TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/15 W276 2181089-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.10.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

15.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W276 2179685-1/15E

W276 2181089-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Gert WALLISCH als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX geb. XXXX (alias XXXX ) (BF1) und 2. XXXX , geb. XXXX (BF2), beide Staatsangehörigkeit Afghanistan, BF1 vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich und BF2 vertreten durch das Magistrat der Stadt Wien (MA11), Wiener Kinder- und Jugendhilfe, Gruppe Recht und Asylvertretung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1. vom 14.11.2017, 1. Zl. XXXX und 2. vom 16.11.2017 Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.08.2020 zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Beschwerdeführer („BF1“ und „BF2“, gemeinsam „BF“) reisten unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 17.11.2015 in Österreich gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz.

I.2. Bei der Erstbefragung des Erstbeschwerdeführers (BF1) vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 24.11.2015 gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass die Familienangehörige seines Vaters für die Taliban gearbeitet hätten. Sie hätten ihr Vieh auf ihrem Grund geweidet. Sein Vater habe sich darüber beschwert. Daraufhin seien fünfundzwanzig Taliban zu ihnen nach Hause gekommen. Sie hätten seinen Vater getötet und seine Schwester schwer verletzt. Aufgrund dieses Angriffes seien sie aus Angst um ihr Leben vor ca. sieben Jahren nach Pakistan geflohen. Vor zwei Jahren seien sie aus Pakistan zurück nach Afghanistan in ihr Heimatdorf gezogen. In Afghanistan sei es nicht sicher für sie. Sie hätten Angst um ihr Leben, deshalb seien sie nach Europa geflohen.

Der Zweitbeschwerdeführer (BF2) gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass sie, nachdem sein Vater von seinen Familienangehörigen getötet worden sei, nach Pakistan geflohen seien. In Pakistan hätten sie keine Flüchtlingskarte gehabt. Viele afghanische Flüchtlinge seien aus Pakistan abgeschoben worden. Aus diesem Grund sei er mit seiner Familie nach Afghanistan zurückgekehrt, doch dort habe für sie Gefahr geherrscht. Daher habe seine Mutter sie nach Europa geschickt.

Die BF verwiesen auf ihren älteren Bruder, XXXX (Zl. W276 2179681-1), mit dem sie gemeinsam aus Afghanistan ausgereist seien, den sie jedoch während der Reise verloren hätten und der mittlerweile ebenfalls in Österreich aufhältig sei.

I.3. Bei der Einvernahme des BF1 am 28.03.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl („BFA“) gab dieser an, dass er der Volksgruppe der Paschtunen angehöre und sunnitischer Muslim sei. Er sei in XXXX geboren und im Alter von etwa vier Jahren seien sie nach Pakistan gegangen, wo sie acht bis neun Jahre verbracht hätten. Sie seien dann nach XXXX zurückgekehrt und hätten dort zwei Jahre gelebt, bevor sie erneut nach Pakistan fliehen hätten müssen. Sie seien zwei Jahre in Pakistan gewesen, seien dann aber erneut nach Afghanistan zurückgekehrt und seien in die Stadt XXXX gezogen, wo sie bis zur ihrer Flucht gelebt hätten. Er habe fünf Jahre lang die Grundschule besucht. Vor ca. acht Jahren sei sein Vater verstorben und seine beiden ältesten Brüder seien verschollen. Seine Mutter lebe bei seinen Cousins mütterlicherseits in XXXX . Seine Schwester lebe ebenfalls in Afghanistan und sei seit einem Jahr verheiratet. Er stehe zu seiner Mutter und seiner Schwester in Kontakt. Ein Teil seiner (Stief-)Verwandtschaft lebe in XXXX ein anderer Teil in XXXX . Ein Onkel mütterlicherseits lebe in XXXX , der zweite Onkel mütterlicherseits sei die Woche davor verstorben. Die Familie des BF1 habe 20-25 Jirib Grundstücke und ein Eigentumshaus im Heimatort. In Österreich wohne ein Cousin der BF.

Zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates gab der BF1 an, dass es in seinem Heimatort einen Nachbarn, der der Cousin seines Vaters gewesen sei, gegeben habe. Dieser habe immer Taliban bei sich gehabt. Es habe daneben eine Hauptstraße gegeben, wo viel Verkehr gewesen sei. Sie hätten die Autos angehalten und die Leute, die mit der Regierung arbeiteten, getötet. Sie hätten sie gefragt, ob sie sich bei ihnen verstecken könnten. Es habe einen kleinen Raum bzw. ein „Häuschen“ vor ihrer Wohnung gegeben. Dort hätten sie Sachen verstecken wollen. Sein Vater habe dies abgelehnt. Sie hätten auch ein paar weitere Male gefragt, aber sein Vater habe nichts mit den Taliban zu tun haben wollen und habe immer abgelehnt. Am nächsten Tag seien 25 Taliban in ihr Haus eingebrochen. Sie hätten sie alle töten wollen. Sein Vater sei getötet worden und seine Schwester sei siebenmal getroffen worden. Das sei 2008 gewesen. Sie sei ca. 25 Tage im Spital gewesen. Seine Schwester sei sehr schwer verletzt gewesen. Sie hätten sie, wegen der besseren Behandlungsmöglichkeiten, nach XXXX gebracht. Sein Onkel habe für sie dann die Reise nach Pakistan vorbereitet. Zwei Jahre seien sie dort gewesen, bis sie nach XXXX gezogen seien. Ihr Onkel habe gesagt, dass die Personen sie immer noch suchten und es nicht sicher für sie sei. Sie hätten einen Teil ihrer Grundstücke verkauft, damit sie so rasch wie möglich Afghanistan verlassen hätten können.

Bei der Einvernahme des BF2 am 06.09.2017 vor dem BFA gab dieser an, dass er der Volksgruppe der Paschtunen angehöre und sunnitischer Muslim sei. Er sei in XXXX geboren. Sie seien zweimal nach Pakistan gezogen, wo sie mehrere Jahre gelebt hätten, bevor sie endgültig nach Afghanistan zurückgekehrt seien. Der BF2 habe ein Jahr lang eine Koranschule besucht. Sein Vater sei verstorben. Seine Mutter, seine verheiratete Schwester und seine Cousins und Cousinen seien in XXXX . Zwei seiner Brüder seien in Afghanistan verschwunden. Er habe auch Verwandte väterlicherseits zu denen er aber keinen Kontakt habe und nicht wisse, wo sie seien. Der Sohn seines verstorbenen Onkels mütterlicherseits kümmere sich um seine Mutter. Sie hätten Grundstücke und ein Haus.

Der BF2 gab zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates an, dass er nicht wirklich wisse, was passiert sei. Seine Mutter habe ihm nicht viel erzählt. Sie habe gesagt, dass sein Vater bald wieder zurückkommen würde. Er habe Afghanistan verlassen müssen, das sei alles, was er wisse. Erst in Österreich habe er erfahren, dass sein Vater ermordet worden sei. Er könne seine Mutter nicht fragen, weil diese Herzprobleme habe und er wolle nicht, dass ihr etwas passiere, wenn sie sich aufrege. Er habe nur so ein Gefühl gehabt, dass es für sie ein Problem gebe. Seine Brüder wüssten mehr als er. Was diese zu ihren Fluchtgründen sagten, gelte auch für ihn.

I.4. Mit den angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde vom 14.11.2017 und vom 16.11.2017 wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen festgelegt (Spruchpunkt VI).

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass es den BF nicht gelungen sei, asylrelevante Fluchtgründe glaubhaft zu machen. Das Ermittlungsverfahren habe auch keine Gründe ergeben, die zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz gem. § 8 AsylG 2005 führen könnten.

I.6. Gegen diese Bescheide brachten die BF rechtzeitig Beschwerde ein. In der Beschwerde des BF1 wurde vorgebracht, dass der BF durch seinen Stiefonkel, der ein Talib sei, aufgrund seiner Weigerung, diesem das Grundstück zu überlassen bzw. diesen zu unterstützen, aufgrund seiner politischen Gesinnung verfolgt werden würde. Auch außerhalb seiner Herkunftsprovinz würde der BF aufgrund der Schattenstruktur der Taliban eine Verfolgung befürchten. Es wurden diverse Länderberichte zur Sicherheits- und Versorgungslage in XXXX , Herat und Mazar-e Sharif zitiert. In der Beschwerde des BF2 wurde ausgeführt, dass für ihn die Gefahr bestehe, als Mitglied der sozialen Gruppe der Familie bei einer Rückkehr in sein Heimatland verfolgt zu werden. Er liefe Gefahr, aufgrund der Grundstücksstreitigkeiten seines Vaters von den Verwandten, welche mit den Taliban in Verbindung stünden, getötet zu werden.

I.7. Am 26.11.2018 langte eine Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX von der Anklageerhebung gegen den BF1 wegen § 27 Abs. 2a SMG iVm § 15 StGB beim BVwG ein.

I.8. Am 14.12.2018 langte der Protokollsvermerk und die gekürzte Urteilsausfertigung des LG für Strafsachen XXXX betreffend den BF1 beim BVwG ein.

I.9. Am 20.05.2020 wurde das BVwG von der Staatsanwaltschaft XXXX über die Anklageerhebung gegen den BF1 wegen § 83 Abs. 1 StGB verständigt.

I.10. Am 10.06.2020 langte eine vorbereitende Stellungnahme betreffend des BF2 beim BVwG ein.

I.11. Am 12.08.2020 wurde dem BVwG der Protokollsvermerk und die gekürzte Urteilsausfertigung des BG XXXX betreffend den BF1 übermittelt.

I.12. Am 12.08.2020 fand vor dem BVwG eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein der BF und ihrer Rechtsvertretung bzw. gesetzlichen Vertretung sowie einem Vertreter der belangten Behörde statt. Die Beschwerdeverfahren der BF und ihres älteren Bruders, XXXX , dessen Asylverfahren ebenfalls bei der Gerichtsabteilung W276 anhängig war (Zl. W276 2179681-1), wurden gemäß § 39 Abs. 2 AVG aufgrund der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Kostenersparnis zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. XXXX ist allerdings unentschuldigt nicht zur Verhandlung erschienen. Die BF erklärten über Nachfrage, dass sie zu ihrem älteren Bruder Kontakt hätten und dieser sich in Paris befinde. Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts sowie Akteneinsicht wurde verzichtet. Die BF legten weitere Bescheinigungsmittel vor. Von dem erkennenden Richter wurden Länderberichte und zahlreiche weitere Länderinformationen in das Verfahren eingebracht (vgl Pkt II.2 dieses Erkenntnisses). Die BF und ihre Rechtsvertretung bzw. gesetzliche Vertretung verzichteten auf eine schriftliche Stellungnahme zu den eingebrachten Länderberichten.

1.13. Das Beschwerdeverfahren von XXXX (Zl. W276 2179681-1) wurde mit Beschluss vom 23.09.2020 gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG iVm § 24 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 und § 24 Abs. 2 AsylG 2005 eingestellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II. 1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die BF führen die im Spruch genannten Namen, sind afghanische Staatsangehöriger und gehören der Volksgruppe der Paschtunen an. Sie bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF ist Paschtu. Die Feststellungen zur Identität der BF gelten ausschließlich für die Identifizierung ihrer Person im Asylverfahren.

Die BF sind in der Provinz Nangarhar geboren und sind sowohl dort als auch in Pakistan aufgewachsen. Sie haben jedenfalls von Oktober 2007 bis Oktober 2009 in dem Dorf XXXX , im Distrikt Deh Bala, auch Haka Mena in der Provinz Nangarhar sowie spätestens ab 2011 bis 24.05.2015 in der Stadt XXXX bei ihrem Onkel mütterlicherseits gelebt. Der BF1 hat fünf Jahre lang eine Schule in Afghanistan besucht. Der BF2 hat eine Koranschule besucht und kann auf Paschtu lesen. Die Familie des BF besitzt 20-25 Jirib Grundstücke in der Provinz Nangarhar, durch deren Erträge sie für ihren Lebensunterhalt aufgekommen sind. Der Vater des BF war Bauer. Diese Grundstücke werden mittlerweile von den Söhnen ihres Onkels mütterlicherseits verwaltet. Ein Bauer zahlt den Pachtzins an die Mutter der BF. Ein kleiner Teil der Grundstücke wurde zur Finanzierung der Flucht der BF von einem ihrer Onkel mütterlicherseits verkauft.

Der Vater der BF ist verstorben. Ihre beiden ältesten Brüder gelten als verschollen. Ihre Mutter lebt beim Cousin mütterlicherseits bzw. Schwager der BF in der Stadt XXXX . Die Schwester der BF ist mit ihrem Cousin mütterlicherseits verheiratet. Die BF stehen zu ihrer Mutter und ihrer Schwester in Kontakt. In XXXX haben die BF noch andere Cousins und Cousinen mütterlicherseits. Die beiden Onkel der BF mütterlicherseits sind nach ihrer Ausreise aus Afghanistan verstorben. Ihr Stiefonkel väterlicherseits lebt in XXXX , zu diesem besteht kein Kontakt. Andere Stiefverwandte väterlicherseits leben in XXXX . Ihr Bruder XXXX hält sich in Paris auf.


II.1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

II.1.2.1. Die BF waren oder wären zukünftig, aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten, keiner persönlichen Bedrohung oder Verfolgung durch ihre Stiefverwandten oder die Taliban in Afghanistan ausgesetzt.

Den BF drohen im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund einer ihnen zumindest unterstellten politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie individuell und konkret weder Eingriffe in ihre körperliche Integrität noch Lebensgefahr durch ihre Stiefverwandten, die Taliban oder durch andere Personen.

II.1.2.2. Dem BF2 ist es möglich, sich wieder in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren. Ihm droht aufgrund seines Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation für Minderjährige in Afghanistan weder physische oder psychische Gewalt noch ist er deswegen einer Verfolgung oder Lebensgefahr ausgesetzt.

II.1.3. Zur Situation der BF in Österreich:

Die BF befinden sich spätestens seit 17.11.2015 durchgehend im Bundesgebiet und sind illegal eingereist.

Der BF1 wurde vom LG für Strafsachen XXXX am 05.12.2018 wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach den §§ 27 Abs. 2a SMG iVm 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, die für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Er hat am 10.11.2018 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten BF2 als Mittäter gemäß § 12 StGB vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar Marihuana (enthaltend die Wirkstoffe Delta-9-THC und THCA in zumindest durchschnittlicher Straßenqualität), auf einer öffentlichen Verkehrsfläche vor zumindest 30 Personen anderen gegen Entgelt zu A./ überlassen, indem der BF1 gemeinsam mit dem BF2 zwei verdeckten Ermittlern 2,5 Gramm netto und 1,6 Gramm netto um insgesamt EUR 60, -- verkaufte; zu B./ überlassen versucht, indem er und der BF2 weitere 2,4 Gramm netto zum unmittelbar bevorstehenden Verkauf mit sich führten. Mildernd wurde der bisherige Lebenswandel des BF1, der teilweise Versuch, das reumütige Geständnis, die Sicherstellung des Suchtgiftes und das Alter unter 21 Jahren gewertet. Erschwerend wurde kein Umstand angesehen.

Am 16.07.2020 wurde der BF1 vom BG XXXX wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, zu einer Geldstrafe im Ausmaß von zweihundert Tagessätzen á EUR 4, --, sohin eine Gesamtgeldstrafe von EUR 800, -- und für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe 100 Tage Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt. Er hat am 05.03.2020 zwei Personen durch Versetzen von Faust- und Fußtritten gegen den Körper verletzt, wodurch eine Person eine kleine blutende Stelle am linken Ohrläppchen und die andere Person eine linksseitig aufgeplatzte Oberlippe erlitt. Erschwerend war eine Vorstrafe, mildernd waren keine Umstände. Gemäß § 494a StPO wurde vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu XXXX abgesehen, jedoch die Probezeit auf insgesamt 5 Jahre verlängert.

Der BF2 ist strafrechtlich unbescholten, allerdings wurde schon diverse Male strafrechtlich gegen ihn ermittelt. Ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts nach §§ 105, 107 Abs. 1, 107a, 107b StGB wurde gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt, weil kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung bestand. Laut dem BF2 sei ein weiteres Verfahren wegen des Verdachts auf Stalking sowie sieben bis acht Vorfälle wegen Rauferei eingestellt worden. Es habe auch manchmal Probleme mit Mitschülern gegeben, wegen denen die Polizei gekommen sei, das sei aber alles eingestellt worden.

Der BF1 ist gesund. Beim BF2 wurde mit Arztbrief vom 08.06.2017 eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert und ein Schlafmittel verschrieben. Mit Arztbrief vom 15.09.2017 wurde als Medikation XXXX 75 mg empfohlen, welches man bei starkem Hangover auf 1/3 reduzieren bzw. absetzen könne. Möglich wäre auch eine Bedarfsmedikation an den Tagen, an denen der BF2 sich nicht müde fühle. Es wurden keine aktuelleren medizinischen Befunde vorgelegt. Er nimmt derzeit keine Medikamente und steht nicht in ärztlicher Behandlung. Es geht ihm gesundheitlich gut.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF2 an schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leidet. Der Gesundheitszustand des BF2 steht seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht entgegen.

Die BF sind arbeitsfähig.

Die BF leben von der Grundversorgung. Sie sind in Österreich nie einer Beschäftigung bzw. Erwerbstätigkeit nachgegangen, und somit in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig. Der BF1 hat eine mündliche Einstellungszusage bei einer Pizzeria.

Der BF1 hat Deutschkurse besucht und spricht bereits gut Deutsch. Er hat das Modul 3 und das Modul 6 eines Basisbildungskurses abgeschlossen. Außerdem hat er an einem Lehrgang zur Vorbereitung auf den externen Pflichtschulabschluss teilgenommen. Er hat bis dato die Prüfungen „Englisch – Globalität und Transkulturalität“, „Natur und Technik“, „Gesundheit „Soziales“ und „Berufsorientierung“ abgelegt. Er arbeitet alle zwei Jahre 72 Stunden lang ehrenamtlich bei der katholischen Jugend. Er ist kein Mitglied in einem Verein und nimmt, bis auf einen einmaligen Kinobesuch mit einem Betreuer, nicht an kulturellen Veranstaltungen teil. Er geht ins Fitnessstudio. Er hat eine Freundin und auch mehrere Freunde.

Der BF2 spricht bereits gut Deutsch. Er hat in den Schuljahren 2015/16 und 2016/17 eine Neue Mittelschule als außerordentlicher Schüler besucht. Die 7. und 8. Schulstufe hat er als ordentlicher Schüler besucht und abgeschlossen. Danach hat er das Polytechnikum besucht. Er ist kein Mitglied in einem Verein und geht keinen ehrenamtlichen oder gemeinnützigen Tätigkeiten nach. Er geht in der Natur laufen und manchmal ins Fitnessstudio. Er hat österreichische, arabische und afghanische Freunde.

Ein Cousin mütterlicherseits der BF lebt seit zwanzig Jahren in Österreich. Der BF1 lebt bei diesem Cousin. Es besteht keine finanzielle oder sonstige Abhängigkeit zwischen dem BF1 und dem Cousin mütterlicherseits. Auch eine besonders intensive, über die üblichen verwandtschaftlichen Maße, hinausgehende Beziehung zwischen den beiden besteht nicht. Dem Cousin mütterlicherseits wurde anfangs die Obsorge des BF2 übertragen, aufgrund von Problemen wurde ihm diese am 04.07.2017 entzogen.

II.1.4. Zur Situation im Fall der Rückkehr nach Afghanistan:

Den BF würde bei einer Überstellung nach Afghanistan in die Provinz Nangarhar ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK drohen.

Ihnen steht jedoch eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in den Städten Herat und Mazar-e-Sharif zur Verfügung. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Herat und Mazar-e-Sharif können die BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die BF können von ihren Familienangehörigen in der Stadt XXXX finanziell unterstützt werden. Sie können zudem Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Sie können selbst für ihr Auskommen und Fortkommen sorgen.

Dem BF2 ist es möglich, sich in den Städten Herat und Mazar-e-Sharif an die sozialen und kulturellen Gegebenheiten anzupassen, nämlich neue Kontakte zu knüpfen, die Schule zu besuchen, einen Beruf zu lernen und die Sprachkenntnisse über die Muttersprache zu vertiefen. Ihm droht dort auch weder Missbrauch noch sexuelle Übergriffe, Entführungen, Zwangsheirat, Zwangsarbeit oder Ausbeutungen oder Gefahren durch explosive Kriegsrückstände.

Es ist den BF somit möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Afghanistan in die Städte Herat und Mazar-e-Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Im Hinblick auf die derzeit bestehende Pandemie, aufgrund des Corona-Virus, ist festzuhalten, dass die BF aktuell 22 und 16 Jahre alt und gesund sind bzw. keine relevanten Vorerkrankungen aufweisen, womit sie nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen fällt (s. Pkt. II.1.5.3.). Ein bei einer Überstellung der BF nach Afghanistan vorliegendes „real risk“ einer Verletzung des Art. 2 oder 3 EMRK ist hierzu nicht erkennbar.

II.1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

II.1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.07.2020:

Allgemeine Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil, nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten. Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren

Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten. Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand.

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück.

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war.

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018.

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17), landesweit betrug die Zahl 88. Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte.

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen. Der ISKP bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt. Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt. Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich.

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan.

Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel.

Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan.

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren.

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern. Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen.

49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert. Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen. Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt.

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen.

Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen

Taliban

Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte der Taliban erfolgt: sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura ist für die Rekrutierung verantwortlich (LI 29.6.2017).

In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren (DAI/CNRR 10.2016), wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden (LI 29.6.2017). Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen (LI 29.6.2017). Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (EASO 6.2018).

Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junge, desillusionierte Männer, deren Motive der Wunsch nach Rache und Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe (LI 29.6.2017).

Vor einigen Jahren waren Mittel wie Pamphlete, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web-basierter Verbreitung wichtige Instrumente des Propagandaapparats. Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook haben sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt, sie dienen auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potentiellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Die Taliban haben verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations-und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut. Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke (LI 29.6.2017).

Die Entscheidung, Rekruten zu mobilisieren, wird von den Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Gemeindevorstehern getroffen. Dadurch wird dies nicht als Zwangsrekrutierung wahrgenommen, da die Entscheidungen der Anführer als legitim und akzeptabel gesehen werden. Personen, die sich dem widersetzen, gehen ein Risiko ein, dass sie oder ihre Familien bestraft oder getötet werden (DAI/CNRR 10.2016; vgl. EASO 6.2018), wenngleich die Taliban nachsichtiger als der ISKP seien und lokale Entscheidungen eher akzeptieren würden (TST 22.8.2019).

Quellen haben bestätigt, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen. Die Gruppe der Stammesältesten ist gezielten Tötungen ausgesetzt. Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind (LI 27.6.2017). Eine Quelle verweist hier auf Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfern verweigert haben. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Mehrere Gesprächspartner von Landinfo, einschließlich einer NGO, die in Taliban-kontrollierten Gebieten arbeitet, meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher heute vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen. Bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft müssen Kämpfer vor Ort mobilisiert werden. In einem solchen Fall mag es schwierig sein, sich zu entziehen. Die erweiterte Familie kann einer Quelle zufolge allerdings auch eine Zahlung leisten, anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich freizukaufen. Es ist bekannt, dass – wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen – die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, die die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen (LI 29.6.2017).

Kabul

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-20 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht, expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile – auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) – zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-20 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den „jüngsten Einwanderern“ (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen: Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man „seine Nachbarn nicht mehr kenne“ (AAN 19.3.2019).

Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art „Dorfgesellschaft“ entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018).

Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden – so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 2.9.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command – Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 1.563 zivile Opfer (261 Tote und 1.302 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020).

Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden (KP 27.3.2019; vgl. TN 26.3.2019, SAS 26.3.2019, TN 23.10.2018,. KP 23.10.2018, KP 9.7.2018). Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch (TN 7.8.2019; vgl. PAJ 7.7.2019, TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019). Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet (TN 7.8.2019) und verhaftet (TN 7.8.2019; PAJ 7.7.2019; vgl TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019), sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert (TN 9.6.2019; vgl. PAJ 28.5.2019).

Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 22% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. (UNAMA 2.2020).

Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.9.2019; vgl KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.1.2019; vgl. KP 9.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 9.1.2019; vgl. TN 10.1.2019), Chemtal (TN 11.9.2018; vgl. TN 6.7.2018), Dawlatabad (PAJ 3.9.2018; vgl. RFE/RL 4.9.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.4.2019) an.

Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.8.2019; vgl. 10.8.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.8.2019).

Herat

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere „temporäre“ Distrikte – Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) –, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).

Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).

Auf Seiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 400 zivile Opfer (144 Tote und 256 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einer Steigerung von 54% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020).

In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).

Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).

Nangarhar

Nangarhar liegt im Osten Afghanistans, an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Die Provinz grenzt im Norden an Laghman und Kunar, im Osten und Süden an Pakistan (Tribal Distrikts Kurram, Khyber und Mohmand der Provinz Khyber Pakhtunkhwa) und im Westen an Logar und Kabul (NPS o.D.na; vgl. UNOCHA 16.4.2010, UNOCHA 4.2018na). Die Provinzhauptstadt von Nangarhar ist Jalalabad (NPS o.D.na; vgl. OPr 1.2.2017na). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Achin, Bati Kot, Behsud, Chaparhar, Dara-e-Nur, Deh Bala (auch Haska Mena (AB19.9.2016; VOA 28.6.2019)), Dur Baba, Goshta, Hesarak, Jalalabad, Kama, Khugyani, Kot, Kuzkunar, Lalpoor, Muhmand Dara, Nazyan, Pachiragam, Rodat, Sher Zad, Shinwar und Surkh Rud (CSO 2019; vgl. IEC 2018na, UNOCHA 4.2014na, NPS o.D.na) sowie dem temporären Distrikt Spin Ghar (CSO 2019; vgl. IEC 2018na).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Nangarhar für den Zeitraum 2019-20 auf 1.668.481 Personen – davon 263.312 Einwohner in der Hauptstadt Jalalabad (CSO 2019). Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Pashai, Arabern und Tadschiken (NPS o.D.na). Mitglieder der Sikh- und Hindu-Gemeinschaft lebten in der Provinz Nangarhar, insbesondere in und um Jalalabad (AAN 23.9.2013). Viele von ihnen haben Afghanistan aus unterschiedlichen Gründen wie z.B. Unsicherheit verlassen. Mit Stand September 2018 lebten noch 60 Familien in der Gemeinde in Nangarhar (SW 23.9.2018).

Die asiatische Autobahn AH-1 führt durch die Distrikte Surkhrod, Jalalabad, Behsud, Rodat, Batikot, Shinwar, Muhmand Dara zum afghanisch-pakistanischen Grenzübergang Torkham (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA 4.2014na). Die Provinz, die an die ehemaligen Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) Pakistans grenzt, dient als inoffizieller Korridor für in- und ausländische Aufständische (AAN 27.9.2016; vgl. VOA 28.6.2019; PF 15.5.2019; NA 25.1.2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 war Nangarhar in der östlichen Region die führende Provinz beim Schlafmohnanbau, obwohl die Anbaufläche 2018 im Vergleich zu 2017 um 9% gesunken ist. Der Rückgang betraf die Distrikte Khogyani, Chaparhar und Lalpoor, während in Kot, Shinwar und Achin ein Anstieg verzeichnet wurde. Die meisten staatlich durchgeführten Mohnvernichtungsaktionen fanden in der Provinz Nangarhar statt (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

In Nangarhar, die als strategische Provinz gilt (RY 27.4.2019), war seit 2011 eine Verschlechterung der politischen und sicherheitspolitischen Situation zu beobachten (AAN 27.9.2016; vgl. TBIJ 30.7.2018, NA 25.1.2018). Korruption, lokale Machtkämpfe und das Versagen, effektive Dienstleistungen zu erbringen, untergruben das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanische Regierung, die die Bevölkerung ungeschützt gegen Aufständische zurückließ, aber auch der Rückzug der internationalen Streitkräfte in der Provinz ab dem Jahr 2013 trug dazu bei (AAN 27.9.2016). Nichtsdestotrotz sind Bemühungen der Regierung auf dem Weg, um Sicherheit zu gewährleisten, Landraub und Korruption vorzubeugen sowie die Koordinierung zwischen den Sicherheits- und Rechtsorganen zu verbessern (PAJ 20.1.2019). So arbeitet die UNAMA auch weiterhin auf lokaler Ebene mit ansässigen Gemeinschaften und Behörden, um Frieden und Konfliktlösungsbemühungen umzusetzen und voranzutreiben; so auch in der Provinz Nangarhar, wo UNAMA eine Friedensjirga zwischen zwei Stämmen im Distrikt Sher Zad einberief – an der zum ersten Mal auch Frauen eine aktive Rolle einnahmen. Diese Jirga führte zu einem Beschluss über die Verteilung von Wasser, der auch angenommen wurde (UNGASC 14.6.2019).

Auch ebnete ein politisches und militärisches Vakuum, das die Provinz seit Jahren heimgesucht hatte, rund um das Jahr 2016 den Weg für den Aufstieg des afghanischen Z

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten