TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/7 W236 1405514-3

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Veröffentlicht am 07.09.2020
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Entscheidungsdatum

07.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z6
BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W236 1405514-3/4E

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Lena BINDER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2020, Zl. 780730102/161289645, zu Recht:

A)

I. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt VII. stattgegeben und dieser ersatzlos behoben. Der Beschwerde wird gemäß § 18 Abs. 5 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Erstes Asylverfahren:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tatarischen Volksgruppe, reiste am 17.08.2008 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 18.08.2008 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst im Wesentlichen vor, aus Orenburg zu stammen und der Sekretär des Muftis einer religiösen muslimischen Organisation (Schule) gewesen zu sein. Die Behörden hätten bereits Jahre versucht, diese Schule wegen angeblich extremistischer Tätigkeiten schließen zu lassen. Auch der Mufti sei immer wieder in deren Blickfeld geraten. Schließlich sei der Beschwerdeführer zu Unrecht beschuldigt worden, extremistische Tätigkeiten durchgeführt zu haben. Im März 2007 sei er zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ende Mai 2008 sei er aus der Haft entlassen worden. Aus Angst erneut grundlos festgenommen, verurteilt und inhaftiert zu werden, habe er Russland verlassen.

1.2. Mit Bescheid vom 22.01.2009 wurde der (erste) Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz abgewiesen, ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt und der Beschwerdeführer in die Russische Föderation ausgewiesen.

1.3. Die dagegen (letztlich) fristgerecht erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung mit Erkenntnis vom 28.11.2013 als unbegründet ab.

1.4. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 06.10.2014 ab.

2. Zweites Asylverfahren:

2.1. Nach Aufgriff durch die Finanzpolizei am 23.09.2016 stellte der Beschwerdeführer am 24.09.2016 gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Hinsichtlich der Gründe für seine zweite Antragstellung gab der Beschwerdeführer vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 24.09.2016 sowie vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 02.11.2016 und am 10.02.2017 im Wesentlichen an, dass er nach wie vor von denselben Organen bedroht werde. Er habe Drohanrufe auf seiner Handynummer bekommen und sei in Österreich einmal auch auf der Straße von einem Mann angesprochen worden. Man habe ihm gedroht, dass er sich wegen seiner Verurteilung im Jahr 2007 nicht an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden sollte. Den Kontakt zu seiner Familie habe er bereits 2014 eingestellt, da diese wegen ihm Probleme gehabt hätten. Er fürchte im Falle der Rückkehr erneut mutwillig festgenommen und inhaftiert zu werden. Österreich habe er seit dem Jahr 2008 nicht mehr verlassen.

2.2. Am 16.01.2020 übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer aktuelle Länderberichte zur Lage in der Russischen Föderation und gewährte ihm eine Frist zur Stellungnahme.

2.3. Binnen offener Frist gab der Beschwerdeführer am 03.02.2020 eine Stellungnahme zu den ihm übermittelten Länderberichten ab, in welcher erneut auf die schwierige Lage von religiösen Minderheiten, insbesondere von Muslimen in der Russischen Föderation hinwies.

2.4. Nach Stattgabe des Beweisanbotes legte der Beschwerdeführer der belangten Behörde am 02.03.2020 zudem eine Anfragebeantwortung von ACCORD bezüglich Informationen zu seiner Person, das ihn betreffende Gerichtsverfahren in der Russischen Föderation im Jahr 2007 sowie zur Lage von Personen, denen einen Mitgliedschaft in der XXXX unterstellt wird, vor.

2.5. Mit dem o.a. Bescheid vom 17.07.2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den zweiten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005), (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab, erkannte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt III.) und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (im Folgenden: BFA-VG), gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (im Folgenden: FPG) (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FGP wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid erkannte das Bundesamt gemäß § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1a FPG nicht gewährt (Spruchpunkt VIII.).

2.6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführerin am 31.08.2020 fristgerecht Beschwerde, in der unter anderem die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und der für die Frage der aufschiebenden Wirkung maßgebliche Sachverhalt ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens, dem Beschwerdevorbringen sowie aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Strafregister und dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR). Da die Beweisergebnisse keine entscheidungswesentlichen Widersprüche aufweisen, erübrigt sich eine eingehendere Beweiswürdigung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A):

3.1. Zu Spruchteil I. (Zurückweisung des Antrags auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung):

Aufgrund der in § 18 Abs. 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das Bundesverwaltungsgericht (vgl. hiezu VwGH 20.09.2017, Ra 2017/19/0284 mwN) ist der Antrag des Beschwerdeführers, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

3.2. Zu Spruchteil II. (Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und ersatzlose Behebung von Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides):

3.2.1. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen.

Ein Ablauf der Frist nach Abs. 5 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen (§ 18 Abs. 6 BFA-VG).

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch (Teil)Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten; vielmehr handelt es sich dabei um eine der Sachentscheidung vorgelagerte (einstweilige) Verfügung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen. Es ist in diesem Zusammenhang daher lediglich darauf abzustellen, ob es – im Sinne einer Grobprüfung – von vornherein ausgeschlossen erscheint, dass die Angaben der beschwerdeführenden Parteien als „vertretbare Behauptungen“ zu qualifizieren sind, die in den Schutzbereich der hier relevanten Bestimmungen der EMRK reichen.

3.2.2. Im vorliegenden Fall kann eine Entscheidung über die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegende Beschwerde innerhalb der relativ kurzen Frist des § 18 Abs. 5 BFA-VG nicht getroffen werden. Der Beschwerdeführer machte in der Beschwerde ein reales Risiko einer Verletzung der hier zu berücksichtigenden Konventionsbestimmungen geltend. Vor dem Hintergrund, dass die letzte Einvernahme des Beschwerdeführers im Februar 2017 stattfand und zwischen letzter persönlicher Einvernahme und Bescheiderlassung dreieinhalb Jahre liegen, kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung ein reales Risiko einer Verletzung der in Art. 8 EMRK genannten Rechte vorliegt. Bei einer Grobprüfung des Beschwerdevorbringens kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um „vertretbare Behauptungen“ handelt, insbesondere da der entscheidungsrelevante Sachverhalt wesentliche Fragen (insbesondere hinsichtlich Aktualität der Fluchtgründe des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der Asylgewährung seines Vorgesetzten in Schweden und des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers) offenlässt. Ob eine entsprechende reale Gefahr gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG vorliegt, kann aus der dem Bundesverwaltungsgericht zum derzeitigen Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Aktenlage nach Durchführung einer Grobprüfung nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden. Es bedarf dazu vielmehr eine Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung des im Entscheidungszeitpunkt aktuellen Berichtsmaterials zur Lage in der Russischen Föderation nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Unter Zugrundelegung des Beschwerdevorbringens, das sich auch nicht bloß auf ein unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes reduzieren lässt, wird der Sachverhalt in einer Beschwerdeverhandlung zu klären sein (vgl. dazu etwa VwGH 27.06.2018, Zl. Ra 2018/18/0311-6, Rz 14). Selbige wurde bereits für den 25.09.2020 ausgeschrieben.

Daher war der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Soweit sich die Beschwerden gegen die übrigen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide richten, wird darüber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden.

3.2.3. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte zur Beurteilung der Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

In den vorliegenden Fällen ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Regelungsregime der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 BFA-VG wurde durch den Verwaltungsgerichtshof in seiner angeführten Judikatur erläutert; die zuletzt erfolgte Novellierung dieser Bestimmung sieht eine Entsprechung dieser Judikatur im Gesetzeswortlaut vor (vgl. Erläut. 2285/A BlgNR 25. GP, 85).

Schlagworte

aufschiebende Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W236.1405514.3.00

Im RIS seit

07.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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