TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/16 G307 2226720-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.2020
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Entscheidungsdatum

16.09.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G307 2226720-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA.: Kroatien, vertreten durch den Verein „LegalFocus“ in 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.11.2019, Zahl XXXX , nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

A)       

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)       

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Aufgrund des Verdachtes des Eingehens einer Scheinehe zwischen der Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) und einem indischen Staatsbürger, XXXX , geb. XXXX , (im Folgenden: Ehemann) wurde mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 18.06.2019, die LPD XXXX mit dahingehenden Ermittlungen gegen die BF und ihren Ehemann beauftragt.

2. Am XXXX .2019 legte die LPD XXXX einen Abschlussbericht über die getätigten Ermittlungen an das BFA vor.

3. Am 05.11.2019 fand eine niederschriftliche Einvernahme der BF vor dem BFA statt.

4. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des BFA, der BF persönlich zugestellt am 19.11.2019, wurde gegen diese gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf 5 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), und ihr gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.).

5. Mit per E-Mail am 10.12.2019 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz erhob die BF durch ihre Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

Darin wurden die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung sowie die Behebung des Aufenthaltsverbotes, in eventu die Herabsetzung seiner Befristung beantragt.

6. Die gegenständliche Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt wurden vom BFA dem BVwG vorgelegt wo sie am 18.12.2019 einlangten.

7. Am 25.08.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Graz, eine mündliche Verhandlung statt, an welcher die BF persönlich teilnahm und deren Ehemann sowie der ehemalige Arbeitgeber der BF als Zeugen einvernommen wurden.

Die belangte Behörde wurde geladen, verzichtete jedoch auf die Teilnahme eines Vertreters.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Die BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum) und ist Staatsangehörige der Republik Kroatien. Ihre Muttersprache ist Kroatisch und bekennt sie sich zum Hinduismus.

Die BF hält sich seit Ende 2017 ohne Unterbrechung in Österreich auf und weist seit 17.01.2018 durchgehende Wohnsitzmeldungen im Bundesgebiet auf.

Die BF war von 19.03.2018 bis 15.03.2020 bei XXXX , in XXXX , als Köchin beschäftigt und bezog aufgrund der durch Corona-Pandemie hervorgerufenen Schließung des Lokals zwischen 16.03.2020 und 02.08.2020 Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung.

Die BF ist gesund und arbeitsfähig.

Am XXXX .2019 ehelichte die BF den indischen Staatsbürger XXXX , geb. XXXX , im Bundesgebiet und weisen die BF und ihr Ehemann beginnend mit 23.01.2019 gemeinsame Wohnsitzmeldungen in Österreich auf. Aktuell wird der Ehemann der BF seit XXXX .2020 in Untersuchungshaft angehalten (siehe OZ 12).

Der Gatte der BF stellte am 23.05.2013 einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes, welcher am 19.07.2013 abgewiesen wurde. Ein weiterer vom BF am 03.03.2015 gestellter, diesbezüglicher Antrag wurde letztlich wegen entschiedener Rechtssache zurückgewiesen und ist der BF nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels gemäß dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz.

Gegen den Ehemann der BF wurde am XXXX .2020 durch die LPD XXXX ein Betretungsverbot in Bezug auf die gemeinsame Ehewohnung, XXXX , ausgesprochen und musste dieser am XXXX .2020 insgesamt dreimal von der gemeinsamen Ehewohnung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes weggewiesen werden.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF mit ihrem Ehemann kein gemeinsames Eheleben bzw. Familienleben führt oder die besagte Ehe einzig zum Zweck der Umgehung fremdenrechtlicher Bestimmungen eingegangen ist.

Darüberhinausgehende familiäre Bezugspunkte weist die BF in Österreich nicht auf, sondern halten sich deren Angehörige im Herkunftsstaat auf, in dem, konkret in XXXX , sie Eigentum an der Hälfte einer Liegenschaft besitzt.

Der BF wurde am 06.05.2019 eine Anmeldebescheinigung ausgestellt und beantragte ihr Ehemann unter Verweis auf seine Ehe mit der BF am 20.05.2019 die Ausstellung einer Aufenthaltskarte „Angehöriger einer EWR-Bürgerin“. Diese wurde ihm jedoch bis dato nicht ausgestellt.

Das Bestehen von Deutschkenntnissen konnte nicht festgestellt werden, jedoch erweist sich die BF in strafgerichtlicher Hinsicht als unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten und abgehaltenen mündlichen Verhandlung durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

2.2.1. Insofern Feststellungen zu Identität (Name und Geburtsdatum), Eheschließung, Staatsangehörigkeit, Gesundheitszustand, Arbeitsfähigkeit, Glaubensbekenntnis und Muttersprache der BF getroffen wurden, beruhen diese auf den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen weder in der gegenständlichen Beschwerde noch in der mündlichen Verhandlung entgegengetreten wurde.

Die Wohnsitzmeldungen der BF sowie die gemeinsame Haushaltsführung mit ihrem Ehemann beruhen auf einer Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister (ZMR). Auf dieser Abfrage beruht – in Ermangelung sonstiger Belege – auch die Feststellung des durchgehenden Aufenthaltes der BF in Österreich. Zudem hat die BF wiederholt vorgebracht, sich seit Ende 2017 in Österreich aufzuhalten, was sich letztlich im Grunde mit den besagten Meldungen deckt.

Durch Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister konnten ferner die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung an die BF sowie die Antragstellung ihres Ehegatten auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte samt bis dato nicht erfolgter Ausfolgung derselben entnommen werden. Im besagen Register sind zudem die seinerzeitigen Asylantragstellungen des Ehemannes des BF wie auch der diesbezügliche Verfahrensausgang sowie der fehlende Besitz eines Aufenthaltstitels nach dem NAG dokumentiert.

Die Erwerbstätigkeit der BF sowie der Bezug von Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung sind dem Inhalt des auf ihren Namen lautenden Sozialversicherungsauszuges zu entnehmen und ergibt sich die Schließung des Lokals, in dem die BF bis 15.03.2020 beschäftigt war, aus ihren Angaben wie jenen des vernommenen Arbeitgebers. Zudem fällt der Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses der BF mit jenem Tag, an dem die österreichische Regierung aufgrund der aktuell noch andauernden Corona-Pandemie Beschränkungen des öffentlichen Lebens beschlossen hat, zusammen. Insofern erweisen sich die Angaben der BF als nachvollziehbar.

Die Anhaltung des Ehemannes der BF in Untersuchungshaft ist aus einer Abfrage des Zentralen Melderegisters und einer vom BFA am 17.08.2020 an das BVwG weitergeleiteten Benachrichtigung der JA XXXX , vom XXXX .2020 ersichtlich (siehe OZ 12).

Das gegen den Ehemann der BF ausgesprochene Betretungsverbot sowie die wiederholten Wegweisungen desselben von der gemeinsamen Ehewohnung beruhen auf entsprechenden Berichten der LPD XXXX vom XXXX .2020, GZ.: XXXX , und vom XXXX .2020, Gz.: XXXX (siehe OZ 7).

Das Fehlen familiärer Bezugspunkte in Österreich sowie das Bestehen verwandtschaftlicher Bindungen im Herkunftsstaat wie der Liegenschaftsbesitz der BF in Kroatien beruhen auf deren widerspruchsfrei gebliebenen Angaben.

In Ermangelung der Vorlage entsprechender Nachweise konnte das Bestehen von Deutschkenntnissen nicht festgestellt werden.

Die Unbescholtenheit der BF ergibt sich aus dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Ferner ist der fehlende Bestand einer Scheinehe aus folgenden Schlüssen zu ziehen:

Die BF und deren Ehemann waren in der Lage, sowohl im Zuge ihrer Einvernahme vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und dem BFA als auch in der mündlichen Verhandlung, abgesehen von nicht nennenswerten Unterschieden, im Grunde übereinstimmende Angaben zu ihrem Kennenlernen, den Ablauf ihrer Hochzeit, den Hochzeitsgästen, der Hochzeits-Örtlichkeit und -Feierlichkeiten sowie zur gemeinsamen Wohnung, insbesondere zur räumlichen Aufteilung derselben, zu machen. Weiters war die BF in der Lage, die Essensgewohnheiten ihres Ehemannes sowie dessen bevorzugte Freizeitbeschäftigungen aufzuzählen. Allfällige Details zu den jeweiligen familiären Verhältnissen und Vorleben des jeweils anderen konnten diese zwar nicht immer lückenlos und übereinstimmend vorbringen. Doch kann dies insofern nachvollzogen werden, als insbesondere seitens des Ehemannes der BF – wie von diesem auch eingestanden wurde – ein gewisses Desinteresse vorherrscht und zwischen den in Rede stehenden Eheleuten aufgrund verschiedener Muttersprachen Verständigungsschwierigkeiten bestehen, welche einen Informationsaustausch naturgemäß erschweren.

Ferner weisen die BF und ihr Ehemann seit 23.01.2019 einen durchgehenden gemeinsamen Wohnsitz in Österreich auf und bezeugte der ehemalige Arbeitgeber der BF und Freund ihres Ehemannes, dass die BF und ihr Ehemann im Sinne eines Liebespaares öffentlich Zuneigungen (Küsse und Umarmungen) gezeigt hätten und ein Eheleben führten. So weist auch die Tatsache, dass gegen den Ehemann der BF ein Betretungsverbot für die gemeinsame Ehewohnung ausgesprochen und dieser wiederholt von der besagten Liegenschaft weggewiesen werden musste, auf das Bestehen eines aufrechten Ehelebens hin. Widrigenfalls wäre nicht nachvollziehbar, weshalb ein Betretungsverbot für eine Wohnung, welche die BF nicht gemeinsam mit ihrem Ehemann bewohnt, ausgesprochen werden musste und er aufgrund wiederholten Aufsuchens der genannten Wohnung entgegen eines Betretungsverbotes mehrmals wegewiesen werden hätte müssen, wenn er keine Bezugspunkte zur besagten Wohnung und der BF aufweise.

Der bloße Umstand, dass seinerzeit Polizeibeamte bei wiederholten Nachschauen weder die BF noch deren Ehegatten angetroffen haben, vermag als Beweis für das Fehlen eines gemeinsamen aufrechten Wohnsitzes nicht zu genügen. Es kann logisch nicht ausgeschlossen werden, dass – wie von der BF und deren Ehemann in der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde – diese zu den jeweiligen Zeitpunkten aus beruflichen oder sonstigen Gründen nicht zu Hause waren. So kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine Person sich selbst an ihrem freien Tag 24 Stunden lange zu Hause aufhält. Eine Wohnungsbesichtigung ist durch Polizeiorgane nicht vorgenommen worden, sodass letztlich aus der besagten Vorort-Nachschau keine Rückschlüsse auf ein Nichtvorliegen eines aufrechten Ehelebens geschlossen werden können.

Darüber hinaus konnte sich das erkennende Gericht im Zuge einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der BF verschaffen, welche einen glaubwürdigen Eindruck machte. Anzeichen dafür, dass diese die Unwahrheit gesagt hätte, zeigten sich nicht.

Wenn es – wie von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid ausgeführt wurde – auch naheliegend scheinen mag, dass aufgrund des Umstandes, dass dem Ehemann der BF aufgrund eines abgelehnten Antrages auf internationalen Schutz und Fehlens eines Aufenthaltstitels vor dessen Eheschließung mit der BF die Abschiebung in seinen Herkunftsstaats drohte, so rechtfertigt dieser Umstand letztlich nicht, vor dem Hintergrund der für das Bestehen eines Ehelebens zwischen der BF und ihrem Ehemann sprechenden Anhaltspunkte, eine Aufenthaltsehe anzunehmen.

Im Ergebnis kommt das erkennende Gericht daher zum Schluss, dass anhand der vorliegenden Beweislage nicht festgestellt werden kann, dass die BF mit ihrem Ehemann kein Familienleben führt und die Ehe einzig zum Zweck der Umgehung fremdenrechtlicher Bestimmungen eingegangen ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jener der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger, jener Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

Die BF als Staatsangehörige von Kroatien ist sohin EWR-Bürgerin iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

3.1.2. Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:

„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2.       für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3.       als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1.       wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4.       eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet wie folgt:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1.       Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2.       Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3.       durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1.       zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2.       sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3.       drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1.       sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2.       der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3.       der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“

Der mit „Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate“ betitelte § 55 NAG lautet:

„§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“

Der mit „Ausreiseverpflichtung und Durchsetzungsaufschub“ betitelte § 70 FPG lautet:

„§ 70. (1) Die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot werden spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.

(Anm.: Abs. 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)

(3) EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen ist bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

(4) Der Durchsetzungsaufschub ist zu widerrufen, wenn

1.       nachträglich Tatsachen bekannt werden, die dessen Versagung gerechtfertigt hätten;

2.       die Gründe für die Erteilung weggefallen sind oder

3.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige während seines weiteren Aufenthaltes im Bundesgebiet ein Verhalten setzt, das die sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gebietet.“

Der mit „Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft und Aufenthaltsadoption“ betitelte § 30 NAG lautet:

„§ 30. (1) Ehegatten oder eingetragene Partner, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, dürfen sich für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen.

(2) An Kindes statt angenommene Fremde dürfen sich bei der Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nur dann auf diese Adoption berufen, wenn die Erlangung und Beibehaltung des Aufenthaltstitels nicht der ausschließliche oder vorwiegende Grund für die Annahme an Kindes statt war.

(3) Die Abs. 1 und 2 gelten auch für den Erwerb und die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts.“

Der mit „Eingehen und Vermittlung von Aufenthaltsehen und Aufenthaltspartnerschaften“ betitelte § 117 FPG lautet:

„§ 117. (1) Ein Österreicher oder ein zur Niederlassung im Bundesgebiet berechtigter Fremder, der eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft mit einem Fremden eingeht, ohne ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führen zu wollen und weiß oder wissen musste, dass sich der Fremde für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen will, ist, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, vom Gericht mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

(2) Ein Österreicher oder ein zur Niederlassung im Bundesgebiet berechtigter Fremder, der mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft mit einem Fremden eingeht, ohne ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führen zu wollen und weiß oder wissen musste, dass sich der Fremde für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen will, ist, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

(3) Wer gewerbsmäßig Ehen oder eingetragene Partnerschaften vermittelt oder anbahnt, obwohl er weiß oder wissen musste, dass sich die Betroffenen für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führen wollen, ist, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

(4) Der Fremde, der sich im Sinne dieser Bestimmung auf die Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen will, ist als Beteiligter zu bestrafen.

(5) Nach Abs. 1 ist nicht zu bestrafen, wer freiwillig, bevor eine zur Strafverfolgung berufene Behörde von seinem Verschulden erfahren hat, an der Feststellung des Sachverhaltes mitwirkt.“

Nach der Judikatur des VwGH liegt eine Aufenthaltsehe im Sinne des § 30 NAG in Verbindung mit § 54 Abs. 7 NAG dann vor, wenn sich ein Fremder für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels auf eine von ihm geschlossene Ehe beruft, er in diesem Zeitpunkt jedoch kein gemeinsames Familienleben mit seinem Ehegatten im Sinne des Art. 8 EMRK führt (vgl. VwGH 19.09.2012, 2008/22/0243). Ein formelles Band der Ehe reicht nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zugunsten des Drittstaatsangehörigen abzuleiten (vgl. VwGH 27.04.2017, Ro 2016/22/0014). In zeitlicher Hinsicht muss das Berufen auf ein Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem ein Familienleben nicht (mehr) geführt wird (vgl. VwGH 27.01.2011, 2008/21/0633).

Eine für den Erwerb bzw. die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes erforderliche tatsächliche und eheliche Lebensgemeinschaft ist dann anzunehmen, wenn die Ehepartner erkennbar in einer dauerhaften, durch enge Verbundenheit und gegenseiteigen Beistand geprägten Beziehung zusammenleben oder zusammenleben wollen. Vorausgesetzt ist somit eine Verbindung zwischen den Eheleuten, deren Intensität über die einer Beziehung zwischen Freunden in einer reinen Begegnungs- oder Gesinnungsgemeinschaft hinausgeht (vgl. Abermann/Czech/Kind/Peyrl, NAG-Kommentar, § 30, Rz 7).

„Nach der Judikatur des VwGH, setzt die fremdenpolizeiliche Feststellung, eine Ehe sei nur zum Schein geschlossen worden, nicht voraus, dass die Ehe für nichtig erklärt wurde (vgl. VwGH vom 23. März 2010, 2010/18/0034). Damit ist die Frage bejaht, ob durch die Verwaltungsbehörde - wie hier im Zuge der Prüfung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme - eine eigene Beurteilung des Vorliegens einer Scheinehe erfolgen darf.“ (VwGH 25.09.2017, Ra 2017/20/0293)

„Mit der Erlassung dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahmen wird daher noch keine Aussage darüber getroffen, ob auch der Straftatbestand des § 117 FrPolG 2005 verwirklicht wurde. Der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes wegen Eingehens einer "Scheinehe" steht nicht entgegen, dass ein gegenüber dem Fremden wegen § 117 (Abs. 4) FrPolG 2005 idF des FrÄG 2009 geführtes Strafverfahren als Beteiligte eingestellt worden ist (vgl. E 22. Februar 2011, 2010/18/0446). Umso weniger setzt die fremdenpolizeiliche Feststellung, eine Ehe ist nur zum Schein geschlossen worden, voraus, dass der Scheinehepartner (vom Gericht) gemäß § 117 (Abs. 1 oder 2) FrPolG 2005 bestraft (vgl. E 23. März 2010, 2010/18/0034) oder eine Anzeige gemäß § 117 FrPolG 2005 erstattet worden ist (Hinweis E 21. Juni 2012, 2012/23/0022).“ (VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0349)

„Die Nichtigerklärung einer Ehe gemäß § 23 Ehegesetz stellt keine Voraussetzung für die Feststellung des Bestehens einer Scheinehe dar und spricht das Unterbleiben einer solchen Nichtigerklärung nicht gegen die Beurteilung einer solchen Ehe.“ (VwGH 21.02.2013, 2012/23/0049)

Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass der Tatbestand der Scheinehe bzw. Aufenthaltsehe jedenfalls dann nicht verwirklicht ist, wenn nach der Eheschließung ein als Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK zu qualifizierendes „Eheleben“ geführt wurde. (vgl. VwGH 26.09.2007, 2007/21/0003; 22.03.2011, 2007/18/0855)

3.1.3. Die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA war aus folgenden Gründen stattzugeben:

Gegen die BF als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürgerin ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 Abs. 1 FPG iVm. § 66 Abs. 1 zweiter Satz FPG nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch ihren Verbleib im Bundesgebiet tatsächlich, gegenwärtig und erheblich gefährdet wäre. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

„Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. - noch zu § 86 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011, der Vorgängerbestimmung des § 67 FPG - etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, und vom 21. Februar 2013, Zl. 2012/23/0042, mwN).“ (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039)

3.1.4. Die BF hält sich jedenfalls seit Ende 2017 im Bundesgebiet auf, ging bis März 2020 Erwerbstätigkeiten in Österreich nach, ist aktuell unfreiwillig arbeitslos und bezog Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung.

Im Zuge des Ermittlungsverfahrens konnte nicht festgestellt werden, dass die BF mit ihrem Ehemann, einem indischen Staatsbürger, kein gemeinsames Ehe- bzw. Familienleben führt oder die besagte Ehe einzig zur Umgehung fremdenrechtlicher Bestimmungen eingegangen ist, was letztlich die Feststellung eine Aufenthaltsehe eingegangen zu sein nicht zulässt. Auch erweist sich die BF in strafgerichtlicher Hinsicht als unbescholten und trat bisher in verwaltungs- oder fremdenrechtlicher Hinsicht nicht einschlägig in Erscheinung.

Mangels Feststellbarkeit des Eingehens einer Aufenthaltsehe oder eines sonstigen die öffentlichen Interessen gefährdendes Verhaltens seitens der BF, liegen die Voraussetzungen für den Ausspruch eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG nicht vor.

Demzufolge war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid zur Gänze zu beheben.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung EWR-Bürger Unbescholtenheit Unionsbürger Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G307.2226720.1.00

Im RIS seit

09.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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