TE Vwgh Beschluss 2020/11/9 Ra 2020/21/0417

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Veröffentlicht am 09.11.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
24/01 Strafgesetzbuch
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §53 Abs3
StGB §105 Abs1
StGB §107b Abs1
StGB §107b Abs2
StGB §135 Abs1
StGB §142 Abs1
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des C S in L, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. August 2020, L519 2230097-1/8E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist ein im April 1990 geborener türkischer Staatsangehöriger, der im November 2004 mit seinem Bruder nach Österreich kam. Hier hielten sich bereits seine Eltern und ein weiterer Bruder als Asylwerber auf. Auch für den Revisionswerber wurde (am 8. November 2004) ein Asylantrag gestellt, der - wie jener der übrigen Familienmitglieder - erfolglos blieb (Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 4. April 2011).

2        Dem Revisionswerber wurden in der Folge ab November 2011 Aufenthaltstitel erteilt. Zuletzt verfügte er über eine bis 11. November 2019 gültige „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“; diesbezüglich hatte er rechtzeitig einen Verlängerungsantrag gestellt.

3        Der Revisionswerber wurde mit Urteil des Landesgerichtes Steyr vom 20. September 2018 wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB sowie der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs. 1 StGB und der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs. 1 und 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren rechtskräftig verurteilt, die er aktuell noch verbüßt.

4        Mit diesem Urteil wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, am 19. Februar 2018 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem Mittäter und unter Beteiligung von zwei weiteren Tätern, einem männlichen Opfer mit Gewalt (Faustschläge, Würgen, Fußtritte) fremde bewegliche Sachen (nach der erfolglosen Suche nach Bargeld und Suchtgift: eine Dose mit Tabletten) mit Bereicherungsvorsatz weggenommen zu haben. Des Weiteren habe er im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem Mittäter das Opfer zur Abstandnahme von der Verständigung der Polizei genötigt. Überdies wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zwei Mittätern bei dieser Gelegenheit weggenommene Mobiltelefone durch Verstecken in einer Mauerritze dauernd entzogen zu haben. Schließlich wurde der Revisionswerber noch schuldig gesprochen, seine ehemalige Freundin im Zeitraum Mai 2017 bis 12. Mai 2018 auf näher beschriebene Weise regelmäßig misshandelt, ihr Körperverletzungen zugefügt, ihr die persönliche Freiheit entzogen und sie gefährlich bedroht zu haben.

5        Im Hinblick darauf erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber im zweiten Rechtsgang mit Bescheid vom 17. Februar 2020 gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein mit zehn Jahren befristetes Einreiseverbot. Unter einem stellte es gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Türkei zulässig sei. Schließlich sprach das BFA noch aus, dass einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde, und demzufolge räumte es gemäß § 55 Abs. 4 FPG auch keine Frist für die freiwillige Ausreise ein.

6        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 26. August 2020 als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7        Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

9        Unter diesem Gesichtspunkt wendet sich die Revision gegen die vom BVwG nach § 9 BFA-VG vorgenommene Interessenabwägung, die nicht fair und objektiv erfolgt sei. Insbesondere habe das BVwG eine übersteigerte, den Revisionswerber gröblich benachteiligende Charakterzeichnung vorgenommen und für ihn sprechende Umstände - strafgerichtlich verurteilter Ersttäter, voraussichtlich vorzeitige bedingte Entlassung aus der Strafhaft wegen guter Führung im Dezember 2020, sechzehnjähriger Aufenthalt in Österreich, intensiver familiärer Kontakt zu den ebenfalls in Linz lebenden Eltern und Geschwistern, Sozialversicherungszeiten, sprachliche Integration - „letztendlich“ nicht gewürdigt.

10       Diese Vorwürfe sind im Ergebnis nicht berechtigt.

11       Das BVwG hob bei der Gefährdungsprognose hervor, dass der Revisionswerber im Zuge des Raubes das am Boden liegende Opfer, während es von einem Mittäter gehalten worden sei, mehrfach und heftig mit den Füßen gegen den seitlichen Oberkörper getreten habe, und über einen erheblich langen Zeitraum fortgesetzt und immer wieder seine ehemalige Freundin traktiert und misshandelt habe. Neben vielfachen gewalttätigen Übergriffen durch Schläge und auch Schlagen ihres Kopfes gegen die Wand habe er sie überdies auf näher beschriebene Weise auch psychischer Gewalt und Demütigungen ausgesetzt. Angesichts dessen war es nicht unvertretbar, dass das BVwG dem Revisionswerber ein hohes Aggressionspotential und eine ausgeprägte Gewaltbereitschaft attestierte und aus seinem Verhalten eine verwerfliche gleichgültige Einstellung und Respektlosigkeit gegenüber der körperlichen Integrität und gegenüber Frauen ableitete. Dabei durfte das BVwG auch den in der Verhandlung gewonnenen Eindruck in Bezug auf ein fehlendes Unrechtsbewusstsein des Revisionswerbers verwerten, zumal er (weiterhin) den Standpunkt vertrat, zu Unrecht wegen Raubes - es habe sich nur um eine „Abreibung“ für das Opfer gehandelt - und wegen der an seiner ehemaligen Freundin verübten Taten - es habe lediglich ein- bis zweimal einen Vorfall mit einer Ohrfeige und „Wegstubsen“ gegeben - verurteilt worden zu sein. Überdies werden die vom BVwG des Weiteren berücksichtigten, gegen den Revisionswerber bereits als Jugendlichen erfolgten wiederholten Anzeigen, und zwar wegen Körperverletzung, sexueller Belästigung, Raufhandels und Sachbeschädigung, in der Revision nicht bestritten. Schließlich durfte das BVwG bei der Gefährdungsprognose noch darauf Bedacht nehmen, dass auch kein Wohlverhalten des Revisionswerbers während des Strafvollzugs vorliegt, weil er wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 SMG - begangen im September 2019 in der Justizanstalt - zur Anzeige gebracht und die Genehmigung des elektronisch überwachten Hausarrestes im Jänner 2020 wegen eines in Bezug auf Suchtgift positiven Harntests widerrufen worden sei. Beides wird in der Revision nicht in Frage gestellt.

12       Vor allem verwies das BVwG aber zutreffend darauf, dass der Gesinnungswandel eines Straftäters nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat und dass demnach für die Annahme eines Wegfalls der aus dem bisherigen Fehlverhalten ableitbaren Gefährlichkeit eines Fremden in erster Linie das - hier beim Revisionswerber noch gar nicht gegebene - Verhalten in Freiheit maßgeblich ist. Dabei ist der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert hat (siehe etwa VwGH 4.3.2020, Ra 2020/21/0035, Rn. 11, mit dem Hinweis auf VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0118, Rn. 12, mwN). Von einer solchen nachdrücklichen Manifestierung der Gefährlichkeit durfte das BVwG aber der Sache nach angesichts der in Rn. 11 erwähnten Aspekte im vorliegenden Fall ausgehen, wobei die in der Revision diesbezüglich ins Treffen geführten Umstände - Ersttäterschaft und mögliche bedingte Entlassung - diese Einschätzung nicht maßgeblich relativieren können. Es war daher vom BVwG jedenfalls im Ergebnis nicht unvertretbar, von einer derart („äußerst“) schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung iSd § 53 Abs. 3 FPG auszugehen, dass eine Rückkehrentscheidung samt einem Einreiseverbot in der Dauer von zehn Jahren gerechtfertigt sei.

13       Bei der diesbezüglich vorgenommenen Interessenabwägung berücksichtigte das BVwG - entgegen der Meinung in der Revision - auch die für den Revisionswerber sprechenden Umstände, insbesondere seinen langjährigen Aufenthalt in Österreich seit dem 15. Lebensjahr und die dadurch erlangte Integration, vor allem die sehr guten Deutschkenntnisse. Es war aber nicht rechtswidrig, dabei die Eingliederung in den Arbeitsmarkt als gering zu bewerten, zumal der über keine Berufsausbildung verfügende Revisionswerber - wie vom BVwG unbekämpft festgestellt wurde - beginnend ab September 2008 insgesamt nur knapp über vier Jahre bei zwölf verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt war. In Bezug auf das in der Revision ins Treffen geführte Verhältnis zu den Eltern und Geschwistern stellte das BVwG - von der Revision ebenfalls nicht konkret bestritten - aber fest, dass schon vor der Inhaftierung kein gemeinsamer Haushalt mehr bestand und von einem (wechselseitigen) Abhängigkeitsverhältnis nicht die Rede sein könne. Davon ausgehend war die der Sache nach vom BVwG vertretene Auffassung zumindest vertretbar, die privaten und familiären Bindungen in Österreich stünden der im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen der in Rede stehenden Art dringend gebotenen Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht in maßgeblicher Weise entgegen. Gleiches gilt für die Ansicht des BVwG, deshalb seien die Trennung von den Angehörigen und allfällige Schwierigkeiten beim Aufbau einer Existenz in der Türkei, wo der über entsprechende Sprachkenntnisse verfügende Revisionswerber maßgeblich sozialisiert worden sei und mit der (zuletzt 2014 besuchten) Großmutter ein Anknüpfungspunkt bestehe, hinzunehmen.

14       Der Verwaltungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0232, Rn. 12, mwN).

15       Da diese Voraussetzungen - wie dargelegt - im vorliegenden Fall erfüllt sind und - anders als der Revisionswerber meint - sich die zu seinem Nachteil vorgenommene Interessenabwägung sachlich rechtfertigen lässt, liegen entscheidungswesentliche grundsätzliche Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vor. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 9. November 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210417.L00

Im RIS seit

11.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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