TE Vwgh Beschluss 2020/11/12 Ra 2020/22/0212

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Veröffentlicht am 12.11.2020
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Index

E1P
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Melderecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

B-VG Art133 Abs4
IntG 2017 §9 Abs5 Z2
NAG 2005 §41a Abs9 Z2
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des A K in I, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 10. August 2020, Zl. LVwG-2020/30/1519-1, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Innsbruck), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 18. Juni 2020 wies der Bürgermeister der Stadt Innsbruck (belangte Behörde) den Antrag des Revisionswerbers, eines armenischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 41a Abs. 9 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 10. August 2020 wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

Begründend hielt das Verwaltungsgericht fest, dass der Revisionswerber die Erteilungsvoraussetzungen des § 41a Abs. 9 NAG nicht erfülle, weil er das Modul 1 der Integrationsvereinbarung nicht erfüllt und auch kein eigenes Einkommen nachgewiesen habe, das die monatliche Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG erreiche. Zwar seien Drittstaatsangehörige, denen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustands die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung nicht zugemutet werden könne, gemäß § 9 Abs. 5 Z 2 Integrationsgesetz (IntG) von der Erfüllungspflicht des § 9 Abs. 1 IntG ausgenommen. Dies sei allerdings durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen. Dieser Nachweis sei vom Revisionswerber nicht erbracht worden. Seitens der belangten Behörde seien zwei amtsärztliche Gutachten in Auftrag gegeben worden. Weder im Gutachten vom 27. April 2018 noch im Ergänzungsgutachten vom 29. April 2020 sei nachgewiesen worden, dass dem Revisionswerber im Sinn des § 9 Abs. 5 Z 2 IntG auf Grund seines physischen oder psychischen Gesundheitszustands die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung nicht zugemutet werden könne. Die seitens des Revisionswerbers vorgelegte Stellungnahme eines näher bezeichneten Departments der Medizinischen Universität Innsbruck könne den durch ein amtsärztliches Gutachten zu erbringenden Nachweis nicht ersetzen.

3        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

5        Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision zunächst vor, das Verwaltungsgericht habe die Beweiswürdigung in unvertretbarer Weise vorgenommen und das vorliegende amtsärztliche Gutachten in willkürlicher Weise fehlinterpretiert. Zudem würden wesentliche Feststellungen fehlen.

Des Weiteren erachtet sich der Revisionswerber dadurch, dass das Verwaltungsgericht keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe, in seinem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht nach Art. 47 Abs. 2 GRC verletzt. Wäre eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden, hätte der Revisionswerber darlegen können, dass aus dem amtsärztlichen Gutachten vom 29. April 2020 eindeutig hervorgehe, dass er an einem posttraumatischen Belastungssyndrom, einer Pseudodemenz und einer krankheitswertigen Intelligenzminderung leide. Auf Grund dessen hätte das Verwaltungsgericht zum Ergebnis kommen müssen, dass ihm die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung nicht zugemutet werden könne.

Schließlich hätte in der mündlichen Verhandlung erörtert werden können, dass dem amtsärztlichen Gutachten vom 29. April 2020 als Rechtsgrundlage nicht § 9 Abs. 5 Z 2 IntG, sondern der hier nicht maßgebliche § 10 Abs. 5 (gemeint wohl: Abs. 3) Z 2 IntG (betreffend die Ausnahme von der Verpflichtung zur Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung), dem zufolge ein „dauerhaft“ schlechter Gesundheitszustand vorliegen müsse, zugrunde gelegt worden sei. Aus den medizinischen Feststellungen ergebe sich eindeutig, dass sich der psychische und physische Gesundheitszustand des Revisionswerbers so darstelle, dass ihm die Erfüllung der (hier gegenständlichen) Verpflichtung, das Modul 1 der Integrationsvereinbarung zu erfüllen, nicht zumutbar sei. Auf eine Dauerhaftigkeit dieses Gesundheitszustandes komme es dabei nicht an.

6        Zur Rüge der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes - konkret der Würdigung des amtsärztlichen Sachverständigengutachtens - ist zunächst Folgendes festzuhalten: Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insoweit einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs sowie darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurden (vgl. etwa VwGH 20.5.2019, Ra 2018/22/0011).

7        Im vorliegenden Fall wurde auf die vom Revisionswerber bereits im behördlichen Verfahren vorgelegten und in der Revision ins Treffen geführten klinischen Befunde und die darin genannten Krankheiten im amtsärztlichen Gutachten eingegangen. Die Krankheiten des Revisionswerbers (wie das posttraumatische Belastungssyndrom, die Pseudodemenz und die Intelligenzminderung) wurden auch weder im amtsärztlichen Gutachten noch im angefochtenen Erkenntnis in Abrede gestellt. Welche vom Revisionswerber als fehlend monierten Feststellungen noch zu treffen gewesen wären, wird in der Revision nicht substantiiert dargelegt. Des Weiteren wurde im amtsärztlichen Gutachten darauf hingewiesen, dass in der (vom Revisionswerber vorgelegten) klinischen Bestätigung vom 27. Februar 2020 zwar von einem deutlich erhöhten Unterstützungsbedarf bzw. einem erhöhten Zeitaufwand beim Erlernen der deutschen Sprache durch ein verringertes Lerntempo die Rede war, das Erlernen der deutschen Sprache jedoch nicht ausgeschlossen wurde.

8        Dass das Verwaltungsgericht gestützt auf das amtsärztliche Gutachten zum Ergebnis gelangte, dass der Nachweis der Unzumutbarkeit der Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung nicht erbracht worden sei, ist nicht als unvertretbar anzusehen (vgl. insoweit auch VwGH 3.9.2020, Ra 2019/22/0232, Rn. 12, mwN).

9        Daran vermag der Umstand, dass im amtsärztlichen Gutachten an einer Stelle auf „keine dauerhaften gesundheitlichen Gründe“ abgestellt wurde, nichts zu ändern. Im Hinblick auf das ansonsten eindeutig auf den Maßstab des § 9 Abs. 5 Z 2 IntG (die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung kann dem Drittstaatsangehörigen auf Grund seines physischen oder psychischen Gesundheitszustandes nicht zugemutet werden) Bezug nehmende Gutachten ist es jedenfalls nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht dieses Gutachten für die Beurteilung nach § 9 Abs. 5 Z 2 IntG herangezogen hat.

10       Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen vermag der Revisionswerber auch nicht aufzuzeigen, aus welchen Gründen eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache hätte erwarten lassen. Es wird auch nicht dargelegt, welcher Sachverhalt in der Beschwerde erstmalig behauptet worden wäre bzw. inwiefern das Verwaltungsgericht den durch § 24 Abs. 4 VwGVG eingeräumten Ermessensspielraum überschritten habe (vgl. VwGH 19.9.2017, Ra 2017/01/0276, Rn. 15, mwN; sowie 21.11.2017, Ra 2017/22/0143). Zum Verweis des Revisionswerbers auf Art. 47 Abs. 2 GRC ist darüber hinaus anzumerken, dass kein Fall der Durchführung von Unionsrecht vorliegt.

11       In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

12       Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

13       Ausgehend davon erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Wien, am 12. November 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220212.L00

Im RIS seit

04.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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