TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/10 96/21/0365

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Veröffentlicht am 10.09.1997
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §60;
AVG §66 Abs4;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über die Beschwerde des (am 6. April 1963 geborenen) MV, vertreten durch Dr. Horst Wendling und Mag. Alois Huter, Rechtsanwälte in Kitzbühel, Am Kirchplatz, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 19. Februar 1996, Zl. III 108-2/96, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (die belangte Behörde) wies mit dem bezeichneten Bescheid die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 3. April 1995 als verspätet zurück. Sie ging davon aus, daß der bekämpfte Bescheid am 14. April 1995 rechtswirksam zugestellt und der letzte Tag der Berufungsfrist der 28. April 1995 gewesen sei. Auf der Berufung des Beschwerdeführers vom 28. April 1995 habe die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel den Eingangsstempel 2. Mai 1995 angebracht und mit dem Vermerk versehen "durch Boten abgegeben, Friedrich". Ein Postkuvert sei nicht dabei gewesen.

Demgegenüber behaupte der Beschwerdeführer, die Berufung per Post übermittelt zu haben; er weise einen Post-Aufgabestempel betreffend einen Brief an die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 28. April 1995 vor und unterstelle - zumindest indirekt - daß der Vermerk der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel beim Eingangsstempel fälschlicherweise angebracht und das Briefkuvert weggeworfen worden sei.

Manuela Friedrich von der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel habe am 15. Jänner 1996 als Zeugin folgendes zu Protokoll gegeben:

"Ich arbeite seit 9. August 1993 bei der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel. Seit Beginn meines Dienstverhältnisses werde ich in der Posteinlaufstelle und Telefonvermittlung eingesetzt.

Ich kann mich jetzt natürlich an einzelne Poststücke, die im Frühjahr oder Sommer 1995 eingelangt sind, nicht mehr erinnern. Ganz allgemein kann ich nur sagen, daß Eingaben, die nicht mit der Post einlangen, sondern direkt in der Einlaufstelle abgegeben werden, mit dem Eingangsstempel und, sofern es sich um Fristsachen wie Rechtsmittel handelt, mit dem Vermerk "durch Boten abgegeben" versehen werden. Bei Fristsachen, die mit der Post einlangen, wird der Briefumschlag mit einer Heftklammer angeschlossen. Hier wird nur der Eingangsstempel angebracht. Es kann immer wieder vorkommen, daß bei Poststücken, die nicht sofort als Rechtsmittel oder Fristsache zu erkennen sind, das Briefkuvert nicht beigeschlossen wird. In diesem Fall fehlt aber natürlich auch der handschriftliche Vermerk "durch Boten abgegeben".

Auf der Eingabe der Kanzlei Dr. Wendling vom 28.4.1995, eingelangt bei der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel am 2.5.1995, erkenne ich eindeutig, daß ich den Vermerk "drch. Boten abgegeben" selbst geschrieben und mit meinem Namen versehen habe. Damit gibt es für mich keinen Zweifel, daß diese Eingabe nicht mit der Post geschickt worden ist. Die Löcher in der Mitte oben stammen zwar von einer Heftklammer, ich hätte aber einen Briefumschlag, wenn einer beizuschließen gewesen wäre, am linken oberen Eck befestigt, weil sonst das Umblättern verhindert worden wäre. Diese Heftklammer muß jemand anderer angebracht haben.

Von der Kanzlei Dr. Wendling werden Eingaben häufig durch Boten abgegeben, es langen aber auch immer wieder Eingaben per Post ein. Die Briefumschläge werden generell ca. zwei Monate lang aufbewahrt, weil es manchmal vorkommt, daß das Postaufgabedatum doch wichtig ist oder bei einem Poststück, welches nicht als Fristsache zu erkennen war, übersehen wurde, den Briefumschlag beizuschließen. Nach etwa zwei Monaten werden dann die Briefumschläge entsorgt. Es ist daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr möglich, ein am 2. Mai 1995 eingelangtes Briefkuvert aufzufinden. Auf Vorhalt, daß in der Kanzlei Dr. Wendling ein Postaufgabeschein vom 28. April 1995 über eine eingeschriebene Briefsendung an die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel existiert, gebe ich an, daß ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie es dazu kommen könnte, daß ich bei einer Eingabe, die schon auf den ersten Blick als Berufung zu erkennen ist, übersehe, den Briefumschlag beizuschließen und darüber hinaus den Vermerk "drch. Boten abgegeben" anbringe. Vielleicht ist in der Kanzlei Dr. Wendling ein Fehler passiert und irrtümlich eine andere Eingabe eingeschrieben mit der Post geschickt worden. Aufgrund der Unzahl einlangender Poststücke kann heute nicht mehr festgestellt werden, ob in irgendeiner Abteilung der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel eine Eingabe der Kanzlei Dr. Wendling eingelangt ist, die am 28. April 1995 eingeschrieben aufgegeben wurde."

Die Zeugenaussage der Manuela Friedrich vom 15. Jänner 1996

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so die belangte Behörde weiter - sei lebensnah und nachvollziehbar. Die belangte Behörde habe nicht den geringsten Zweifel, daß die in Rede stehende Berufung vom Beschwerdeführer am Freitag, 28. April 1995, versehentlich nicht mit zur Post gegeben worden sei und daß sie daher am 1. Arbeitstag nach dem verlängerten Wochenende, am Dienstag, 2. Mai 1995,

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verspätet - durch einen Boten bei der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel abgegeben worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung als unbegründet. Auf die Erstellung einer Gegenschrift wurde verzichtet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer meint, die Ergebnisse des Beweisverfahrens ließen nur den Schluß zu, daß die Berufung fristgerecht eingebracht worden sei. Dieser Beschwerdeeinwand, mit dem der Beschwerdeführer der Sache nach die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung der belangten Behörde behauptet, ist begründet:

Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Nach § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Der in § 45 Abs. 2 AVG zum Ausdruck kommende Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, daß der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Diese Bestimmung hat nur zur Folge, daß - sofern in den besonderen Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist - die Würdigung der Beweise keinen anderen, insbesondere auch keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Der Verwaltungsgerichtshof ist an den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt insoweit nicht gebunden, als dieser in einem wesentlichen Punkt aktenwidrig angenommen wurde, der Ergänzung bedarf oder bei seiner Ermittlung Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Schließlich unterliegt die Beweiswürdigung der Behörde auch der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes in der Richtung, ob alle zum Beweis oder zur Widerlegung strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände berücksichtigt wurden und die Behörde bei der Würdigung dieser Umstände (bzw. bei Gewinnung ihrer Schlußfolgerungen) deren Gewicht (im Verhältnis untereinander) nicht verkannt hat. Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes für die Beurteilung der Frage, ob Umstände in diesem Sinn objektiv geeignet (und daher zu berücksichtigen) sind und ob ihr Gewicht (an sich oder im Verhältnis zu anderen Sachverhaltselementen) verkannt wurde, sind die Gesetze der Logik und des allgemeinen menschlichen Erfahrungsgutes. Wenn es hingegen nachvollziehbare, mit den Denkgesetzen übereinstimmende Gründe für jede von mehreren in Betracht kommenden Sachverhaltsvarianten gibt, so hat die belangte Behörde nach freier Überzeugung auch zu entscheiden, welcher der in Betracht kommenden Sachverhaltsvariante sie den Vorzug gibt (und dies nachvollziehbar zu begründen), ohne daß ihr der Verwaltungsgerichtshof entgegentreten könnte. Welche Sachverhaltsversion im Sinne ihrer Übereinstimmung mit der Wirklichkeit tatsächlich richtig ist, unterliegt insoweit nicht der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 4. September 1996, Zl. 95/21/0112).

Auf dem Boden dieser Rechtslage ist die Beweiswürdigung der belangten Behörde unschlüssig: Die belangte Behörde geht davon aus, daß die gegenständliche Berufung nicht am 28. April 1995 zur Post gegeben wurde sondern durch Boten am 2. Mai 1995 überreicht wurde. Sie stützt sich dazu ausschließlich auf die Angaben der Zeugin Manuela Friedrich. Dies allerdings zu Unrecht. Feststeht, und dies wird von der belangten Behörde auch nicht bestritten, daß der Beschwerdeführer zum Nachweis der rechtzeitigen Postaufgabe seines Rechtsmittels einen Aufgabeschein und die Bestätigung des Postamtes über die Abgabe der Sendung mit diesem Aufgabeschein an die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vorlegte. Auf dem Boden der geltenden Rechtslage kann der Beschwerdeführer keinen weiteren Nachweis der Postaufgabe des Rechtsmittels und deren Übernahme durch die angerufene Behörde erbringen. Bestehen Zweifel daran, ob in der bescheinigten Postsendung das gegenständliche Schriftstück enthalten war, so hat dies die Behörde von Amts wegen zu erheben. Die im vorliegenden Fall getätigten Erhebungen bestätigten die von der Behörde angemeldeten Zweifel nicht. Die von der einvernommenen Zeugin angestellte Mutmaßung (vielleicht ist ... eine andere Eingabe eingeschrieben mit der Post geschickt worden) stellt jedenfalls keine Bestätigung des angemeldeten Zweifels dar. Ein solcher Zweifel kann nur durch den konkreten Nachweis, daß das bescheinigte Kuvert einem anderen Schriftstück zuzuordnen ist, bestätigt werden. Dies ist im vorliegenden Fall nicht festgestellt worden.

Weiters bringt die belangte Behörde die genannte Zeugenaussage insoweit ins Treffen, weil dem Rechtsmittel kein Postkuvert angeschlossen war. Die einvernommene Zeugin hat hiezu erklärt, daß bei Poststücken jeweils der Eingangsstempel angebracht wird und nur bei solchen, die als Rechtsmittel oder Fristsache zu erkennen sind, das Briefkuvert mit einer Heftklammer angeschlossen wird. Bei anderen Eingaben wird das Briefkuvert nicht beigeschlossen. Im gleichen Atemzug erwähnte die Zeugin, daß es immer wieder vorkomme, daß bei Poststücken, die nicht sofort als Rechtsmittel oder Fristsache zu erkennen sind, das Kuvert nicht angeschlossen werde.

Hier fällt bereits auf, daß keinerlei Angaben bzw. Feststellungen darüber getroffen worden sind, aufgrund welcher Umstände (Signalwörter etc.) eine Eingabe als Fristsache anzusehen ist. Da Feststellungen dazu fehlen, ist aufgrund der wiedergegebenen Zeugenaussage nicht auszuschließen, daß die Eingabe nicht als Fristsache erkannt wurde und daher das Kuvert nicht beigegeben wurde. Ebensogut läßt sich argumentieren, daß die Eingabe als Fristsache erkannt wurde und das Kuvert mit einer Heftklammer angeschlossen wurde. Dafür sprechen jedenfalls die auf die Anbringung einer Heftklammer zurückzuführenden Löcher in dem gegenständlichen Rechtsmittel. Im Zusammenhang mit der Angabe der Zeugin, sich an einzelne konkrete Schriftstücke nicht erinnern zu können, reichen die allgemeinen vagen Angaben nicht aus, um die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen schlüssig treffen zu können.

Eingaben, die nicht mit der Post einlangen, werden nach der wiedergegebenen Zeugenaussage ebenfalls mit der Eingangsstampiglie versehen und nur dann, wenn es sich um Fristsachen handelt, mit dem Vermerk "durch Boten abgegeben" versehen. Aufgrund welcher Umstände dieser zusätzliche Vermerk anzubringen ist, läßt sich den Angaben der Zeugin wiederum nicht entnehmen. Darüber hinaus tritt diese Art der Übernahme von Schriftstücken nach außen hin objektivierbar nicht (etwa durch Übergabe einer Halb-Gleichschrift oder Bestätigung in einem Postbuch) in Erscheinung. Die belangte Behörde hat diesen nicht lückenlos nachvollziehbaren internen Vorgängen bei der Behörde erster Rechtsstufe und der von den dortigen Organen angestellten Mutmaßungen zu Unrecht eine höhere Beweiskraft beigelegt, als den unstrittigen Nachweisen des Beschwerdeführers. Der Vorlage eines Aufgabescheines über die rechtzeitige Postaufgabe und dem Nachweis, daß diese bescheinigte Sendung bei der angesprochenen Behörde einlangte, wohnt die Vermutung inne, daß damit das in Rede stehende Schriftstück transportiert wurde. Durch die Ergebnisse des durchgeführten Beweisverfahrens ist weder diese Vermutung entkräftet worden, noch ein schlüssiger Beweis über eine andere Art der Einbringung, nämlich Übergabe durch Boten, erbracht worden. Die belangte Behörde hat somit ihre Feststellungen aufgrund einer unschlüssigen Beweiswürdigung getroffen, sodaß der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Sachverhalt Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996210365.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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