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E1ENorm
AVG §38Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, Hofrat Mag. Feiel und Hofrätin MMag. Ginthör als Richterin und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers MMag. Dr. Gotsbacher, in der Revisionssache des Dr. T T in W, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2019, W173 2199908-1/7E, betreffend Ruhebezug (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau), den Beschluss gefasst:
Spruch
Das Revisionsverfahren wird bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union über die mit Vorlageentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Juli 2020, EU 2020/0003 - 0005 (Ro 2019/12/0005, Ra 2019/12/0006, Ra 2019/12/0054) vorgelegten Fragen ausgesetzt.
Begründung
1 Der am 24. Jänner 1933 geborene Revisionswerber steht als emeritierter ordentlicher Universitätsprofessor seit 1. Oktober 2001 in einem öffentlich-rechtlichen Ruhestandsverhältnis zum Bund.
2 Mit Bescheid vom 30. April 2018 stellte die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde über Antrag des Revisionswerbers fest, dass ihm ab dem 1. Jänner 2018 - wie bereits am 31. Dezember 2017 - gemäß § 41 Abs. 1 und 2 Pensionsgesetz 1965 (PG 1965), BGBl Nr. 340/1965, ein Ruhebezug von monatlich brutto 7.702,63 Euro gebühre, weil es gemäß dem nach § 41 Abs. 4 PG 1965 anzuwendenden § 711 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl Nr. 189/1955, ab einem monatlichen Gesamtpensionseinkommen von mehr als 4.980 Euro für das Jahr 2018 zu keiner Pensionserhöhung komme.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für zulässig.
4 Mit Beschluss vom 31. Juli 2020 legte der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
„1. Ist die Einschränkung des zeitlichen Anwendungsbereichs des Gebots der Gleichbehandlung zwischen Männern und Frauen nach dem Urteil in der Rechtssache C-262/88, Barber, sowie gemäß dem Protokoll Nr. 33 zu Art. 157 AEUV und Art. 12 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (im Folgenden: Richtlinie 2006/54/EG) dahin auszulegen, dass sich ein (österreichischer) Pensionsbezieher rechtens nicht oder nur (anteilig) für jenen Teil des Anspruchs, der auf Beschäftigungszeiten nach dem 1.1.1994 zurückgeht, auf das Gebot der Gleichbehandlung berufen kann, um geltend zu machen, dass er durch Regelungen über eine für das Jahr 2018 festgelegte Anpassung von Beamtenpensionen, wie jene, die in den Ausgangsverfahren angewendet wurde, diskriminiert wurde?
2. Ist das Gebot der Gleichbehandlung zwischen Männern und Frauen (nach Art. 157 AEUV in Verbindung mit Art. 5 der Richtlinie 2006/54/EG) dahin auszulegen, dass sich eine mittelbare Ungleichbehandlung wie jene, die - gegebenenfalls - aus den in den Ausgangsverfahren anwendbaren Regelungen über die Pensionsanpassung 2018 resultiert, auch unter Bedachtnahme auf schon früher gesetzte ähnliche Maßnahmen und den durch die kumulative Wirkung derselben verursachten beträchtlichen Verlust im Verhältnis zu einer inflationsbedingten Anpassung des Realwerts von Ruhebezügen (fallbezogen von 25 %) als gerechtfertigt erweist, insbesondere
- zur Verhinderung einer (bei regelmäßiger Anpassung mit einem einheitlichen Satz entstehenden) „Kluft“ zwischen höheren und niedrigeren Ruhebezügen, wiewohl diese eine rein nominelle wäre und das Verhältnis der Werte unverändert ließe,
- zur Verwirklichung einer allgemeinen „sozialen Komponente“ im Sinne der Stärkung der Kaufkraft der Bezieher geringerer Ruhebezüge, wiewohl a) dieses Ziel auch ohne Einschränkung der Anpassung höherer Bezüge erreichbar wäre und b) der Gesetzgeber eine solche Maßnahme nicht in gleicher Weise auch zur Kaufkraftstärkung bei der Inflationsanpassung geringerer Aktivbezüge der Beamten (zulasten der Anpassung höherer Aktivbezüge) vorsieht und auch keine Regelung zum vergleichbaren Eingriff in die Wertanpassung von Pensionen aus sonstigen betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (ohne staatliche Beteiligung) traf, um (zulasten der Anpassung höherer Pensionen) eine Kaufkraftstärkung geringerer Pensionen zu erreichen,
- zur Erhaltung und Finanzierung „des Systems“, wiewohl die Ruhebezüge der Beamten nicht aus einem versicherungsartig organisierten und beitragsfinanzierten System von einer Versicherungsanstalt geschuldet werden, sondern vom Bund als Dienstgeber der Beamten im Ruhestand als Entgelt für geleistete Arbeit, sodass nicht die Erhaltung oder Finanzierung eines Systems, sondern letztlich nur Haushaltserwägungen ausschlaggebend wären,
- weil es einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund bildet oder (dem vorgelagert) die Annahme einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne der Richtlinie 2006/54/EG zu Lasten der Männer von vornherein ausschließt, wenn die statistisch wesentlich höhere Betroffenheit von Männern in der Gruppe der Bezieher höherer Ruhebezüge als Folge einer insbesondere in der Vergangenheit typischerweise fehlenden Chancengleichheit für Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen einzustufen ist, oder
- weil die Regelung als positive Maßnahme im Sinne des Art. 157 Abs. 4 AEUV zulässig ist?“
5 Der Beantwortung dieser Fragen durch den Gerichtshof der Europäischen Union könnte auch für die Behandlung der vorliegenden Revision Bedeutung zukommen. Es liegen daher die Voraussetzungen des gemäß § 62 Abs. 1 VwGG auch vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden § 38 AVG vor, weshalb das Revisionsverfahren auszusetzen war.
Wien, am 13. Oktober 2020
Gerichtsentscheidung
EuGH 61988CJ0262 Barber VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020120002.J00Im RIS seit
09.12.2020Zuletzt aktualisiert am
02.06.2022