Entscheidungsdatum
19.08.2020Norm
AsylG 2005 §34 Abs3Spruch
W103 2202190-1/2E
W103 2202194-1/2E
W103 2202197-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , und 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Ukraine und vertreten durch den XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2018, Zahlen: 1.) 1030794006-180378598, 2.) 1030794801-180378601, und 3.) 1001663810-180378580, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. bis IV. der angefochtenen Bescheide werden gemäß §§ 8 Abs. 4, 9 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 4, 57 AsylG 2005 idgF. als unbegründet abgewiesen.
II. In Erledigung der Beschwerden gegen die Spruchpunkte V. bis VII. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG idgF iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG idgF auf Dauer unzulässig ist.
III. Gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 iVm §§ 9 Abs. 4, 10 Abs. 2 Z 4 Integrationsgesetz, § 81 Abs. 36 NAG, jeweils idgF, wird 1.) XXXX , 2.) XXXX , und 3.) XXXX jeweils der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ jeweils für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Verfahren über die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten:
1.1. Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Ukraine, die Drittbeschwerdeführerin ist die Mutter der volljährigen Erstbeschwerdeführerin und des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers.
Die Drittbeschwerdeführerin reiste im Februar 2014 illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 09.02.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im September 2014 reisten die damals minderjährige Erstbeschwerdeführerin sowie der minderjährige Zweitbeschwerdeführer illegal ins Bundesgebiet ein, und stellten am 02.09.2014 durch ihre gesetzliche Vertreterin die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz.
Zum Grund ihrer Flucht aus dem Herkunftsstaat und der Stellung von Anträgen auf internationalen Schutz führte die Drittbeschwerdeführerin anlässlich der am 09.02.2014 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes abgehaltenen niederschriftlichen Erstbefragung sowie der am 21.04.2015 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durchgeführten Einvernahme im Wesentlichen aus, sie sei infolge der Teilnahme an einer Demonstration im Februar 2014 als Mitglied der Partei „Volksbund unserer Ukraine“ seitens der Polizei respektive regierungstreuer Personen bedroht worden und habe daher den Entschluss gefasst, die Ukraine unter Zurücklassung ihrer Familie zu verlassen. Zudem befinde sie sich als alleinstehende Frau in der Ukraine in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, ihr Haus sei zerstört worden.
Für die damals minderjährige Erstbeschwerdeführerin und den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer würden die gleichen Gründe wie für die Drittbeschwerdeführerin gelten.
1.2. Mit den im Familienverfahren ergangenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.04.2015 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der beschwerdeführenden Parteien hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkte I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Drittbeschwerdeführerin sowie gemäß §§ 8 Abs. 1 iVm 34 Abs. 3 AsylG der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkte II.) und diesen jeweils gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkte III.).
Begründend wurde ausgeführt, die Drittbeschwerdeführerin habe durch ihre vagen Angaben hinsichtlich einer Bedrohung infolge einer einzigen Teilnahme an einer erlaubten Demonstration keine glaubhafte Verfolgung ihrer Person im Herkunftsstaat dargelegt. Im Übrigen hätte es dieser im Fall einer tatsächlichen Bedrohung offen gestanden, Anzeige bei den ukrainischen Sicherheitsbehörden zu erstatten.
Zur Situation im Falle ihrer Rückkehr und Begründung der Zuerkennung subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, die wirtschaftliche Lage der Drittbeschwerdeführerin und die allgemeine politische Lage in deren Herkunftsstaat hätten sich durch die stattfindenden kriegerischen Auseinandersetzungen geändert. Aufgrund der allgemeinen schlechten wirtschaftlichen Situation, der prekären und unsicheren Sicherheitslage, der hohen Arbeitslosenrate und der mangelnden Versorgungsmöglichkeit ergebe sich zum derzeitigen Zeitpunkt noch das Risiko einer der Drittbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr drohenden unmenschlichen Lage.
Die damals minderjährige Erstbeschwerdeführerin und der minderjährige Zweitbeschwerdeführer hätten als Familienangehörige der Drittbeschwerdeführerin Anspruch auf den gleichen Schutzumfang.
1.3. Die dargestellten Bescheide erwuchsen unangefochten in Rechtskraft. Die befristete Aufenthaltsberechtigung der beschwerdeführenden Parteien als subsidiär Schutzberechtigte wurde zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.04.2016 für den Zeitraum bis zum 26.04.2018 erteilt.
Mit Schreiben vom 19.03.2018 stellten die beschwerdeführenden Parteien abermals Anträge auf Verlängerung der ihnen erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigungen.
2. Verfahren zur Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten:
2.1. Am 20.03.2018 wurde die Drittbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu ihrem Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung sowie zur Prüfung einer möglichen Aberkennung des Status niederschriftlich einvernommen. Die Drittbeschwerdeführerin gab im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache zusammengefasst an, sie sei gesetzliche Vertreterin ihrer beiden Kinder und verzichte auf eine gesonderte Einvernahme der beiden Minderjährigen. Sie sei, ebenso wie ihre Kinder, gesund. Die Drittbeschwerdeführerin sei geschieden und lebe seit mittlerweile sechs Jahren getrennt vom Vater ihrer Kinder. Von ihrem früheren Lebensgefährten in Österreich habe sie sich getrennt, nachdem selbiger sie geschlagen hätte. Nunmehr lebe sie alleine mit ihren Kindern. Ihre Eltern würden nach wie vor in XXXX in der Ukraine leben. Weitere Angehörige habe sie nicht mehr. Der Vater ihrer Kinder hielte sich noch in der Ukraine auf, doch es bestünde kein Kontakt mehr zu diesem.
In Österreich habe die Drittbeschwerdeführerin infolge Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten begonnen, Deutschkurse sowie einen Berufsvorbereitungskurs zu absolvieren. In weiterer Folge habe sie Arbeit als Zimmermädchen gefunden. Infolge der erwähnten Probleme mit ihrem Lebensgefährten sei sie in einem Frauenhaus aufhältig gewesen und sodann mit ihren Kindern an einen anderen Ort übersiedelt. Dort habe sie eine Arbeit als Reinigungskraft in einem Krankenhaus gefunden. Sie arbeite 20 Stunden und verdiene damit EUR 815,-. Ihre Kinder gingen in Österreich zur Schule und sie habe Freunde in Österreich gefunden. Auch ihre Kinder hätten Freunde in Österreich gefunden und sich gut in das Schulleben integriert. Über Vorhalt, dass sich die Lage in ihrem Heimatland geändert hätte und die Ukraine nun als sicherer Herkunftsstaat gelte, verneinte die Drittbeschwerdeführerin dies; den Krieg gebe es noch immer. Über Vorhalt der aktuellen Berichtslage zu ihrem Herkunftsstaat gab die Drittbeschwerdeführerin an, die Wirtschaft in der Ukraine sei sehr schlecht, Medikamente seien sehr teuer geworden. Befragt, welche Probleme sie im Falle einer aktuellen Rückkehr in die Ukraine befürchten würde, erklärte die Drittbeschwerdeführerin, sie könne nicht in die Ukraine fahren, da die Kinder hier zur Schule gingen. In der Ukraine habe sie kein Haus und keine Arbeit.
Die Drittbeschwerdeführerin legte Unterlagen zum Beleg der Integrationsbemühungen der Familie vor, darunter ein ÖSD-Zertifikat über eine im September 2016 gut bestandene Deutschprüfung auf dem Niveau A2, ihren Mietvertrag, Beschäftigungs- und Einkommensnachweise jeweils betreffend ihre eigene Person sowie Schulbesuchsbestätigungen und Zeugnisse betreffend die Erstbeschwerdeführerin und den Zweitbeschwerdeführer.
2.2. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2018 wurden die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I.), der den Genannten mit Bescheiden vom 27.04.2015 zuerkannte Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkte II.) und die ihnen mit Bescheiden vom 21.04.2016 erteilte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkte III.). Überdies wurde den beschwerdeführenden Parteien ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkte IV.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen diese eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkte V.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde die Feststellung getroffen, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte VI.) und es wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkte VII.).
In der Entscheidungsbegründung wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nicht mehr vorlägen. Die Ukraine gelte nunmehr als „sicherer Herkunftsstaat“ und es bestünden aus aktueller Sicht keine Hinderungsgründe für eine Rückkehr. Die beschwerdeführenden Parteien könnten gefahrlos in ihre frühere Aufenthaltsregion XXXX zurückkehren. Die Eltern der Drittbeschwerdeführerin würden dort unverändert ein Haus bewohnen und eine Pension beziehen, sodass die beschwerdeführenden Parteien auf anfängliche Unterstützung zurückgreifen könnten. Die Drittbeschwerdeführerin verfüge über Schulbildung und Berufserfahrung und könnte im Heimatland einer Erwerbstätigkeit nachgehen sowie auf Leistungen des dortigen Sozialsystems zurückgreifen. Auch die Erstbeschwerdeführerin habe Schulbildung erlangt und könnte im Herkunftsland künftig einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Es bestünden demnach keine Anhaltspunkte für eine den beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr in die Ukraine drohende ausweglose Lage. Eine Rückkehrgefährdung respektive eine einer unmenschlichen Behandlung gleichzusetzende Situation habe demnach nicht festgestellt werden können. Den beschwerdeführenden Parteien sei daher der Status der subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen gewesen.
Ebensowenig seien Gründe für die amtswegige Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 zu Tage getreten.
Da alle Familienmitglieder im gleichen Ausmaß von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen wären und außerhalb des Kreises ihrer Kernfamilie keine Angehörigen im Bundesgebiet hätten, stelle die Rückkehrentscheidung keinen Eingriff in ein im Bundesgebiet geführtes Familienleben dar. Die beschwerdeführenden Parteien seien lediglich vorübergehend als subsidiär Schutzberechtigte zum Aufenthalt berechtigt gewesen und hätten zwar Integrationsbemühungen gesetzt, jedoch keine außergewöhnliche Integrationsverfestigung im Bundesgebiet erlangt. Die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung würden daher gegenüber den privaten Interessen der beschwerdeführenden Parteien an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, sodass sich der Ausspruch einer Rückkehrentscheidung als verhältnismäßig erweise.
2.3. Gegen diese, den beschwerdeführenden Parteien am 28.06.2018 zugestellten, Bescheide brachte der nunmehr bevollmächtigte Vertreter der beschwerdeführenden Parteien mit für alle Familienmitglieder gleichlautendem Schriftsatz vom 24.07.2018 fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde ein. Begründend wurde ausgeführt, die beschwerdeführenden Parteien würden im Fall einer Rückkehr in die Ukraine unverändert in eine ausweglose Lage geraten. Die Ukraine zum sicheren Drittstaat zu erklären, sei eine rein politische Entscheidung gewesen, welche mit den tatsächlichen Gegebenheiten in der Ukraine nicht übereinstimmen würde. Die wirtschaftliche Lage in der Ukraine habe sich keinesfalls nachhaltig verbessert. Die Eltern der Drittbeschwerdeführerin könnten der Familie im Falle einer Rückkehr angesichts ihrer eigenen angespannten Verhältnisse keinerlei Rückhalt gewähren. Die Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten erwiese sich als keineswegs nachvollziehbar. Weiterhin tobe Krieg in der Ukraine und es sei keine Besserung der dortigen Sicherheitslage und wirtschaftliche Lage eingetreten. Für den Fall der Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien bestehe die reale Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung aufgrund der schlechten Sicherheitslage und da diese keine Familienangehörigen hätten, welche sie bei einer Rückkehr effektiv unterstützen könnten. Eine sachliche Rechtfertigung für die Aberkennung subsidiären Schutzes liege demnach nicht vor. Zudem hätten die beschwerdeführenden Parteien eine Integrationsverfestigung im Bundesgebiet erlangt.
2.4. Die Beschwerdevorlagen langten am 30.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Mit Eingaben vom 18.06.2020 brachten die beschwerdeführenden Parteien ein Konvolut an Unterlagen zum Beleg ihrer Integrationsbemühungen in Vorlage.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Ukraine, Angehörige der ukrainischen Volksgruppe und bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Die Drittbeschwerdeführerin ist die Mutter der volljährigen Erstbeschwerdeführer und des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers. Sie reiste im Februar 2014 in das Bundesgebiet ein und stellte am 09.02.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die damals minderjährige Erstbeschwerdeführerin und der minderjährige Zweitbeschwerdeführer reisten im September 2014 zu ihrer Mutter ins Bundesgebiet nach und stellten am 02.09.2014 durch ihre gesetzliche Vertreterin Anträge auf internationalen Schutz. Seither halten sich die beschwerdeführenden Parteien durchgehend in Österreich auf.
Der Vater der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers lebt in der Ukraine, es besteht kein Kontakt mehr zu diesem. Die beschwerdeführenden Parteien stammen aus XXXX im Westen der Ukraine, wo sich zuletzt unverändert die Eltern der Drittbeschwerdeführerin aufgehalten und vom Bezug einer Pension gelebt haben. Die Drittbeschwerdeführerin war im Vorfeld der Ausreise als Kellnerin beschäftigt, ihre beiden Kinder besuchten die Schule. Die beschwerdeführenden Parteien beherrschen Ukrainisch und Russisch.
Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.04.2015 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der beschwerdeführenden Parteien hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Drittbeschwerdeführerin sowie gemäß §§ 8 Abs. 1 iVm 34 Abs. 3 AsylG der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und diesen jeweils gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Zur Begründung der Zuerkennung subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, die wirtschaftliche Lage der Drittbeschwerdeführerin und die allgemeine politische Lage in deren Herkunftsstaat hätten sich durch die dort stattfindenden kriegerischen Auseinandersetzungen geändert. Aufgrund der allgemeinen schlechten wirtschaftlichen Situation, der prekären und unsicheren Sicherheitslage, der hohen Arbeitslosenrate und der mangelnden Versorgungsmöglichkeit ergebe sich zum derzeitigen Zeitpunkt noch das Risiko einer der Drittbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr drohenden unmenschlichen Lage.
Die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die damals minderjährige Erstbeschwerdeführerin und den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer, in deren Verfahren keine individuellen Rückkehrbefürchtungen vorgebracht worden waren, erfolgte abgeleitet vom Status ihrer Mutter nach den Bestimmungen über das Familienverfahren.
Die befristete Aufenthaltsberechtigung der beschwerdeführenden Parteien als subsidiär Schutzberechtigte wurde zuletzt mit – gemäß § 58 Abs. 2 AVG nicht näher begründeten – Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.04.2016 für den Zeitraum bis zum 26.04.2018 erteilt. Am 19.03.2018 beantragten die beschwerdeführenden Parteien abermals die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte.
1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass die beschwerdeführenden Parteien im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären. Die beschwerdeführenden Parteien liefen dort nicht (mehr) Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Die beschwerdeführenden Parteien leiden jeweils an keinen behandlungsbedürfigen Erkrankungen. Sowohl die Drittbeschwerdeführerin als auch die zwischenzeitlich volljährige Erstbeschwerdeführerin sind zur Teilnahme am Erwerbsleben uneingeschränkt in der Lage. Sie verfügen über Schulbildung, Berufserfahrung und Fremdsprachenkenntnisse und könnten im Falle einer Rückkehr durch Teilnahme am Erwerbsleben den Lebensunterhalt für sich und den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer eigenständig bestreiten. Die Eltern der Drittbeschwerdeführerin könnten den beschwerdeführenden Parteien bei einer Wiedereingliederung unterstützend zur Seite stehen und diesen zumindest anfänglich eine Wohnmöglichkeit zur Verfügung stellen. Der elfjährige Zweitbeschwerdeführer kehrt in Obhut seiner Mutter und seiner volljährigen Schwester in sein Heimatland zurück und könnte seinen Schulbesuch dort fortsetzen.
Die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage in der Herkunftsregion der beschwerdeführenden Parteien ist stabil. Die persönliche Situation der beschwerdeführenden Parteien hat sich verglichen mit dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheiden vom 27.04.2015 bzw. der letztmaligen Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid vom 21.04.2016 insofern maßgeblich geändert, als die Erstbeschwerdeführerin zwischenzeitlich die Volljährigkeit erreicht hat, eine Schulbildung abgeschlossen und Berufserfahrung gesammelt hat und bei einer Rückkehr in der Lage sein wird, ihren Lebensunterhalt durch Teilnahme am Erwerbsleben eigenständig zu bestreiten; sie bedarf demnach keiner Obsorge und Unterstützung durch die Drittbeschwerdeführerin mehr, sodass sich deren für die Zuerkennung subsidiären Schutzes ausschlaggebende prekäre wirtschaftliche Situation als alleinstehende Mutter zweier minderjähriger Kinder maßgeblich geändert hat. Die Erstbeschwerdeführerin kann zudem durch Aufnahme einer Beschäftigung zum Lebensunterhalt ihrer Mutter und ihres Bruders beitragen.
Zudem hat die Drittbeschwerdeführerin im Bundesgebiet ihre eigene Anpassungsfähigkeit und Selbsterhaltungsfähigkeit unter Beweis gestellt, sodass es dieser auch bei einer Rückkehr in den vertrauten Herkunftsstaat möglich sein wird, dort neuerlich eine Beschäftigung aufzunehmen und den Lebensunterhalt für sich und ihren minderjährigen Sohn zu erwirtschaften.
1.4. Die unbescholtenen BeschwerdeführerInnen leben in einem gemeinsamen Haushalt im Bundesgebiet und führen untereinander ein Familienleben. Sie haben während ihres rund sechsjährigen Aufenthalts eine vertiefte Integration im Bundesgebiet erlangt. Alle Familienmitglieder haben die deutsche Sprache erlernt, die Drittbeschwerdeführerin hat eine ÖSD-Prüfung auf dem Niveau A2 absolviert, die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin nahmen mehrjährig am Schulunterricht in deutscher Sprache teil. Die Erstbeschwerdeführerin hat im Bundesgebiet im Schuljahr 2015/2016 die Neue Mittelschule absolviert und im Anschluss eine Fachschule für Land- und Ernährungswirtschaft besucht. Seit September 2018 ist diese als ehrenamtliche Deutschtrainerin in einem Sprachcafé tätig. Seit Ende Oktober 2019 geht diese einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung als Restaurantfachfrau mit einem monatlichen Bezug von 1.540,- EUR nach. Die Drittbeschwerdeführerin befindet sich seit Anfang April 2019 in einem unbefristeten Dienstverhältnis als Raumpflegerin im Ausmaß von 35 Wochenstunden. Der minderjährige Zweitbeschwerdeführer hat die Volksschule im Bundesgebiet absolviert und besuchte zuletzt die erste Klasse einer Neuen Mittelschule im Bundesgebiet. Die beschwerdeführenden Parteien haben sich einen Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet aufgebaut.
Die Drittbeschwerdeführerin hat infolge ihrer Einreise nach Österreich eine Lebensgemeinschaft mit einem hier schutzberechtigten ukrainischen Staatsbürger begründet, die Beziehung jedoch infolge wiederholter Misshandlungen und Drohungen durch jenen Mann beendet. Die Drohungen seitens ihres ehemaligen Lebensgefährten veranlassten sie zum Umzug in ein anderes Bundesland und Abbruch der nach Einreise zunächst begründeten Bindungen.
Der Lebensmittelpunkt der beschwerdeführenden Parteien befindet sich zwischenzeitlich in Österreich, wohingegen sie zu ihrem Herkunftsstaat nur mehr vergleichswiese geringe Bindungen aufweisen. Aufgrund der seitens der beschwerdeführenden Parteien gesetzten Integrationsschritte sowie des aufrechten Familienlebens zwischen den BeschwerdeführerInnen würde eine Rückkehrentscheidung einen ungerechtfertigten Eingriff in deren Privat- und Familienleben darstellen.
1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:
…
Sicherheitslage
Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).
Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).
Die sogenannten „Freiwilligen-Bataillone“ nehmen offiziell an der „Anti-Terror-Operation“ der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).
Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon 9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).
Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017
- AA – Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017
- AA – Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017
- ÖB – Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017
Rechtsschutz/Justizwesen
Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering (USDOS 3.3.2017a).
Nach einer langen Phase der Stagnation nahm die Justizreform ab Juli 2016 mit Verfassungsänderungen und neuem rechtlichem Rahmen Fahrt auf. Für eine Bewertung der Effektivität der Reform ist es noch zu früh (FH 29.3.2017).
Die Reform der Justiz war eine der Kernforderungen der Demonstranten am sogenannten Euro-Maidan. Das größte Problem der ukrainischen Justiz war immer die mangelnde Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Auch die Qualität der Gesetze gab stets Anlass zur Sorge. Noch problematischer war jedoch deren Umsetzung in der Praxis. Auch Korruption wird als großes Problem im Justizbereich wahrgenommen. Unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsident Poroschenko machte sich die Regierung daher umgehend an umfassende Justizreformen. Mehrere größere Gesetzesänderungen hierzu wurden seither verabschiedet. Besonders hervorzuheben sind Gesetz Nr. 3524 betreffend Änderungen der Verfassung und Gesetz Nr. 4734 betreffend das Rechtssystem und den Status der Richter, die Ende September 2016 in Kraft traten. Mit diesen Gesetzen wurden die Struktur des Justizsystems reformiert und die professionellen Standards für Richter erhöht und ihre Verantwortlichkeit neu geregelt. Außerdem wurde der Richterschaft ein neuer Selbstverwaltungskörper gegeben, der sogenannte Obersten Justizrat (Supreme Council of Justice). Dieser ersetzt die bisherige Institution (Supreme Judicial Council), besteht hauptsächlich aus Richtern und hat ein Vorschlagsrecht für Richter, welche dann vom Präsidenten zu ernennen sind. Ebenso soll der Oberste Justizrat Richter suspendieren können. Die besonders kritisierte fünfjährige Probezeit der Richter wurde gestrichen und ihr Einkommen massiv erhöht. Auf der anderen Seite wurden die Ernennungskriterien für Richter erhöht, bereits ernannte Richter müssen sich einer Überprüfung unterziehen. Die Antikorruptionsregelungen wurden verschärft und die richterliche Immunität auf eine rein professionelle Immunität beschränkt. Richter, die die Herkunft ihres Vermögens (bzw. das enger Angehöriger) nicht belegen können, sind zu entlassen. Besonders augenfällig ist auch die Umstellung des Gerichtssystems von einem viergliedrigen zu einem dreigliedrigen System. Unter dem ebenfalls reformierten Obersten Gerichtshof als höchster Instanz, gibt es nun nur noch die Appellationsgerichte und unter diesen die lokalen Gerichte. Die zuvor existierenden verschiedensten Gerichtshöfe (zwischen Appellationsgerichten und Oberstem Gerichtshof) wurden abgeschafft. Außerdem wurde ein spezialisierter Antikorruptionsgerichtshof geschaffen, wenn auch dessen genaue Zuständigkeit noch durch Umsetzungsdekrete festzulegen ist. Die Kompetenz Gerichte zu schaffen oder umzuorganisieren etc., ging vom Präsidenten auf das Parlament über (BFA/OFPRA 5.2017).
Die andere große Baustelle des Justizsystems ist die Reform des Büros des Generalstaatsanwalts, der bislang mit weitreichenden, aus der Sowjetzeit herrührenden Kompetenzen ausgestattet war. Im April 2015 trat ein Gesetz zur Einschränkung dieser Kompetenzen bei gleichzeitiger Stärkung der Unabhängigkeit in Kraft, wurde in der Praxis aber nicht vollständig umgesetzt. Große Hoffnungen in diese Richtung werden in den im Mai 2016 ernannten neuen Generalstaatsanwalt Juri Lutsenko gesetzt. Eine neu geschaffene Generalinspektion soll die Legalität der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft überwachen. Die praktische Umsetzung all dieser Vorgaben erfordert allerdings die Verabschiedung einer Reihe begleitender Gesetze, die es abzuwarten gilt. Etwa 3.400 Posten in der Staatsanwaltschaft, die neu besetzt wurden, gingen überwiegend an Kandidaten, die bereits vorher in der Staatsanwaltschaft gewesen waren. Alle Kandidaten absolvierten eingehende und transparente Tests, aber am Ende waren unter den Ernannten nur 22 neue Gesichter, was in der Öffentlichkeit zu Kritik führte. Für die Generalinspektion ist aber neues Personal vorgesehen. Die schlechte Bezahlung der Staatsanwälte ist ein Einfallstor für Korruption. Der Antikorruptions-Staatsanwalt bekommt als einziger Staatsanwalt höhere Bezüge, obwohl gemäß Gesetz alle Staatsanwälte besser bezahlt werden müssten (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. FH 29.3.2017).
Mit 1. Oktober 2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft sechs Strafverfahren gegen Richter eingeleitet. Richter beschweren sich weiterhin über eine schwache Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative. Einige Richter berichten über Druckausübung durch hohe Politiker. Andere Faktoren behindern das Recht auf ein faires Verfahren, wie langwierige Gerichtsverfahren, vor allem in Verwaltungsgerichten, unzureichende Finanzierung und mangelnde Umsetzung von Gerichtsurteilen. Diese liegt bei nur 40% (USDOS 3.3.2017a).
Der unter der Präsidentschaft Janukowitschs zu beobachtende Missbrauch der Justiz als Hilfsmittel gegen politische Mitbewerber und kritische Mitglieder der Zivilgesellschaft ist im politischen Prozess der Ukraine heute nicht mehr zu finden. Es bestehen aber weiterhin strukturelle Defizite in der ukrainischen Justiz. Eine umfassende, an westeuropäischen Standards ausgerichtete Justizreform ist im September 2016 in Kraft getreten, deren vollständige Umsetzung wird jedoch noch einige Jahre in Anspruch nehmen (ÖB 4.2017).
Laut offizieller Statistik des EGMR befindet sich die Ukraine auf Platz 1 in Bezug auf die Anzahl an anhängigen Fällen in Strassburg (18.155, Stand 1.1.2017). 65% der anhängigen Fälle betreffen die nicht-Umsetzung von nationalen Urteilen. Wiederkehrende Vorwürfe des EGMR gegen die Ukraine kreisen auch um die überlange Dauer von Zivilprozessen und strafrechtlichen Voruntersuchungen ohne Möglichkeit, dagegen Rechtsmittel ergreifen zu können; Verstöße gegen Art. 5 der EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit); Unmenschliche Behandlung in Haft bzw. unzulängliche Untersuchung von derartig vorgebrachten Beschwerden; Unzureichende Haftbedingungen und medizinische Betreuung von Häftlingen (ÖB 4.2017).
Quellen:
- BFA/OFPRA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine
- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 6.6.2017
- ÖB – Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017
Allgemeine Menschenrechtslage
Der Grundrechtskatalog der Verfassung enthält neben den üblichen Abwehrrechten eine große Zahl von Zielbestimmungen (z. B. Wohnung, Arbeit, Erholung, Bildung). Die Ukraine ist Vertragsstaat der meisten Menschenrechtskonventionen. Extralegale Tötungen sind nach den Ereignissen auf dem Euromaidan zwischen November 2013 und Februar 2014 außerhalb der Konfliktgebiete im Osten des Landes nicht mehr bekannt geworden (AA 7.2.2017).
Die signifikantesten Menschenrechtsprobleme der Ukraine sind, neben konfliktbezogenen Missbrauchshandlungen in der Ostukraine, Korruption und damit verbundene Straflosigkeit, mangelnde Unterstützung von IDPs, Haftbedingungen, Diskriminierung und Missbrauchshandlungen durch Beamte des Staates und damit verbundene Straflosigkeit. Eine Reihe nationaler und internationaler Menschenrechtsgruppen arbeiten in der Regel ohne Beschränkungen durch die Regierung, untersuchen Menschenrechtsfälle und publizieren ihre Ergebnisse. Die Regierung ist kooperativ und lädt Menschenrechtsgruppen aktiv zu überwachenden Tätigkeiten, Mitarbeit bei Gesetzesentwürfen etc. ein. Nationale und internationale Menschenrechtsgruppen arbeiteten 2015 mit der Regierung beim Entwurf der Nationalen Menschenrechtsstrategie und dem diesbezüglichen Aktionsplan zusammen. Der Ombudsmann kritisierte aber die langsame Umsetzung der Strategie und den Widerstand bestimmter Ministerien dagegen, besonders wenn die Rechte von IDPs betroffen sind. Das wird auch von anderen Beobachtern bestätigt (USDOS 3.3.2017a).
Die Zivilgesellschaft ist weiterhin das stärkste Element in der ukrainischen demokratischen Transition. Sie spielt eine wichtige Rolle indem sie Reformen vorantreibt, durch die Phase der Gesetzwerdung begleitet, der Bevölkerung kommuniziert und ihre Umsetzung in der Praxis beobachtet. So geschehen im Falle der Antikorruptionsmaßnahmen oder durch Teilnahme an Kommissionen zur Auswahl neuer Beamter im Zuge der Reform des öffentlichen Dienstes usw. (FH 29.3.2017).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017
- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 20.6.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 20.6.2017
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen
Durch den bewaffneten Konflikt und die Menschenrechtsverletzungen kommt es vermehrt zu häuslicher Gewalt und Gender Based Violence (GBV), von der vor allem Frauen betroffen sind. Ein neues Gesetz, das häusliche Gewalt als Straftatbestand deklariert, wird 2017 erwartet. Es gibt nicht ausreichend psychosoziale und medizinische (Notfall-) Einrichtungen mit geschultem Personal. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den separatistischen Teilen der Ostukraine sind dort Frauen besonders gefährdet Opfer von Missbrauch, Sexsklaverei und Human Trafficking zu werden (ÖB 4.2017).
Die Verfassung schreibt die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ausdrücklich vor. Auch im Übrigen gibt es keine rechtlichen Benachteiligungen. Nach ukrainischem Arbeitsrecht genießen Frauen die gleichen Rechte wie Männer. Tatsächlich werden sie jedoch häufig schlechter bezahlt und sind in Spitzenpositionen unterrepräsentiert. Die Ukraine ist noch immer Herkunftsland für grenzüberschreitenden Menschenhandel (AA 7.2.2017).
Vergewaltigung ist gesetzlich verboten, Vergewaltigung in der Ehe wird aber nicht ausdrücklich erwähnt. Es gab 2016 bis September 355 Anzeigen wegen (versuchter) Vergewaltigung, von denen 47 vor Gericht kamen. Häusliche Gewalt ist ebenfalls verboten, aber weiterhin ein ernstes Problem. Man kann dafür unmittelbar für fünf Tage von der Polizei festgenommen werden. Es gab 2016 bis September 922 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt, von denen 833 vor Gericht kamen. Die Situation im Donbas führte zu einem Anstieg der Gewalt gegen Frauen, sei es durch posttraumatischen Stress unter IDPs oder unter heimkehrenden Kämpfern. Für weibliche IDPS gibt es keine speziellen sozialen Dienstleistungen in diese Richtung. Das Sozialministerium gibt an, in einem halben Jahr ca. 38.000 Verwarnungen und Schutzbefehle wegen häuslicher Gewalt ausgestellt zu haben. Etwa 65.000 Personen sind wegen solcher Vergehen unter Polizeibeobachtung. Staatliche Schutzzentren haben 2016 bis Juli 423 Familien mit 3.934 Personen unterstützt. Sozialzentren überwachen Familien in Zusammenhang mit Missbrauch und NGOs betreiben zusätzliche Zentren in einigen Regionen. NGOs zufolge mussten aber viele staatliche Zentren wegen Geldmangel schließen. Ressourcenknappheit und administrative Hürden (z.B. aufrechte Wohnsitzmeldung, Kapazitäten, etc.) können den Zugang zu Schutzeinrichtungen in der Praxis schmälern. Entlang der Kontaktlinie in der Ostukraine gibt es von beiden Seiten Berichte über sexuelle Gewalt gegen Frauen aber auch Männer (USDOS 3.3.2017a).
Geschlechterdiskriminierung ist verboten, dem Problem wird von amtlicher Seite aber wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Arbeitgeber diskriminieren Beobachtern zu folge offen nach Geschlecht, Alter und äußerer Erscheinung. Etwa 12% der Parlamentsabgeordneten sind Frauen und laut Gesetz müssen 30% der Listenplätze bei Wahlen für Frauen reserviert werden. Es gibt aber keine Sanktionen bei Zuwiderhandlung, wohl aber finanzielle Anreize für Parteien (FH 1.2017).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 12.7.2017
- FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html, Zugriff 12.7.2017
- ÖB – Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017
Bewegungsfreiheit
Die Verfassung und Gesetze garantieren die Freiheit sich innerhalb und außerhalb des Staates frei zu bewegen. Die Regierung schränkt diese Rechte in der Praxis jedoch ein, besonders nahe der Konfliktzone in der Ostukraine (USDOS 3.3.2017a).
Die Kontaktlinie zwischen den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Ostukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk (DNR und LNR), ist mittlerweile de facto zu einer Grenze geworden. Bis zu 700.000 Personen oder mehr überqueren diese Grenze im Monat in beide Richtungen, um Sozialleistungen zu konsumieren, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen, Verwandte zu besuchen oder einzukaufen. Es gibt sogar einige Arbeitspendler. Seit Jänner 2015 ist zum Überqueren der Kontaktlinie an einem der fünf offiziellen Übertrittspunkte eine eigene Erlaubnis (propusk) nötig, um in die regierungskontrollierten Gebiete (government controlled areas, GCA) einzureisen. Diese werden vom ukrainischen Geheimdienst SBU ausgestellt. Seit im Juli 2015 ein elektronisches System eingeführt wurde, ist es aber leichter geworden. An den Übertrittspunkten sind auf ukrainischer Seite Vertreter verschiedener Behörden vertreten: Grenzwache, Armee, Polizei und Finanzbehörden. Freiwilligenbataillone sind dort nicht mehr vertreten. Es wird gegenüber der Krim und der DNR/LNR von der ukrainischen Grenzwache dasselbe Regime angewendet wie an einer Außengrenze. Papiere der selbsternannten „Behörden“ der DNR/LNR werden zur Einreise in die Ukraine nicht anerkannt. Wer nur solche Dokumente besitzt, muss sich ukrainische Dokumente ausstellen lassen. Dazu sind ukrainische Notare an den Übertrittspunkten anwesend. Es besteht hierzu andauernder Kontakt zwischen der Grenzwache und dem staatlichen Migrationsdienst. Die Anwesenheit so vieler Behördenvertreter an den Übertrittspunkten garantiert generell die Einhaltung der Gesetze, es gibt aber Berichte über Korruption. Von den Checkpoints der Armee gibt es Beschwerden über rüdes Verhalten der dort eingesetzten Soldaten. Es gibt Beschwerdemechanismen, wie etwa die Anti-Terrorist Operation Hotline, aber diese sind nicht allen bekannt. Auf der NGCA-Seite gibt es Berichte über Beleidigungen. Außerdem sammeln die separatistischen Kräfte Berichten zufolge die International Mobile Station Equipment Identity (IMEI) von Zivilisten (das ist eine eindeutige 15-stellige Seriennummer, anhand derer jedes Mobiltelefon weltweit eindeutig identifiziert werden kann, Anm.) und prüfen Bilder und SMS auf deren Mobiltelefonen. Die Übertrittspunkte haben im Sommer in der Regel von 6-20 Uhr geöffnet; im Frühjahr/Herbst von 7-18:30 und im Winter von 8-17:00 Uhr. Aber sie werden immer wieder spontan geschlossen, oft wegen Sicherheitsbedenken. Im Sommer kann der Übertritt so bis zu 36 Stunden in Anspruch nehmen. Manchmal müssen Reisende über Nacht warten. Infrastruktur (Wasser, Toiletten) gibt es kaum. Ungeräumte Landminen abseits der Straßen sind ebenfalls eine Gefahr für Reisende. Zusätzlich erschwert wird der Reiseverkehr dadurch, dass öffentliche Transportmittel (Busse, Züge) nicht die Kontaktlinie überqueren dürfen, wodurch die Reisenden gezwungen den Übertritt zu Fuß hinter sich zu bringen und auf der anderen Seite mit einem anderen Verkehrsmittel weiterzufahren (BFA/OFPRA 5.2017).
Am 4. April 2016 trat das Gesetz Nr. 888-19 „On Amendments to Several Legislative Acts of Ukraine on Extension of Authorities of Local Self-Government Agencies and Optimization of Administrative Services” vom 10. Dezember 2015 in Kraft Es enthebt den Staatlichen Migrationsdienst der Ukraine von seiner Kompetenz, die Wohnsitze der Bürger zu registrieren (Wohnsitzmeldung und –abmeldung) und legt diese Aufgabe in die Hände der lokalen Verwaltungskörper. Die Resolution des Ministerkabinetts Nr. 207 vom 2. März 2016 enthält nähere Bestimmungen zur Wohnsitzmeldung. Gemäß der neuen Rechtslage müssen Ukrainer einen Wohnsitzwechsel binnen 30 Tagen melden. Mit 1. Oktober 2016 trat das Gesetz „On the Uniform State Demographic Register and Documents Confirming Citizenship of Ukraine, ID or Personal Status“ in Kraft. Auch dieses Gesetz brachte erhebliche Neuerungen. War es bis dahin verpflichtend, sich mit vollendetem 16. Lebensjahr einen Inlandspass ausstellen zu lassen, ist dies seither mit vollendetem 14. Lebensjahr zu tun. Der Inlandspass hat nunmehr die Form einer ID-Karte. Zuständig ist nach wie vor der Staatliche Migrationsdienst (NRC 2016). Auf der neuen ID-Karte ist ein Chip auf dem die Wohnsitzmeldung gespeichert wird. Wenn die lokale Behörde das nicht bewerkstelligen kann, erhält man stattdessen eine Meldebestätigung und muss auf die Bezirksbehörde gehen und den Wohnsitz dort im Chip speichern lassen (GP o.D.).
Als Wohnsitz gilt der Ort, an dem man für mehr als sechs Monate im Jahr lebt (SMS 31.5.2016). Ein Ukrainer oder legal aufhältiger Fremder muss sich binnen 30 Kalendertagen ab Abmeldung seines vorherigen Wohnsitzes am neuen Wohnort anmelden. Früher waren lediglich zehn Tage vorgesehen. Man kann dafür nur noch einen Wohnsitz anmelden. Die Information über Ab- und Anmeldung werden von den lokalen Behörden dem Staatlichen Migrationsdienst weitergegeben, welcher die in das Unified State Demographic Register einträgt (Lexology 19.4.2016).
Ein normaler ukrainischer Bürger kann die Meldeadresse einer anderen Person legal nicht in Erfahrung bringen, da es dem Gesetz über den Schutz der persönlichen Daten widersprechen würde. Das Gesetz schreibt vor welche Behörden in welchen Fällen (etwa die Polizei im Rahmen einer Ermittlung) die Meldeadresse einer Person abfragen darf. Ob es möglich ist diese Regelungen durch Korruption zu umgehen, kann nicht eingeschätzt werden (VB 21.7.2017). (Es sei dazu allgemein auf die Kapitel 7. Korruption und 5. Sicherheitsbehörden dieses LIB hingewiesen, Anm.)
Quellen:
- BFA/OFPRA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine
- GP – GetPassport (o.D.): New procedure for registration of residence citizens of Ukraine in 2016, http://getpass.com.ua/en/news/novyiy-poryadok-registratsii-mesta-prozhivaniya-grazhdan-v-ukraine-2016g/, Zugriff 13.7.2017
- Lexology (19.4.2016): Steps towards decentralization: new rules approved for registering place of residence, http://www.lexology.com/library/detail.aspx?g=1d291a7f-342c-4bc0-8239-7e45af5534ca, Zugriff 13.7.2017
- NRC – Norwegian Refugee Council (2016): Voices from the East. Challenges in Registration, Documentation, Property and Housing Rights of People Affected by Conflict in Eastern Ukraine, https://www.nrc.no/globalassets/pdf/reports/voices-from-the-east_report_ukraine-des-2016.pdf, Zugriff 13.7.2017
- SMS – State Migration Service (31.5.2016): Registration of residence, http://en.migraciya.com.ua/news/migraciinepravo/en-registration-of-residence/, Zugriff 13.7.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017
- VB des BM.I in Kiew (21.7.2017): Bericht des VB, per E-Mail
Grundversorgung und Wirtschaft
Die Ukraine erbte aus dem Restbestand der ehemaligen Sowjetunion bedeutende eisen- und stahlproduzierende Industriekomplexe. Neben der Landwirtschaft spielt die Rüstungs-, Luft- und Raumfahrt- sowie die chemische Industrie eine große Rolle im ukrainischen Arbeitsmarkt. Nachdem die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten weit hinter den Möglichkeiten im EU-Raum, aber auch in Russland zurückbleiben, spielt Arbeitsmigration am ukrainischen Arbeitsmarkt eine nicht unbedeutende Rolle. Für das erste Quartal 2016 lag die Arbeitslosenquote in der Ukraine bei 10,3%. 2016 waren 688.200 Arbeitsmigranten, 423.800 langzeitig und 264.400 kurzzeitig, im Ausland beschäftigt. Der ukrainische Arbeitsmigrant verdient mit durchschnittlich 930 US-Dollar pro Monat rund dreimal mehr als der Durchschnittsukrainer daheim. Der Durchschnittslohn lag in der Ukraine im Jänner 2017 bei 6.008 Hrywnja (ca. 206 €). Dies ist eine Steigerung von 50 Euro zum Jahr davor. Das Nettogehalt beträgt etwa 166 Euro. In der Hauptstadt Kyiv liegt der Durchschnittslohn bei ca. 223 Euro und in den nordöstlichen Regionen sowie in Czernowitz und Ternopil bei etwa 160 Euro. Der Mindestlohn wurde mit 2017 verdoppelt und beträgt nun brutto 110 Euro, netto 88 Euro. Das Wirtschaftsministerium schätzt den Schattensektor der Wirtschaft derzeit auf 35%, anderen Schätzungen zufolge dürfte dieser Anteil aber eher gegen 50% liegen. Das Existenzminimum für eine alleinstehende Person wurde im Jänner 2017 mit 1.544 Hrywnja (aktuell ca. 53 Euro), ab 1. Mai 2017 mit 1.624 Hrywnja (ca. 56 Euro) und ab 1. Dezember 2017 mit 1.700 Hrywnja (ca. 59 Euro) festgelegt (ÖB 4.2017).
Die Wirtschaftslage konnte - auf niedrigem Niveau – stabilisiert werden, die makroökonomischen Voraussetzungen für Wachstum wurden geschaffen. 2016 ist die Wirtschaft erstmals seit Jahren wieder gewachsen (gut 1 %). Die Jahresinflation sank 2016 auf gut 12 % (nach ca. 43 % im Vorjahr). Die Realeinkommen sind um einige Prozent gestiegen, nachdem sie zuvor zwei Jahre lang jeweils um zweistellige Prozentzahlen gefallen waren. Der (freie) Wechselkurs der Hrywnja ist etwa seit dem Frühjahr 2015 weitgehend stabil, Zahlungsbilanzungleichgewichte nahmen deutlich ab. Ohne internationale Finanzhilfen durch IWF und andere wäre die Ukraine aber vermutlich weiterhin mittelfristig zahlungsunfähig. Regierung und Nationalbank bemühen sich bislang erfolgreich, die harten Auflagen, die mit den IWF-Krediten einhergehen, zu erfüllen (u. a. Sparhaushalt auch für 2017 verabschiedet; Abbau der Verbraucherpreissubventionen für Energie; erhebliche, Konsolidierung des Bankensektors, marktwirtschaftliche Reformen, Deregulierung) (AA. 7.2.2017).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 14.7.2017
- ÖB – Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
Sozialsystem
Die Existenzbedingungen sind im Landesdurchschnitt knapp ausreichend. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen Strom, Gas und warmes Wasser z. T. nicht ganztägig zur Verfügung. Die Situation gerade von auf staatliche Versorgung angewiesenen älteren Menschen, Kranken, Behinderten und Kinder bleibt daher karg. Ohne zusätzliche Einkommensquellen bzw. private Netzwerke ist es insbesondere Rentnern und sonstigen Transferleistungsempfängern kaum möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialleistungen und Renten werden zwar in der Regel regelmäßig gezahlt, sind aber größtenteils sehr niedrig (AA 7.2.2017).
Das ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeführte ukrainische Sozialversicherungssystem umfasst eine gesetzliche Pensionsversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsunfallversicherung. Aufgrund der Sparpolitik der letzten Jahre wurde im Sozialsystem einiges verändert, darunter Änderungen in den Anspruchsanforderungen, in der Finanzierung des Systems und der Versicherungsfonds. Die Ausgaben für das Sozialsystem im nicht-medizinischen Sektor sanken von 23% des BIP 2013 auf 18,5% 2015 weiter auf 17,8% vor allem wegen der Reduktion von Sozialleistungen besonders im Bereich der Pensionen. Alleinstehende Personen mit Kindern können in Form einer Beihilfe für Alleinerziehende staatlich unterstützt werden. Gezahlt wird diese für Kinder, die jünger als 18 Jahre alt sind (bzw. Studenten unter 23 Jahren). Die Zulage orientiert sich am Existenzminimum für Kinder (entspricht 80% des Existenzminimums für alleinstehende Personen) und dem durchschnittlichen Familieneinkommen. Außerdem existiert eine Hinterbliebenenrente. Der monatlich ausgezahlte Betrag beträgt 50% der Rente des Verstorbenen für eine Person, bei zwei oder mehr Hinterbliebenen werden 100% ausgezahlt. Für Minderjährige gibt es staatliche Unterstützungen in Form von Familienbeihilfen, die an arme Familien vergeben werden. Hinzu kommt ein Zuschuss bei der Geburt oder bei der Adoption eines Kindes sowie die oben erwähnte Beihilfe für Alleinerziehende. Der Geburtszuschuss beträgt ab Mai 2017 46.680 Hrywnja (ca. 1.400 Euro). Der Adoptionszuschuss (der sich nicht nur auf Adoption, sondern auch auf Kinder unter Vormundschaft bezieht) beläuft sich ab Mai 2017 auf bei Kindern von 0-5 Jahren auf monatlich 1.167 Hrywnja (ca. 40€) und für Kinder von 6-18 Jahren auf 1.455 Hrywnja (ca. 50 Euro). Der Mutterschutz beginnt sieben Tage vor der Geburt und endet in der Regel 56 Tage danach. Arbeitende Frauen erhalten in dieser Periode 100% des Lohns. Bis das Kind 3 Jahre alt ist bekommt die Mutter zwischen 130 (ca. 4,5 Euro) und 1.450 Hrywnia (ca. 50 Euro). Eine Vaterschaftskarenz gibt es nicht. Versicherte Erwerbslose erhalten mindestens 975 Hrywnja (ca. 39 Euro) und maximal 4.872 Hryvnja (169 Euro) Arbeitslosengeld pro Monat. Nicht versicherte arbeitslose erhalten mindestens 544 Hryvnja (ca. 19 Euro). Das Arbeitslosengeld setzt sich wie folgt zusammen: mit weniger als zwei Beschäftigungsjahren vor dem Verlust der Arbeit beträgt die Berechnungsgrundlage 50% des durchschnittlichen Verdienstes; bei zwei bis sechs Jahren sind es 55%; bei sieben bis zehn Jahren 60% und bei mehr als zehn Jahren 70% des durchschnittlichen Verdienstes. In den ersten 90 Kalendertagen werden 100% der Berechnungsgrundlage ausbezahlt, in den nächsten 90 Tagen sind es 80%, danach 70%. Die gesetzlich verpflichtende Pensionsversicherung wird durch den Pensionsfonds der Ukraine verwaltet, der sich aus Pflichtbeiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aus Budgetmitteln und diversen Sozialversicherungsfonds speist. Arbeitsmigranten können sich freiwillig an diesem Pensionsfonds beteiligen. Spezielle Pensionsschemata existieren u.a. für Öffentlich Bedienstete, Militärpersonal, Richter und verschiedene Berufsgruppen aus der Schwerindustrie. Neben der regulären Alterspension kommen Invaliditäts- und Hinterbliebenenrenten zur Auszahlung. Mit dem am 6. September 2011 im ukrainischen Parlament verabschiedeten „Gesetz zur Pensionsreform“ wird sich das ursprüngliche Pensionsantrittsalter für Frauen von 55 Jahren in einem Übergangszeitraum auf das der Männer, welches bei 60 Jahren liegt, angleichen. Private Pensionsvereinbarungen sind seit 2004 gesetzlich möglich. Eine vor allem von internationalen Geldgebern geforderte neue Pensionsreform zur Reduzierung des großen strukturellen Defizits des staatlichen Pensionsfonds ist derzeit in Arbeit und wurde von der Regierung mehrmals versprochen, vorerst jedoch noch nicht angenommen. Im Jahr 2016 belief sich die Durchschnittspension auf 1699,5 Hrywnja (ca. 59 Euro), die Invaliditätsrente auf 1545,2 Hrywnja (ca. 53,5 Euro) und die Hinterbliebenenpension 1640,3 Hrywnja (ca. 57 Euro) . Die meisten Pensionisten sind daher gezwungen weiter zu arbeiten. Die Ukraine hat mit 12 Millionen Pensionisten (entspricht knapp einem Drittel der Gesamtbevölkerung) europaweit eine der höchsten Quoten in diesem Bevölkerungssegment, was sich auch im öffentlichen Haushalt wiederspiegelt: 2009 wurde mit 18% des Bruttoinlandsprodukts der Ukraine, das für Pensionszahlungen aufgewendet wurde, ein Rekordwert erreicht. Zum Stand 2014 sank diese Zahl immerhin auf 17,2%, bleibt jedoch weiterhin exorbitant hoch (ÖB 4.2017).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 14.7.2017
- ÖB – Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
Rückkehr
Es sind keine Berichte bekannt, wonach in die Ukraine abgeschobene oder freiwillig zurückgekehrte ukrainische Asylbewerber wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland behelligt worden wären. Um neue Dokumente zu beantragen, müssen sich Rückkehrer an den Ort begeben, an dem sie zuletzt gemeldet waren. Ohne ordnungsgemäße Dokumente können sich – wie bei anderen Personengruppen auch – Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche oder der Inanspruchnahme des staatlichen Gesundheitswesens ergeben (AA 7.2.2017).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 14.7.2017
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zu den Personen der beschwerdeführenden Parteien und ihren persönlichen und familiären Verhältnissen ergeben sich aus den dahingehenden Angaben der Drittbeschwerdeführerin vor dem BFA in Zusammenschau mit den im Original in Vorlage gebrachten ukrainischen Inlandspass der Drittbeschwerdeführerin sowie den ukrainischen Geburtsurkunden der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers. Die Feststellungen zur Herkunft und Volksgruppenzugehörigkeit, zu den Sprachkenntnissen und zum Reiseweg der beschwerdeführenden Parteien gründen darüber hinaus auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Drittbeschwerdeführerin; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zur Ukraine deckenden – Aussagen der beschwerd