TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/16 W201 2211220-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.07.2020
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Entscheidungsdatum

16.07.2020

Norm

AsylG 2005 §7 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W201 2211220-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 05.11.2018, Zl. 1088260607/180257205, betreffend Aberkennung des Status des Asylberechtigten zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaller Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 11.07.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer bei seiner Befragung vor dem BFA am 11.12.2015 folgendes an:

Sein Vater sei Lehrer gewesen und die Taliban hätten ihn entführt. Die Dorfältesten hätten dann ausverhandelt, dass die Familie 1 Million Afghani für die Freilassung des Vaters zu bezahlen habe. Die Familie habe dann alles verkauft und der Vater sei wieder freigekommen. Ein Leben in der Herkunftsprovinz sei nicht mehr möglich gewesen, da die Taliban dem Vater gedroht hätten, dass sie ihn beim nächsten Mal töten würden. Der Beschwerdeführer fürchte, dass er als Sohn ebenfalls von den Taliban getötet werden könnte.

3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes, RD Niederösterreich, vom 29.06.2017, Zl. 1088260607-151405389/BMI-BFA_NOE_RD, wurde dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

In der kursorischen Begründung des 4-seitigen Bescheides wurde festgestellt, dass „aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage im Heimatland in Verbindung mit dem Vorbringen die behauptete Furcht vor Verfolgung als glaubhaft gemacht gewertet werden“ könne.

Weiters wurde ausgeführt, da dem Antrag vollinhaltlich entsprochen worden sei, habe gemäß § 58 Abs 2 AVG eine nähere Bescheidbegründung entfallen könne.

4. Am 22.08.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Zuge des Aberkennungsverfahrens neuerlich einvernommen und zu seinen Fluchtgründen befragt.

Der Beschwerdeführer schilderte im Wesentlichen dieselben Fluchtgründe, die er schon vor dem BFA nach seiner Einreise vorgebracht hatte. Sein Vater sei entführt worden und die Familie habe Tiere und Grundstücke verkauft um das Lösegeld zu beschaffen. Auch schilderte der Beschwerdeführer, dass es erst vor kurzem wieder einen Vorfall zwischen den Taliban und seinem Vater gegeben habe.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA, RD NÖ, vom 05.11.2018 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid des BFA vom 29.06.2017 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers wurde eine Frist von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.).

Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten begründete das BFA damit, dass sich die subjektive Lage des Beschwerdeführers im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt, als dem Beschwerdeführer Asyl gewährt worden sei, geändert habe. Die Gründe für die Zuerkennung des Asylberechtigten seien nicht mehr vorliegend.

6. Gegen den unter Punkt 5. genannten Bescheid des BFA richtet sich die vom Beschwerdeführer fristgerechte erhobene Beschwerde. Die belangte Behörde habe es unterlassen, Ermittlungen zur gegenständlichen Lage von Opfern der Verfolgung durch Taliban zu erheben. Da die Familie des Beschwerdeführers nach Pakistan geflohen sei, würde sich die Verfolgung umso mehr gegen den Beschwerdeführer richten.

Die belangte Behörde habe dem Beschwerdeführer auf der Basis des gleichbleibenden Sachverhalts Asyl gewährt. Dass sich an diesem Sachverhalt nichts geändert habe, gestehe die belangte Behörde im Bescheid auch indirekt ein. Nach Ansicht des Beschwerdeführers sei eine wesentliche Änderung der Umstände nicht eingetreten.

7. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 07.12.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers vom 22.09.2015, der Erstbefragung und der Einvernahmen des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, insbesondere der Einvernahme des Beschwerdeführers vom 11.12.2015, des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2017, der neuerlichen Einvernahme vor dem BFA vom 22.08.2018, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Länderberichte zu Afghanistan sowie der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Der Beschwerdeführer führt den oben genannten Namen und das angeführte Geburtsdatum.

Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 22.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid vom 29.06.2017 des BFA der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des BFA vom 05.11.2018 wurde der zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.).

Zwischen dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Beschwerdeführer (2017) und dem gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts ist es zu keiner grundlegenden (objektiven) generellen - von der Person des Beschwerdeführers losgelösten/unabhängigen - Verbesserung der Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers gekommen, auf Grund derer man annehmen könnte, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung des Beschwerdeführers nicht mehr länger besteht.

3. Beweiswürdigung:

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zu Grunde:

Die Feststellungen zum Namen des Beschwerdeführers und seinem Geburtsdatum stützen sich auf seine dahingehend übereinstimmenden Angaben vor dem BFA und vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen zur Staats- und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden - Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellungen zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und dem Bescheid des BFA vom 29.06.2017 stützen sich auf den unbedenklichen Akteninhalt.

Die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten erfolgte mit Bescheid vom 29.06.2017 aufgrund des amtswegigen Ermittlungsverfahrens. Die belangte Behörde kam zum Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seines Fluchtvorbringens eine Verfolgung drohe.

Im nunmehrigen Aberkennungsverfahren brachte der Beschwerdeführer sinngemäß denselben Sachverhalt vor und ergänzte diesen um einen Vorfall, der sich erst vor kurzem zwischen seinem Vater und den Taliban ereignet hätte.

Eine Änderung des Sachverhalts in Form einer Änderung des Fluchtvorbringens ist nicht ersichtlich.

Die Feststellung, dass es zwischen dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Beschwerdeführer (2017) und dem gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts zudem zu keiner grundlegenden (objektiven) generellen - von der Person des Beschwerdeführer Beschwerdeführers losgelösten/unabhängigen - Verbesserung der Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers gekommen ist, stützt sich auf einen Vergleich jener Länderfeststellungen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung im Jahr 2017 Gültigkeit hatten, sowie jenen, die vom BFA seiner nunmehr angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt wurden.

4. Rechtliche Beurteilung:

4.1. Zu A) Stattgabe der Beschwerde

Die im vorliegenden Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des AsylG 2005 lauten:

Aberkennung des Status des Asylberechtigten

§ 7. (1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

(2) In den Fällen des § 27 Abs. 3 Z 1 bis 4 und bei Vorliegen konkreter Hinweise, dass ein in Art. 1 Abschnitt C Z 1, 2 oder 4 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführter Endigungsgrund eingetreten ist, ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, sofern das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 wahrscheinlich ist. Ein Verfahren gemäß Satz 1 ist, wenn es auf Grund des § 27 Abs. 3 Z 1 eingeleitet wurde, längstens binnen einem Monat nach Einlangen der Verständigung über den Eintritt der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung gemäß § 30 Abs. 5 BFA-VG, in den übrigen Fällen schnellstmöglich, längstens jedoch binnen einem Monat ab seiner Einleitung zu entscheiden, sofern bis zum Ablauf dieser Frist jeweils der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht. Eine Überschreitung der Frist gemäß Satz 2 steht einer späteren Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht entgegen. Als Hinweise gemäß Satz 1 gelten insbesondere die Einreise des Asylberechtigten in seinen Herkunftsstaat oder die Beantragung und Ausfolgung eines Reisepasses seines Herkunftsstaates.

(2a) Ungeachtet der in § 3 Abs. 4 genannten Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, wenn sich aus der Analyse gemäß § 3 Abs. 4a ergibt, dass es im Herkunftsstaat des Asylberechtigten zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist. Das Bundesamt hat von Amts wegen dem Asylberechtigten die Einleitung des Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten formlos mitzuteilen.

(3) Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt - wenn auch nicht rechtskräftig - nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.

(4) Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen.

Die im vorliegenden Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention lauten:

Artikel 1 Abschnitt C.

Eine Person, auf die die Bestimmungen des Absatzes A zutrifft, fällt nicht mehr unter dieses Abkommen,

1. wenn sie sich freiwillig erneut dem Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, unterstellt; oder

2. wenn sie nach dem Verlust ihrer Staatsangehörigkeit diese freiwillig wiedererlangt hat; oder

3. wenn sie eine neue Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie erworben hat, genießt; oder

4. wenn sie freiwillig in das Land, das sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder außerhalb dessen sie sich befindet, zurückgekehrt ist und sich dort niedergelassen hat; oder

5. wenn sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. Hierbei wird jedoch unterstellt, dass die Bestimmung dieser Ziffer auf keinen Flüchtling im Sinne der Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels Anwendung findet, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes des Landes abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt;

6. wenn es sich um eine Person handelt, die keine Staatsangehörigkeit besitzt, falls sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer sie als Flüchtling anerkannt worden ist, in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem sie ihren gewöhnlichen Wohnsitz hat. Dabei wird jedoch unterstellt, dass die Bestimmung dieser Ziffer auf keinen Flüchtling im Sinne der Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels Anwendung findet, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in das Land abzulehnen, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Das BFA stützt sich im Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides explizit auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG ist einem Fremden der Status des Asylberechtigten mit Bescheid abzuerkennen, wenn einer der in Artikel 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist.

Der Beschwerdeführer hat sich - soweit aus dem Akteninhalt hervorgeht - weder freiwillig dem Schutz seines Herkunftsstaates unterstellt (Z 1), noch nach dem Verlust seiner afghanischen Staatsangehörigkeit, diese freiwillig wiedererlangt (Z 2), noch eine neue Staatsangehörigkeit erworben und den Schutz dieses Staates genossen (Z 3), noch hat er sich in Afghanistan niedergelassen (Z 4).

Die auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 gestützte Asylaberkennung kommt noch in Betracht, wenn der Beschwerdeführer nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 GFK).

Der UNHCR führt diesbezüglich in seinem "Handbuch und Richtlinien über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" auf S. 32 zu Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 aus:

",Umstände' bezieht sich auf grundlegende Veränderungen in dem Land, aufgrund derer man annehmen kann, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger besteht." (vgl. weiters Gachowetz/Schmidt/Simma/Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA, S. 185).

In Kommentar von Zimmermann zur GFK werden als Indikatoren für solche geänderten Umstände iSd Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 demokratische Wahlen, signifikante Reformen der rechtlichen und sozialen Strukturen, Amnestien und Anerkennung der Menschenrechte genannt: "The UNHCR Guidelines and ExCom Conclusions outline in more detail how ‚ceased to exist' should be interpreted. Consistent with leading academic opinion, they suggest that changes in the refugee's country should be substantial, effective and durable or fundamental and enduring-. Some indicators of such change that have been suggested by the UNCHR and the UNHCR ExCom are democratic elections, significant reforms to the legal and social structure, amnesties, repeal of oppresive laws, dismantling of repressive security forces, and general respect for human rights."

(Kneebone/O-Sullivan in Zimmermann (ed.), The 1951 Convention Relating to the Status of Refugees and ist 1967 Protocol, A Commentary, p. 502).

Das Abstellen auf (objektive) Veränderungen im Herkunftsstaat entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH: "Die Flüchtlingseigenschaft erlischt, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände in dem fraglichen Drittland diejenigen Umstände, aufgrund deren der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor ‚Verfolgung' im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss." (EuGH 02.03.2010, Rs C-175/08 ua, Abdulla ua, Rz 76).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes können grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings darf es sich dabei nicht nur um vorübergehende Veränderungen handeln (vgl. VwGH 21.11.2002, 99/20/0171, mwN).

Die Annahme einer grundlegenden politischen Veränderung im Herkunftsstaat (aus der sich der Verlust der zunächst gegebenen Flüchtlingseigenschaft ergeben soll) setzt eine gewisse Konsolidierung der Verhältnisse voraus, für deren Beurteilung es in der Regel eines längeren Beobachtungszeitraumes bedarf (VwGH 27.04.2006, 2002/20/0170 und VwGH 16.02.2006, 2006/19/0030).

Ob eine die Anwendung des Endigungsgrundes des Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 GFK rechtfertigende relevante Änderung der Verhältnisse im Herkunftsstaat eingetreten ist, hat die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht von Amts wegen zu ermitteln und unter Berücksichtigung der Fluchtgeschichte bzw. der Fluchtgründe eines Asylwerbers zu prüfen, ob diese noch immer einen asylrechtlich relevanten Aspekt haben könnten (vgl. VwGH 19.12.2001, 2000/20/0318).

Das Vorliegen der Aberkennung des Status des Asylberechtigten hat das BFA damit begründet, dass sich die subjektive Lage des Beschwerdeführers im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt dahingehend geändert habe, dass bei einer Rückkehr keine Bedrohung mehr gegeben sei. Die Bedrohungslage habe sich geändert, der Beschwerdeführer sei reifer geworden, sei gebildet und er könne auf die Unterstützung durch seine Familie zurückgreifen.

Mit dieser Feststellung (auf Seite 152 des angefochtenen Bescheides) hat das BFA jedoch nicht dargetan, wieso es, trotz des im Wesentlichen gleichbleibenden Fluchtvorbringens – welches übrigens zur Asylgewährung im Jahr 2017 geführt hat – nunmehr der Ansicht ist, dass sich die subjektive Lage des Beschwerdeführers in Hinsicht auf die Verfolgung durch die Taliban so verändert hat, dass eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten gerechtfertigt wäre.

Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer wiederholt auf seine Furcht vor Verfolgung hingewiesen hat.

Selbst bei Wegfall subjektiv empfundener Furcht kann dies allenfalls ein Indiz dafür sein, dass auch objektiv kein asylrechtlich relevanter Verfolgungsgrund mehr vorliegt, doch kann die subjektiv empfundene Furcht eines Flüchtlings vor Verfolgung allein nicht als einer der in Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 GFK angeführten Umstände gewertet werden. Diese Umstände sind gemäß dem Wortlaut der angeführten Konventionsstelle solche, auf Grund deren der Asylwerber als Flüchtling anerkannt worden ist. Durch den Wegfall (lediglich) des subjektiven Furchtempfindens eines Flüchtlings können die in Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 dieser Konvention angeführten Voraussetzungen noch nicht als erfüllt angesehen werden; vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich bei den "Umständen" im Sinne der zitierten Bestimmung insbesondere um solche handeln muss, die sich auf grundlegende, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention angeführten Fluchtgründe betreffende (objektive) Veränderungen im Heimatstaat des Flüchtlings beziehen, auf Grund deren angenommen werden kann, dass der Anlass für die - begründete - Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger besteht (VwGH 31.01.2019, Ra 2018/14/0121; vgl. weiters VwGH 29.01.1997, 95/01/0449).

Auch laut der dargelegten Judikatur des VwGH ist somit entscheidend, dass es zu (objektiven) Veränderungen im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers gekommen ist. Dies kann etwa auch dann der Fall sein, wenn der Verfolger einen "Haltungswandel" im Hinblick auf den Beschwerdeführer vorgenommen hat, ohne dass ein politischer Machtwechsel stattgefunden hat, sofern dieser "Haltungswandel" über einen längeren Beobachtungszeitraum fortgesetzt wurde (VwGH vom 21.11.2002, 99/20/0171).

Ein solcher Haltungswandel kann in Bezug auf die Taliban aus den Länderinformationen nicht entnommen werden. Die Taliban existieren in Afghanistan nach wie vor als politisches System mit wechselnder Machtstärke.

Seitens des BFA wurde auch indiziert, dass es zu grundlegenden Veränderungen im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers gekommen wäre. Hierfür hat das BFA jedoch keine tragfähigen Vergleiche angestellt.

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts lagen und liegen die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 2005 sohin mangels grundlegender Veränderungen der subjektiven Lage des Beschwerdeführers und auch der objektiven Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers gegenständlich nicht vor. Dem Beschwerdeführer wurde daher zu Unrecht der Status des Asylberechtigten aberkannt.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt somit zu dem Ergebnis, dass der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 7 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich der Spruchpunkte I., II., III., IV., V., und VI. des angefochtenen Bescheids stattzugeben war und diese Spruchpunkte ersatzlos zu beheben waren.

Dem Beschwerdeführer kommt auf Grund der Behebung des Bescheides weiterhin der Status des Asylberechtigten zu.

Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG konnte das Gericht von der Verhandlung absehen, weil der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde. Die Schriftsätze der Parteien und die Akten des Verfahrens lassen erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Vielmehr erschien der Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides aus der Aktenlage geklärt. Dem steht auch Art 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegensteht, vgl. dazu auch das zuletzt das Erkenntnis des VwGH vom 21.02.2019, Ra 2019/08/0027.

4.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt und es nicht an einer Rechtsprechung fehlt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich wiederholt mit der Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 GFK befasst, die aufgrund der Änderung der subjektiven Lage des Beschwerdeführers vorgenommen wurden.

Schlagworte

Aberkennung des Status des Asylberechtigten Aberkennungsverfahren Behebung der Entscheidung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W201.2211220.1.00

Im RIS seit

09.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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