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10/11 Vereins- und VersammlungsrechtNorm
EMRK Art11 Abs2Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Untersagung einer Versammlung an einem Verkehrsknotenpunkt der Westautobahn A1 ohne Ausweichmöglichkeiten wegen der zu erwartenden extremen Störung des StraßenverkehrsSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Mit Eingabe vom 12. Juli 2019 zeigten die Beschwerdeführer der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land für den 22. September 2019 ("autofreier Tag") eine Versammlung mit der Bezeichnung "Klima- statt Transitautobahnmilliarden! Verkehrswende jetzt! Global denken – lokal handeln!" an, die mit einer Kundgebung auf einem Streckenabschnitt der Westautobahn A1 bei Haid in Fahrtrichtung Salzburg enden sollte. Die Versammlungsanzeige lautet auszugsweise wie folgt:
"Treffpunkt ist um 11 Uhr vor dem Bahnhof Ansfelden (Parkplatz/Erlebnisbad). Dort gibt es eine kurze Auftaktkundgebung.
Ab ca. 11.30 Uhr Abmarsch auf der Industriestraße bis zum Kreisverkehr, weiter in der Doktor-Adolf-Schärf-Straße, dann die Weberstraße entlang, Richtung links in die Schulstraße, dann wieder Richtung rechts in die Doktor-Adolf-Schärf-Straße bis zum Platz vor dem Stadtamt, wo eine kurze Zwischenkundgebung stattfindet.
Anschließend schwenken wir nach rechts in die Salzburger Straße und gehen Richtung Kremstalstraße, wo wir links einbiegen und dann nach rechts in den Janshartweg weiter gehen. Wir marschieren bis zum Wasserwald, wo eine kurze Zwischenkundgebung stattfindet, und biegen dort Richtung links in die Wasserwerkstraße bis vor die Firma Scania Österreich Ges.m.b.H. Filiale Haid. Dort Richtung links und kurz darauf Richtung rechts in den Gendarmerieplatz an der Autobahnpolizeiinspektion Haid vorbei auf die A1-Autobahn. Auf der A1-Autobahn findet dann ab ca. 13 Uhr eine Kundgebung unter dem Motto 'Musik statt Lärm' statt: es werden Reden gehalten, es gibt Live-Musik und die Möglichkeit zum Picknick. Diese Kundgebung dauert bis 16 Uhr.
Gesperrt ist die A1 nur auf einer Seite (Fahrtrichtung Salzburg) und nur im Abschnitt zwischen Abfahrt Richtung Salzburger Straße und Auffahrt von der Wasserwerkstraße kommend. Der Verkehr kann also hier kleinräumig umgeleitet werden.
Der 22. September 2019 ist europaweit der 'Autofreie Tag', an dem viele Städte und Gemeinden Straßen sperren, um ein Zeichen für klima- und umweltfreundliche Mobilität zu setzen. Daran wollen wir mit dieser Aktion anknüpfen.
Es werden ca. 300 bis 400 Menschen erwartet."
2. Am 29. Juli 2019 ersuchte die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land die Asfinag Service GmbH, das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung, das Stadtamt Ansfelden, die Straßenmeisterei Ansfelden, die Autobahnpolizeiinspektion Haid, das Bezirkspolizeikommando Linz-Land, die Polizeiinspektion Ansfelden, die Landespolizeidirektion Oberösterreich, das Bezirksfeuerwehrkommando Linz-Land, das Rote Kreuz, das Referat Verkehr der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land sowie die Autobahnmeisterei Ansfelden um die Übermittlung einer Stellungnahme.
3. Am 29. August 2019 fand anlässlich der Versammlungsanzeige eine Besprechung statt, an der Vertreter der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land sowie die Beschwerdeführer teilnahmen. In diesem Rahmen wurde den Beschwerdeführern mitgeteilt, dass die Versammlung in der angezeigten Form auf Grund der zu erwartenden massiven Verkehrsbeeinträchtigungen und der damit zusammenhängenden sicherheitsrelevanten Problemlagen untersagt werde, und eine Marschroute abseits der Autobahn erörtert. In der Folge wurden den Beschwerdeführern die eingeholten Stellungnahmen zur Kenntnisnahme übermittelt.
4. Mit Eingabe vom 5. September 2019 zeigten die Beschwerdeführer der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land eine Modifizierung der geplanten Versammlung dahingehend an, dass die Kundgebung auf der Westautobahn lediglich 30 Minuten dauern werde. An der Versammlungsroute hielten die Beschwerdeführer fest.
5. Mit Bescheid vom 9. September 2019 untersagte die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land die für den 22. September 2019 gemeldete Versammlung unter Einbeziehung der eingeholten Stellungnahmen und schloss die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde wegen Gefahr im Verzug aus. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (im Folgenden: LVwG OÖ) mit angefochtenem Erkenntnis vom 4. November 2019 ab. Begründend führte das LVwG OÖ wörtlich ua Folgendes aus:
"Im vorliegenden Fall kommt als eingriffsbegründende Alternative der Schutz der öffentlichen Ordnung in Betracht (wie von der belangten Behörde angenommen). Auf allfällige strafrechtswidrige Aspekte oder den Schutz der öffentlichen Sicherheit ist im Weiteren nicht einzugehen. Es stellt sich also zunächst die Frage, ob die Abhaltung der Versammlung (wie ursprünglich intendiert) die öffentliche Ordnung beeinträchtigt haben würde.
Der belangten Behörde folgend darf dabei auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes reflektiert werden. Bereits im Jahr 1989 hatte der VfGH in seinem Erkenntnis vom 28. September 1989, GZ: B577/89, festgestellt, dass 'Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs' maßgeblich für die Beurteilung einer allfälligen Gefährdung des öffentlichen Wohls sind.
Im Rahmen der gebotenen Prognoseentscheidung darf auf die Feststellungen des Sachverhalts verwiesen werden, wonach die Versammlung in der angezeigten Form jedenfalls eine Sperre der Autobahn A1 in Fahrtrichtung Salzburg zur Folge gehabt hätte. Dabei ist auf die semantische Rabulistik, ob dies nun eine Totalsperre (wie von der belangten Behörde ausgeführt) oder, ob man aufgrund der – wenn auch unzureichenden Umleitungsmöglichkeiten – dies als Teilsperre bezeichnen möchte, nicht einzugehen, zumal klargestellt ist, dass eine nicht nur kurzfristige Sperre einer Richtungsfahrbahn im Bereich des am stärksten frequentierten Abschnitts der A1 die Sicherheit, Flüssigkeit und Leichtigkeit des Verkehrs massiv tangiert haben würde. Dies hätte nicht nur zu bedeutenden Staubildungen bei den verschiedenen Komponenten des Autobahnknotens geführt, sondern – wie im Sachverhalt dargestellt – ein äußerst realistisches Gefährdungsszenario für die Gesundheit von Menschen in Folge von Auffahrunfällen provoziert. Besonders ist auf den Aspekt hinzuweisen, dass Fahrzeuglenker der Gegenfahrbahn durch ein musikalisch begleitetes Picknick von mehreren Hundert Personen auf dem gesperrten Autobahnabschnitt einer gravierenden Ablenkung unterworfen gewesen wären, was nicht nur das Gefährdungspotential für den Verkehr in Fahrtrichtung Wien, sondern auch für die Versammlungsteilnehmer selbst geborgen haben würde. Diese Annahme wird alleine auch daher schon unterstützt, dass es ja gerade Ziel der Versammlung gewesen wäre, eine entsprechende Aufmerksamkeit zu erregen, was durch die Form der Abhaltung gewährleistet hätte werden sollen.
Die polizeilichen und behördlichen Erfahrungen haben zudem gezeigt, wie im Verfahren vor der belangten Behörde nachvollziehbar dargestellt, dass gerade im dreispurigen Bereich der Autobahn A1 die Bildung der Rettungsgasse oftmals nicht funktioniert. Ein Zufahren von Einsatzfahrzeugen jeglicher Art, etwa zu Unfällen und/oder medizinischen Notfällen, wäre demnach nur sehr erschwert und zeitverzögert möglich gewesen.
Anzumerken ist auch, dass weder die Strecken der kleinräumigen Umleitungsvariante (durch das Ortsgebiet von Haid – wie in der Versammlungsanzeige angeführt) noch die Strecken der Variante über die Umleitungen U40 bzw U42 (AST Ansfelden, L563 – B139 Umfahrung Traun – B1 zur AST Marchtrenk Ost und weiter über die A25 und A8) den gesamten Verkehr der Autobahn aufnehmen hätten können; [d]ie einspurigen bzw teilweise zweispurigen Straßen, mit ungeregelten Kreuzungen und solchen mit Verkehrssicherheitsanlagen, verfügen nicht über die entsprechenden Kapazitäten. Die negativen Auswirkungen betreffend die Gefahr von Auffahrunfällen würde sich so auch auf das Sekundärstraßennetz erstreckt haben.
Dem Basisziel der Straßenverkehrsordnung, nämlich der Wahrung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs wäre durch die Abhaltung der Versammlung (der belangten Behörde folgend) massiv zuwider gehandelt worden. Die Autobahn A1 Ist in dem Bereich, der von der Versammlung betroffen wäre, der meist frequentierte Abschnitt der A1 West Autobahn (ca. 110.000 Fahrzeuge pro Tag). Die Versammlung hätte eine über deren eigentliche Dauer weit hinausgehende extreme Störung des Straßenverkehrs auf einer der wichtigsten Innerösterreichischen und europäischen Hauptverkehrsrouten im hochrangigen Straßennetz zur Folge gehabt – mit all den zuvor genannten Konsequenzen.
Nachdem in Art11 Abs2 als Schutzgüter ua die Aufrechterhaltung der Ordnung und der Schutz der Gesundheit von Menschen angeführt sind, findet sich auch hier eine rechtliche Deckung für den Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Allerdings bedarf es dazu auch einer Interessensabwägung bzw Verhältnismäßigkeitsprüfung, um diesen – dem Grunde nach zulässigen – Eingriff zu rechtfertigen.
[…] Zum Einen geht es im Rahmen dieser Interessensabwägung um das nachvollziehbare und begrüßenswerte Interesse des Umwelt- bzw Klimaschutzes und des bewussten Sensibilisierens für die umweltbelastenden Auswirkungen des Straßenverkehrs. Wie in der Beschwerde zutreffend angeführt, kommt diesem Anliegen in jüngster Vergangenheit eine stetig steigende Bedeutung zu, die ua auch zu einer verfassungsrechtlichen Verankerung führte. Zum Anderen ist das oben schon näher beschriebene Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der Gesundheit von Menschen zu betrachten.
Entgegen der Annahme in der Beschwerde, kann nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich durchaus auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahr 2015 (VfSlg 19.962/2015) reflektiert werden[…].
[…]
Im Erkenntnis VfSlg 19.852/2014 hatte der Verfassungsgerichtshof auf eine Verletzung der Versammlungsfreiheit durch Untersagung der Versammlung 'Autofreier Tag 2011' auf der Wiener Ringstraße erkannt und die Prognose über die zu erwartenden Verkehrsbeeinträchtigungen für die Untersagung als nicht ausreichend erachtet.
[…]
Angewendet auf den ggst. Fall ist festzustellen, dass sehr wohl eine schwerwiegende Beeinträchtigung des regionalen, nationalen und transnationalen Verkehrs hatte angenommen werden müssen, dass keine entsprechenden Ausweichrouten bestanden hätten, dass die Zufahrtmöglichkeiten zum Versammlungsort für Einsatz- bzw Rettungsfahrzeuge nur bedingt möglich gewesen wäre und, dass – nicht zuletzt – auch eine mediale Begleitung der Aktion vor allem den transnationalen Verkehr nicht erreicht haben würde. Schließlich ist am Rande auch festzuhalten, dass dem Ziel der Verringerung von Verkehrsemissionen durch das Provozieren einer umfassenden Stausituation kaum Rechnung getragen worden wäre. Zudem ist zu berücksichtigen, dass durch die teilweise Verlagerung des Verkehrs auf das Sekundärstraßennetz eine massive Belästigung der dortigen 'unbeteiligten' Bewohner Platz gegriffen hätte, die ebenfalls in die Interessensabwägung mit einzubeziehen ist. Nicht die Versammlung per se oder deren Ziel, sondern die Wahl deren Örtlichkeit sind im Ergebnis dafür ausschlaggebend, dass im Rahmen der Interessensabwägung keine Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs erkannt werden kann. Eine Modifikation des Antrags von Seiten der Behörden war rechtlich nicht zulässig.
[…] Wenn auch in dem dort zu beurteilenden konkreten Fall eine Grundrechtsverletzung durch den EGMR festgestellt wurde, lässt sich gerade daraus auch in der jüngsten Judikatur des EGMR feststellen, welch hohen Stellenwert er der Vermeidung von 'größeren Verkehrsstörungen' bzw signifikanten Beeinträchtigungen von Verkehrsteilnehmern zumisst, die eben im Anlassfall als nicht gegeben erachtet wurden (vgl EGMR 22.5.2018, 27.585/13, United Civil Aviation Trade Union and Csorba/Hungary).
Nach dem EGMR begründete die Behörde die behördliche Untersagung einer zweistündigen Demonstration von 50-100 Personen auf dem Seitenstreifen einer Zufahrtsstraße zum Flughafen, um gegen die Kürzungen des Lohns für Flughafenmitarbeiter zu protestieren, nicht ausreichend. Aufgrund der Personenzahl von 50-100 Personen, dem Ort der Versammlung – der Seitenstreifen – und dem zeitlichen Ausmaß von nur zwei Stunden sei Ziel der Versammlung nicht gewesen, eine größere Verkehrsstörung oder signifikante Unannehmlichkeiten für Verkehrsteilnehmer zu provozieren."
6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Versammlungsfreiheit, sowie in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
7. Die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land und das LVwG OÖ haben die Verwaltungs- bzw Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
II. Rechtslage
§6 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl 98, idF BGBl I 63/2017, lautet wie folgt:
"§6. (1) Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen.
(2) Eine Versammlung, die der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen dient und den anerkannten internationalen Rechtgrundsätzen und Gepflogenheiten oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen, den demokratischen Grundwerten oder außenpolitischen Interessen der Republik Österreich zuwiderläuft, kann untersagt werden."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.
2. Ein Eingriff in das durch Art11 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende Entscheidung ohne Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art11 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet wurde; ein solcher Fall liegt vor, wenn die Entscheidung mit einem so schweren Fehler belastet ist, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise ein verfassungswidriger, insbesondere ein dem Art11 Abs1 EMRK widersprechender und durch Art11 Abs2 EMRK nicht gedeckter Inhalt unterstellt wurde (vgl zB VfSlg 19.961/2015, 19.962/2015).
§6 Versammlungsgesetz 1953 sieht vor, dass Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde zu untersagen sind. Für die Auflösung der Versammlung selbst und mehr noch für eine auf §6 Versamm-lungsgesetz 1953 gestützte Untersagung im Vorfeld des Stattfindens einer Versammlung ist (ebenso wie bei der Frage, ob eine Versammlung iSd Art11 EMRK vorliegt) eine strengere Kontrolle geboten. Diese Maßnahmen beeinträch-tigen die Freiheit der Versammlung in besonders gravierender Weise und berüh-ren den Kernbereich des Grundrechts. Sie sind daher nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der in Art11 Abs2 EMRK genannten Ziele zwingend notwendig sind, sodass die Untersagung einer Versammlung stets nur ultima ratio sein kann (vgl zB VfSlg 19.961/2015, 19.962/2015).
3. Das LVwG OÖ hat die Entscheidung, mit der die angezeigte Versammlung untersagt wurde, auf §6 Versammlungsgesetz 1953 gestützt. Diese Bestimmung ist angesichts des materiellen Gesetzesvorbehalts in Art11 Abs2 EMRK im Einklang mit dieser im Verfassungsrang stehenden Bestimmung zu interpretieren.
Dabei hatte das LVwG OÖ bei seiner Entscheidung die Interessen der Veranstalter an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form gegen die in Art11 Abs2 EMRK aufgezählten Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen. Diese Entscheidung ist eine Prognoseentscheidung, die das LVwG OÖ auf Grundlage der von ihm festzustellenden, objektiv erfassbaren Umstände in sorgfältiger Abwägung zwischen dem Schutz der Versammlungsfreiheit und den von der Behörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen zu treffen hat (vgl VfSlg 19.852/2014, 19.962/2015).
4. Im Rahmen seiner Prognoseentscheidung gelangt das LVwG OÖ unter Berücksichtigung der von der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land eingeholten Stellungnahmen auf das Wesentliche zusammengefasst zum Schluss, dass die geplante Versammlung jedenfalls eine nicht nur kurzfristige Sperre der Westautobahn A1 in Fahrtrichtung Salzburg im Bereich des am stärksten frequentierten Streckenabschnitts zur Folge gehabt hätte, die die Sicherheit, Flüssigkeit und Leichtigkeit des Verkehrs massiv tangiert hätte, da es auf der Fahrbahn in Fahrtrichtung Salzburg, aber auch auf der Gegenfahrbahn und auf anderen Verkehrswegen zu bedeutenden Staubildungen bzw Verkehrsbehinderungen und Ablenkungen gekommen wäre, die sowohl die Verkehrs- als auch die Versammlungsteilnehmer selbst gefährdet hätten, zumal keine geeigneten Möglichkeiten zur Verfügung gestanden wären, um den Verkehr umzuleiten.
5. Der Verfassungsgerichtshof hatte sich mehrfach mit der Frage zu befassen, ob und inwieweit auf Grund der Abhaltung einer Versammlung entstehende Verkehrsbehinderungen die Untersagung einer Versammlung insoweit rechtfertigen können, als es im öffentlichen Interesse gelegen ist, den Verkehrsfluss aufrechtzuerhalten. Bei dieser Beurteilung hat es stets auch eine Rolle gespielt, ob die Versammlungsbehörde in der Lage gewesen wäre, entstehende Verkehrsbehinderungen im Vorfeld der Versammlung durch geeignete Maßnahmen auf ein noch erträgliches Maß zu beschränken (vgl bereits VfSlg 7229/1973).
Betreffend die beabsichtigte Abhaltung einer auf der Autobahn geplanten und deren Sperre bedingenden Versammlung hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass die in Art11 Abs2 EMRK erwähnten Schutzgüter die Untersagung einer solchen Versammlung dann erfordern, wenn die dabei zu befürchtende unvermeidbare, weiträumige, lange währende, extreme Störung des Straßenverkehrs gravierende Belästigungen und auch sicherheitsgefährdende Beeinträchtigungen zahlreicher unbeteiligter Personen erwarten ließe (vgl VfSlg 12.155/1989, 19.962/2015).
6. Vor diesem Hintergrund hat das LVwG OÖ im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Untersagung der angezeigten Versammlung im vorliegenden Fall erforderlich und auch verhältnismäßig war. Zwar ist den Beschwerdeführern zuzugestehen, dass sie die Dauer der geplanten Kundgebung auf der Westautobahn A1 von etwa drei Stunden auf etwa 30 Minuten reduzierten, jedoch ist hieraus für die Beschwerdeführer nichts zu gewinnen:
Dem beigeschafften Aktenmaterial ist zu entnehmen, dass – wie das LVwG OÖ auch umfassend begründet – auch diese Reduzierung jedenfalls auf der Westautobahn A1 in Fahrtrichtung Salzburg ein unvermeidbares, einige Kilometer umfassendes und damit erhebliches Stauaufkommen verursacht sowie die Verkehrsteilnehmer auf der Gegenfahrbahn abgelenkt hätte. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass hier eine geografische und verkehrsbedingte Sondersituation vorliegt (vgl VfSlg 19.962/2015), da sich der angezeigte Versammlungsort im Bereich des am stärksten frequentierten Bereiches der Westautobahn A1 – noch dazu ohne entsprechende Ausweichmöglichkeit – befindet; dieser für den regionalen, aber auch überregionalen Verkehr sensible Verkehrsknotenpunkt zählt – was die Verkehrsfrequenz betrifft – auch an Sonntagen zu den meistbefahrenen Autobahnabschnitten.
Auch die Zugrundelegung der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur symbolischen Bedeutung des Versammlungsortes (vgl EGMR, 22.5.2018, Fall United Civil Aviation Trade Union und Csorba, Appl 27.585/13) in Zusammenschau mit dem Anliegen der Anzeiger der Versammlung zum "autofreien Tag" führt – wobei hier hervorzuheben ist, dass der Gegenstand der Versammlung als solcher durch das LVwG OÖ nicht zu bewerten ist, es sei denn der Zweck würde den Strafgesetzen zuwiderlaufen – bei der hier im konkreten Fall gegebenen Situation (Verkehrsknotenpunkt mit überdurchschnittlichem Verkehrsaufkommen, keine Ausweichmöglichkeiten und daraus resultierende Gefahren für Verkehrsteilnehmer) letztlich in der Abwägung zum Ergebnis, dass die Untersagung der Abhaltung der Versammlung in der angezeigten Form zulässigerweise vom LVwG OÖ bestätigt werden konnte.
Die Beschwerdeführer wurden daher durch das angefochtene Erkenntnis nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt.
IV. Ergebnis
1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
2. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die Beschwerdeführer in von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurden. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurden.
3. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Versammlungsrecht, VerkehrserschwernisseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E4552.2019Zuletzt aktualisiert am
06.04.2022