Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätin und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Unterbringungssache des Kranken W***** G*****, geboren am ***** 1960, *****, vertreten durch den Verein VertretungsNetz – Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, ***** (Patientenanwalt Mag. M***** S*****), dieser vertreten durch Mag. Gerlinde Füssel, LL.M., Rechtsanwältin in Linz, Abteilungsleiter Prim. Mag. Dr. H***** O*****, MAS, *****, dieser vertreten durch die Dr. Ernst Maiditsch M.B.L.-HSG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt am Wörthersee, über den Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 14. April 2020, GZ 1 R 44/20w-20, womit aus Anlass des Rekurses des Abteilungsleiters der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 24. Februar 2020, GZ 18 Ub 410/19b-16, und das vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und der Antrag des Kranken nach § 38a UbG zurückgewiesen wurden, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Die Revisionsrekursbeantwortung der *****-Betriebsgesellschaft-***** wird zurückgewiesen.
II. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Text
Begründung:
Zu I.:
Bereits das Rekursgericht hat die Betreibergesellschaft des Klinikums K***** darauf hingewiesen, dass sie nicht Partei des Verfahrens ist, und den von ihr erhobenen Rekurs zurückgewiesen, was unangefochten blieb. Auch die dessen ungeachtet von der Betreibergesellschaft nunmehr erstattete Revisionsrekursbeantwortung war wegen mangelnder Parteistellung zurückzuweisen.
Zu II.:
Der Kranke wurde am 14. 8. 2019 ohne Verlangen in einem geschlossenen Bereich der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums K***** untergebracht.
Anlässlich der gerichtlichen Erstanhörung am 16. 8. 2019 präsentierte er sich gepflegt, ruhig und geordnet, seine Schilderungen waren nachvollziehbar. Er war schlank aber nicht unterernährt, gab an, vor 29 Jahren einmal in stationärer Behandlung gewesen zu sein, bestätigte seinen sozialen Rückzug und den seit vielen Jahren bestehenden Konflikt mit seiner Schwester, welche die nunmehrige Einweisung veranlasst hatte. Er zeigte keinerlei aggressive Tendenzen. Selbstmordgedanken wurden von ihm verneint. Medikamente bekam er keine. Wenn es notwendig wäre, würde er zu Hause eine externe Hilfe in Anspruch nehmen. Schließlich zeigte er sich auch hinsichtlich der palliativen Betreuung seiner Mutter einsichtig. Eine weitere stationäre Behandlung wollte er dezidiert nicht.
Beim Betroffenen wurde ein schizophrenes Residuum beschrieben und Selbstgefährdung „höchstens potenziell“, eine Fremdgefährdung eher weniger gesehen. Der Verein beantragte daher, die Unterbringung für unzulässig zu erklären. Daraufhin wurde vorweg ein Rekurs angemeldet; die aufschiebende Wirkung wurde nicht beantragt. Mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen wurde die Unterbringung um 11:38 Uhr für unzulässig erklärt. Ein Rekurs, dem aufschiebende Wirkung zuerkannt worden wäre, wurde nicht erhoben.
Der Betroffene freute sich und wartete am Stationsgang auf seine Entlassung.
Die zuständige Oberärztin, die auf der Station weitere Erstanhörungen und Verhandlungen führte, wurde über das Ergebnis der Erstanhörung informiert, besprach jedoch die Entlassung eines anderen Patienten, dessen Unterbringung an diesem Tag ebenfalls für unzulässig erklärt worden war, hob dessen Unterbringung auf, schrieb einen Kurzbrief, stellte ein Rezept aus und entließ ihn; in der Folge widmete sie sich bis 14:00 Uhr einem sehr besorgten Vater eines jungen Patienten, bei dem es sich um eine Erstaufnahme wegen einer erstmaligen Psychose handelte.
Zwischen 12:15 Uhr und 12:30 Uhr erfuhr der Abteilungsleiter von der Oberärztin, dass die Unterbringung für unzulässig erklärt worden war. Er bereitete die Entlassung des Kranken nicht vor, obwohl er davon ausging, dass dieser auf seine Entlassungspapiere wartete.
Unbestritten blieb, dass kein Entlassungsmanagement (Ausstellen von Entlassungsbestätigung, Rezept) durchgeführt wurde. Das Abwarten, bis der Arztbrief geschrieben und gegebenenfalls ein Rezept ausgestellt worden ist, muss nicht im geschützten (geschlossenen) Bereich erfolgen.
Gegen 14:00 Uhr kam die Schwester des Betroffenen auf die Station, legte der nunmehr verfügbaren Oberärztin Fotos vor, welche die verwahrloste häusliche Situation dokumentieren sollten, und gab an, dass sich ihre Mutter bereits in stationärer Behandlung im Klinikum befand. Der Betroffene wurde hinzugezogen und wollte dezidiert nicht weiter in Behandlung bleiben. Seine Entlassung wurde dennoch nicht vorbereitet.
Um 14:15 Uhr ordnete die Oberärztin die neuerliche Unterbringung des Betroffenen an. In ihrem ersten fachärztlichen Zeugnis beschrieb sie eine schizophrene Erkrankung, residual mit Nahrungsverweigerung und extremer Verwahrlosung bei zunehmenden Konflikten innerhalb der Familie. Dabei bezog sie sich auf ihr früheres fachärztliches Zeugnis vom 14. 8. 2019, ein zweites fachärztliches Zeugnis eines anderen Arztes vom 15. 8. 2019, die Angaben der Schwester des Patienten und mitgebrachten Fotos.
Zwischen dem Ende der Erstanhörung um 11:38 Uhr und der neuerlichen Unterbringung um 14:15 Uhr traten beim Kranken „keine plötzlich dringenden Aspekte für eine Gefährdung“ auf.
Gegen 15:00 Uhr traf der Patientenanwalt den Kranken in der geschützten (geschlossenen) Station an; er war sehr aufgelöst, weil er sie nicht verlassen konnte. Im auf Verlangen noch am selben Tag um 17:30 Uhr von einem anderen Arzt ausgestellten zweiten fachärztlichen Zeugnis wurde dem Betroffenen hinsichtlich des zu Hause vorliegenden desaströs verwahrlosten Bildes keine realistische Wahrnehmung diagnostiziert.
Nach der Aktenlage wurde in einer weiteren Erstanhörung am 20. 8. 2019 die (neuerliche) Unterbringung vom Erstgericht für vorläufig zulässig erklärt, in der Folge jedoch noch vor einer gerichtlichen Entscheidung von der Einrichtung selbst am 26. 8. 2019 aufgehoben.
Der Verein begehrte, gestützt auf § 38a Abs 1 UbG, die Unterbringung des Kranken am 16. 8. 2019 von 11:38 Uhr bis 14:15 Uhr nachträglich für unzulässig zu erklären. Seine Unterbringung sei bereits für unzulässig erklärt worden, ohne dass ein Rekurs mit aufschiebender Wirkung erhoben worden wäre. Die Unterbringung hätte sofort aufgehoben und er entlassen werden müssen; stattdessen sei er weiterhin im geschlossenen Bereich angehalten worden.
Das Erstgericht erklärte die Unterbringung am 16. 8. 2019 von 11:38 Uhr bis 14:15 Uhr für unzulässig. Nach Unzulässigerklärung der Unterbringung wäre diese sogleich aufzuheben und der Patient zu entlassen gewesen. Stattdessen sei kein Entlassungsmanagement durchgeführt und der Betroffene gegen seinen Willen im geschlossenen Bereich angehalten worden, was mangels Gefährdungsaspekten nicht zur Gefahrenabwehr indiziert gewesen sei.
Das Rekursgericht hob aus Anlass des Rekurses des Abteilungsleiters den Beschluss des Bezirksgerichts und das vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies den Antrag des Kranken nach § 38a UbG zurück. Durch die rechtswidrige Fortsetzung der Unterbringung nach Wirksamwerden der Unzulässigkeitsentscheidung werde der Kranke durch einen Akt der unmittelbaren behördlichen Befehls- und Zwangsgewalt in seinem Recht auf persönliche Freiheit verletzt, der ausnahmslos bei den Landesverwaltungsgerichten bekämpft werden könne. Gegen die Missachtung des Unzulässigkeitsbeschlusses bestehe nach dem UbG kein weiterer gerichtlicher Rechtsweg, denn eine nachträgliche Überprüfung nach § 38a Abs 1 UbG sei nur für Unterbringungen, die vor der Entscheidung im Rahmen der Erstanhörung beendet worden seien, sowie für weitergehende Beschränkungen gemäß §§ 33 bis 37 UbG möglich.
Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vereins wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
Der Abteilungsleiter beantragt mit der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihn abzuweisen.
Der Revisionsrekurs ist – entgegen der Ansicht des Abteilungsleiters in seiner Revisionsrekursbeantwortung – rechtzeitig, zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und auch berechtigt.
Der Rechtsmittelwerber führt ins Treffen, die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 5 Ob 84/98h liege Jahrzehnte zurück, zwischenzeitig sei im Jahr 2010 § 38a UbG erlassen worden. Die Anhaltung nach 11:38 Uhr sei eine neue de-facto-Unterbringung zwischen zwei anderen Unterbringungen, wofür der Rechtsweg offenstehe. Durch die Anrufung des Verwaltungsgerichts wäre der Kranke beschwert und sein Rechtsschutz beeinträchtigt.
Rechtliche Beurteilung
Dazu wurde erwogen:
1.1. Hier liegt zwar kein dem Wortlaut des § 38a Abs 1 UbG entsprechender Fall vor, dass die Unterbringung durch eine Entscheidung des Gerichts nach § 20 UbG aufgehoben oder die Beschränkung, Einschränkung oder Behandlung bereits beendet wurde, sondern die behauptete faktische Unterbringung wurde hier auf andere Art – durch eine neuerliche Unterbringungsanordnung ohne Verlangen nach §§ 8 ff UbG – beendet.
Der Zweck der Überprüfungsmöglichkeit nach § 38a UbG liegt jedoch darin, dass eine in ihren Rechten beeinträchtigte Person auch noch nach Ende der konkret zu überprüfenden freiheitseinschränkenden Maßnahme weiterhin ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat, ob die Anhaltung zu Recht erfolgte (vgl RS0071267 und RS0074575). Dieses Interesse besteht auch in einem Fall wie dem vorliegenden, sodass die Überprüfungsmöglichkeit nach § 38a UbG über dessen engen Wortlaut hinaus auch in Fällen wie hier zu bejahen ist.
1.2. Nach § 1 Abs 1 1. COVID-19-JuBG, BGBl I 2020/16, wurden alle verfahrensrechtlichen Fristen in gerichtlichen Verfahren, deren fristauslösendes Ereignis in die Zeit nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes fiel, sowie verfahrensrechtliche Fristen, die bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes noch nicht abgelaufen waren, bis zum Ablauf des 30. 4. 2020 unterbrochen und begannen neu zu laufen. Dies galt – wie der Revisionsrekurswerber selbst erkennt – nicht für Verfahren, in denen das Gericht über die Rechtmäßigkeit eines aufrechten Freiheitsentzuges nach dem UbG, HeimAufG, TuberkuloseG oder EpidemieG, entscheidet, sowie für Leistungsfristen. Hier ist nicht über die Rechtmäßigkeit eines aufrechten Freiheitsentzugs zu entscheiden, sodass die gesetzliche Fristverlängerung zum Tragen kommt.
2.1. Gelangt das Gericht bei der Erstanhörung zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen der Unterbringung nicht vorliegen, so hat es diese nach § 20 Abs 2 UbG für unzulässig zu erklären; in diesem Fall ist die Unterbringung – mangels Rekurses des Abteilungsleiters, dem aufschiebende Wirkung zu erkannt wird – sogleich aufzuheben.
2.2. Die Entscheidungsbefugnis des Gerichts beschränkt sich dabei auf den feststellenden Ausspruch über die Zulässigkeit der Unterbringung. Es kann die Unterbringung weder anordnen noch aufheben; diese beiden Entscheidungen liegen in der Kompetenz des Abteilungsleiters (7 Ob 27/15v =
RS0113151 [T2]). Wenn die weitere Unterbringung eines Kranken bereits mit rechtskräftigem Gerichtsbeschluss für unzulässig erklärt worden ist, steht bei unveränderter Sachlage die Rechtskraft dieses Beschlusses einer neuerlichen Entscheidung hierüber entgegen; für eine bloße Bekräftigung der Unwirksamerklärung gibt es keine Rechtsgrundlage. Die Tätigkeit des Unterbringungsgerichts erschöpft sich in der Feststellung der Unzulässigkeit der Unterbringung, was die Verpflichtung des Abteilungsleiters, die Unterbringung sogleich aufzuheben, nach sich zieht. Jedoch ist die Erlassung einer Entlassungsverfügung nicht vorgesehen und eine Feststellungsentscheidung, aus der sich nur mittelbar eine Verpflichtung ergibt, kann nicht Gegenstand einer Vollstreckung sein (5 Ob 84/98h mwN).
2.3. Hier wurde die Unterbringung des Kranken bei der Erstanhörung um 11:38 Uhr für unzulässig erklärt und es wurde kein Rekurs erhoben, dem aufschiebende Wirkung zuerkannt worden wäre. Dennoch ist der Abteilungsleiter trotz Kenntnis des Ausgangs der Erstanhörung und im Wissen, dass der Patient im geschlossenen Bereich auf seine Entlassung wartete, qualifiziert untätig geblieben, indem er seiner Verpflichtung, die Unterbringung sogleich aufzuheben, bewusst nicht nachkam.
3. Es ist daher zu überprüfen, ob sich dadurch die Sachlage in dargelegten Sinn verändert hat.
3.1. Der Abteilungsleiter hatte in seinem Rekurs gegen die erstinstanzliche Entscheidung feststellungsfremd behauptet (und wiederholt dies in seiner wortgleichen Revisionsrekursbeantwortung), dem Betroffenen sei „vom Gericht empfohlen [worden], auf die Entlassungspapiere zu warten, was an der geschlossenen Station erfolgen sollte“, bezog sich aber im Übrigen auf die erstgerichtlichen Feststellungen, indem er ausführte, die unverzügliche Entlassung sei „aufgrund diverser Umstände“, nämlich die Beschäftigung der Oberärztin mit anderen Angelegenheiten, nicht erfolgt.
Weiters verwies der Rekurs auf die Ergebnisse des Gesprächs mit der Schwester des Betroffenen und die neuerliche Unterbringung, woraus er allerdings – wiederum ohne die Tatsachenbasis sowie den Umstand zu beachten, dass dem die Rechtskraft der Entscheidung im Rahmen der Erstanhörung entgegensteht – pauschal ableitete, dass die Voraussetzungen der Unterbringung auch bereits bei der Erstanhörung am Vormittag des 16. 8. 2019 vorgelegen seien. Eine Wartezeit von zwei Stunden sei zumutbar. Schließlich wurde im Rekurs behauptet, der Betroffene hätte die Station verlassen dürfen, habe dies jedoch mangels Fahrgelegenheit nicht getan; auch dies findet keine Grundlage in den Tatsachenfeststellungen.
Im Rekurs wurde keine Beweisrüge ausgeführt, sodass die Tatsachengrundlage des erstgerichtlichen Beschlusses vom Rekursgericht seiner inhaltlichen Beurteilung zugrundezulegen war, zumal der Rekurs (ebenso wie nunmehr textident die Revisionsrekursbeantwortung) nur – teils nicht gesetzmäßig ausgeführte – unrichtige rechtliche Beurteilung ins Treffen führte.
3.2. „Unterbringung“ ist nicht nur jene freiheitsbeschränkende Rechtsfolge, welche die Anstalt bei Vorliegen der materiellen und formellen Unterbringungsvoraussetzungen verhängen darf, sondern der Begriff beschreibt auch die Verhältnisse einer Person, die in einer Krankenanstalt oder Abteilung für Psychiatrie in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen wird; das UbG verwendet „Unterbringung“ überwiegend im zuletzt genannten Sinn und grenzt damit jene Anstaltsakte ab, die der gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung unterliegen und die die Vertretungsbefugnis des Vereins auslösen. Die Mindestmerkmale einer Unterbringung in diesem Sinn sind erfüllt, sobald – unabhängig von der Frage der Zulässigkeit – eine der in § 2 UbG genannten Beschränkungen in einer vom Geltungsbereich des UbG erfassten Einrichtung vorliegt (4 Ob 17/98y;
vgl 1 Ob 235/06z; RS0107537).
3.3. Der Kranke wurde nach 11:38 Uhr bewusst nicht aus dem geschlossenen Bereich entlassen. Ein Entlassungsmanagement, (Schreiben des Arztbriefs und gegebenenfalls Ausstellung eines Rezepts) wurde hier nicht einmal begonnen und hätte nach den Feststellungen auch nicht im geschützten (geschlossenen) Bereich abgewartet werden müssen.
3.4. Damit lag hier eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit des Kranken vor, die als geänderte Sachlage anzusehen ist. Über die Unzulässigkeit dieser weiteren Unterbringung im Zeitraum ab 11:38 Uhr bis 14:15 Uhr, deren alleinige Überprüfung vom Verein nach § 38a Abs 1 UbG beantragt wurde, wurde nicht bereits durch den ersten Beschluss im Rahmen der Erstanhörung um 11:38 Uhr abgesprochen. Einer neuerlichen Entscheidung hierüber steht damit die Rechtskraft jenes Beschlusses (vgl 5 Ob 84/98h) nicht entgegen.
3.5. Damit lag hier eine faktische Unterbringung des Kranken am 16. 8. 2019 von 11:38 Uhr bis 14:15 Uhr vor, die mangels Erfüllung der formellen Voraussetzungen unzulässig war.
4. Zusammengefasst gilt:
Wird einem Kranken nach Unzulässigerklärung der Unterbringung nach § 20 UbG nicht sogleich ermöglicht, außerhalb des geschlossenen Bereichs einer vom Geltungsbereich des UbG erfassten Einrichtung das – auch im offenen Bereich durchführbare – Entlassungsmanagement abzuwarten, liegt darin eine faktische Unterbringung, über deren Zulässigkeit nicht bereits durch den davor ergangenen Beschluss über die Unzulässigerklärung abgesprochen wurde.
5.1. Die Frage, ob die Rechtskraft des nach der Erstanhörung gefassten Unzulässigkeitsbeschlusses die Befassung mit der geltend gemachten Anhaltung hindert, betrifft ebenso wie die vom Rekursgericht aufgegriffene Frage, ob dafür der Rechtsweg zulässig sei, sogenannte „doppelrelevante“ Tatsachen, also solche, aus denen sowohl die Zulässigkeit des Antrags als auch die Begründetheit des Anspruchs folgt (vgl RS0116404, RS0056159). Auch wenn sich im Beweisverfahren ergibt, dass die behaupteten – sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Beurteilung des materiellen Anspruchs maßgeblichen – Tatsachen in Wahrheit nicht vorliegen, ist nicht mit Zurückweisung vorzugehen, sondern der Anspruch meritorisch abzuweisen (vgl 1 Ob 74/07z). Da die Vorinstanzen über diese doppeltrelevanten Tatsachen abgesprochen haben, hindert deren bloß formelle Betrachtung durch das Rekursgericht die inhaltliche Prüfung des Revisionsrekurses des Vereins in der Sache durch den Obersten Gerichtshof nicht.
5.2. Auf die vom Rekursgericht – im Anschluss an Kopetzki, Unterbringungsrecht3 [2012] Rz 784 mwH – bejahte Frage, ob im Hinblick auf die Verletzung der Verpflichtung, die Unterbringung sogleich aufzuheben, eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte und Unzulässigkeit des Rechtswegs besteht, kommt es nicht an.
6. Der die Unzulässigkeit der faktischen Unterbringung am 16. 8. 2019 von 11:38 Uhr bis 14:15 Uhr aussprechende erstgerichtliche Beschluss war wiederherzustellen.
Textnummer
E130016European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00095.20A.1021.000Im RIS seit
09.12.2020Zuletzt aktualisiert am
07.12.2021