirkung eine Verlängerung des Beschwerdeverfahrens nach sich zieht und insofern subjektive Rechte auf Sachentscheidung binnen eines bestimmten Zeitraums negativ tangieren könnte (idS etwa der Minderheitenbericht AB 1258 BlgNR 21. GP).

Dazu ist aber wiederum festzuhalten, dass die Verfassung gegen Akte von Höchstgerichten wie jener des VfGH oder des VwGH an sich keinen Rechtsschutz kennt. Davon abgesehen erscheint eine verfassungskonforme Interpretation möglich, die dahin geht, die Kundmachung als eine Art Ersatz für eine de facto nicht mögliche Zustellung des 'Massenverfahrens-Beschlusses' an alle in Betracht kommenden Parteien zu begreifen, durch welche lediglich Beginn und Reichweite der Sperrwirkung publik gemacht werden (vgl idS schon Forster/Herbst/Pichler, Das Massenverfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, ZfV 2017, 287 (297 vor FN 100))."

6.2. Den inhaltlichen Bedenken tritt die Bundesministerin für EU und Verfassung wie folgt entgegen:

"Folgte man der hier vertretenen Argumentation, dass es schon am erforderlichen Prüfungsgegenstand, nämlich einer Verordnung iSd Art18 Abs2 B-VG bzw iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG mangelt, so erübrigte sich auch ein näheres Eingehen auf die vom antragstellenden Gericht vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf die Gesetzmäßigkeit der Kundmachung BGBI. I Nr 55/2020.

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof gleichwohl die angefochtene Kundmachung als Verordnung qualifiziert, wird einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verwiesen, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011 und 19.653/2012). Den Bedenken des antragstellenden Gerichts ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Zur behaupteten Erlassung durch ein unzuständiges Organ

1. Das antragstellende Gericht wirft ua die Frage auf, ob die Kundmachung nicht durch ein unzuständiges Organ erfolgt und deshalb mit Gesetzwidrigkeit belastet sei. Dies vor dem Hintergrund, dass gemäß §38a Abs2 VwGG 'Beschlüsse gemäß Abs1, soweit es sich bei den darin genannten Rechtsvorschriften zumindest auch um Gesetze … handelt, den Bundeskanzler oder den zuständigen Landeshauptmann … zu ihrer unverzüglichen Kundmachung verpflichten', im vorliegenden Fall jedoch die Bundesministerin für EU und Verfassung den fraglichen Beschluss kundgemacht hat.

Das antragstellende Gericht räumt zwar ein, dass der Bundespräsident gemäß Abs1 Z1 der auf Art77 Abs3 B-VG gestützten Entschließung vom 29. Jänner 2020, BGBl II Nr 17/2020, (kurz: Entschließung) der im Bundeskanzleramt angesiedelten Bundesministerin für EU und Verfassung ua die sachliche Leitung der zum Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes gehörenden 'Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit' übertragen habe. Zugleich bezweifelt das antragstellende Gericht aber, dass mittels einer auf Art77 Abs3 B-VG gestützten Entschließung einer 'Kanzleramtsministerin' auch solche Agenden übertragen werden dürfen, die in einfachgesetzlichen Bestimmungen – wie eben beispielsweise in §38a Abs2 VwGG – ausdrücklich dem Bundeskanzler als Aufgabe zugewiesen sind.

Selbst im zutreffenden Fall, dh der Übertragbarkeit einfachgesetzlich dem Bundeskanzler zugewiesener Aufgaben auf die Kanzleramtsministerin mittels Entschließung gemäß Art77 Abs3 B-VG, könnten nach Auffassung des antragstellenden Gerichts freilich nur 'amtsinterne Leitungsagenden' übertragen werden. Außenwirksame Handlungen durch eine Kanzleramtsministerin dürften nach Meinung des LVwG OÖ hingegen entweder gar nicht oder nur in Vertretung des Bundeskanzlers, dh unter Verwendung einer entsprechend ein-schränkenden Fertigungsklausel ('Für den Bundeskanzler:') gesetzt werden.

2. Die Bedenken des antragstellenden Gerichts treffen aus folgenden Gründen nicht zu:

2.1. Art77 Abs3 letzter Satz B-VG ermächtigt den Bundespräsidenten dazu, 'die sachliche Leitung bestimmter, zum Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes gehörender Angelegenheiten, und zwar auch einschließlich der Aufgaben der Personalverwaltung und der Organisation, unbeschadet des Fortbestandes ihrer Zugehörigkeit zum Bundeskanzleramt eigenen Bundesministern übertragen'.

Derartige ('allgemeine') Entschließungen sind als generelle Verwaltungsakte des Bundespräsidenten und somit als Verordnungen zu qualifizieren (vgl bspw. Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht, 11. Aufl. 2015, Rz. 653). Sie unterliegen insofern den Kundmachungserfordernissen des §4 Abs1 Z1 BGBlG und der Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof im Rahmen des Verordnungsprüfungsverfahrens nach Art139 B-VG.

Die Besonderheit der Verordnungen nach Art77 Abs3 letzter Satz B-VG liegt im Vergleich zu 'herkömmlichen' Verordnungen iSd Art18 Abs2 B-VG in ihrer unmittelbaren Grundlage in der Bundesverfassung (sog 'verfassungsunmittelbare Verordnungen'). Sie haben 'gesetzändernden' Charakter (vgl wieder Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, a.a.O. Rz 682) und stehen normenhierarchisch über dem Bundesministeriengesetz und anderen einfachgesetzlichen Bestimmungen, welche dem Bundeskanzler bestimmte Aufgaben(bereiche) zuweisen.

Nicht verändern bzw 'beschneiden' kann eine auf Art77 Abs3 letzter Satz B-VG gestützte Entschließung des Bundespräsidenten dagegen die Aufgaben, die dem Bundeskanzler als Staatsorgan verfassungsgesetzlich zugewiesen sind (bspw. jene nach Art49 B-VG). Darauf nehmen die Entschließungen nach Art77 Abs3 letzter Satz B-VG in der Praxis auch regelmäßig Bedacht, indem sie explizit aussprechen, dass ihre Aufgabenübertragungen nicht für Angelegenheiten gelten, die dem Bundeskanzler durch Bundesverfassungsrecht vorbehalten sind (so auch Abs3 der Entschließung BGBl II Nr 17/2020).

2.2. Für den hier zu beurteilenden Fall bedeuten die obigen Feststellungen, dass jede mittels Entschließung gemäß Art77 Abs3 letzter Satz B-VG erfolgte Übertragung von dem Bundeskanzler (nur) einfachgesetzlich übertragenen Aufgaben auf eine Kanzleramtsministerin dem Bundesministeriengesetz oder anderen einfachgesetzlichen Aufgabenzuweisungen, wie eben auch §38a Abs2 VwGG, vorgeht und solchen Bestimmungen im Falle eines normativen Widerspruchs materiell derogiert.

Anders gesagt: Die einfachgesetzlichen Aufgabenzuweisungen betreffend den Bundeskanzler dürfen nicht isoliert gelesen werden. Sie sind vielmehr stets in systematischer Zusammenschau mit einer allfälligen existierenden Entschließung des Bundespräsidenten, mit welcher dieser bestimmte, zum Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes gehörende, Angelegenheiten übertragen hat, zu lesen.

Zu betonen ist weiters, dass weder dem Wortlaut noch dem Telos des Art77 Abs3 B-VG zu entnehmen ist, dass der Bundespräsident bei der Zuweisung von – nach dem Bundesministeriengesetz dem Bundeskanzleramt zugewiesenen Aufgaben – auf einen eigenen Bundesminister anderen Einschränkungen unterworfen wäre als jenen, die sich aus Aufgabenzuweisungen an den Bundeskanzler unmittelbar durch die Bundesverfassung ergeben.

Bezogen auf die Kundmachungsverpflichtung des §38a Abs2 VwGG folgt daraus, dass auch diese Norm so zu lesen ist, dass die dortige Anführung des Bundeskanzlers nicht wörtlich zu nehmen ist, sondern anhand der jeweils gültigen Entschließung des Bundespräsidenten nach Art77 Abs3 letzter Satz B-VG zu prüfen ist, ob eine bestimmte Kundmachung nicht durch die Kanzleramtsministerin oder den Kanzleramtsminister vorzunehmen ist.

Im vorliegenden Fall hat die vorstehend angesprochene Prüfung unter Zugrundelegung von Abs1 Z1 der Entschließung des Bundespräsidenten vom 29. Jänner 2020, BGBl II Nr 17/2020, ergeben, dass der im Bundeskanzleramt angesiedelten Bundesministerin für EU und Verfassung ua die sachliche Leitung der 'Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit' übertragen worden ist. Darunter fallen auch Kundmachungsverpflichtungen, die sich aus §38a Abs2 VwGG ergeben. Die fragliche Kundmachung ist somit durch das zuständige Organ erfolgt.

3. Wie oben angesprochen geht das antragstellende Gericht davon aus, dass selbst eine zulässige Aufgabenübertragung mittels Entschließung nach Art77 Abs3 letzter Satz B-VG nicht auch die Befugnis zur selbstständigen Wahrnehmung der bezüglichen Aufgaben mit Außenwirkung umfasse.

Dieser Auffassung schon mit Blick auf den Wortlaut des Art77 Abs3 letzter Satz B-VG nicht beigetreten werden. Nach dem zweiten Halbsatz dieser Bestimmung haben nämlich 'solche Bundesminister bezüglich der betreffenden Angelegenheiten die Stellung eines zuständigen Bundesministers'. Dies bedeutet, dass einem Kanzleramtsminister – wie jedem anderen Bundesminister – die Stellung eines obersten Verwaltungsorgans zukommt (vgl Art19 Abs1 und Art69 Abs1 B-VG). Dies gilt für sämtliche Vollziehungsangelegenheiten und damit sowohl für generelle als auch für individuelle Vollziehungsakte.

Aus dem Gesagten folgt weiters, dass ein Kanzleramtsminister in einer durch Entschließung übertragenen Angelegenheit nicht etwa als Vertreter des Bundeskanzlers handelt und auch nicht handeln kann, da der Bundeskanzler für die von der Übertragung erfassten Angelegenheiten und für die Dauer der Übertragung eben nicht zuständig ist. Eine Wahrnehmung der übertragenen Angelegenheiten 'für den Bundeskanzler' oä. kommt daher schon von Verfassungs wegen nicht in Betracht.

Die behauptete Unzuständigkeit des Kundmachungsorgans liegt somit nicht vor.

2. Zur behaupteten Kundmachung im falschen Teil des Bundesgesetzblattes

2.1. Nach Ansicht des antragstellenden Gerichts hätte die Kundmachung BGBI. I 55/2020 nicht im Teil I des Bundesgesetzblattes erfolgen dürfen, sondern gemäß §4 Abs2 BGBIG vielmehr im Teil II des Bundesgesetzblattes vorgenommen werden müssen. Aus diesem Grund sei die besagte Kundmachung nicht in der gesetzlich vorgesehenen Form kundgemacht worden und insoweit mit Gesetzwidrigkeit behaftet.

2.2. Nach §4 Abs2 BGBIG 'können sonstige Kundmachungen der Bundesregierung oder der Bundesminister, des Präsidenten des Nationalrates, des Präsidenten des Rechnungshofes, des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes, des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes und des Vorsitzenden der Volksanwaltschaft, soweit sie nicht im Bundesgesetzblatt III zu verlautbaren sind, im Bundesgesetzblatt II dann verlautbart werden, wenn sie verbindliche Kraft haben oder wenn ihre Verlautbarung im Bundesgesetzblatt in anderen Rechtsvorschriften angeordnet ist'.

Fraglich ist im hier zu beurteilenden Fall zunächst, ob die hier in Rede stehende Kategorie von Beschlüssen des Verwaltungsgerichtshofs überhaupt unter §4 Abs2 BGBIG subsumierbar ist. Um überhaupt in den Anwendungsbereich des Art139 Abs1 Z1 B-VG zu gelangen, muss vom Vorliegen einer Verordnung iSd Art18 Abs2 B-VG bzw des Art139 Abs1 Z1 B-VG ausgegangen werden. Wie ganz zu Beginn […] ausgeführt, wurde der Senat des Verwaltungsgerichtshofs, der den kundgemachten Beschluss gefasst hat, dabei in justizieller Funktion tätig, weshalb ihm keine Verordnungsbefugnis zukam und auch nicht zukommen konnte.

Um §4 Abs2 BGBIG anwenden zu können, müsste insofern vom Vorliegen einer 'sonstigen Kundmachung' eines Bundesministers ausgegangen werden. Dabei gelangte man freilich nicht zum Ergebnis einer zwingenden Publikation im Bundesgesetzblatt II. Denn aus dem Wortlaut des §4 Abs2 BGBIG ergibt sich, dass es sich hier um eine 'Kann'-Bestimmung handelt. Es besteht insofern ein Ermessenspielraum.

Aus §38a Abs2 VwGG wiederum erfließt zwar eine Verpflichtung zur Kundmachung von Beschlüssen gemäß Abs1 leg. cit.; ein bestimmtes Kundmachungsorgan ist aber dort nicht genannt.

Selbst wenn man der Argumentation des antragstellenden Gerichts folgte und von einer Kundmachung im falschen Teil des Bundesgesetzblatts ausginge, läge darin per se keine Modifikation des materiellen Inhalts der Verordnung iSd Rsp des VfGH (vgl bspw. VfSlg 13.910/1994, 14.501/1996). Vielmehr läge nur ein Verstoß gegen die Vorschriften zur inneren Einrichtung des Bundesgesetzblattes vor, welcher berichtigungsfähig iSd §10 Z2 BGBlG wäre (vgl VfSlg 16.852/2003).

Zusammenfassend ergibt sich, dass die Publikation des hier diskutieren Inhalts im Bundesgesetzblatt I – unter hypothetischer Annahme des Vorliegens einer Verordnung – in keiner Auslegungsvariante des §4 BGBlG zum Ergebnis der Gesetzwidrigkeit führt.

3. Zur behaupteten fälschlichen Anwendung des §38a VwGG anstelle des §38b VwGG

3.1. Das antragstellende Gericht meint schließlich, der VwGH sei zu Unrecht nach §38a VwGG vorgegangen. Inhaltlich ziele der Beschluss nämlich auf die Vereinbarkeit nationaler, im Ausgangsverfahren anzuwendender Bestimmungen (§52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG, §16 VStG, §64 Abs2 VStG) mit dem Unionsrecht (Art56 AEUV und Art49 Abs3 EGRC) ab. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) habe ein mitgliedstaatliches Gericht zufolge des Grundsatzes der Effektivität des Vorranges des Unionsrechts die Frage der Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Regelung mit EU-Recht eigenständig und ohne Bindung an die diesbezügliche Rechtsmeinung anderer nationaler – allenfalls auch im Instanzenzug übergeordneter – Gerichte zu beurteilen und davon ausgehend allein auf dieser eigenständigen Rechtsmeinung basierend zu entscheiden (unter Verweis auf EuGH vom 15.10.2015, C-581/14, Rn 33 ff, und vom 7.6.2018, C-589/16, Rn 35).

Die mit einer Beschlussfassung auf Basis von §38a VwGG verbundene Sperrwirkung (§38a Abs3 leg. cit.) führt nach Meinung des antragstellenden Gerichts im Ergebnis dazu, dass es hinsichtlich der Auslegung der oben zitierten Bestimmungen an einem eigenen Vorlageantrag an den EuGH gehindert sei. Um eine solche unionsrechtswidrige Situation zu vermeiden, hätte sich der Senat des VwGH im vorliegenden Fall auf §38b Abs1 VwGG stützen müssen. Diese Bestimmung schränke nämlich in Bezug auf Prozesshandlungen nur den VwGH selbst ein.

3.2. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass sich aus dem Wortlaut des §38a VwGG die vom antragstellenden Gericht monierte Rechtswirkung im Hinblick auf Vorlageanträge an den EuGH nicht zwingend ableiten lässt. Es erscheint nämlich durchaus eine unionsrechtskonforme Auslegung des §38a Abs3 VwGG denkbar, die dahin geht, die darin enthaltenen Restriktionen nicht auch auf Vorabentscheidungsersuchen iSd Art267 AEUV zu beziehen. Ein solches Ersuchen eines Verwaltungsgerichtes würde nämlich genau genommen keine Handlung darstellen, die durch das (künftige) Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes beeinflusst werden könnte oder die vom VwGH aufgeworfene Frage abschließend regeln würde (vgl §38a Abs3 Z1 lita) VwGG).

Das nach §38a Abs3 Z1 lita VwGG ebenfa

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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