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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
ABGB §6Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des A B in C, vertreten durch Mag. Dr. Martin Dercsaly, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 146/6/B2, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. September 2020, W257 2233072-1/5E, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer Angelegenheit nach dem Bundes-Personalvertretungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Personalvertretungsaufsichtsbehörde beim Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 7. Mai 2020 entschied die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde über den Antrag des Revisionswerbers vom 9. April 2020.
2 Die vom Revisionswerber dagegen am 22. Juni 2020 erhobene Beschwerde wies die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde mit Beschwerdevorentscheidung vom selben Tag - sowie nach Vorlageantrag - das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss als verspätet zurück. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
3 Das Bundesverwaltungsgericht stellte dazu im Wesentlichen fest, dass der Bescheid vom 7. Mai 2020 am 22. Mai 2020 beim Revisionswerber eingelangt sei. Der Bescheid sei ihm an diesem Tag durch Übergabe an den Empfänger wirksam zugestellt worden. Das fristauslösende Ereignis, nämlich die Zustellung, habe am 22. Mai 2020 stattgefunden; letzter Tag der Beschwerdefrist sei daher der 19. Juni 2020 gewesen. Die am 22. Juni 2020 bei der Behörde eingebrachte Beschwerde sei damit verspätet.
4 Die Feststellungen zur Zustellung am 22. Mai 2020 durch physische Übergabe an den Empfänger an der Abgabestelle begründete das Verwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung mit den Eintragungen am Rückschein.
5 Rechtlich beurteilte es - ausgehend von einer Zustellung am 22. Mai 2020 - die am 22. Juni 2020 erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als verspätet.
6 Gegen den Beschluss eines Verwaltungsgerichts ist die Revision nach Art. 133 Abs. 4 und 9 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 In der außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit zusammengefasst ausgeführt, dass sich von Freitag, den 22. Mai, bis Sonntag, den 24. Mai 2020, niemand an der Abgabestelle, einer Rechtsanwaltskanzlei, aufgehalten habe. Der Zusteller habe den Bescheid in das Postbrieffach eingelegt und dies am Rückschein vermerkt. Am 25. Mai 2020 sei der Vertreter des Revisionswerbers an die Abgabestelle zurückgekehrt und habe die Sendung vorgefunden. Der später von ihm zum Zustellvorgang befragte Zusteller habe ihm erklärt, dass am 22. Mai 2020 über die Gegensprechanlage weder der Vertreter des Revisionswerbers noch dessen Mitarbeiter erreicht worden seien, um sie vom Einlegen des Bescheids in das Brieffach verständigen zu können. Er habe daher unter Abstandnahme von weiteren Verständigungsversuchen die Sendung in das Brieffach eingelegt. Weil es keinen Hinweis darauf gegeben habe, dass der Bescheid vor dem 25. Mai 2020 in das Brieffach eingelegt worden sei, habe der Revionswerbervertreter beim Auffinden des Bescheids im Postfach am 25. Mai 2020 angenommen, dass der Bescheid an diesem Tag zugestellt worden sei.
9 Noch im Verspätungsvorhalt sei das Bundesverwaltungsgericht selbst davon ausgegangen, dass der Revisionswerber erst am 25. Mai 2020 von der Zustellung am 22. Mai 2020 Kenntnis erlangt habe. Demgegenüber habe es im angefochtenen Beschluss festgestellt, dass der Bescheid am 22. Mai 2020 durch physische Übergabe zugestellt worden sei. Die dafür herangezogene Paraphe auf dem Rückschein stamme aber nicht vom Revisionswerbervertreter oder einem seiner Mitarbeiter sondern vom Zusteller.
10 Die grundsätzliche Rechtsfrage sieht der Revisionswerber in diesem Zusammenhang in der Verletzung von Verfahrensrechten, weil das Bundesverwaltungsgericht ohne mündliche Verhandlung und ohne Einvernahme der beantragten Zeugen, wie des Zustellers, des Revisionswerbers und seines Vertreters, unter vorgreifender Beweiswürdigung allein an Hand des Rückscheins den Sachverhalt festgestellt habe. Bei Vermeiden dieser Mängel wäre es zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde gelangt. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage ergebe sich auch aus der viele Verfahren betreffenden Frage der Beweisbarkeit des Zeitpunkts oder der Art der Zustellung nach § 26a ZustG in der am 22. Mai 2020 geltenden Fassung.
11 Der Revisionswerber sieht die Zulässigkeit der Revision demnach vorwiegend im Bestehen von Verfahrensmängeln begründet. Die Zulässigkeit einer Revision aus diesem Grund setzt neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage auch tatsächlich abhängt. Davon kann in Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des behaupteten Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird (VwGH 21.1.2020, Ra 2019/09/0158). Das heißt, dass der behauptete Verfahrensmangel abstrakt geeignet sein muss, im Fall eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen - für den Revisionswerber günstigeren - Sachverhaltsgrundlage zu führen (VwGH 20.5.2020, Ra 2020/09/0020, mwN).
12 Der durch das 2. COVID-19-Gesetz, BGBl. I Nr. 16/2020, eingefügte und durch das 12. COVID-19-Gesetz, BGBl. I Nr. 42/2020, mit Wirksamkeit vom 15. Mai 2020 geänderte § 26a Zustellgesetz (ZustG), BGBl. Nr. 200/1982, lautete in der hier relevanten zuletzt genannten, mit Ablauf des 30. Juni 2020 bereits wieder außer Kraft getretenen, Fassung (auszugsweise):
„Zustellrechtliche Begleitmaßnahmen zu COVID-19
§ 26a. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gelten für die Zustellung mit Zustellnachweis der von Gerichten bzw. von Verwaltungsbehörden zu übermittelnden Dokumente sowie die durch die Gerichte bzw. die Verwaltungsbehörden vorzunehmende Zustellung von Dokumenten ausländischer Behörden (§ 1) folgende Erleichterungen:
1.Das Dokument wird dem Empfänger zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (§ 17 Abs. 2) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird; die Zustellung gilt in diesem Zeitpunkt als bewirkt. Soweit dies ohne Gefährdung der Gesundheit des Zustellers möglich ist, ist der Empfänger durch schriftliche, mündliche oder telefonische Mitteilung an ihn selbst oder an Personen, von denen angenommen werden kann, dass sie mit dem Empfänger in Verbindung treten können, von der Zustellung zu verständigen. Die Zustellung wird nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.
2....“
13 In der zunächst genannten Fassung lautete der erste Satz dieser Bestimmung:
„§ 26a. Solange die Fristen gemäß § 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl. I Nr. 16/2020, oder die Fristen gemäß § 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 im Verwaltungsverfahren, im Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes, BGBl. I Nr. 16/2020, unterbrochen sind, gelten für die Zustellung mit Zustellnachweis der von Gerichten bzw. von Verwaltungsbehörden zu übermittelnden Dokumente sowie die durch die Gerichte bzw. die Verwaltungsbehörden vorzunehmende Zustellung von Dokumenten ausländischer Behörden (§ 1) folgende Erleichterungen:
...“
14 Im Hinblick auf diese Bestimmung und unter Zugrundelegung des vom Revisionswerber zum Ablauf des Zustellvorgangs erstatteten Vorbringens gelingt es ihm nicht, die Relevanz der von ihm behaupteten Mängel des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht aufzuzeigen:
15 Bereits nach dem eindeutigen Wortlaut des hier auf die Zustellung anzuwendenden § 26a Z 1 ZustG wird das Dokument dem Empfänger zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird. Ausdrücklich wird normiert, dass die Zustellung in diesem Zeitpunkt - also mit dem Einlegen der Sendung in die Abgabeeinrichtung (das sind gemäß § 17 Abs. 2 ZustG: Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) oder dem Zurücklassen an der Abgabestelle - als bewirkt gilt.
16 Die in § 26a Z 1 zweiter Satz ZustG vorgesehene Verständigung des Empfängers folgt der Zustellung nach. Der Empfänger ist von der - bereits erfolgten - Zustellung zu verständigen. Die Wirksamkeit der Zustellung wird nach dem klaren Gesetzeswortlaut vom Erfolg der Verständigung, die zudem (nur) dann zu erfolgen hat, soweit dies ohne Gefährdung der Gesundheit des Zustellers möglich ist, nicht abhängig gemacht. Nach dem klaren Wortlaut ist die Zustellung mit dem Einlegen in die Abgabeeinrichtung bewirkt; die Verständigung ist somit nicht Voraussetzung für deren Wirksamkeit. Mit anderen Worten: Eine unterbliebene (oder erfolglos versuchte) Verständigung steht der Wirksamkeit der Zustellung nach § 26a Z 1 ZustG nicht entgegen. Nach § 26a Z 1 letzter Satz ZustG wird die Zustellung (nur) dann nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. In diesem Fall wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.
17 Im Hinblick auf diesen klaren Gesetzeswortlaut, der sich auch in die Systematik des Zustellgesetzes einfügt (siehe etwa zur Gültigkeit einer Zustellung durch Hinterlegung, selbst wenn die Verständigung entfernt wurde § 17 Abs. 4 ZustG, oder zur Verständigung des Empfängers einer Zustellung ohne Zustellversuch nach § 23 Abs. 3 ZustG „[s]oweit dies zweckmäßig ist“ - und die dazu ergangene Rechtsprechung VwGH 22.4.2009, 2006/15/0207; 12.12.1996, 96/07/0203) sind die zum eindeutigen Wortlaut des Gesetzes in Widerspruch stehenden Gesetzesmaterialen (IA 397/A 27. GP 40) für die Auslegung bedeutungslos (VwGH 10.9.2020, Ro 2020/15/0016; 13.2.2018, Ra 2017/02/0219, je mwN).
18 Für den vorliegenden Fall bedeutet dies - ausgehend vom Vorbringen des Revisionswerbers zum Ablauf der Zustellung - Folgendes: Durch das Einlegen des Bescheids am 22. Mai 2020 in das Hausbrieffach des Vertreters des Revisionswerbers wurde diesem mit diesem Tag das Dokument wirksam zugestellt. Das Fehlschlagen der - hier über die Gegensprechanlage versuchten - Verständigung von der Zustellung verhinderte die Wirksamkeit der Zustellung nicht. Dadurch dass sich der Empfänger an diesem Freitag sowie dem darauffolgenden Wochenende nicht in der Rechtsanwaltskanzlei aufhielt, lag noch keine solche Abwesenheit von der Abgabestelle vor, dass er nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte (siehe VwGH 22.6.2020, Ra 2019/01/0117, 0118; 22.12.2016, Ra 2016/16/0094; 25.6.2015, Ro 2014/07/0107, VwSlg. 19.150 A/2015, jeweils zum insoweit regelungsgleichen § 17 Abs. 3 ZustG). Es wäre daher auch nach dem Revisionsvorbringen von einer Zustellung am 22. Mai 2020 auszugehen.
19 Da somit das Verwaltungsgericht nach dem Vorbringen in der Revision selbst bei Vermeidung der in dieser geltend gemachten Verfahrensmängel die am 22. Juni 2020 eingebrachte Beschwerde als verspätet zu beurteilen gehabt hätte, wird in der Revision die Relevanz der behaupteten Mängel für die Sachentscheidung nicht aufgezeigt.
20 Die Voraussetzungen für die Erhebung einer außerordentlichen Revision fehlen zudem dann, wenn die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig ist. In diesem Fall liegt selbst dann keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, wenn zu einer der anzuwendenden Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen wäre (siehe dazu etwa VwGH 9.9.2016, Ra 2016/12/0062, mwN).
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 16. November 2020
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020090058.L00Im RIS seit
04.01.2021Zuletzt aktualisiert am
04.01.2021