Entscheidungsdatum
19.08.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I408 2164876-1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , (tatsächlich XXXX ), geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch: Mag Florian Stummelreiter, Verein Tralalobe, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, RD Wien vom 26.06.2017, Zl. 1088399705-151400719, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.07.2020 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte als Minderjähriger am 21.09.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er bei der Erstbefragung am nächsten Tag an, dass es ihnen nach dem Tod seines Vaters wirtschaftlich schlecht gegangen wäre und sie wegen Bedrohungen der Miliz Bagdad verlassen hätten müssen. Als Ältester sei er deshalb nach Europa geflohen, um seine Familie unterstützen zu können.
2. Bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 02.02.2017 sowie am 06.02.2017 legte er zunächst Identitätsdokumente vor und führte zu seinem Fluchtgrund näher aus, dass eineinhalb Monate nach dem Tod seines Vaters einer von der Miliz zu ihnen nach Hause gekommen sei und ihn aufgefordert habe, mit ihnen zu kämpfen. Er als Künstler habe kein Interesse mit der Waffe zu kämpfen und er empfinde im Irak kein Freiheitsgefühl. So sei sein äußeres Erscheinungsbild als Künstler im Irak verboten und viele werden deshalb umgebracht. Er sei öfters unter Druck gesetzt worden und wenn er nicht mitkämpfe, werde seine Familie umgebracht. Auf Nachfrage konkretisierte er die Bedrohungen der Milizen, indem er angab, insgesamt dreimal von Mitgliedern zu Hause aufgesucht worden zu sein. Beim letzten Besuch habe er vorgetäuscht, mitgehen zu wollen, tatsächlich haben aber er und seine Familie Bagdad verlassen und seien zu einem Onkel nach Kerbala gegangen. Dort habe es keine Bedrohungen mehr gegeben und acht Monate später habe er dann den Irak verlassen.
3. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 26.06.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage (Spruchpunkt IV.).
4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 17.07.2017.
5. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 21.01.2020 wurde das Verfahren dem erkennenden Richter zugewiesen.
6. Am 27.07.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, in der auch das Erkenntnis mündlich verkündet wurde.
7. Mit Schreiben vom 03.08.2020 (Postaufgabestempel vom 10.08.2020) beantragte der Beschwerdeführer über seinen Rechtsvertreter fristgerecht die Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.
8. Erst nach der Abfertigung des gekürzten Erkenntnisses am 11.08.2020 wurde der Eingang des o.a. Antrages dokumentiert, worauf die Parteien mit Schreiben vom 12.08.2020 darauf hingewiesen wurden, dass sich die gekürzte Erkenntnisausfertigung antragsgemäß durch eine Vollausfertigung ersetzt werden wird.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Irak, stammt aus Bagdad und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Seine Identität steht fest.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer gelangte schlepperunterstützt und ohne Reisepass am 21.09.2015 nach Österreich.
Der Beschwerdeführer wuchs in Bagdad bei seiner Familie auf, besuchte bis zu seinem 14. Lebensjahr die Schule. Nach dem Tod seines Vaters arbeitete er in einer Fleischerei und Käserei sowie zuletzt in einem Elektrounternehmen der Stadt, d.h. er betreute einen Stromgenerator. Daneben war er als Tänzer tätig und trat mit einer Gruppe in der Öffentlichkeit auf. Im Sommer 2015 zog die Familie nach Kerbala und er reiste acht Monate später von dort aus nach Europa. Er selbst lebte nach dem Verlassen von Bagdad acht Monate unbehelligt in Kerbala und seine Familie, bestehend aus seiner Mutter und seinen fünf Geschwistern, ist dort weiterhin aufhältig.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Bis Mai 2020 lebte er ausschließlich von Leistungen der Grundversorgung. Im März 2020 hat er ein selbständiges Gewerbe angemeldet, erbringt dabei Servicetätigkeiten im Facility-Management, erhält € 9,50 pro Stunde und bringt so ca. € 600, -- monatlich ins Verdienen. Bis Ende Feber 2019 war er immer in Flüchtlingsheimen untergebracht und ist seither privat in einer Unterkunft des Vereines Tralalobe bei einem Freund eingemietet und bezahlt an Untermiete € 200, -- pro Monat.
Der Beschwerdeführer spricht gut Deutsch, hat aber dazu bisher noch keine Prüfung abgelegt. Das Tanzen übt er nicht mehr aus, betätigt sich aber weiter künstlerisch, indem er mit einem Freund Musik macht. Er ist in Österreich in keiner Form negativ aufgefallen, ist strafgerichtlich unbescholten und schätzt die freie und offene Lebensweise in Österreich. So hat er u.a. ein Videoclip zur Situation im Irak und den dort stattfindenden Demonstrationen gestaltet.
1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:
Entgegen seinem Fluchtvorbringen kann nicht festgestellt werden, dass er aufgrund von Anwerbungsversuche durch Mitglieder der IS den Irak verlassen musste.
Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner Verfolgungsgefahr aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt sein. Es liegen auch keine sonstigen Gründe vor, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat Irak entgegenstünden.
Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass er bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat aus in seiner Person gelegenen Gründen oder auf Grund der allgemeinen Lage vor Ort der realen Gefahr einer Verletzung ihrer durch Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur EMRK geschützten Rechte ausgesetzt wäre oder er als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Irak ausgesetzt wäre.
1.3. Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:
Die allgemeine Lage im Irak hat sich zwischenzeitlich insoweit stabilisiert, sei es nun im Großraum von Bagdad oder in Kerbala, wo sich die Familie des Beschwerdeführers aufhält, dass eine Rückkehr von Personen, die keine besonderen Beeinträchtigungen aufweisen und über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat verfügen, keine Verletzung der in Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte (Schutz auf das Leben) zu befürchten haben.
Personen, die gegen den sozialen oder kulturellen Mainstream agieren, aufbegehren, sind exponiert und gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt. Eine systematische Verfolgung von Künstlern und westlich orientierter Personen ist aber nicht erkennbar. Das gilt auch für eine nicht am Islam orientierte, atheistische Einstellung.
Auch wenn Milizen weiterhin ein Machtfaktor im Irak darstellen, sind sie zwischenzeitlich zum Großteil in die staatlichen Strukturen übernommen wurden. Vereinzelte Übergriffe sind nicht ausgeschlossen, es betrifft meist Entführungen mit Lösegeldzahlung, und sind illegal.
Die Corona-Pandemie führt auch im Irak zu steigenden Fallzahlen auf die mit Ausgangssperren und Einschränkungen des Reise- und Personenverkehrs reagiert wird. Der Beschwerdeführer gehört keiner Covid-Riskogruppe an.
2. Beweiswürdigung:
Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde der Inhalt des Behördenaktes und alle vom Beschwerdeführer im Laufe des gerichtlichen Verfahrens und in der Beschwerde vorgelegten Unterlagen herangezogen.
Zudem wurden Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem AJ-WEB und der Grundversorgung (GVS) eingeholt und der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung am 27.07.2020 dazu befragt und der Sachverhalt mit ihm in Anwesenheit seiner Rechtsvertreter erörtert und abgeklärt.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers und seiner Religions- sowie Volksgruppenzugehörigkeit ergeben sich aus der Niederschrift zur Erstbefragung und der Befragung durch die belangte Behörde. Aus den vorgelegten und in Ablichte aufliegenden Identitätsdokumenten (AS 155 und 157) geht seine Identität zweifelsfrei hervor, sie fand aber bisher im Verfahren noch keinen Niederschlag. Seine tatsächliche Identität wurde in der mündlichen Verhandlung thematisiert und ist im Klammerausdruck auch im Urteilskopf festgehalten.
Die Feststellung zur Dauer des Aufenthaltes in Österreich beruhen auf dem unzweifelhaften Inhalt des Behördenaktes sowie auf den Angaben des Beschwerdeführers und aus einem aktuellen Auszug aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister sowie aus dem Zentralen Melderegister. In der Erstbefragung hat der Beschwerdeführer selbst angeführt, dass er ohne Reisepass eingereist ist bzw. diesen in den Irak zurückgeschickt habe (AS 31).
Aus den übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass er in Bagdad aufgewachsen ist, dort eine Beschäftigung ausgeübt hat, künstlerisch als Tänzer tätig war und acht Monate vor der Ausreise mit seinen Angehörigen nach Kerbala gezogen ist, wo sich seine unmittelbaren Familienangehörigen noch immer aufhalten und ohne Bedrohungen leben.
Die Feststellung zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers erschließt sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung sowie der selbständigen Tätigkeit, die er seit 11.03.2020 angemeldet hat (in der Verhandlung am 27.07.2020 vorgelegten Bestätigung der Stadt Wien vom 25.06.2020).
Die Feststellungen betreffend die persönlichen Verhältnisse, die Lebensumstände und die Integration des Beschwerdeführers in Österreich sind den Angaben und den dazu vorgelegten Unterlagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung entnommen.
Hinweise auf ein Familienleben oder besonders intensive private Beziehungen in Österreich sind zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens hervorgekommen und wurde diesbezüglich auch kein Vorbringen erstattet. So lebt er mit einem Mitbewohner in einer Wohnung des Vereines Tralalobe und hat seit 4 Monaten eine Freundin, mit der er seine Freizeit verbringt. Die selbständige Tätigkeit im Bereich des Facility-Managements seit März 2020 ergibt sich aus den von ihm vorgelegten Unterlagen in der mündlichen Verhandlung, ebenso die Höhe des Einkommens.
Die Feststellungen zu seinen Deutschkenntnissen beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und dem dabei gewonnen persönlichen Eindruck.
Der Bezug von Leistungen der Grundversorgung ist dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem zu entnehmen und wurde mit dem Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung erörtert. Die private Unterbringung ergibt sich ebenfalls aus einem Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem sowie dem ZMR und seinen Angaben.
Sonstige Anhaltspunkte, welche das Vorliegen einer außergewöhnlichen Integration nahelegen könnten, sind in der mündlichen Verhandlung nicht hervorgekommen.
Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.
Seine künstlerischen Aktivitäten im Irak (dazu hat er ein Videoclip vorgelegt) sowie seine offene und bekümmerte Lebensweise in Österreich ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers und der Erörterung in der mündlichen Verhandlung. Wenn in der schriftlichen Stellungnahme vom 23.07.2020 (OZ 19) ein unterstellter Abfall vom Islam aufgrund der liberalen und säkularen Lebensweise des Beschwerdeführers vorgebracht wurde, so hat sich dafür in der mündlichen Verhandlung weder in der Befragung noch bei der Erörterung kein Hinweis ergeben, der über die bereits im Irak an den Tag gelegte Lebensform liegt. Auch zu dem in Österreich erstellten Videoclip, der nicht in Abrede gestellt wird, ist vom Beschwerdeführer keine daraus resultierende, explizite Gefährdung vorgebracht worden.
2.3. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Zunächst ist festzuhalten, dass schon die belangte Behörde in ihrem Bescheid nachvollziehbar dargelegt hat, warum sie das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft erachtet.
Der Beschwerdeführer brachte zusammengefasst vor, dass er den Irak nach Anwerbungsversuchen einer Miliz verlassen habe.
Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.
Das BVwG erachtet das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich des Bestehens einer Bedrohung im Irak aus den folgenden Erwägungen als nicht glaubhaft:
Ohne die Angaben des Beschwerdeführers bei der Ersteinvernahme am 22.09.2015, bei der er noch minderjährig war, über zu bewerten, gab er dort im Wesentlichen als Fluchtgrund die schlechte allgemeine und wirtschaftliche Lage seiner Familie nach dem Tod seines Vaters an („es ging uns sehr schlecht ….. Im Irak haben wir keine Sicherheit und keine Regierung mehr. Es gibt keine Unterstützung für uns. ….. Aus der Unentschlossenheit und dem Druck, den ich im Irak erleben musste, entschloss ich mich zur Flucht nach Europa, um meine Familie unterstützen zu können“). Eine persönliche Bedrohung oder Verfolgung wurde mit keinem Wort erwähnt.
In der niederschriftlichen Einvernahme am 02.02.2017 war die schlechte wirtschaftliche Lage kein Thema mehr. Er hatte eine Beschäftigung und war auch als Tänzer künstlerisch tätig. Diese künstlerischen Aktivitäten aber auch sein äußeres Erscheinungsbild als Künstler (gemeint seine Haarpracht, an der sich bis heute nichts geändert hat – siehe Foto AS 13) haben seinen Lebensalltag beschränkt. Hinzu kam die Bedrohung durch die Miliz, die zu ihnen kamen. Sie haben ihn unter Druck gesetzt. Wenn er nicht mit ihnen mitkämpfe, würden sie seine Familie umbringen. Nach dem dritten Besuch haben er und seine Familie Bagdad verlassen und sind zu Verwandte seiner Mutter nach Kerbala gezogen (AS 123).
In der Einvernahme am 06.02.2017 konnte er trotz Nachfragen weder die Miliz noch die Aufgaben, die ihn bei der Miliz erwarten, beschreiben: „Sie haben nur gefragt, ob ich mitkämpfen will. Sie haben mich auf einem illegalen Weg kontakt. Nachgefragt gebe ich an, dass meine Familie auch ausreisen möchte. Sie leben in Angst, sie können das Haus nicht verlassen. Meine Familie und ich wollten nicht im Irak bleiben. Ich hatte im Irak keine persönliche Freiheit, ich konnte mich nicht ausleben, wie ich es hier tun kann. Jeder Mensch benötigt seine Freiheit, um normal zu leben.“ (AS 129)
Auf Nachfragen führte er in dieser Einvernahme auch aus, dass seine Familie auch Angst wegen seines Lebensstils hatte. Sie sagten zu ihm, er solle die Haare schneiden und sich anders anziehen. Es sei für ihn immer unangenehm auf der Straße gewesen, weil ihn die Leute geächtet haben. So sagten sie, dass er schwul oder eine Frau wäre. Die Gesellschaft sei gegen ihn gewesen, er konnte nicht auf die Straße gehen. Außer der Bedrohung durch die Miliz habe es aber nichts gegeben. Diese haben ihn aber auch wegen seines Styles bedroht (AS 132/133).
Zudem führte er an, dass er und seine Familie vom Geld seiner Mutter gelebt habe. Seine Mutter habe genug verdient und auch ein eigenes Haus in Bagdad gehabt (AS 133).
Aufgrund dieser vagen Angaben zur angeblichen Bedrohung durch Milizen und der Widersprüchlichkeiten zu den wirtschaftlichen Verhältnissen sowie des verstärkten Einbringens seiner künstlicheren Aktivitäten und der damit verbundenen Lebensweise in sein Vorbringen ist davon auszugehen, dass es sich um eine konstruierte Fluchtgeschichte handelt.
2.4. Zum Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Lage im Irak basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.03.2020 und werden ergänzt durch den EASO Informationsbericht über den Irak mit Stand Februar 2019 sowie den Erwägungen des UNHCR mit Stand Mai 2019 und die Kurzinformation zu COVID-19 vom 15.07.2020. Sie wurden zudem in der mündlichen Verhandlung mit dem Beschwerdeführer erörtert.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der dort angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Wenn der Beschwerdeführer auf die zum Teil mit Gewalt aufgelösten Demonstrationen der letzten Monate verweist, steht das nicht im Widerspruch zu den Ausführungen im Länderbericht, bedeutet aber nicht, dass deshalb die Sicherheits- oder Rechtslage in einem Ausmaß eingeschränkt ist, dass ein menschenrechtskonformes Leben nicht möglich ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde
3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furch nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).
Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Wie in der Beweiswürdigung dargelegt, vermochte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keine wohlbegründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft zu machen.
3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
Dabei ist zu prüfen, ob im Falle der Rückführung des Beschwerdeführers in den Irak Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.
Betreffend die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz hat der Verwaltungsgerichtshof (insbesondere) auf den Maßstab des Art. 3 EMRK abgestellt. So hat der Verwaltungsgerichtshof (in Zusammenhang mit Afghanistan) auf die ständige Judikatur des EGMR verwiesen, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf EGMR 5.9.2013, Nr. 61204/09, I. gg. Schweden).
Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung sind konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein "real risk" einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen. Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174 mwN). Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (vgl. VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036; dem folgend aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 23.1.2018, Ra 2017/20/0361, mwN).
Dem Beschwerdeführer droht im Irak keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung. Es droht ihm auch keine reale Gefahr, im Falle seiner Rückkehr entgegen Art 2 oder Art 3 EMRK behandelt zu werden. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzungen des Art 2 oder Art 3 EMRK - was im Irak aufgrund der Sicherheitslage grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann - ist hingegen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausreichend. Diese Lebensumstände betreffen sämtliche Personen, die im Irak leben und können daher nicht als Grund für die Zuerkennung eines Status eines subsidiär Schutzberechtigten herangezogen werden.
Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen. Bagdad zählt nicht zu den stark sicherheitsgefährdeten Regionen im Irak und das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers geht, wie dargelegt, ins Leere.
Das erkennende Gericht kann auch nicht erkennen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059). Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer dazu nichts vorgebracht hat, kann auch aus dem Länderberichten nicht erkannt werden, dass es ihm im Falle einer Rückführung in den Irak an jeglicher Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.
Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeitsfähiger und junger Mann mit Schulbildung, hat im Irak bereits eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und war, wie er selbst angegeben hat, als Tänzer künstlerisch erfolgreich tätig. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Teilnahme am Erwerbsleben kann in Ansehung des Beschwerdeführers vorausgesetzt werden. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer im Irak in der Lage sein wird, sich - wie in Österreich - mit eigener Erwerbstätigkeit ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts zu erwirtschaften. Ferner ist davon auszugehen, dass er über seine noch immer im Irak aufhältige Kernfamilie Unterstützung finden wird.
Auch im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des COVID-19 Erregers kann unter Zugrundelegung der medial ausführlich kolportierten Entwicklungen im Herkunftsland bislang keine Entwicklung erkannt werden, die im Hinblick auf eine Gefährdung nach Art. 3 EMRK eine entscheidungsrelevante Lageänderung erkennen lässt. Als junger und gesunder Mann fällt der Beschwerdeführer nicht in die durch das COVID-Virus besonders betroffene Risikogruppe der vorerkrankten oder älteren Menschen, weswegen es nicht ausreichend wahrscheinlich ist, dass er in diesem Zusammenhang in relevanter Weise gefährdet wäre.
Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.
3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III., erster Spruchteil des angefochtenen Bescheides):
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde unter Zitierung des § 57 AsylG 2005 zwar ausgesprochen hat, dass ein Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ gemäß § 57 AslG 2005 nicht erteilt werde, dass sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides jedoch unzweifelhaft ergibt, dass die belangte Behörde tatsächlich rechtsrichtig über eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005 abgesprochen und eine solche nicht erteilt hat.
Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.
3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III., zweiter Spruchteil des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.
Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch eine geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zu.
So ist grundsätzlich nach negativem Ausgang des Asylverfahrens - infolge des damit einhergehenden Verlustes des vorläufig während des Verfahrens bestehenden Rechts zum Aufenthalt und sofern kein anderweitiges Aufenthaltsrecht besteht - der rechtmäßige Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet wiederherzustellen (vgl. in diesem Sinn das hg. Erkenntnis 19.02.2014, 2013/22/0028)."
Ebenso entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17.04.2013, 2013/22/0106, mwN).
Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. etwa VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0058, mwN). Vielmehr wird verlangt, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (vgl. etwa VwGH 10.4.2019 Ra 2019/18/0049, mwN).
Aus zwei Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0122 bis 0125-7; VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0076-10) lässt sich zudem erkennen, dass eine Aufenthaltsbeendigung nach einem Aufenthalt von sechs Jahren im Bundesgebiet trotz vorhandener Integrationsschritte (Deutschkenntnisse, Selbsterhaltungsfähigkeit) im öffentlichen Interesse liegen kann und dass Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland die Interessen an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu stärken vermögen, sondern dass diese - letztlich auch als Folge des seinerzeitigen, ohne ausreichenden Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens des Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen sind.
Zu prüfen ist daher, ob eine Rückkehrentscheidung mit Art 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Art 8 EMRK ist aus den folgenden Gründen gegeben:
Das vorliegende Asylverfahren erreichte, gerechnet von der Antragstellung am 21.09.2015 bis zum Datum der nunmehrigen Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht zwar eine Dauer von knapp fünf Jahren, jedoch beruhte der Aufenthalt des Beschwerdeführers nur auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb er während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann.
Ein schützenswertes Familienleben führt der Beschwerdeführer in Österreich nicht. Zu prüfen war daher ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers. Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt.
Es wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer, auch wenn er nicht über entsprechende Sprachzertifikate verfügt, sich Deutsch auf einem beachtlichen Niveau angeeignet hat und erste Schritte unternommen hat, über eine selbständige Tätigkeit künftig wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen. Zudem schätzt und nimmt er alle Freiräume an, die sich ihm in Österreich bieten, schätzt und auch annimmt.
Darüber hinaus sind aber keine weiteren maßgeblichen Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass seinem Privatleben in Österreich im Verhältnis zu den legitimen öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung eine überwiegende und damit vorrangige Bedeutung zukommen würde.
Auch der Verfassungsgerichtshof erblickte in einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen einen kosovarischen (ehemaligen) Asylwerber keine Verletzung von Art 8 EMRK, obwohl dieser im Laufe seines rund achtjährigen Aufenthaltes seine Integration u.a. durch gute Kenntnisse der deutschen Sprache, Besuch von Volkshochschulkursen in den Fachbereichen Rechnen, Computer, Deutsch, Englisch, Engagement in einem kirchlichen Verein, erfolgreiche Kursbesuche des Ausbildungszentrums des Wiener Roten Kreuzes und ehrenamtliche Mitarbeit beim Österreichischen Roten Kreuz sowie durch die Vorlage einer bedingten Einstellungszusage eines Bauunternehmers unter Beweis stellen konnte (VfGH 22.09.2011, U 1782/11-3, vgl. ähnlich auch VfGH 26.09.2011, U 1796/11-3).
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Darüber hinaus würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007; vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass "eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.")
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ergibt auch eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Ausreise als im Sinne des Art 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann. Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit zuungunsten des Beschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Ausreise aus.
3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III., dritter Spruchteil des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Im gegenständlichen Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre.
Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse VwGH 19.02.2015, Ra 2015/21/0005 und 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 - 0062).
Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Weiters steht der Abschiebung keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegen.
Die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak erfolgte daher zu Recht.
3.6. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide):
Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Da derartige besondere Umstände vom Beschwerdeführer nicht behauptet und auch im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen sind, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.
Die Beschwerde war daher zu allen Spruchpunkten abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Abschiebung Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel begründete Furcht vor Verfolgung berücksichtigungswürdige Gründe Fluchtgründe freiwillige Ausreise Frist Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Interessenabwägung mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2164876.1.00Im RIS seit
07.12.2020Zuletzt aktualisiert am
07.12.2020