TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/22 W280 2222346-1

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Veröffentlicht am 22.07.2020
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Entscheidungsdatum

22.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W280 2222346-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Wolfgang BONT über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX .1994, StA. Kosovo, vertreten durch RA Mag. Michael-Thomas REICHENVATER, 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) stellte am XXXX .2019 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK „Aufrechterhaltung des Privat und Familienlebens“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005. Dem Antrag war eine Vollmachtsbekanntgabe der bevollmächtigten Rechtsvertretung des BF vom XXXX .2019 sowie ein Konvolut an Bescheinigungen beigelegt.

Am XXXX .2019 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark (BFA oder belangte Behörde), hierzu niederschriftlich einvernommen.

Der BF gab in weitere Folge durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter eine Stellungnahme ab und legte neuerlich Urkunden vor.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom XXXX .2019 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 55 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des BF in den Kosovo zulässig ist (Spruchpunkt II.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Dagegen erhob der BF mit Schriftsatz vom XXXX .2019, am selben Tag per Fax bei der belangten Behörde durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter eingebracht, fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, mit welcher die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, die Entscheidung durch das BVwG in der Sache selbst, die Erteilung eines Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK und die Feststellung, dass eine Rückkehrentscheidung dauerhaft unzulässig ist, in eventu den angefochtenen Bescheid aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidungsfindung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen, beantragt wurde.

Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 04.03.2020 wurde die Beschwerdesache einer anderen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

Am 14.07.2020 führte das BVwG in Anwesenheit des BF und im Beisein des Vertreters des BF eine mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist Staatsangehöriger von Kosovo und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Zif. 10 FPG. Die Identität des BF steht fest.

Die Eltern, bei denen der BF zusammen mit seinen zwei Brüdern und einer Schwester aufwuchs, leben in Kosovo. Die Mutter des BF ist Hausfrau, sein Vater arbeitet als Möbelverkäufer in einem Angestelltenverhältnis. Die beiden Brüder gehen noch zur Schule, die Schwester in den Kindergarten.

Der BF besuchte in Kosovo die Grundschule, eine medizinische Mittelschule, und wollte anschließend Medizin studieren, entschied sich jedoch sodann für das in seinen Augen leichtere Studium des Bank- und Investitionswesen, welches er nach 1 Semester beendete.

Der Lebensmittelpunkt des BF lag vor seiner Einreise nach Österreich in Kosovo. Der letzte Besuch in Kosovo fand 2018 statt.

Im Bundesgebiet durchgehend behördlich gemeldet ist der BF seit XXXX .2014. Vom XXXX 2014 bis XXXX .2016 verfügte der BF über einen Aufenthaltstitel „Studierender“, nach einem am XXXX .2016 eingebrachten Zweckänderungsantrag von XXXX .2017 bis XXXX .2019 über einen Aufenthaltstitel „Schüler“. Seit XXXX .2019 hält sich der BF unrechtmäßig in Österreich auf.

Während des Zeitraumes von XXXX 2014 bis XXXX .2019 wechselte der BF zwei Mal seine Ausbildungsrichtung.

Eine in Österreich zuerst begonnenes Studium der Betriebswirtschaft scheiterte an den mangelnden Deutschkenntnissen, eine anschließend angedachte Ausbildung zum Krankenpfleger scheiterte an der Aufnahme an einer entsprechenden Ausbildungseinrichtung.

Ab Herbst 2016 besuchte der BF die HTL XXXX in XXXX . Nach vier Semestern beendete der BF seine Schulausbildung Ende XXXX 2018 wegen mangelndem Studienerfolg.

Von XXXX 2018 bis Ende XXXX 2019 arbeitete der BF sodann im Ausmaß von 16 Stunden als Küchengehilfe und Abwäscher in einem Gastronomiebetrieb, bei welchem er bereits im Zeitraum XXXX .2015 bis XXXX .2018 geringfügig beschäftigt war.

Festgestellt wird, dass der BF aus überwiegend wirtschaftlichen Interessen nach Österreich kam.

Seit XXXX 2019 lebt er von seinen Ersparnissen und finanzieller Unterstützungen. Nicht festgestellt werden kann, wer den BF in welchem Ausmaß finanziell unterstützt.

Der BF ist nicht verheiratet, hat keine Kinder und lebt allein. Er verfügt über zwei in Österreich lebende Cousins, wovon einer im Bundesland XXXX und einer in XXXX lebt. Zu letzterem und dessen Familie pflegt der BF einen intensiven Kontakt.

Seit XXXX .2020 hilft der BF ehrenamtlich jeden XXXX von 12:00 Uhr bis 22:00 Uhr beim Österreichischen Roten Kreuz bei der Auslieferung von Essen. Jeden XXXX spielt der BF mit Freunden und Bekannten außerhalb eines Vereines Fußball. Darüberhinausgehende soziale Anknüpfungspunkte oder anderweitige Bescheinigungen, die eine tiefergehende Integration des BF nachweisen, bestehen nicht.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er besitzt eine Einstellungszusage für den Fall des Erhalts einer Arbeitsgenehmigung.

Der BF spricht albanisch und verfügt über ein Sprachzertifikat für die deutsche Sprache auf Niveau B 1. Der BF erweist sich in strafrechtlicher Hinsicht als unbescholten.

Kosovo gilt als sicherer Herkunftsstaat.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen und Geburtsdatum), zu seinen Eltern und Geschwistern, sowie zu den Ausbildungen an Schulen und Universitäten des BF in Kosovo und in Österreich und zu seinem Privatleben getroffen wurden, beruhen diese auf den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellung, wonach der Lebensmittelpunkt des BF vor dessen Einreise in das Bundesgebiet in Kosovo lag, gründet darin, dass dieser entsprechend seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung nahezu 20 Jahre durchgehend dort lebte.

Jene über den behördlich gemeldeten Aufenthalt im Bundesgebiet sowie die unterschiedlichen Aufenthaltstitel auf den diesbezüglichen Abfragen aus dem Zentralen Melderegister, dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister und der im Verfahrensakt des BFA einliegenden und vom Amt der steiermärkischen Landesregierung übermittelten Chronologie der erteilten Aufenthaltstitel.

Dass sich der BF seit XXXX .2019 unrechtmäßig in Österreich aufhält ergibt sich daraus, dass der ihm zuletzt erteilte Aufenthaltstitel „Schüler“ am XXXX .2019 abgelaufen ist und eine Antragstellung nach § 55 AsylG 2005 gemäß § 58 Abs. 13 1. Satz leg.cit. kein Bleiberecht begründet.

Dass der BF sowohl in Kosovo als auch in Österreich mehrfach seine Ausbildungsrichtung wechselte ergibt sich aus seinen diesbezüglichen Angaben gegenüber dem erkennenden Gericht und der im Verfahrensakt einliegenden Chronologie der ihm von der zuständigen NAG-Behörde verliehenen Aufenthaltstitel.

Die Feststellungen zur Beschäftigung in einem Gastronomiebetrieb beruhen auf den Aussagen des BF gegenüber dem Gericht sowie dem diesbezüglich korrelierenden Versicherungsdatenauszug, der vom BF anlässlich der Antragstellung vorgelegt wurde.

Dass der BF überwiegend aus wirtschaftlichen Interessen nach Österreich gekommen ist, ergibt sich aus der niederschriftlichen Befragung vor der belangten Behörde (AS 120, AS 122), als auch aus seinen diesbezüglichen Angaben vor dem erkennenden Gericht (Frage: „Was war der Grund, dass Sie dieses Studium (Anmerkung: in Kosovo) abgebrochen haben?“ Antwort: „Weil ich hier in Österreich mehr Möglichkeiten habe zu arbeiten. Dort ist es schwer mit Studium eine Arbeit zu finden.“/ Frage: „Wieso haben Sie keine andere Ausbildung im Kosovo begonnen?“ Antwort: „Ich wollte, aber es gibt keine Zukunft dort. Auch wenn du eine Ausbildung hast, findest du nur schwer eine Arbeit.“ / Frage: „ Wenn Sie im XXXX 2018 wussten, dass Sie die HTL nicht weiter besuchen würden, wieso sind Sie dann nicht nach Kosovo zurückgegangen?“ Antwort: „…. Ich wollte nicht zurück in den Kosovo gehen, weil es dort schwer ist; hier gibt es viele Möglichkeiten zu arbeiten.“)

Dass der BF seit der Beendigung seiner Tätigkeit im Gastronomiebetrieb von seinen Ersparnissen und finanziellen Unterstützungen lebt sei als wahr unterstellt. Wer ihm diese Unterstützung in welchem Ausmaß zukommen lässt, kann nicht festgestellt werden. Gab der BF vor dem Bundesamt an, dass ihn die Eltern finanziell unterstützen würden und der in Graz lebende Cousin diesen lediglich am Anfang unterstützt habe, so stellt der BF dies in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in Abrede. Von seinen Eltern bekomme er keine finanzielle Unterstützung, jedoch unterstütze ihn sein in XXXX lebender Cousin mit EUR 600 pro Monat. Angesichts des Umstandes, dass der Cousin, der eine Familie hat und beruflich in einem Fitnessstudio arbeitet (AS 121), erscheint ein derart hoher Betrag von EUR 600 an monatlicher Zuwendung wenig glaubwürdig.

Der bestehende enge Kontakt zu seinem Cousin und dessen Familie ergibt sich ebenso aus dessen Angaben gegenüber dem erkennenden Gericht wie auch aus den im bekämpften Bescheid getroffenen Feststellungen.

Dass der BF ehrenamtlich seit XXXX .2020 beim Roten Kreuz als Helfer tätig ist, ergibt sich aus der vom BF vorgelegten Kopie des Online Dienstplanes der genannten Hilfsorganisation sowie seinen diesbezüglichen Angaben gegenüber dem Gericht, ebenfalls das von ihm geübte wöchentliche Fußballspiel mit Freunden und Bekannten außerhalb eines Vereins.

Die fehlende Feststellbarkeit sonstiger Integrationsmomente gründet einerseits im Umstand, dass die vom BF vorgelegten neun Empfehlungs- und Unterstützungsschreiben nicht geeignet sind, solche nachzuweisen.

Von den angeführten neun Schreiben sind sechs weder unterschrieben, noch weisen sie eine verifizierbare Adress- oder Personenangabe auf. Da sie vom Schriftbild, der optischen Gliederung sowie der Betitelung (Empfehlungsschreiben für XXXX ) ident und mit den nahezu identen sprachlichen Fehlern behaftet sind, besteht die berechtigte Vermutung, dass diese vom BF selbst angefertigt wurden. Zumindest fünf Schreiben beziehen sich auf die Zusammenarbeit mit dem BF an seiner Arbeitsstätte bzw. die Zusammenarbeit mit diesem, die anderen attestieren ihm bestimmte Charaktereigenschaften wie Fleiß, Pünktlichkeit, Genauigkeit, Freundlichkeit, Toleranz uä. Zum Nachweis von Integrationsschritten des BF im persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich sind diese jedoch nicht geeignet.

Andere Vorbringen wurden vom BF nicht getätigt und sind solche auch in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG nicht hervorgekommen.

Der Gesundheitszustand und die Arbeitsfähigkeit des BF beruhen auf dem Nichtvorbringen von Sachverhalten seitens des BF welche dessen Gesundheit und Arbeitsfähigkeit ausschließen lassen könnten.

Das Vorliegen einer gegenüber der im XXXX weiterhin gültigen und aktuellen Einstellungszusage seitens des Gastronomiebetriebes in welchem er gearbeitet hat, wird als wahr unterstellt. Auch das Vorliegen einer solchen spricht für dessen Arbeitsfähigkeit.

Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Sprachniveau B 1 beruhen ebenfalls auf einer vom BF in Vorlage gebrachten diesbezüglichen Bestätigung.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des BF beruht auf dem Amtswissen des erkennenden Gerichts (Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich).

Dass es sich bei Kosovo um einen sicheren Herkunftsstaat handelt, ergibt sich aus § 1 Z 2 der Verordnung der Bundesregierung, mit der Staaten auf Basis des § 19 Abs. 5 Z 2 BFA-VG als sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden (Herkunftsstaaten-Verordnung, BGBl. II Nr. 177/2009 ifF BGBl. II Nr. 145/2019).

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Zif. 1 AsylG vor, ist gemäß § 55 Abs. 2 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK geboten ist, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 06.09.2017, Ra 2017/20/0209). Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig anzusehen (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt folgendes:

Im gegenständlichen Fall leben zwei Cousins des BF im Bundesgebiet. Zu dem in Graz lebenden Cousin, der bereits über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügt, und dessen Familie besteht unbestritten ein sehr enger Kontakt, ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis ist jedoch nicht belegt oder erkennbar. Es besteht auch kein gemeinsamer Haushalt. Der BF ist nicht verheiratet, führt keine Beziehung und hat keine Sorgepflichten. Er verfügt somit in Österreich über kein Familienleben iSd Art. 8 EMRK.

Zu prüfen wäre daher ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des BF. Unter „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle. Auch wenn die Rechtsprechung keine explizite Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt, so ist dennoch festzuhalten, dass die Aufenthaltsdauer des BF von 5 Jahren und 8 Monaten nur knapp über jener Schwelle liegt, die nach der Judikatur des VwGH maßgeblich bedeutsam ist, weshalb daher insbesondere die Umstände des Aufenthaltes zu prüfen sind.

Nach dem Abbruch seines Studiums des Bank- und Investitionswesens in Kosovo, kam der BF 2014 nach Österreich, wo er zwei Mal eine jeweils auf ein Jahr befristete und zweckgebundene Aufenthaltsbewilligung als Student innehatte. Diese kann ex lege grundsätzlich nur bei Vorliegen und Nachweis eines entsprechenden Studienerfolges verlängert werden kann (§ 64 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG).

In Ermangelung dieser Voraussetzungen beendete der BF sein Studium der Betriebswirtschaft und wechselte, nachdem eine angedachte Ausbildung zum Krankenpfleger an der Aufnahme an einer entsprechenden Ausbildungseinrichtung scheiterte, seine Ausbildungsrichtung und begann mit dem Wechsel an eine HTL und der Stattgabe des von ihm angestrebten Zweckänderungsantrages hinsichtlich seines Aufenthaltstitels eine schulische Ausbildung, die er sodann im XXXX 2018 abbrach.

Vor dem Hintergrund dieses oftmaligen Wechsels von Ausbildungsrichtungen hätte dem BF die Unsicherheit des ihm befristet und für einen bestimmten Zweck gemäß den Bestimmungen des NAG zuerkannten Aufenthaltstitels besonders deutlich bewusst sein müssen.

Spätestens ab dem Zeitpunkt seiner Erkenntnis, dass ihm eine positive Fortführung der HTL-Ausbildung nicht möglich ist, musste der BF sohin davon ausgehen, dass ein weiterer Verbleib im Bundesgebiet mit dem Aufenthaltstitel „Schüler“ nicht mehr zuerkannt werden würde.

Der Verbleib im Bundesgebiet, unter gleichzeitiger Aufnahme einer Beschäftigung im Ausmaß von 16 Stunden als Küchenhilfe und Abwäscher in einem Gastronomieunternehmen mit XXXX .208 korreliert mit den Aussagen des BF über die wirtschaftlichen Motive die mit seinem Aufenthalt in Österreich von Anbeginn an verbunden waren. Für den erkennenden Richter stehen sohin spätestens ab XXXX 2018 diese im Vordergrund des Aufenthaltes des BF in Österreich.

Dem Umstand, dass der BF nach Ablauf seiner Aufenthaltsberechtigung weiterhin im Bundesgebiet verblieben ist und sich seither unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, kommt zwar keine wesentliche Bedeutung zu, wirkt sich aber vor dem Hintergrund der gegenständlichen rechtmäßigen Aufenthaltsdauer von ca. 4 Jahren und 3 Monaten und den zumindest ab XXXX 2018 im Vordergrund stehenden rein wirtschaftlichen Motiven in der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung weiter relativierend aus.

Dass der BF über entsprechende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt, hat dieser durch die Vorlage eines Zertifikats über das Vorliegen von Sprachniveau B 1 dargetan und konnte der BF diese in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG unter Beweis stellen. Jedoch ist auch diesbezüglich relativierend festzuhalten, dass entsprechende Sprachkenntnisse letztendlich Zulassungsvoraussetzungen für ein ordentliches Studium an einer österreichischen Universität bzw. Hochschule sind und sohin in erster Linie eine studientechnische Notwendigkeit darstellen und lediglich zu einem untergeordneten Teil Integrationsbemühungen.

Wirtschaftliche Integrationsschritte kann der BF durch seine geringfügige Beschäftigung als Küchenhilfe und Abwäscher respektive seine spätere Beschäftigung auf Basis von 16 Stunden/Woche in einem Gastronomiebetrieb sowie das Bestehen eines Arbeitsvorvertrages dartun.

In gesellschaftlicher Hinsicht kann der BF trotz seines mehrjährigen Aufenthalts mangels entsprechender Aktivitäten und Engagements keine besondere Integration vorweisen. Erst seit kurzem, nämlich seit XXXX 2020, übt der BF eine ehrenamtliche Tätigkeit im Ausmaß von 10 Stunden / Woche beim Österreichischen Roten Kreuz aus.

Angesichts des Umstandes, dass der BF bis XXXX 2014, sohin fast 21 Jahre seinen Lebensmittelpunkt in Kosovo hatte, ist von insgesamt noch sehr starken und ausgeprägten Beziehungen zu seinem Heimatstaat auszugehen.

Der BF hat sein ganzes Leben in Kosovo verbracht. Er hat dort die prägenden Jahre seiner Kindheit verbracht, spricht die Sprache seines Heimatlandes und wurde dort sozialisiert. Vor diesem Hintergrund ist auch dem bereits zwei Jahre zurückliegenden Besuch seiner Verwandten in Kosovo keine maßgebliche Bedeutung beizumessen.

Der BF hätte sohin bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat hinreichende Anknüpfungspunkte, welche ihm beim Aufbau einer Lebensgrundlage Unterstützung bieten können.

Dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, vermag dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich ebenso wenig zu stärken, wie es auch das öffentliche Interesse an der Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht abzuschwächen vermag.

Der mehrmalige Wechsel der Ausbildungsrichtung des BF und die von ihm mehrfach dargelegten wirtschaftlichen Motive im Zusammenhang mit einem Wechsel nach Österreich stärken zudem die Vermutung, dass es dem BF von vornherein an der Ernsthaftigkeit des Betreibens eines Studiums gemangelt hat. Dies indiziert jedoch, dass eine von Anfang an beabsichtigte Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung vorliegt.

In der vorzunehmenden Gesamtschau überwiegt sohin in Summe das öffentliche Interesse an einem geordneten Vollzug fremdenrechtlicher Vorschriften und vor allem an der Einhaltung der Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsrechts die persönlichen Interessen des BF an der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd. Art 8 EMRK.

Da gegenüber dem BF kein Einreiseverbot verhängt wird, kann dieser auch jederzeit unter Einhaltung der Bedingungen für die visumfreie Einreise bestehende private Kontakte im Bundesgebiet besuchen bzw. im Rahmen der einschlägigen Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (Rot-Weiß-Rot Karte) sich um einen entsprechenden Aufenthaltstitel bemühen.

Die Rückkehrentscheidung greift daher nicht unverhältnismäßig in die gemäß Art. 8 EMRK geschützten Rechte des Beschwerdeführers ein und erweist sich auf der Grundlage des § 9 BFA-VG als zulässig.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG von Amts wegen gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (vgl. VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0157). Demnach ist die Abschiebung unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für den Betreffenden als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs. 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben oder die Freiheit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre (Abs. 2) oder solange die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs. 3).

Es sind - unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK - aber auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaigen wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. dazu VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Eine diesbezüglich besonders zu berücksichtigende Situation liegt aber nicht vor; beim Beschwerdeführer sind keine Vulnerabilitäten gegeben, zumal er gesund und somit auch erwerbsfähig ist

Da keine dieser Voraussetzungen hier zutrifft, ist festzustellen, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat zulässig ist.

Kosovo gilt als sicherer Herkunftsstaat (§ 1 Z 2 HStV), was für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und -willigkeit der dortigen Behörden spricht, zumal bei der Festlegung sicherer Herkunftsstaaten insbesondere auf das Bestehen oder Fehlen von staatlicher Verfolgung, Schutz vor privater Verfolgung und Rechtsschutz gegen erlittene Menschenrechtsverletzungen Bedacht zu nehmen ist (in diesem Sinn etwa VwGH 10.08.2017, Ra 2017/20/0153). Zudem hat der Beschwerdeführer im ganzen Verfahren niemals vorgebracht, dass er in Kosovo Menschenrechtsverletzungen zu erwarten hätte.

Darüber hinaus sind auch im Ermittlungsverfahren keinerlei - wie immer geartete - Hinweise hervorgetreten, dass dem Beschwerdeführer bei der Abschiebung nach Kosovo eine auch nur ansatzweise realistische Gefährdung der durch Art. 2 oder Art. 3 EMRK bzw. Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK geschützten Rechtsgüter droht.

Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Für diese Umstände trifft den Drittstaatsangehörigen eine Nachweispflicht (§ 55 Abs. 3 FPG).

Derartige besondere Umstände wurden vom Beschwerdeführer nicht behauptet und sind auch im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen.

Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, war die Beschwerde auch zu Spruchpunkt III. als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Interessenabwägung öffentliches Interesse Privatleben Resozialisierung Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W280.2222346.1.00

Im RIS seit

07.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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