TE OGH 2020/10/23 8ObA86/20k

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Veröffentlicht am 23.10.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Dr. Herbert Holzinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei DDr. W*****, vertreten durch Mag. Nicole Feucht, Rechtsanwältin in Hollabrunn, wegen 3.407,97 EUR brutto abzüglich 192 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Juni 2020, GZ 9 Ra 21/20d-66, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 21. Oktober 2019, GZ 1 Cga 46/17s-59, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 3. Jänner 2020, GZ 1 Cga 46/17s-61, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird im Zinsenzuspruch teilweise abgeändert, im Übrigen aber bestätigt, sodass die Entscheidungen der Vorinstanzen in der Hauptsache –  die Kostenentscheidung bleibt unberührt  – insgesamt zu lauten haben wie folgt:

„1. Die Klagsforderung besteht mit 3.407,97 EUR brutto abzüglich 192 EUR netto zu Recht.

2. Die bis zur Höhe der Klagsforderung eingewandte Gegenforderung von 2.380,16 EUR brutto besteht nicht zu Recht.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 3.407,97 EUR brutto abzüglich 192 EUR netto samt 4 % Zinsen seit 1. 2. 2017 zu zahlen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte betreibt in einem Objekt mit 340 m² Nutzfläche, das zugleich seine Privatwohnung ist, eine Zahnarztordination. Im März 2015 vereinbarten die Parteien, dass die Klägerin ab 24. 3. 2015 für den Beklagten zu einem monatlichen Entgelt von 540 EUR für 16 Stunden pro Woche als Raumpflegerin tätig sein sollte. Der Beklagte trug der Klägerin auf, in der Ordination acht Stunden in der Woche und die übrigen acht Stunden für seine Mutter in deren Haus sowie deren Wohnung zu arbeiten. Zu Beginn des Dienstverhältnisses arbeitete die Klägerin zweimal die Woche in der Ordination des Beklagten und einmal in der Woche bei der Mutter. Nach einigen Monaten ersuchte der Beklagte die Klägerin, zukünftig zweimal pro Woche zur Mutter zu fahren und dort Einkäufe durchzuführen und den Haushalt zu erledigen. So arbeitete die Klägerin bis Ende September 2015 dreimal die Woche, manchmal auch viermal die Woche für den Beklagten; ab Oktober 2015 arbeitete sie stets vier Tage die Woche für ihn. In der Ordination des Beklagten putzte sie sowohl die Ordinations- als auch die Privaträumlichkeiten, die dem Beklagten als Wohnung dienten, darunter auch die offene Küche, die in der Ordination als Sozialraum fungierte. In diesen zweimal vier Stunden pro Woche, welche die Klägerin beim Beklagten in der Ordination tätig war, wusch sie auch die weiße Wäsche, bügelte die Arbeitshose des Beklagten sowie die privaten Überzüge für die Bettwäsche. Einmal wöchentlich ging die Klägerin mit dem Beklagten einkaufen, Mineralwasser manchmal auch alleine. Weiters reinigte sei die privat genutzte, 90 m² große Terrasse des Beklagten, brachte den Abfall zum Müllcontainer und holte die Post ab. Bei der Mutter räumte die Klägerin auf, ging einkaufen, zur Bank und zur Post und mit der Katze zum Tierarzt. Weiters wusch sie die Wäsche der Mutter.

Am 30. 1. 2017 beendeten die Parteien das Dienstverhältnis einvernehmlich. Dabei wurde nicht vereinbart, dass mit der einvernehmlichen Auflösung alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Dienstverhältnis bereinigt und verglichen sind und die Klägerin daher keine Ansprüche aus dem Dienstverhältnis mehr geltend machen kann.

Die Klägerin begehrte die Zahlung von 3.407,97 EUR brutto abzüglich 192 EUR netto sA. Da sie deutlich überwiegend als Hausgehilfin im Haushalt des Beklagten bzw dessen Mutter eingesetzt gewesen sei, käme das Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz (HGHAngG) und damit der Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte zur Anwendung. Da die Klägerin unter dem Mindestlohntarif entlohnt worden sei, schulde ihr der Beklagte die Differenz in Höhe von 3.407,97 EUR brutto, wobei eine Teilzahlung von 192 EUR an Fahrtkosten und Entgelt netto von diesem Betrag abzuziehen sei.

Der Beklagte bestritt und wandte eine Gegenforderung von 2.380,15 EUR brutto für irrtümlich geleistete Sonderzahlungen ein. Die Klägerin falle weder unter das HGHAngG noch unter den entsprechenden Mindestlohntarif, weil sie ausschließlich zur Reinigung der vom Beklagten gewerbsmäßig betriebenen Ordination eingestellt gewesen sei. Die Parteien hätten mündlich vereinbart, dass mit der – von der Klägerin erbetenen – einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Dienstverhältnis bereinigt und verglichen seien.

Das Erstgericht sprach aus, dass die Klagsforderung mit 3.407,97 EUR brutto abzüglich 192 EUR netto zu Recht, die Gegenforderung hingegen nicht zu Recht bestehe, und verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 3.407,97 EUR brutto abzüglich 192 EUR netto samt 8,58 % Zinsen seit 1. 2. 2017. Die Tätigkeit der Klägerin sei unter das HGHAngG zu subsumieren und der Mindestlohntarif sei anwendbar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nur im Kostenpunkt Folge. Die Klägerin sei im Rahmen ihres einheitlichen Dienstverhältnisses überwiegend nicht für die Hauswirtschaft des Beklagten tätig gewesen, zumal sie acht Stunden Arbeiten in der Hauswirtschaft der Mutter des Beklagten verrichtet habe und auch in den verbleibenden acht Stunden nicht ausschließlich für die Hauswirtschaft des Beklagten tätig gewesen sei. Das HGHAngG sei daher nach § 1 Abs 1 nicht anzuwenden. Der Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte komme jedoch nach dessen § 1 Z 2 lit b auch für jene Arbeitnehmer zur Anwendung, die zwar nicht unter das HGHAngG fallen, jedoch bei Arbeitgebern, für die keine kollektivvertragsfähige Körperschaft besteht oder die nicht selbst kollektivvertragsfähig sind, einschlägige Reinigungs- und Aufräumungsarbeiten verrichten oder die im Auftrage solcher Arbeitgeber bei dritten Personen diese Arbeiten in privaten Haushalten verrichten. Beim Beklagten bestehe als Zahnarzt eine kollektivvertragsfähige Körperschaft, nämlich die Österreichische Zahnärztekammer, und ein Kollektivvertrag für Angestellte von Zahnärzten. Soweit die Klägerin Reinigungsarbeiten in der Ordination des Beklagten durchgeführt habe, fiele sie weder in den Geltungsbereich des Kollektivvertrags für Angestellte von Zahnärzten noch in jenen des zitierten Mindestlohntarifs. Im Rahmen ihres als Einheit zu betrachtenden Arbeitsverhältnisses habe der Beklagte der Klägerin jedoch aufgetragen, acht Stunden im privaten Haushalt seiner Mutter und auch in seinem privaten Haushalt tätig zu sein. Die Klägerin sei somit jedenfalls mehr als die Hälfte ihrer Wochenarbeitszeit nicht für die Ordination/den Beklagten als Zahnarzt tätig gewesen. Für diese (privaten) Reinigungstätigkeiten greife wiederum der Mindestlohntarif. Da im Rahmen eines einheitlichen Dienstverhältnisses auf das Überwiegen der Tätigkeit abzustellen sei (§ 9 Abs 3 ArbVG) und das soziale Schutzprinzip jedenfalls die Anwendung eines Kollektivvertrags/Mindestlohntarifs gebiete, sei die Tätigkeit der Klägerin in ihrer Gesamtheit dem Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte zu unterstellen.

Vom Vorliegen eines Generalvergleichs anlässlich der einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses könne keine Rede sein.

Richtigerweise seien die der Klägerin nach dem Mindestlohntarif zustehenden Bruttolohnansprüche den vom Beklagten geleisteten Bruttobeträgen gegenüberzustellen. Hierbei ergebe sich eine Differenz zugunsten der Klägerin von 3.662,43 EUR.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.

Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision des Beklagten nicht Folge zu geben.

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zur Klarstellung zulässig, sie ist allerdings in der Hauptsache nicht berechtigt.

1.1 Zu Unrecht vermeint der Beklagte, dass das Berufungsgericht betreffend die Frage der generalbereinigenden Wirkung einer einvernehmlichen Auflösung eines Dienstverhältnisses von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei.

Rechtliche Beurteilung

1.2 Die Bereinigungswirkung eines anlässlich der Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses geschlossenen Vergleichs erstreckt sich im Zweifel auf alle aus diesem Dauerschuldverhältnis entstehenden oder damit zusammenhängenden Rechte und Pflichten (RIS-Justiz RS0032589 [T8]). Diese Bereinigungswirkung tritt selbst dann ein, wenn in den Vergleich keine Generalklausel aufgenommen wurde; sie umfasst auch solche Ansprüche, an welche die Parteien im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses zwar nicht gedacht haben, an die sie aber denken konnten (RS0032589 [T11]; RS0032470).

1.3 Das Berufungsgericht ging allerdings – im Einklang mit der Aktenlage – davon aus, dass die Parteien anlässlich der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses am 30. 1. 2017 gar keinen Vergleich im Sinn des § 1380 ABGB geschlossen haben: Die vom Beklagten in erster Instanz noch behauptete mündliche Vereinbarung, dass mit der einvernehmlichen Auflösung alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Dienstverhältnis bereinigt und verglichen seien, liegt nach den Feststellungen nicht vor. Auf einen schriftlichen Vergleich hat sich der Beklagte nicht gestützt; ein solcher ist dem Inhalt des schriftlichen Aufhebungsvertrags auch nicht zu entnehmen.

1.3 Die nunmehrigen – offenbar auf einen schlüssigen Vergleichsabschluss abzielenden – Ausführungen des Beklagten, der Klägerin sei eine „gesichtswahrende“ Auflösung zugestanden worden, verstoßen gegen das Neuerungsverbot. Mangels (Abschluss) eines Vergleichs ist für den Beklagten aus der zitierten Rechtsprechung nichts zu gewinnen.

2.1 Der Beklagte wendet sich weiters gegen die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Tätigkeit der Klägerin in ihrer Gesamtheit dem Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte zu unterstellen sei, weil sie unter Berücksichtigung der Reinigungs- und Aufräumarbeiten, die sie im Auftrag des Beklagten im Haushalt von dessen Mutter verrichtet habe, jedenfalls mehr als die Hälfte der vereinbarten Arbeitszeit in einem privaten Haushalt (und nicht in der zahnärztlichen Ordination des Beklagten) tätig gewesen sei.

2.2 In diesem Zusammenhang versucht der Revisionswerber zunächst, die von den Vorinstanzen festgestellte Tatsachengrundlage in Zweifel zu ziehen. Ein bereits vom Berufungsgericht verneinter Verfahrensmangel kann aber ebenso wenig wie eine mangelhafte oder unzureichende Beweiswürdigung im Revisionsverfahren angefochten werden (vgl RS0042963; RS0043371), wie der Beklagte ohnehin selbst zu erkennen scheint.

2.3 Im Übrigen spricht der Beklagte in diesem Zusammenhang allerdings vom Obersten Gerichtshof bislang nicht ausdrücklich geklärte Rechtsfragen an.

3.1 Der Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte kommt nach dessen § 1 Z 2 lit b unter anderem auch auf Arbeitnehmer zur Anwendung, die nicht unter das HGHAngG fallen, jedoch bei Arbeitgebern, für die keine kollektivvertragsfähige Körperschaft besteht oder die nicht selbst kollektivvertragsfähig sind, einschlägige Reinigungs- und Aufräumungsarbeiten verrichten oder die im Auftrage solcher Arbeitgeber bei dritten Personen diese Arbeiten in privaten Haushalten verrichten.

3.2.1 Der Beklagte wendet nun ein, der Mindestlohntarif sei hier schon deshalb nicht anwendbar, weil er als Zahnarzt einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft, der Österreichischen Zahnärztekammer, angehöre, auch wenn auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin konkret kein Kollektivvertrag zur Anwendung gelangt.

3.2.2 Ein Mindestlohntarif darf nach § 22 Abs 3 Z 1 ArbVG nur für Arbeitnehmergruppen festgesetzt werden, für die ein Kollektivvertrag nicht abgeschlossen werden kann, weil kollektivvertragsfähige Körperschaften auf Arbeitgeberseite nicht bestehen. Bereits der Bestand einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft der Arbeitgeber allein ist ausschlaggebend dafür, dass eine Festsetzung von Mindestlohntarifen nicht mehr erfolgen kann, gleichgültig, ob auch tatsächlich ein Kollektivvertrag abgeschlossen wurde oder nicht. Die behördliche Festsetzung eines Mindestlohntarifs soll nur einen fehlenden Kollektivvertragspartner auf Arbeitgeberseite ersetzen, nicht jedoch einen vorhandenen, aber nicht abschlussbereiten Partner zu Verhandlungen zwingen (8 ObA 338/98h; 9 ObA 43/05x; Mosler in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht Bd 25 [2015] § 22 Rz 21).

Bereits in der Entscheidung 8 ObA 338/98h hat der Oberste Gerichtshof festgehalten, dass zu prüfen ist, ob sich der räumliche, persönliche und fachliche Geltungsbereich der Kollektivvertragsfähigkeit des Arbeitgeberverbands auch auf den betroffenen Arbeitnehmer erstreckt.

In diesem Sinne führt auch Schrammel (Rechtsfragen des Mindestlohntarifs, ZAS 2005/34 [196 f]) aus, dass dann, wenn sich die Kollektivvertragszuständigkeit des Verbands nicht auf alle geschäftlichen Aktivitäten der Verbandsmitglieder erstreckt, diese hinsichtlich dieser Betätigungen von keinem Kollektivvertrag erfasst seien. Bestehe auch keine andere „zuständige“ Berufsvereinigung, seien die Voraussetzungen für die Erlassung eines Mindestlohntarifs bezüglich der „kollektivvertragsfreien“ Arbeitsverhältnisse (Fehlen einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft) gegeben.

In der Entscheidung 9 ObA 43/05x hat der Oberste Gerichtshof – unter Bezugnahme auf die Entscheidungsbesprechung von Strasser zu 8 ObA 338/98h (in ZAS 2000/15) – weiter präzisiert, dass die Frage nach den Grenzen einer Kollektivvertragsfähigkeit immer ident mit der Frage ist, für welche Arten von Arbeitsverhältnissen die betreffende Körperschaft auf Arbeitgeberseite berechtigt wäre, Kollektivverträge abzuschließen. Dies führt – so der 9. Senat – zur weiteren Frage, inwieweit die Mitglieder der Körperschaft in dieser ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber auftreten bzw aufzutreten berechtigt sind.

3.2.3 Der Österreichischen Zahnärztekammer obliegt gemäß § 17 Abs 1 ZÄKG die berufliche Vertretung der Angehörigen des zahnärztlichen Berufs und des Dentistenberufs. Sie ist nach § 18 Z 1 ZÄKG berufen, die gemeinsamen beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Belange der Kammermitglieder wahrzunehmen und zu fördern. § 19 Abs 1 Z 2 ZÄKG berechtigt sie zum Abschluss von Kollektivverträgen als gesetzliche Interessenvertretung auf Arbeitgeberseite.

3.2.4 Für den Anlassfall folgt daraus, dass eine Kollektivvertragszuständigkeit der Österreichischen Zahnärztekammer nur insoweit vorliegt, als der beklagte Arbeitgeber in seiner Eigenschaft als Mitglied der Zahnärztekammer berechtigt war, den Arbeitsvertrag mit der klagenden Raumpflegerin abzuschließen. Für Arbeitsverträge, die die Reinigung der Betriebs- und Geschäftsräumlichkeiten betreffen, ist dies der Fall. Hingegen unterliegen Arbeitsverträge, die die Reinigung im Haushalt des Beklagten selbst und dessen Mutter zum Gegenstand haben, nicht der Kollektivvertragszuständigkeit der Kammer.

3.3 Hier stellt sich das (nicht geregelte) Problem, dass das (einheitliche) Arbeitsverhältnis der Klägerin in dieser Hinsicht zweigeteilt ist. Um dieses Problem zu lösen, bietet sich ein Rückgriff auf § 10 ArbVG an. Während die vom Berufungsgericht herangezogene Bestimmung des § 9 Abs 3 ArbVG sogenannte Mischbetriebe betrifft, regelt § 10 ArbVG Mischverwendungen. Nach § 10 ArbVG gilt bei einer Kollision von Kollektivverträgen der (im Gegensatz zu § 9 Abs 1 und 2 auch in § 9 Abs 3 ArbVG zum Ausdruck kommende) Grundsatz der Tarifeinheit in Bezug auf das einzelne Arbeitsverhältnis (Resch in Jabornegg/Resch, ArbVG [2019] § 10 Rz 1). Es gilt der Kollektivvertrag jenes Betriebs, in dem der Arbeitnehmer überwiegend seine Beschäftigung ausübt.

3.4 Der Ordnungsgedanke des § 10 ArbVG kann auch für die vorliegende Konstellation fruchtbar gemacht werden, in der sich bei einem einheitlichen Arbeitsverhältnis ein von einem Mindestlohntarif erfasster Bereich und ein kollektivvertragsfreier Bereich gegenüber stehen, wobei nach den Feststellungen die Beschäftigung der Klägerin in ersterem überwiegt. Da nach der Rechtsprechung ein für die Arbeitnehmer des wirtschaftlich maßgeblichen Betriebsbereichs anzuwendender Mindestlohntarif in analoger Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG einen für die Arbeitnehmer des wirtschaftlich untergeordneten Bereichs geltenden Kollektivvertrag verdrängt (RS0050861; RS0126333; Pfeil in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht Bd 25 [2015] § 9 Rz 27 mwN; aA Resch in Jabornegg/Resch, ArbVG [2019] § 9 Rz 33), muss umso mehr der Mindestlohntarif gegenüber einem an eine nicht maßgebliche Teiltätigkeit anknüpfenden kollektivvertragsfreien Raum durchschlagen. In analoger Anwendung des § 10 ArbVG ist hier daher das gesamte Arbeitsverhältnis dem Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte zu unterstellen. Die Kollektivvertragszuständigkeit der Zahnärztekammer für die bloß untergeordnet ausgeübte Beschäftigung der Klägerin für einen „anderen Betrieb“ schadet nicht. Die Frage, ob der Mindestlohntarif den kollektivvertragsfreien (allerdings in die Kollektivvertragszuständigkeit der Österreichischen Zahnärztekammer fallenden) Bereich aufgrund des sozialen Schutzprinzips (vgl allerdings zum „Mischbetrieb“ 9 ObA 139/05i) auch dann verdrängen würde, wenn letzterer überwiegen würde – dies vor dem Hintergrund der Bestimmung des § 22 Abs 3 Z 1 ArbVG – braucht im vorliegenden Fall nicht beantwortet zu werden.

4. Daraus folgt, dass das Berufungsgericht zu Recht auf das gesamte Arbeitsverhältnis den Mindestlohntarif für im Haushalt Beschäftigte zur Anwendung gebracht hat. Der Revision war daher in der Hauptsache nicht Folge zu geben.

5. Nach § 49a Satz 2 ASGG gebühren die erhöhten Zinsen gemäß § 49a Satz 1 ASGG allerdings dann nicht, wenn die Verzögerung der Zahlung auf einer vertretbaren Rechtsansicht des Schuldners beruht. Eine objektiv vertretbare Rechtsansicht liegt etwa dann vor, wenn eine komplexe Materie zu beurteilen war, zu der Rechtsprechung fehlte (RS0125438). Dies ist hier der Fall, wie der Beklagte letztlich zutreffend aufzeigt. Der Klägerin waren daher nur die gesetzlichen Zinsen nach § 1000 Abs 1 ABGB zuzusprechen.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 2 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO. Die Abänderung bezieht sich nur auf Nebengebühren, die nicht zum Streitwert gehören, sodass dies keine Kostenfolge hat (7 Ob 49/06s; 9 Ob 37/13a).

Textnummer

E130017

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00086.20K.1023.000

Im RIS seit

09.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.10.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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