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40/01 Verwaltungsverfahrensgesetze außer Finanz- und DienstrechtsverfahrenNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter betreffend die Untersagung einer Versammlung; Unzulässigkeit der meritorischen Entscheidung des Verwaltungsgerichts über eine elektronisch zugestellte - mangels Amtssignatur nicht als Bescheid zu wertende - Erledigung der Landespolizeidirektion WienSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Mit an die Landespolizeidirektion Wien (im Folgenden: Versammlungsbehörde) gerichtetem E-Mail vom 5. März 2019 übermittelte NNN*** G*** eine Anzeige des nunmehrigen Beschwerdeführers gemäß §2 Abs1 Versammlungsgesetz 1953 (im Folgenden: VersG), die jenen als Anzeiger einer am 12. März 2019 beabsichtigten Standkundgebung zum Zweck einer Kundgebung für Frieden und Demokratie in Kurdistan sowie N*** G*** als "Kontaktperson" (im Folgenden: Kontaktperson) benennt.
2. Mit an die Kontaktperson gerichtetem E-Mail vom 11. März 2019 mit dem Betreff "Untersagungsbescheid Versammlung am 12.03.2019" wurde dem Beschwerdeführer, zu Handen der Kontaktperson, eine PDF-Datei übermittelt, die eine als "Bescheid" bezeichnete Erledigung der Versammlungsbehörde vom 11. März 2019 enthielt.
3. Die gegen diese Erledigung gerichtete Beschwerde vom 5. April 2019 wurde mit am 26. November 2019 mündlich verkündetem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien als unbegründet abgewiesen. Die Ausfertigung des Erkenntnisses wurde beantragt.
4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere in den Rechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Die Versammlungsbehörde und das Verwaltungsgericht Wien haben die Verwaltungsakten vorgelegt. Von der Erstattung einer Gegenschrift wurde Abstand genommen.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG, BGBl 51/1991 lauten in der hier anzuwendenden Fassung BGBl I 5/2008 – auszugsweise – wie folgt:
"Erledigungen
§18. (1) – (2) […]
(3) Schriftliche Erledigungen sind vom Genehmigungsberechtigten mit seiner Unterschrift zu genehmigen; wurde die Erledigung elektronisch erstellt, kann an die Stelle dieser Unterschrift ein Verfahren zum Nachweis der Identität (§2 Z1 E-GovG) des Genehmigenden und der Authentizität (§2 Z5 E-GovG) der Erledigung treten.
(4) Jede schriftliche Ausfertigung hat die Bezeichnung der Behörde, das Datum der Genehmigung und den Namen des Genehmigenden zu enthalten. Ausfertigungen in Form von elektronischen Dokumenten müssen mit einer Amtssignatur (§19 E-GovG) versehen sein; Ausfertigungen in Form von Ausdrucken von mit einer Amtssignatur versehenen elektronischen Dokumenten oder von Kopien solcher Ausdrucke brauchen keine weiteren Voraussetzungen zu erfüllen. Sonstige Ausfertigungen haben die Unterschrift des Genehmigenden zu enthalten; an die Stelle dieser Unterschrift kann die Beglaubigung der Kanzlei treten, dass die Ausfertigung mit der Erledigung übereinstimmt und die Erledigung gemäß Abs3 genehmigt worden ist. Das Nähere über die Beglaubigung wird durch Verordnung geregelt.
(5) Für Bescheide gilt der III. Teil, für Ladungsbescheide überdies §19.
[…]
Inhalt und Form der Bescheide
§58. (1) – (2) […]
(3) Im übrigen gilt auch für Bescheide §18 Abs4."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet; das Verwaltungsgericht Wien hat dadurch, dass es die "Untersagung" der angezeigten Versammlung im Ergebnis bestätigt hat, den Beschwerdeführer im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt:
2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
Ein solcher Fehler ist dem Verwaltungsgericht Wien unterlaufen:
3. Gemäß §18 Abs4 AVG hat jede schriftliche Ausfertigung die Bezeichnung der Behörde, das Datum der Genehmigung und den Namen des Genehmigenden zu enthalten. Ausfertigungen in Form von elektronischen Dokumenten müssen mit einer Amtssignatur (§19 E-GovG) versehen sein; Ausfertigungen in Form von Ausdrucken von mit einer Amtssignatur versehenen elektronischen Dokumenten oder von Kopien solcher Ausdrucke brauchen keine weiteren Voraussetzungen zu erfüllen. Sonstige Ausfertigungen haben die Unterschrift des Genehmigenden zu enthalten; an die Stelle dieser Unterschrift kann die Beglaubigung der Kanzlei treten, dass die Ausfertigung mit der Erledigung übereinstimmt und die Erledigung gemäß Abs3 genehmigt worden ist. §58 Abs3 AVG ordnet die Geltung dieser Bestimmung auch für Bescheide an.
4. Nach §18 Abs4 AVG ist sohin zwischen Ausfertigungen in Form von Ausdrucken von mit einer Amtssignatur versehenen elektronischen Dokumenten oder von Kopien solcher Ausdrucke einerseits und "sonstigen Ausfertigungen" iSd §18 Abs4 dritter Satz AVG andererseits zu unterscheiden (vgl VwGH 25.2.2019, Ra 2018/19/0240 mwN). Gemäß §18 Abs4 zweiter Satz AVG müssen Ausfertigungen in Form von elektronischen Dokumenten mit einer Amtssignatur versehen sein; Ausfertigungen in Form von Ausdrucken von mit einer Amtssignatur versehenen elektronischen Dokumenten oder von Kopien solcher Ausdrucke brauchen keine weiteren Voraussetzungen zu erfüllen. Solche Ausfertigungen brauchen daher keine über die Amtssignatur iSd §19 E-GovG hinausgehenden Daten aufzuweisen; eine Fertigungsklausel und insbesondere den Namen des Genehmigenden brauchen solche Ausfertigungen nicht aufzuweisen (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/16/0140). Ist die im Verwaltungsakt der belangten Behörde aufliegende Urschrift der Erledigung nicht mit einer Amtssignatur versehen und enthält die an die Partei übermittelte Ausfertigung dieser Erledigung demgemäß weder einen Hinweis darauf, dass das elektronische Original des Dokuments amtssigniert worden ist, noch eine Bildmarke, so handelt es sich bei der Ausfertigung somit um eine "sonstige Ausfertigung" iSd §18 Abs4 dritter Satz AVG, die dementsprechend zu unterschreiben oder zu beglaubigen ist (vgl VwGH 28.2.2018, Ra 2015/06/0125 mwN). Darunter kann nur eine originale und nicht eine bloß im Faxwege kopierte Unterschrift verstanden werden (vgl VwGH 11.11.2013, 2012/22/0126). Weist die der Partei zugegangene Ausfertigung der Erledigung der belangten Behörde jedoch weder eine Unterschrift noch eine Kanzleibeglaubigung auf, so wurde eine dem §18 Abs4 AVG entsprechende Ausfertigung der angefochtenen Erledigung nicht zugestellt und ist der von der belangten Behörde intendierte Bescheid als noch nicht erlassen anzusehen (vgl VwGH 28.2.2018, Ra 2015/06/0125 mwN).
5. Im vorliegenden Fall finden sich auf der letzten Seite der im verwaltungsbehördlichen Akt einliegenden, als "Bescheid" bezeichneten Erledigung vom 11. März 2019 der Wortlaut "Der Referatsleiter: gez.: i.V. Mag. [NAME], HR", eine diesem Wortlaut beigefügte eigenhändige Unterschrift sowie ein Stempel mit dem Amtssiegel der Landespolizeidirektion Wien. Die Erledigung wurde nicht amtssigniert.
6. Aus einem ebenfalls im verwaltungsbehördlichen Akt einliegenden Ausdruck eines E-Mails der Versammlungsbehörde vom 11. März 2019, der auf der ersten Seite der Erledigung verfügten Zustellung "per E-Mail" sowie den Angaben des Beschwerdeführers in seiner Beschwerde vom 5. April 2019 ("Mit Bescheid vom 11.03.2019, zugestellt am selben Tag per Email […]") ergibt sich zweifelsfrei, dass diese Erledigung vom 11. März 2019 in eingescannter Form (als PDF-Datei) ausschließlich per E-Mail – und sohin als elektronisches Dokument – an die Kontaktperson des Beschwerdeführers übermittelt wurde.
7. Da die als "Bescheid" bezeichnete Erledigung vom 11. März 2019 nicht amtssigniert und trotzdem ausschließlich in eingescannter Form als elektronisches Dokument per E-Mail übermittelt wurde, erfüllt sie keine der gemäß §58 Abs3 iVm §18 Abs4 AVG vorgesehenen Formen der Ausfertigung. Die von der Versammlungsbehörde als "Bescheid" bezeichnete Erledigung wurde daher nicht in der entsprechend den gesetzlichen Regelungen zwingend vorgesehenen Form wirksam als Bescheid erlassen. Diese Erledigung gereichte dem Beschwerdeführer auch zum Nachteil, da er in der Annahme, es sei ein rechtswirksamer Bescheid erlassen worden, von der Abhaltung einer Versammlung Abstand nahm.
8. Das Verwaltungsgericht Wien war – da es sich nach dem soeben Gesagten bei der Erledigung der Versammlungsbehörde aber um keinen wirksam erlassenen Bescheid handelt – zur meritorischen Entscheidung über die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen diese Erledigung nicht befugt. Es hätte vielmehr die Beschwerde als unzulässig zurückweisen müssen. Das Verwaltungsgericht Wien hat hingegen die Untersagung der Versammlung bestätigt, womit im Ergebnis in den Kernbereich des Versammlungsrechtes eingegriffen wurde (vgl VfSlg 20.312/2019). Bei dieser Konstellation ist daher vom Verfassungsgerichtshof die Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter festzustellen (vgl VfSlg 19.223/2010; demgegenüber VfGH 7.10.2015, E1279/2015).
9. Das angefochtene Erkenntnis ist daher allein schon aus diesem Grund wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist (vgl erneut VfSlg 19.223/2010).
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Bescheidbegriff, elektronischer Rechtsverkehr, Bescheid Unterschrift, Zustellung, Versammlungsrecht, emailEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E332.2020Zuletzt aktualisiert am
06.04.2022