TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/28 G305 2205118-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.09.2020
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Entscheidungsdatum

28.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G305 2205116-1/9E

G305 2205118-1/9E

G305 2205113-1/8E

G305 2205114-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerden der irakischen Staatsangehörigen 1.) des XXXX (BF1) 2.) der XXXX (BF2) 3.) der XXXX (mj. BF3) und 4.) des XXXX (mj. BF 4), die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien vertreten durch den Vater XXXX, alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die jeweils zum XXXX.07.2018 datierten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD Salzburg, Zlen. XXXX (BF1), XXXX (BF2), XXXX (mj. BF3), und XXXX (mj. BF4), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.09.2020, zu Recht erkannt:

A)       

I.       Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides werden gemäß
§ 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II.      Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird 1.) XXXX (BF1), 2.) XXXX (BF2), 3.) XXXX (mj. BF3) und 4.) XXXX (mj. BF 4), der Status eines/einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird 1 .) XXXX (BF1), 2.) XXXX (BF2), 3.) XXXX (mj. BF3) und 4.) XXXX (mj. BF 4), eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte/r für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

IV.      In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos aufgehoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Am 04.02.2016 stellten die jeweils zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigten XXXX (in der Folge: Erstbeschwerdeführer oder kurz: BF1), XXXX (in der Folge: Zweitbeschwerdeführerin oder kurz: BF2) und XXXX (in der Folge: minderjährige Drittbeschwerdeführerin oder kurz: mj. BF3) alle irakische Staatsangehörige, vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörden einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am 04.02.2016 wurden der BF1 und die BF2 von Organen der Autobahnpolizei XXXX niederschriftlich einvernommen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF1 an, seine Heimatstadt XXXX sei von schiitischen Truppen besetzt worden und sie als Sunniten seien in ständiger Gefahr; man habe versucht, sie aus der Stadt zu vertreiben, da sie Sunniten seien. Auf dem Weg zur Arbeit habe er ständig Angst davor, entführt zu werden. Es gäbe mehrere Kontrollen durch Truppen. Auch habe er Angst, dass seine Familie entführt oder getötet werde. Bei einer Rückkehr fürchte er Entführung oder den Tod jedoch keine Sanktionen von staatlicher Seite, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe.

Die BF2 gab an, dass in XXXX ein Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten herrsche. Die Sunniten seien eine Minderheit geworden. Man habe gewollt, dass sie die Stadt verlassen. Viele Leute seien von den Schiiten entführt worden oder geflüchtet. Sie könne das Haus nicht verlassen und habe Angst um ihren Mann, dass er entführt werden könnte. Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befürchte sie Entführung und Todesgefahr. Von staatlicher Seite fürchte sie keine Sanktionen, ebenso keine unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe.

Zur Reiseroute befragt, gaben der BF1 und die BF2 übereinstimmend an, ausgehend vom Irak über die Türkei nach Griechenland (Mytilini) und die Balkanroute bis nach Österreich gelangt zu sein. In Griechenland und Slowenien seien sie erkennungsdienstlich behandelt worden. Die Überfahrt von der Türkei nach Mytilini sei von Schleppern, ab Griechenland sei die Reise von den Behörden organisiert gewesen und hätte sie die Reise 2.000 USD gekostet.

Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage ergabt Treffer für den BF1 und die BF2 zu Griechenland; XXXX und XXXX jeweils Mytilini.

1.3. Am XXXX kam in Österreich XXXX (mj. BF4) zur Welt und wurde für diesen ein Antrag auf Familienverfahren durch den BF1 gestellt. Für ihn gelten dieselben Fluchtgründe wie für die anderen bfP.

1.4. Am 23.04.2018 wurden der BF1 und die BF2 um 09:30 Uhr und 11:30 Uhr von einem Organ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen.

Der BF1 präzisierte seine Angaben zur Fluchtroute dahingehend, dass die Familie XXXX Anfang 2016 mit einem größeren Taxi in Richtung XXXX verlassen habe. Von dort seien sie legal binnen drei Tagen nach Istanbul und nach einer Woche weiter nach Griechenland und über die Balkanroute nach Österreich gelangt.

Als Fluchtgrund gab der BF1 an, dass er aus XXXX stamme und immer Probleme bei Straßenkontrollen gehabt zu haben. Den Leuten aus der Region sei vorgeworfen worden, dass sie Betrüger wären und mit dem IS zu kooperieren würden. Er sei im Jahr 2015 in XXXX einmal festgenommen worden und habe einen Geldbetrag in Höhe von 25.000 irakischen Dinar (Anm. etwa EUR 18,-) zahlen müssen, als er seinen Vater habe besuchen wollen. Zudem sei er bei Straßenkontrollen beleidigt, beschimpft und sogar geschlagen worden. Der gesellschaftliche Druck und die Schwierigkeiten hätten ihn veranlasst, den Irak zu verlassen. Eine konkrete Verfolgung oder Bedrohung gegen seine Person habe es nie gegeben.

Eine Rückkehr in einen anderen Landesteil bzw. eine bereits vorherige Flucht schloss er wegen des Erlebten aus.

Die BF2 bestätigte die Angaben des BF1 und gab an, dass der BF1 bei Straßenkontrollen immer wieder Probleme gehabt hätte. Bei Besuchen beim Vater des BF1 in XXXX sei er vermehrt kontrolliert worden. Er als Sunnit habe in deren Wohngegend immer Schwierigkeiten gehabt, da dort viele Schiiten leben würden. Sie selbst sei als Schiitin geboren worden und dies bis zu ihrer Ausreise gewesen. Auf Grund der gemischten Ehe habe es keine Probleme gegeben. Die BF2 korrigierte ihre Glaubensrichtung dahingehend, dass sie Schiitin sei. Die Angabe, Sunnitin zu sein, resultiere aus der Ehe mit ihrem Ehemann und der damit zusammenhängenden Identifizierung mit ihm.

Bei diesen Einvernahmen wurden Ausweisdokumente und Taufscheine des koptisch-orthodoxen Patriarchats für sämtliche BF vorgelegt.

1.5. Mit jeweils zum XXXX.07.2018 datierten Bescheiden der belangten Behörde, wies das BFA die Anträge der beschwerdeführdenden Parteien (im der Folge auch: Beschwerdeführer oder kurz: bfP) hinsichtlich des Antrages auf internationalen Schutz vom 04.02.2016 bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines/einer subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt werde, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass den bfP im Heimatstaat keine Verfolgung drohen würde. Grundlegende Fragen zum Christentum hätten nicht beantwortet werden können und sei eine Konversion zum christlichen Glauben nicht glaubhaft vorgebracht worden.

1.6. Gegen diese Bescheide erhoben die bfP fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin erklärten sie, dass sie den Bescheid - gestützt auf die Beschwerdegründe „inhaltliche Rechtswidrigkeit“ und „Verletzung von Verfahrensvorschriften“ - vollumfänglich anfechten und die Beschwerde mit den Anträgen verbinden, dass 1.) die angefochtenen Bescheide zur Gänze behoben und ihnen der Status des/der Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuerkannt werden mögen, 2.) in eventu die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverwiesen werden mögen, 3.) in eventu für den Fall der Abweisung des obigen Beschwerdeantrages möge gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG festgestellt werden, dass ihnen der Status eines/einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat zukomme, 4.) in eventu möge festgestellt werden, dass die erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und die Zulässigkeit der Abschiebung aufgehoben werden möge und 5.) möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt werden. In der Beschwerde wurde vorgebracht, dass das BFA nicht berücksichtigt habe, dass sich die BF2 westlich kleide und so orientiert sei und die beschwerdeführenden Parteien nach ihrer Konversion zum Christentum von den irakischen Sicherheitsbehörden nicht geschützt werden könnten.

1.7. Am 06.09.2018 wurde dem BVwG die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt vorgelegt.

1.8. Anlässlich einer am 14.09.2020 vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung wurden der BF1 und die BF2 im Beisein ihres Rechtsvertreters (im Folgenden: RV) und eines Dolmetschers für die arabische Sprache einvernommen. Für die unmündigen mj. BF3 und BF4 war deren Anwesenheit nicht erforderlich.

1.9. Mit Eingabe vom 21.08.2020 langte für den BF1 ein psychiatrischer Befund ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Identitätsfeststellungen

Der BF1 führt die im Spruch angegebene Identität XXXX und ist irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der Ethnie der irakischen Kurden an und bekennt sich seit seiner Konversion im Dezember 2016 zur koptisch-orthodoxen Religionsgemeinschaft. Zuvor bekannte er sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung. Seine Muttersprache ist arabisch [Reisepasskopie Akt BF1 AS 135; VH-Niederschrift S. 3 und S.5].

Er ist mit der BF2, die die im Spruch angegebene Identität XXXX, führt, verheiratet. Sie gehört der arabischen Ethnie an und bekennt sich, wie der BF1, seit ihrer Konversion im Dezember 2016 zur koptisch-orthodoxen Religionsgemeinschaft. Zuvor bekannte sie sich zum Islam der schiitischen Glaubensrichtung. Ihre Muttersprache ist arabisch [Reisepasskopie Akt BF2 AS 121; VH-Niederschrift S. 3 und S. 5].

Der BF1 und die BF2 heirateten im Jahr 2013 traditionell und standesamtlich [Niederschrift BFA des BF1 AS 148; Niederschrift BFA der BF2 AS 140; Verhandlungsniederschrift S. 9].

Das Paar hat zwei Kinder, und zwar die mj. BF3 (XXXX), und den in Österreich geborenen mj. BF4 (XXXX), alle StA. Irak [Reisepasskopie im Akt der mj. BF3 AS 16; Geburtsurkunde im Akt des mj. BF4 AS 5]. Beide mj. Beschwerdeführer sind koptisch-orthodox getauft [Tauschscheine im Akt des BF1 AS S 157 und AS 161].

Die beschwerdeführenden Parteien haben ihren Hauptwohnsitz seit dem XXXX.02.2016 und XXXX.12.2016 (der mj. BF4) im Bundesgebiet (seit dem XXXX.08.2020 an der Anschrift XXXX) [Auszug aus dem Zentralen Melderegister – ZMR].

1.2. Zur Ausreise, Reise, Einreise der beschwerdeführenden Parteien in Österreich und ihrer darauffolgenden Asylantragstellung:

Die bfP sind zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt im Jänner 2016 aus dem Irak ausgereist. Zunächst fuhren sie mit einem großen Taxi von XXXX nach XXXX und dann mit einem Reisebus nach Istanbul und von dort schlepperunterstützt über die „Balkanroute“ an die österreichische Grenze. Diese überquerten sie am 02.02.2016 im Besitz von Reisepässen, jedoch ohne Einreisebewilligung und sohin illegal und stellten sie hier am 04.02.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Die Überfahrt von der Türkei nach Mytilini wurde von Schleppern organisiert, ab Griechenland von den Behörden. Die Reise kostete für den BF1 und die BF2 2.000 USD [Erstbefragung BF1 und BF2 jeweils AS7].

Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage ergab Treffer für den BF1 und die BF2 zu Griechenland [EURODAC-Abfrageberichte in den Akten zu BF1 und BF2; IZR-Auszüge der BF1 und BF2]

1.3. Zur individuellen Situation der beschwerdeführenden Parteien im Heimatstaat:

Im Herkunftsstaat besuchte der BF1 für die Dauer von sechs Jahren die Grundschule. Ab seinem 12. Lebensjahr erlernte er den Beruf des XXXX bei einem Cousin väterlicherseits [VH-Niederschrift S. 8 und S. 11]. In seiner Heimat arbeitete er als Bäcker, Autoreiniger und Taxifahrer. Von 2011 bis 2016 war er als Zeitarbeiter für die Gemeinde in Babel tätig und brachte etwa USD 200 ins Verdienen [Niederschrift-BFA des BF1 AS 149f].

Die BF2 hat im Herkunftsstaat - ob der finanziellen Situation der Eltern - mit Unterbrechungen durch sechs Jahre hindurch die Grundschule und durch drei Jahre hindurch die Mittelschule besucht und war danach Hausfrau [Niederschrift-BFA der BF2 AS 141; VH-Niederschrift S. 11].

Die noch minderjährige BF3 verließ den Heimatstaat im Alter von weniger als zwei Jahren, der mj BF4 wurde in Österreich geboren.

Die bfP haben im Irak verbliebene Familienangehörige. Die Eltern des BF1, XXXX, etwa XXXX Jahre und XXXX, etwa XXXX Jahre sind geschieden und leben in XXXX und XXXX. Die beiden Brüder des BF1 leben jeweils bei den Eltern; XXXX, etwa 17 Jahre bei seiner Mutter in XXXX und XXXX, geboren XXXX, bei seinem Vater in XXXX. Der BF1 hat keinen Kontakt zu seinem Vater und wenig Kontakt zu seiner Mutter; dies über den Nachrichtendienst Messenger. Die Mutter arbeitet als Reinigungskraft in einem Supermarkt, der Vater wird von seiner neuen Ehefrau, einer Grundschullehrerin, versorgt. Der jüngere Bruder des BF1 arbeitet als XXXX [VH-Niederschrift S. 15f].

Die Eltern der BF2, XXXX und XXXX waren als Wächter einer Schule (Vater) und als Schulwartin (Mutter) tätig und versorgten so die Familie. Sie leben zusammen mit den vier Geschwistern de BF2, XXXX und XXXX im Ort XXXX in einem vom Vater der BF2 gebauten Haus. Die BF2 steht in seltenem Kontakt zu ihrer Mutter. Der Bedarf an Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs konnte durch Geschäfte in XXXX gedeckt werden [VH-Niederschrift S. 17f]. Zu Freunden in der Heimat besteht kein Kontakt [VH-Niederschrift S. 14].

Bis zu ihrer Hochzeit wurde die BF2 von ihrem Vater versorgt. Ab diesem Zeitpunkt konnte der BF1 mit seiner Arbeitsleistung die Familie erhalten [VH-Niederschrift S. 13 und 17f]

Während die bfP in ihrem Herkunftsstaat noch familiäre Anknüpfungspunkte haben, haben sie in Österreich keine Verwandten.

1.4. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Parteien:

Die bfP waren niemals Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates. Sie hatten auch nie ein Problem mit der Polizei oder den Gerichten oder den Verwaltungsbehörden des Herkunftsstaates.

Der BF1 sowie die BF2 hatten weder auf Grund ihres vormaligen Religionsbekenntnisses, noch auf Grund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit asylrechtlich relevante Probleme zumal die Anhaltung im Rahmen von Straßenkontrollen nicht als solche zu werten sind. Sie waren nie einer individuellen und aktuellen Verfolgung durch Milizen bzw. allgemein durch Islamisten oder Bedrohungen - von wem immer - ausgesetzt.

Die BF1, BF2 und die mj. BF3 sind in Österreich zum koptisch-orthodoxen Glauben konvertiert [Bestätigung AS 331]. Bevor sie nach Österreich kamen, hatten sie keinerlei Berührungspunkte mit dem Christentum bzw. praktizierten sie im Herkunftsstaat keine christlichen Riten.

Sie haben den Herkunftsstaat weder aus politischen Gründen, noch aus religiösen Gründen, noch aus Gründen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie des Herkunftsstaates, noch aus sonstigen asylrelevanten Gründen verlassen. Die bfP sind - wie die Bevölkerungsmehrheit im Irak - als Muslime geboren und gehören dieser religiösen Gemeinschaft trotz ihrer Konversion bis zu ihrem Tod an.

Vielmehr haben die bfP den Herkunftsstaat in Erwartung besserer Lebensbedingungen im Ausland verlassen.

Die mj. BF3 und BF4 haben keine eigenen Fluchtgründe ins Treffen geführt und ihre Gründe für die Ausreise bzw. der mj. BF4 für den Antrag auf internationalen Schutz auf jene des Vaters gestützt.

Insgesamt vermochten die beschwerdeführenden Parteien nicht glaubhaft zu machen, dass sie im Herkunftsstaat einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung durch eine (schiitische) Miliz ausgesetzt gewesen wären.

1.5. Zu etwaigen Integrationsschritten der bfP im Bundesgebiet:

Der BF1 hat nachweislich einen Deutschkurs für das Niveau A1/2, einen Lehrgang „XXXX“, einen Werte- und Orientierungskurs des ÖIF besucht [Bestätigung WIFI AS 332f; ÖSD Zertifikat AS 336; Bestätigung ÖIF AS 339]. Die BF2 hat einen Deutschkurs für das Niveau A1 besucht [Bestätigung Volkshochschule und Wifi AS 334f; Zeugnis ÖIF in OZ 6]. Für die BF 1 und 2 liegen Teilnahmebestätigungen für einen Workshop zum Thema „HIV/Aids“ sowie für die Teilnahme an einem Wertedialog des Frauenreferates des Landes XXXX vor [Bestätigungen AS 341ff]. Die weitere Integration wird durch zahlreiche Unterstützungs- und Empfehlungsschreiben von Privatpersonen wie auch kirchlichen Einrichtungen und ein Fotokonvolut über die Teilnahme an Gottesdiensten und Veranstaltungen bestätigt [Empfehlungsschreiben AS 338; Bestätigung der koptischen Kirche St. Georg-Linz AS 331; weiße Dokumentenmappe dem Akt beigefügt].

Für den BF1 liegen drei psychiatrisch medizinische Befundungen Dris. XXXX vor, in welchen ihm eine mittelschwere depressive Episode und eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert werden. Zur Behandlung nimmt er Mirtazapin Ftbl 15mg einmal täglich, Seractil Ftbl 300mg bei Bedarf und Pantoprazol Msr Tbl 20mg einmal täglich [Befunde in OZ 6 und weißer Dokumentenmappe]. Jenseits dieser Befundung, die ihn nicht als lebensgefährlich erkrankt ausweist, bezeichnete er sich vor dem BVwG gesund [VH-Niederschrift S. 4].

Die BF2 sowie die minderjährigen BF3 und BF4 sind gesund [VH-Niederschrift S. 4]

Die mj. BF3 besucht einen Kindergarten in der Wohnsitzgemeinde der bfP [Bestätigung in weißer Dokumentenmappe].

Der BF1 ist im September 2018 und Mai 2020 geringfügig beschäftigt gewesen und arbeitet laufend für die Gemeinde XXXX bei der Straßenreinigung, dem Winterdienst und bei der Reinigung öffentlicher Sanitäranlagen, dies in einem Ausmaß von täglich fünf Stunden. Hierbei bringt er ob der herrschenden COVID-19-Pandemie etwa EUR 60 monatlich ins Verdienen [AJ-Web-Auszug; VH-Niederschrift S. 19]. Für den BF liegen zwei Einstellzusagen der Unternehmen „XXXX“ und „XXXX“ vor [weiße Dokumentenmappe]. Die BF2 bringt sich in der Kirchengemeinde ein und reinigt die Kirche nach Gottesdiensten [VH-Niederschrift S. 19f].

Darüberhinausgehende Integrationsschritte wurden nicht vorgebracht.

Die bfP beziehen zusätzlich Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung [VH-Niederschrift S. 20; GVS-Auszug].

1.6. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines „Kalifats“ in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war diese Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden, verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Anlassbezogen ist nicht hervorgekommen, dass der BF1, auf dessen Vorbringen sich sämtliche bfP stützen, einer asylrelevanten Bedrohung durch schiitische Milizen oder durch die Polizei des Herkunftsstaates ausgesetzt gewesen wäre. Keiner der beschwerdeführenden Parteien, die der Mehrheitsbevölkerung der Araber angehören, behauptete eine asylrelevante Verfolgung und/oder Bedrohung aus Motiven ihrer ethnischen Zugehörigkeit, oder aus politischen oder religiösen Beweggründen.

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 25.09.2020

-        - ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html, Zugriff am 25.09.2020

-        BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc Zugriff am 25.09.2020

-        - GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff am 25.09.2020

-        - FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/, Zugriff am 25.09.2020

-        - Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 25.09.2020

-        UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf Zugriff am 25.09.2020

-        UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf Zugriff am 25.09.2020

-        - Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff am 25.09.2020

1.6.1. Kinder

Artikel 29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Der Irak ist dem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten (AA 12.1.2019). Das Gesetz verbietet die kommerzielle Ausbeutung von Kindern, sowie Pornografie jeglicher Art, einschließlich Kinderpornografie (USDOS 20.4.2018).

Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen und Witwen hatten oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder. Kinder, die nicht die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Humanitäre Organisationen berichten von einem weit verbreiteten Problem bezüglich Kindern, die im Gebiet des Islamischen Staates (IS) geboren worden sind und keine von der Regierung ausgestellte Geburtsurkunden erhalten. Etwa 45.000 Kinder sind davon betroffen (USDOS 11.3.2020).

Die Grundschulbildung ist für Kinder, mit irakischer Staatsbürgerschaft in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren; auch dort kostenfrei. Der gleichberechtigte Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten (USDOS 11.3.2020). Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern allerdings mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist (aktuell bei 79,7%), besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der KRI fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig (AA 12.1.2019). Mindestens 70% der Kinder von IDPs haben mindestens ein Jahr Schulunterricht verpasst (USDOS 11.3.2020). Mehr als 3,3 Millionen Kinder im Irak benötigen Unterstützung im Bildungsbereich (UNICEF 31.12.2019).

Eine Million Kinder unter 18 Jahren hatte Ende 2019 humanitären Bedarf an Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene (UNICEF 31.12.2019). Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Dabei waren, über die letzten Jahrzehnte, Kinder im Süden des Landes und in ländlichen Gebieten am stärksten betroffen (UN News 19.1.2018; vgl. UNICEF 31.1.2017). 22,6% der Kinder im Irak sind unterernährt (AA 12.1.2019). Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren sind physisch unterentwickelt bzw. im Wachstum zurückgeblieben (UNICEF 31.1.2017).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten die schlimmsten Formen von Kinderarbeit. In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Versuche der Regierung Kinderarbeit z.B. durch Inspektionen zu überwachen, blieben erfolglos. Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen, kam im ganzen Land vor (USDOS 11.3.2020).

Anlassbezogen ist nicht hervorgekommen, dass die minderjährigen Beschwerdeführer bei einer Rückkehr der sich aus den Länderberichten beschriebenen Lage von Kindern im Herkunftsstaat ausgesetzt sein könnten, zumal die vom BF1 vorgebrachten Fluchtgründe als nicht glaubhaft eingeschätzt werden konnten. Es besteht Kontakt zu den Familien der volljährigen Beschwerdeführer und konnte der BF1 die Familie bis zu deren Ausreise gut versorgen. Die vor den Organen der Sicherheitsbehörden und der belangten Behörde unsubstantiiert vorgebrachten Fluchtgründe betrafen ausschließlich Straßenkontrollen, welchen der BF1 ausgesetzt war und ob dem Zweck solcher Kontrollen nicht nur ihm, sondern auch anderen Personen gegolten haben.

Quellen:

-        - AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 25.09.2020

-        - HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 25.09.2020

-        - HRW - Human Rights Watch (6.3.2019): “Everyone Must Confess” Abuses against Children Suspected of ISIS Affiliation in Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458729/4792_1552027742_iraq0319-web-1.pdf, Zugriff 25.09.2020

-        - Migrationsverket (Schweden) (15.8.2018): Irak - familjerätt och vårdnad, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442095/4792_1535708243_180815601.pdf, Zugriff 25.09.2020

-        - New Arab, The (8.3.2019): The Iraq Report: Thousands of children tortured by Iraqi authorities, https://www.alaraby.co.uk/english/indepth/2019/3/8/the-iraq-report-thousands-of-children-tortured-by-authorities, Zugriff 25.09.2020

-        - UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 25.09.2020

-        - UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (31.12.2019): Iraq 2019 Humanitarian Situation Report, https://www.unicef.org/appeals/files/Iraq_Humanitarian_Situation_Report_End_of_Year_2019.pdf, Zugriff 25.09.2020

-        - UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (19.11.2018): Deep inequality continues to shape the lives of children in Iraq, https://www.unicef.org/press-releases/deep-inequality-continues-shape-lives-children-iraq, Zugriff 25.09.2020

-        - UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (31.1.2017): Child Poverty in Iraq: An Analysis of Child Poverty Trends and Policy Recommendations for the National Poverty Reduction Strategy 2017-202, https://reliefweb.int/report/iraq/child-poverty-iraq-analysis-child-poverty-trends-and-policy-recommendations-national, Zugriff 25.09.2020

-        - UN News – United Nations News (19.1.2018): One in four Iraqi children impacted by conflict, poverty; education key for lasting peace – UNICEF, https://news.un.org/en/story/2018/01/1000811, Zugriff 25.09.2020

-        - USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 25.09.2020

-        - USDOS - United States Department of State (20.6.2019): 2019 Trafficking in Persons Report: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2010829.html, Zugriff 25.09.2020

-        - USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 25.09.2020

1.6.2. Religionsfreiheit

Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Gemäß Artikel 2 Absatz 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 12.1.2019). Es darf kein Gesetz erlassen werden, das den „erwiesenen Bestimmungen des Islams“ widerspricht. In Absatz 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen oder Atheisten (RoI 15.10.2005; vgl. USDOS 21.6.2019).

Artikel 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 12.1.2019; vgl. ROI 15.10.2005). Artikel 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten (AA 12.1.2019; vgl. ROI 15.10.2005).

Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z.B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z.B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht (AA 12.1.2019). Das Zivilgesetz sieht einen einfachen Prozess für die Konversion eines Nicht-Muslims zum Islam vor. Die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion ist jedoch gesetzlich verboten (USDOS 21.6.2019; vgl. EASO 3.2019). Personen, die vom Islam zum Christentum konvertieren, können auf Schwierigkeiten mit den Behörden stoßen. Hauptursache für Probleme stellen in der Regel jedoch die Gesellschaft und die Familie dar (EASO 6.2019; vgl. Open Doors 4.2019). Es wird nur selten über Fälle offener Konversion vom Islam zum Christentum berichtet. Personen halten eine Konversion geheim, da Feindseligkeit gegenüber Konvertiten aus der islamischen irakischen Gesellschaft weit verbreitet sind. Familien und Stämme können die Konversion eines ihrer Angehörigen als einen Affront gegen ihre kollektive „Ehre“ interpretieren, weswegen eine offene Konversion Ächtung und/oder Gewalt durch die Gesellschaft, den Stamm, die Familie oder bewaffnete Gruppen nach sich ziehen kann (UNHCR 5.2019).

Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Sabäer-Mandäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte, wie den Kauf und Verkauf von Immobilien, durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der Regierung gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 21.6.2019).

Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 21.6.2019; vgl. UNHCR 5.2019).

Die alten irakischen Personalausweise enthielten Informationen zur Religionszugehörigkeit einer Person, was von Menschenrechtsorganisationen als Sicherheitsrisiko im aktuell herrschenden Klima religiös-konfessioneller Gewalt kritisiert wurde. Mit Einführung des neuen Personalausweises wurde dieser Eintrag zeitweise abgeschafft. Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 wurde allerdings auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen (AA 12.1.2019). Artikel 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 12.1.2019).

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Mandäer-Sabäer, Schabak und Faili Kurden). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 12.1.2019).

Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 21.6.2019).

Diskriminierung von Minderheiten durch Regierungstruppen, insbesondere durch manche PMF-Gruppen, und andere Milizen, sowie das Vorgehen verbliebener aktiver IS-Kämpfer, hat ethnisch-konfessionelle Spannungen in den umstrittenen Gebieten weiter verschärft. Es kommt weiterhin zu Vertreibungen wegen vermeintlicher IS- Zugehörigkeit. Kurden und Turkmenen in Kirkuk, sowie Christen und andere Minderheiten im Westen Ninewas und in der Ninewa-Ebene berichten über willkürliche und unrechtmäßige Verhaftungen durch Volksmobilisierungskräfte (PMF) (USDOS 11.3.2020).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten weiterhin über Druck auf ihre Gemeinschaften Landrechte abzugeben, wenn sie sich nicht stärker an islamische Gebote halten (USDOS 21.6.2019).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in religiöse Handlungen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt. (USDOS 21.6.2017).

Quellen:

-        - AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        - RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020

-        - UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (5.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/5cc9b20c4.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        - USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        - USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

-        - USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020


1.6.3 Zur Lage der Angehörigen der christlichen Glaubensgemeinschaft im Irak:

Die irakische Verfassung garantiert Religionsfreiheit und -ausübung neben Muslimen, auch für Christen, Jesiden und Sabean-Mandeans.

Schätzungen gehen davon aus, dass heute noch etwa 200.000 bis 400.000 Christen im Irak leben (zum Vergleich 2003: 1,5 Mio.) (AA 12.1.2019). Nach Angaben christlicher Führer sind weniger als 250.000 Christen im Irak verblieben (USCIRF 4.2019; vgl. USDOS 21.6.2019). Kernland der christlichen Gemeinschaften im Irak ist der Nordwesten des Landes, die Ninewa-Ebene (USCIRF 4.2019). Ca. 67% der irakischen Christen sind chaldäische Katholiken, fast 20% Mitglieder der Assyrischen Kirche des Ostens. Der Rest sind syrisch-orthodoxe, syrisch-katholische, armenisch-katholische, armenisch-apostolische, anglikanische Christen und andere Protestanten. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) gibt es etwa 3.000 evangelikale Christen (Angehörige protestantischer Freikirchen) (USDOS 21.6.2019).

Das Christentum ist per Personenstandsgesetz anerkannt und kann auf den nationalen Identitätsausweisen ausgewiesen werden. Religiöse Angelegenheiten der Christen werden durch das Amt (Diwan) für Religiöse Stiftungen für Christen, Jesiden und Mandäer/Sabäer verwaltet (USDOS 21.6.2019).

Die Situation der Christen (v. a. assyrische sowie mit Rom unierte chaldäische Christen) hat sich kirchlichen Quellen zufolge seit Ende der Diktatur 2003 stark verschlechtert. Viele Christen sehen für sich keine Zukunft im Irak. In den vergangenen Jahren sind daher hunderttausende irakische Christen ins Ausland geflohen (AA 12.1.2019). Nach dem Vormarsch des IS auf Mossul und das umliegende christliche Kernland ergriffen im Sommer 2014 zehntausende Christen die Flucht in die Kurdische Region im Irak (KRI) und vereinzelt auch nach Bagdad (AA 12.1.2019). Eine begrenzte Anzahl assyrischer und chaldäischer Christen kehrte in ihre Heimat in der Ninewa-Ebene zurück, wie z.B. nach Qaraqosh (USCIRF 4.2019). Viele warten aber noch darauf, dass die mittlerweile befreiten christlichen Städte um Mossul für eine Rückkehr sicher genug und zumindest teilweise wiederaufgebaut sind (AA 12.1.2019). Es mangelt aber an wiederhergestellter Infrastruktur, und es besteht die Gefahr von IS-Sprengfallen und Blindgängern (USCIRF 4.2019).

Christen in den von der PMF kontrollierten Städten, insbesondere im mehrheitlich christlichen Distrikt Hamdaniya in Ninewa berichten über Belästigung christlicher Frauen durch PMF-Mitglieder. Christen berichten auch über Versuche von Teilen der Zentralregierung in Bagdad, einen demographischen Wandel zu erleichtern, indem in traditionell christlichen Gebieten Land und Wohnungen für schiitische und sunnitische Muslime zur Verfügung gestellt werden (USDOS 21.6.2019). Die irakische Regierung hat Beschwerden assyrischer und chaldäischer Christen über eine illegale Enteignung ihres Landes im Anschluss an ihre vorübergehende Vertreibung durch den IS im Gouvernement Ninewa weitgehend ignoriert. Heimkehrende christliche Familien sehen sich mit einem Besitzanspruch sunnitischer Araber oder Kurden konfrontiert (USCIRF 4.2019).

Christen werden von der muslimischen Mehrheitsbevölkerung bei von muslimischen Moralvorstellungen abweichendem Verhalten, wie z.B. Alkoholverkauf, unter Druck gesetzt, manchmal auch durch PMF (DIS/Landinfo 5.11.2018).

In der KRI haben seit 2003 viele christliche Flüchtlinge aus anderen Landesteilen Zuflucht gefunden. Es gibt dort keine Anzeichen für staatliche Diskriminierung. Viele Christen haben bereits seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein in der KRI Zuflucht gefunden. Es gibt christliche Städte oder auch große christliche Viertel in Großstädten wie beispielsweise Ankawa in Erbil, in denen Christen in Frieden leben können (AA 12.1.2019). Die kurdischen Regionalregierung (KRG) hat zusätzlich zu den durch die Zentralregierung anerkannten Religionsgemeinschaften elf evangelikale und andere protestantische Kirchen registriert: die Nahda al-Qadassa Kirche in Erbil und Dohuk, die evangelische Nasari Kirche in Dohuk, die kurdisch-zamanische Kirche in Erbil, die evangelische Ashti Kirche in Sulaymaniyah, die evangelische Freikirche in Dohuk, die Baptistenkirche des Guten Hirten in Erbil, die internationale evangelische al-Tasbih Kirche in Dohuk, die Rasolia Kirche in Erbil, die Vereinigte evangelische Kirche in Erbil, die Assemblies of God in Erbil und die Kirche der Siebenten-Tages-Adventisten in Erbil. Die KRG gestattet die Registrierung neuer christlicher Kirchen ab mindestens 50 Gläubigen. Außerdem können sich christliche Gruppen beim Rat der irakischen christlichen Kirchenführer registrieren, was ihnen Zugang zu Leistungen des kurdischen Ministeriums für Stiftungen und religiöse Angelegenheiten (MERA) und christlichen Stiftung gewährt (USDOS 21.6.2019).

Es gibt 56 syriakische Schulen in der KRI und die syriakische Sprache ist in jenen Verwaltungseinheiten, in denen Christen in großer Dichte auftreten, als Amtssprache anerkannt (USDOS 21.6.2019).

Quellen:

-        - AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        - DIS/Landinfo - Danish Immigration Service; Norwegian Country of Origin Information Center (5.11.2018): Northern Iraq: Security situation and the situation for internally displaced persons (IDPs) in the disputed areas, incl. possibility to enter and access the Kurdistan Region of Iraq (KRI), https://www.ecoi.net/en/file/local/1450541/1226_1542182184_iraq-report-security-idps-and-access-nov2018.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        - USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        - USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020

1.6.4. Berufsgruppen:

Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat des BF geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien (AA 12.01.2019).

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird - fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen (AA 12.1.2019; vgl. USDOS 21.6.2019), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 12.1.2019).

Der BF war als Bäcker, Autoreiniger und Taxifahrer und zuletzt von 2011 bis 2016 als Zeitarbeiter für die Gemeinde in XXXX tätig; er machte eine Ausbildung zum XXXX. Er gehörte keiner der im Herkunftsstaat als gefährdet angesehenen Berufsgruppen an. Auch hat keinem Zeitpunkt behauptet und dargetan, wegen der von ihm ausgeübten Berufe einer asylrelevanten Verfolgung bzw. Bedrohung ausgesetzt gewesen zu sein.

Quellen:

-        - AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 25.09.2020

-        - USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 25.09.2020

1.6.5. Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben maximal eine Stunde vom nächstgelegenen Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche, wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser mit eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, doch haben viele aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Sämtliche Beschwerdeführer gaben zuletzt vor dem Bundesverwaltungsgericht an, gesund und frei von Medikamenteneinnahme zu sein, welche zu bewusstseinsverändernder Wirkung führen würden. Aktenkundig sind für den BF1 drei psychiatrisch medizinische Befundungen Dris. XXXX, in welchen ihm eine mittelschwere depressive Episode und eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert wurden. Zur Behandlung nimmt er Mirtazapin

Ftbl 15mg einmal täglich, Seractil Ftbl 300mg bei Bedarf und Pantoprazol Msr Tbl 20mg einmal täglich [Befunde in OZ 6 und weißer Dokumentenmappe]. Jenseits dieser Befundung bezeichnete sich der BF1 vor dem BVwG gesund [VH-Niederschrift S. 4]. Keine der beschwerdeführenden Parteien leidet an einer lebensbedrohlichen Erkrankung.

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 25.09.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff 25.09.2020

-        IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff 25.09.2020

-        UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf, Zugriff 25.09.2020

-        WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff 25.09.2020

1.7. Aus den Angaben der beschwerdeführenden Parteien lassen sich keine Anhaltspunkte dahin entnehmen, dass sie mit den Behörden, der Polizei oder den Gerichten des Herkunftsstaates etwa wegen ihres vormaligen Religionsbekenntnisses, ihrer ethnischen Zugehörigkeit zur Mehrheitsbevölkerung der Araber und Kurden oder aus politischen Gründen Probleme gehabt hätten. Es gibt auch keinerlei Hinweise in die Richtung, dass sie oder die Angehörigen ihrer Kernfamilie politisch aktiv gewesen wären oder als Mitglied einer politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates angehört hätten.

Im Beschwerdeverfahren, das auch der Ermittlung ihrer Lebensumstände vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat diente, kam hervor, dass die bfP, abgesehen von den vom BF1 behaupteten, jedoch nicht glaubhaft gemachten Schikanen im Zuge von Straßenkontrollen, keinen staatlichen Akten ausgesetzt waren, die ausschließlich ihnen gegolten haben. Erst vor der belangten Behörde gaben die bfP an, zum Christentum des koptisch-orthodoxen Ritus konvertiert zu sein.

Die beschwerdeführenden Parteien, allen voran der BF1, hatten zu keinem Zeitpunkt Kontakt mit Angehörigen einer Miliz. Auch wurde kein Mitglied der beschwerdeführenden Familie je dazu angeworben, für diese oder eine andere (schiitische) Miliz zu kämpfen. Auch sind keine Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die bfP (weitere) Berührungspunkte mit dieser oder einer anderen, im Herkunftsstaat aktiven Miliz gehabt hätten.

Ebenso konnte nicht festgestellt werden, dass auch nur einer der Beschwerdeführer mit Angehörigen derselben Glaubensrichtung oder einer anderen im Herkunftsstaat beheimateten Glaubensrichtungen Probleme gehabt hätte.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und die in der Folge getroffenen (sachverhaltsbezogenen) Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, sowie aus den niederschriftlich protokollierten Angaben des BF1 und der BF2 anlässlich ihrer Befragung durch die Organe der belangten Behörde.

2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Parteien:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache zu Identität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer Feststellungen getroffen wurden, beruhen diese im Wesentlichen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, die von den volljährigen BF1 und BF2 vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, andererseits vor den Organen der belangten Behörde getätigt wurden und auf den im Akt befindlichen Kopien der vorgelegten Dokumente und Urkunden. Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

Die zu ihrer Ausreise aus dem Irak, zur weiteren Reiseroute und zur Einreise ins Bundesgebiet getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin anlässlich ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor den Organen der Sicherheitsbehörde, die im Wesentlichen unbestritten geblieben sind und daher der gegenständlichen Entscheidung im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden konnten.

Die Konstatierungen zur schulischen Ausbildung des BF1 und der BF2 sowie dass der BF1 im Irak den Lebensunterhalt der Familie durch die in den Feststellungen näher beschriebenen Tätigkeiten bestreiten konnte, gründen auf den Angaben der bfP anlässlich ihrer stattgehabten PV in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht [VH-Niederschrift S. 6 und S. 11ff].

Die Feststellungen zu den im Irak lebenden Familienmitgliedern der bfP und dem zu diesen bestehenden Kontakt ergeben sich aus den glaubhaften Angaben der volljährigen BF1 und BF2 vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht [Niederschrift-BFA des BF1 AS 148f; Niederschrift-BFA der BF2 AS 140; VH-Niederschrift S. 15ff].

Die Konstatierungen zum gesundheitlichen Zustand der bfP ergeben sich aus ihren Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht und den Angaben vor der belangten Behörde. Die Feststellungen, wonach der BF1 unter einer mittelschweren depressiven Episode und einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, waren anhand von drei vorliegenden psychiatrischen Befunden Dris. XXXX [OZ 6 und weiße Dokumentenmappe] zu treffen. Aus diesen ergibt sich die für den BF1 empfohlene medikamentöse Therapie von Mirtazapin Ftbl 15mg einmal täglich, Seractil Ftbl 300mg bei Bedarf und Pantoprazol Msr Tbl 20mg einmal täglich. Jenseits dieser Befundung bezeichnete sich der BF1 vor dem BVwG als gesund. Da er sich vor

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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