TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/15 W103 2228444-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.09.2020
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Entscheidungsdatum

15.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W103 2228444-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Mag. XXXX Rechtsanwalt in XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.12.2019, Zl. 731514700-161490439, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 7 Abs. 1 Z 1 und Z 2 sowie Abs. 4, 8, 10 Abs. 1 Z 4, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9 und 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Dem Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 27.06.2005, Zahl 258.586/0-IX/49/05, in Stattgabe einer Berufung gegen den seinen Asylantrag vom 25.05.2003 abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.02.2005 gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt und gemäß § 12 leg.cit. festgestellt, dass diesem damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Als der entscheidungswesentliche individuelle Sachverhalt wurde festgestellt, der Beschwerdeführer, ein ethnischer Tschetschene und Moslem, habe im Jahr 1999 begonnen, verletzte Widerstandskämpfer zu transportieren, zusätzlich habe er Widerstandskämpfer mit Lebensmitteln beliefert. Als russische Soldaten in seinem Heimatort einmarschierten, sei der Beschwerdeführer mit seinen Eltern nach XXXX gezogen. Dort sei er bei einer Säuberungsaktion von russischen Soldaten mitgenommen und in die Kellerräume eines russischen Stützpunktes gebracht worden. Seine Daten seien aufgenommen worden. Er sei geschlagen und zum tschetschenischen Widerstand verhört worden. Nach einer Woche habe er von seiner Mutter freigekauft werden können und habe danach versteckt bei Freunden gelebt. Schließlich sei er im März 2003 erstmals aus Tschetschenien geflüchtet und habe in Österreich im Mai 2003 einen Asylantrag gestellt. Auf Anraten seiner Mutter und Schwiegermutter sei er im Oktober 2003 nach XXXX zurückgekehrt. Kurz darauf sei der Beschwerdeführer wieder von russischen Soldaten mitgenommen und mehrere Tage festgehalten, geschlagen und verhört worden. Schließlich sei dem Beschwerdeführer eine „Schwarze Liste“ mit Namen gesuchter tschetschenischer Widerstandskämpfer gezeigt worden, auf der sich auch sein eigener Name befunden hätte. Ihm sei angeboten worden, freigelassen zu werden, falls er als Informant für die russischen Behörden tätig werden würde. Nachdem der Beschwerdeführer das Papier mit verdecktem Text unterschrieben hätte, sei er freigelassen worden. Anfang Dezember 2003 habe dieser erneut aus Tschetschenien fliehen können und habe in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Im Mai 2004 sei er von Deutschland nach Österreich überstellt worden. Für den Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation, auch außerhalb Tschetscheniens, befürchte der Beschwerdeführer, dass er festgenommen bzw. „verschwinden“ würde. Dieser befinde sich in einem psychisch angegriffenen Zustand und leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer, welcher tschetschenische Widerstandskämpfer transportiert und mit Lebensmitteln versorgt hätte, sei im Zuge einer Säuberungsaktion in das Blickfeld der russischen Behörden geraten und sei von diesen inhaftiert worden. Seitdem sei der Beschwerdeführer den Behörden namentlich bekannt. Er gehöre somit zu einem Personenkreis, dem ein Naheverhältnis zu tschetschenischen Separatisten unterstellt werde und der deshalb von anti-separatistischen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung besonders betroffen sei. Aus diesem Grund sei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückführung besondere Aufmerksamkeit seitens der russischen Behörden gewidmet würde. Angesichts der aufgrund wiederholter Terroranschläge angespannten und Tschetschenen-feindlichen Stimmung in der gesamten Russischen Föderation und der Tatsache, dass im Gefolge der Ermordung Maschadovs eine Eskalierung des Konfliktes zwischen Tschetschenen und Russen drohe, in Verbindung mit der Ethnie des Beschwerdeführers, sei auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Genannte außerhalb Tschetscheniens keinerlei asylrelevanten Übergriffen ausgesetzt wäre oder gegen solche Übergriffe effektiven behördlichen Schutz zu erwarten hätte. Schon weil sich die Hoheitsgewalt der russischen Regierung auf das gesamte Staatsgebiet erstrecke, stehe dem Beschwerdeführer keine innerstaatliche Schutzalternative zur Verfügung. Der Beschwerdeführer befinde sich aus wohlbegründeter Furcht einerseits wegen einer ihm unterstellten politischen Gesinnung, andererseits wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit verfolgt zu werden, außerhalb der Russischen Föderation und sei im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in das Land zurückzukehren, sodass dem Beschwerdeführer, zumal auch kein Ausschlussgrund vorliege, Asyl zu gewähren gewesen sei.

Die Behandlung einer gegen diesen Bescheid eingebrachten Amtsbeschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 26.09.2007, Zl. 2006/19/0527-6, abgelehnt.

2. Infolge mehrfacher Straffälligkeit des Beschwerdeführers (vgl. dazu die Feststellungen) leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Aktenvermerk vom 05.11.2019 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ein, worüber es den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 07.11.2019, zugestellt am 11.11.2019, informierte; zugleich wurde ihm die Möglichkeit eingeräumt, zu den anbei übermittelten Berichten zur Lage in seinem Herkunftsstaat und zu näher aufgelisteten Fragestellungen zu seinen privaten und familiären Lebensumständen, sowie einer allfälligen Gefährdung in seinem Herkunftsstaat, binnen zweiwöchiger Frist schriftlich Stellung zu beziehen.

Im Rahmen einer mit 13.11.2019 datierten Stellungnahme führte der Beschwerdeführer aus, er habe in Österreich zusammengerechnet etwa drei Jahre gearbeitet, dies hauptsächlich als Lagerarbeiter und Staplerfahrer. Er habe keine Berufsausbildung abgeschlossen. Derzeit beziehe er Mindestsicherung. Seine Deutschkenntnisse stufe er auf das Niveau A2 ein, einen formellen Nachweis besitze er nicht. Derzeit sei er beim betreuten Wohnen des Vereins XXXX untergebracht und zahle dort eigenständig Miete. In Österreich würden seine Ex-Frau und vier Kinder leben, zu allen der Genannten pflege der Beschwerdeführer einen guten Kontakt. Er sei auch in die Pflege und Erziehung der Kinder miteingebunden. Von seiner Familie sei er in keiner Weise finanziell abhängig. Der Beschwerdeführer sei gesund. In Russland würden noch seine Eltern und seine Schwester leben, zu welchen er täglich Kontakt hätte. Seiner Familie gehe es den Umständen entsprechend gut. Vor seiner Flucht habe der Beschwerdeführer mit seiner Frau und seinen Kindern in XXXX gelebt. Damals sei er regelmäßig von Soldaten zu gewaltsamen Verhören abgeholt worden. Ob ein Verfahren gegen ihn offen wäre, sei ihm nicht bekannt. Zu seiner aktuellen Gefährdung in seinem Heimatland könne der Beschwerdeführer keine Angaben machen, darüber wisse er nicht Bescheid. Jedoch sei bekannt geworden, dass sein russischer Reisepass in Österreich verkauft und in Syrien gefunden worden sei, während er sich in Österreich in Haft befunden hätte. Die Polizei sei zu seiner Mutter gekommen und habe den Beschwerdeführer gesucht.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 18.12.2019 wurde dem Beschwerdeführer in Spruchteil I. der ihm mit Bescheid vom 27.06.2005 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 idgF aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. In Spruchteil II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, weiters wurde ihm in Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Darüber hinaus wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG idgF erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt VI.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VII.).

Zur Person des Beschwerdeführers wurde festgestellt, dieser sei Tschetschene und Moslem, gesund, arbeitsfähig, geschieden und Vater von vier in Österreich lebenden Kindern.

Zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten wurde festgestellt, dass die Gründe für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht mehr vorliegen würden und eine Verfolgung oder Bedrohungssituation des Beschwerdeführers im Heimatland nicht mehr habe festgestellt werden können. Die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 27.06.2005 sei mit einer anzunehmenden Verfolgungsgefahr seitens der russischen Behörden wegen der Tätigkeit des Beschwerdeführers für tschetschenische Widerstandskämpfer in Verbindung mit der damals angespannten und Tschetschenen-feindlichen Stimmung begründet worden. Die als ursprünglich asylrelevant gewertete schlechte Lage habe sich gemäß den Länderinformationen nachhaltig gebessert. Der Kriegszustand in Tschetschenien sei überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet worden. Gemäß den Länderinformationen gebe es keine Hinweise darauf, dass russische Behörden nach wie vor tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Vor allem durch die untergeordnete Rolle des Beschwerdeführers (Versorgung von Verletzten und Nahrungsmittelversorgung) erscheine eine solche ihn betreffende Suche auch nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer hätte nahezu täglich Kontakt zu seinen in der Heimat lebenden Verwandten und hätte eine systematische Suche der Behörden wegen seiner Vergangenheit nicht vorgebracht, trotzdem ihn seine Verwandten über eine solche sicherlich informiert hätten bzw. selbst ins Visier der Behörden geraten wären. Auch der Umstand, dass sich die Behörden nach dem Besitzer eines in Syrien sichergestellten Reisepasses erkundigen, ließe noch keinesfalls auf eine Verfolgung schließen. Nachdem der Beschwerdeführer angesichts seines dokumentierten Aufenthaltes in Österreich keinesfalls der Teilnahme an Kampfhandlungen in Syrien beschuldigt werden könnte, ergebe sich aus den erwähnten Erkundigen durch die Behörden keine besondere Gefährdung. Zusätzlich sei auszuführen, dass der Beschwerdeführer wiederholt wegen teils schwerer Verbrechen wie Schlepperei, gewerbsmäßigem Diebstahl, Verstößen gegen das Waffengesetz und Imstichlassen von Verletzten rechtskräftig verurteilt worden wäre. Dieser habe fortgesetzt strafbare Handlungen gegen Leib, Leben und Vermögen begangen. Hinsichtlich seiner Zukunft könne keine positive Prognose erstellt werden; der Beschwerdeführer sei einschlägig vorbestraft, sei immer wieder straffällig geworden und zeige somit keinen Willen, sich der herrschenden Rechtsordnung zu unterwerfen. Dem Beschwerdeführer sei der Status des Asylberechtigten daher gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention abzuerkennen gewesen. Die Lage im Herkunftsland des Beschwerdeführers habe sich in den letzten Jahren dahingehend entscheidend verbessert, dass keinerlei Hinweise vorlägen, dass Personen, die den Widerstand in den Jahren vor der letzte offiziellen Amnestie 2006 unterstützt oder selbst gekämpft hätten und eine Amnestie in Anspruch genommen haben, oder die mit einer solchen Person verwandt seien, nunmehr alleine deshalb verfolgt würden. Betroffen seien hauptsächlich Unterstützer und Familienmitglieder gegenwärtig aktiver Widerstandskämpfer. Auch konzentriere sich der Kampf gegen Gewalt seitens der Regierung immer mehr auf religiöse Terroristen und deren Helfer/Angehörige.

Nicht festgestellt werden habe können, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland einer unmenschlichen Behandlung oder einem einer solchen gleichkommenden Zustand ausgesetzt wäre. Dem Beschwerdeführer sei es zumutbar, nach einer Rückkehr durch Gelegenheitsjobs für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Der Beschwerdeführer leide an keinen körperlichen oder psychischen Erkrankungen, welche einer Rückkehr entgegenstehen würden. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in sein Heimatland Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer könnte Leistungen des russischen Sozialhilfesystems in Anspruch nehmen sowie gemäß § 52a BFA-VG eine finanzielle Rückkehrhilfe als Startkapital beziehen. Schließlich könnte er Unterstützung durch seine unverändert im Herkunftsstaat lebenden Verwandten erfahren. Diesem wäre es möglich, sich in jedem Teil seines Herkunftsstaates niederzulassen und dort Fuß zu fassen. Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten seien daher ebenfalls nicht zu Tage getreten.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit dem Jahr 2003 im Bundesgebiet. Mit seiner Ex-Frau und den vier Kindern lebe der Beschwerdeführer seit Anfang des Jahres 2008 in keinem gemeinsamen Haushalt mehr, eine finanzielle Abhängigkeit zu seiner Familie liege nicht vor. Auch hinsichtlich der Familienmitglieder des Beschwerdeführers, denen der Status der Asylberechtigten im Familienverfahren zuerkannt worden wäre und welche demnach keiner persönlichen Gefährdung im Heimatland unterlegen hätten, seien Verfahren zur Aberkennung des Status der Asylberechtigten eingeleitet worden. Die Aufrechterhaltung des Kontaktes durch Besuche im Herkunftsstaat werde daher in Hinkunft möglich sein. In der gesamten Zeit seit Zuerkennung des Asylstatus sei der Beschwerdeführer etwa für acht Monate einer regulären beruflichen Tätigkeit nachgegangen. Während seines Aufenthaltes sei er zumeist auf staatliche Hilfe angewiesen gewesen. Aufgrund der vorliegenden Straftaten erfolge durch eine Aufenthaltsbeendigung kein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Familien- und Privatleben. Der Beschwerdeführer habe nach wie vor enge Bindungen zu seinem Heimatland.

Hinsichtlich des ausgesprochenen Einreiseverbotes wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer seit 2012 wiederholt straffällig geworden wäre und zuletzt durch ein Landesgericht wegen der Verbrechen/Vergehen der Schlepperei, der fahrlässigen Körperverletzung, des Imstichlassens von Verletzten und Verstößen gegen das Waffengesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden wäre. Die Dauer des Einreiseverbotes begründe sich mit der wiederkehrenden Straffälligkeit des Beschwerdeführers und der Schwere seiner Straftaten in Gegenüberstellung zum in Österreich vorhandenen Familienleben. Die Erlassung eines Einreiseverbotes in der Dauer von drei Jahren sei gerechtfertigt und notwendig, der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu begegnen.

4. Mit am 16.01.2020 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingelangtem Schriftsatz wurde durch den nunmehrigen anwaltlichen Vertreter fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften gegen die Spruchpunkte I, II, III, IV, V und VII des dargestellten Bescheides eingebracht. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, der Beschwerdeführer sei im Zuge der Kriegswirren während des zweiten Tschetschenienkrieges, da er auf Seite der tschetschenischen Unabhängigkeit unterstützend tätig gewesen wäre, verhaftet, gefoltert und mit dem Umbringen bedroht worden. Er habe beginnend mit 1999 Verletzte transportiert und Widerstandskämpfer mit Lebensmitteln versorgt. Er sei als Widerstandskämpfer registriert worden. Der Beschwerdeführer habe sich dazu entschlossen, mit seiner Familie zu fliehen, sei jedoch auf Bitte seiner Mutter, welche gemeint hätte, dass es in Russland wieder sicher wäre, zurückgekehrt. Kurz nach seiner Rückkehr sei er jedoch neuerlich durch russische Beamte gesucht und gefoltert worden. Aus Angst, umgebracht zu werden, habe er ein Dokument unterzeichnet, damit er freigelassen werde und sei erneut geflohen. Aufgrund der Vorkommnisse habe der Beschwerdeführer an posttraumatischer Belastungsstörung gelitten und hätte nach wie vor Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren und zu erinnern. Der Beschwerdeführer sei gegen Russland vorgegangen und scheue sich nicht davor, seine Meinung zum nunmehrigen Kadyrow-Regime zu äußern. In Tschetschenien verblieben seien seine Eltern, seines Schwester lebe mittlerweile in Russland. Der Beschwerdeführer habe sich im Jahr 2015 von seiner Frau getrennt, habe jedoch nach wie vor ein gutes Verhältnis zu dieser und den vier gemeinsamen Kindern. Der Beschwerdeführer sei bemüht gewesen, in Österreich zu arbeiten und sei zahlreichen Tätigkeiten als Hilfsarbeiter nachgegangen. Der Beschwerdeführer habe die verhängten Strafen bereits verbüßt und versuche, sein Leben wieder in geordnete Bahnen zu bringen. Dieser bereue sein Verhalten, wolle wieder arbeiten und keinesfalls wieder in die Kriminalität abrutschen. Der Beschwerdeführer sei lediglich zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert, jedoch zu keiner Einvernahme geladen worden. Bereits mit Stellungnahme vom 13.11.2019 hätte der Beschwerdeführer der Behörde mitgeteilt, dass die Gefahrensituation immer noch bestehe und die russischen Behörden neuerlich einen Vorwand gefunden hätten, nach ihm zu suchen. Während der Beschwerdeführer in Österreich in Haft gewesen wäre, sei es zu unberechtigten Anschuldigungen gekommen, wonach er Mitglied einer terroristischen Vereinigung sei und in Syrien kämpfen wolle. Diesbezüglich habe es im Jahr 2015 ein Strafverfahren gegeben, in welchem der Beschwerdeführer jedoch von allen Anschuldigungen rechtskräftig freigesprochen worden wäre. Unerklärlicherweise sei daraufhin die Mutter des Beschwerdeführers von vermeintlichen russischen Beamten aufgesucht und in bedrohlicher Weise befragt worden. Die Männer seien maskiert und bewaffnet gewesen. Sie hätten der Mutter Fahndungsbilder des Beschwerdeführers gezeigt und ihr vorgehalten, dass dieser Terrorist sein und in Syrien kämpfen würde. Woher die russischen Behörden die Lichtbilder, welche augenscheinlich bereits lange nach seiner Flucht angefertigt worden wären, hatten, könne sich der Beschwerdeführer nicht erklären. Einige Zeit später sei die Mutter des Beschwerdeführers neuerlich von vermeintlichen Beamten aufgesucht und befragt worden. Aufgrund des nunmehrigen Bescheides habe der Beschwerdeführer seine Mutter gebeten, ihm die von den Beamten übergebenen Fahndungsfotos zu schicken. Auf das diesbezügliche Vorbringen sei die Behörde jedoch nicht eingegangen und habe keine weiteren Erhebungen durchgeführt. Personen, die wegen einer Straftat verurteilt worden wären oder glaubhaft als Terrorist oder aktiver Unterstützer des Terrorismus angesehen werden, können wahrscheinlich in der gesamten Russischen Föderation als gesucht gelten. Die nach wie vor bestehende Verfolgung und Fahndung basierend auf den ursprünglichen Fluchtgründen würden es dem Beschwerdeführer unmöglich machen, zurückzukehren. Aufgrund der falschen Anschuldigung sei er im Falle einer Rückkehr mit Sicherheit massiven Folterungen und Misshandlungen ausgesetzt und vom Tod bedroht. Ausführungen dazu, weshalb unter Beurteilung der aktuellen Lage im Herkunftsland keine Gefährdung mehr vorliege, unterlasse die Behörde; es sei dem Bescheid nicht zu entnehmen, dass die Gründe, welche zur Zuerkennung des Status geführt hätten, zwischenzeitlich weggefallen wären. Die Behörde vermöge nicht darzulegen, weshalb im Falle des Beschwerdeführers davon auszugehen sei, dass die Umstände – sohin die Gefahr der unbegründeten Verfolgung und Inhaftierung in der Russischen Föderation sowie die damit einhergehende Gefahr der Folter und unmenschlichen Behandlung und in weiterer Folge die Lebensgefahr – weggefallen seien. Eine tatsächliche Auseinandersetzung mit der aktuellen Lage im Herkunftsland und der vorgebrachten Gefährdung des Beschwerdeführers nehme die Behörde nicht vor. Entsprechend zahlreicher, dem Länderbericht zu entnehmenden, Quellen sei belegt, dass sich die Lage in Tschetschenien und auch in der Russischen Föderation nicht dauerhaft gebessert hätte. Es dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass in Tschetschenien weiterhin Menschenrechtsverletzungen stattfänden und fragwürdige Maßnahmen, wie Kollektivbestrafung mit der Unterstützung Russlands angeordnet und gutgeheißen würden. Die Behörde ignoriere Berichte, welche dokumentieren würden, dass Aufständische und Widerstandskämpfer nach wie vor Verfolgung ausgesetzt wären. Der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner Einstellung und Vergangenheit als Aufständischer und Widerstandskämpfer registriert, so auch seine Familie. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige werde rigoros vorgegangen. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Die russischen Behörden gingen offenbar davon aus, dass der Beschwerdeführer in einer Nahebeziehung zu Terroristen stünde und in Syrien gewesen sei, es drohen ihm sohin jedenfalls unmenschliche Behandlung in der Haft und Folter. Trotz der Unschuld des Beschwerdeführers wäre ein Freispruch nicht zu erzielen und würde der Beschwerdeführer unschuldig eine lange Haftstrafe verbüßen müssen. Ein faires Verfahren gemäß Art. 6 EMRK sei keinesfalls gewährleistet. Von einem effektiven Rechtsschutz im Falle des Beschwerdeführers, welcher als ehemaliger Widerstandskämpfer registriert sei und offenbar auch als Terrorist gelte, könne von Seiten Russlands nicht gerechnet werden. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die Behörde daher zum Schluss kommen müssen, dass Gründe für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorlägen.

Weiters liege ein Ermessensfehler der Behörde vor, wenn sie davon ausginge, dass das öffentliche Interesse dem Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich überwiege und keine Verletzung des Art. 8 EMRK vorliege.

Es sei der Eindruck entstanden, dass sich die Behörde in entscheidenden Punkten mit der Ermittlungstätigkeit nicht befassen wolle und die Rechtsunkenntnis des Betroffenen ausnutze. Vor allem hätte sich die Behörde durch eine Einvernahme einen persönlichen Eindruck des Beschwerdeführers verschaffen, seine Deutschkenntnisse überprüfen und betreffend Unklarheiten nachfragen können. Die Stellungnahme sei überdies nicht unterschrieben, weshalb die Behörde nicht von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen hätte können. Derartige Stellungnahmen seien nicht als Ersatz einer Einvernahme geeignet. Eine ordentliche Auseinandersetzung mit den angedeuteten Flucht- bzw. Nachfluchtgründen sei nicht zu erkennen, dies obwohl der Beschwerdeführer angegeben hätte, von den russischen Behörden unverändert gesucht zu werden.

Beiliegend übermittelt wurde eine Fotografie eines Mobiltelefons, welches in einer Konversation übermittelte Lichtbilder zeigt. Weiters wurden Berichte vom 11.03.2019 zur angeprangerten Folter in Tschetschenien, ein Bericht vom 17.03.2019, wonach der Rat unter der Leitung von Tschetschenien die massive Fälschung von Strafsachen anerkannt hätte, sowie ein Bericht über eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden über eine Auslieferung nach Russland vorgelegt.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 10.02.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

5. Am 21.08.2020 langte eine Bestätigung über ein Transitdiensverhältnis im Zeitraum vom 13.07.2020 bis zum 02.09.2020 (Umfang 30h Woche) zur Integration am Arbeitsmarkt bei der Werkstatt der Fa XXXX ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum moslemischen Glauben bekennt. Dieser stellte infolge illegaler Einreise am 25.05.2003 einen Asylantrag im Bundesgebiet. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 27.06.2005, Zahl 258.586/0-IX/49/05, wurde dem Beschwerdeführer in Stattgabe einer Berufung gegen den seinen Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.02.2005 gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt und gemäß § 12 leg.cit. festgestellt, dass diesem damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Als der entscheidungswesentliche individuelle Sachverhalt wurde festgestellt, der Beschwerdeführer, ein ethnischer Tschetschene und Moslem, habe im Jahr 1999 begonnen, verletzte Widerstandskämpfer zu transportieren, zusätzlich habe er Widerstandskämpfer mit Lebensmitteln beliefert. Als russische Soldaten in seinem Heimatort einmarschierten, sei der Beschwerdeführer mit seinen Eltern nach XXXX gezogen. Dort sei er bei einer Säuberungsaktion von russischen Soldaten mitgenommen und in die Kellerräume eines russischen Stützpunktes gebracht worden. Seine Daten seien aufgenommen worden. Er sei geschlagen und zum tschetschenischen Widerstand verhört worden. Nach einer Woche habe er von seiner Mutter freigekauft werden können und habe danach versteckt bei Freunden gelebt. Schließlich sei er im März 2003 erstmals aus Tschetschenien geflüchtet und habe in Österreich im Mai 2003 einen Asylantrag gestellt. Auf Anraten seiner Mutter und Schwiegermutter sei er im Oktober 2003 nach XXXX zurückgekehrt. Kurz darauf sei der Beschwerdeführer wieder von russischen Soldaten mitgenommen und mehrere Tage festgehalten, geschlagen und verhört worden. Schließlich sei dem Beschwerdeführer eine „Schwarze Liste“ mit Namen gesuchter tschetschenischer Widerstandskämpfer gezeigt worden, auf der sich auch sein eigener Name befunden hätte. Ihm sei angeboten worden, freigelassen zu werden, falls er als Informant für die russischen Behörden tätig werden würde. Nachdem der Beschwerdeführer das Papier mit verdecktem Text unterschrieben hätte, sei er freigelassen worden. Anfang Dezember 2003 habe dieser erneut aus Tschetschenien fliehen können und habe in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Im Mai 2004 sei er von Deutschland nach Österreich überstellt worden. Für den Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation, auch außerhalb Tschetscheniens, befürchte der Beschwerdeführer, dass er festgenommen bzw. „verschwinden“ würde. Dieser befinde sich in einem psychisch angegriffenen Zustand und leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer, welcher tschetschenische Widerstandskämpfer transportiert und mit Lebensmitteln versorgt hätte, sei im Zuge einer Säuberungsaktion in das Blickfeld der russischen Behörden geraten und sei von diesen inhaftiert worden. Seitdem sei der Beschwerdeführer den Behörden namentlich bekannt. Er gehöre somit zu einem Personenkreis, dem ein Naheverhältnis zu tschetschenischen Separatisten unterstellt werde und der deshalb von anti-separatistischen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung besonders betroffen sei. Aus diesem Grund sei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückführung besondere Aufmerksamkeit seitens der russischen Behörden gewidmet würde. Angesicht der aufgrund wiederholter Terroranschläge angespannten und Tschetschenen-feindlichen Stimmung in der gesamten Russischen Föderation und der Tatsache, dass im Gefolge der Ermordung Maschadovs eine Eskalierung des Konfliktes zwischen Tschetschenen und Russen drohe, in Verbindung mit der Ethnie des Beschwerdeführers, sei auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Beschwerdeführer außerhalb Tschetscheniens keinerlei asylrelevanten Übergriffen ausgesetzt wäre oder gegen solche Übergriffe effektiven behördlichen Schutz zu erwarten hätte. Schon weil sich die Hoheitsgewalt der russischen Regierung auf das gesamte Staatsgebiet erstrecke, stehe dem Beschwerdeführer keine innerstaatliche Schutzalternative zur Verfügung. Der Beschwerdeführer befinde sich aus wohlbegründeter Furcht, einerseits wegen einer ihm unterstellten politischen Gesinnung, andererseits wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit verfolgt zu werden, außerhalb der Russischen Föderation und sei im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in das Land zurückzukehren.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation unverändert aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer spricht Tschetschenisch auf muttersprachlichem Niveau, zudem beherrscht er Russisch. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen. Im Herkunftsstaat halten sich unverändert die Eltern und eine Schwester des Beschwerdeführers auf.

1.3. Der Beschwerdeführer weist die folgenden strafgerichtlichen Verurteilungen auf:

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , Zahl XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach den §§ 15, 127, 130 erster Fall StGB, des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2, 148 erster Fall StGB sowie des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt, von der ihm ein Teil in der Höhe von 12 Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , Zahl XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 erster Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , Zahl XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs. Abs. 1, Abs. 3 Z 1, Z 2, Z 3, Abs. 4 erster Fall (im Rahmen einer kriminellen Vereinigung) FPG, der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1, Abs. 3 StGB sowie der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4 zweiter Satz erste Alternative StGB, der Vergehen des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB, der Vergehen der fahrlässigen Gemeingefährdung nach § 177 Abs. 1 StGB sowie der Vergehen nach § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt.

Der Verurteilung lag insbesondere zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Rahmen einer kriminellen Vereinigung teilweise gewerbsmäßig die rechtswidrige Einreise und Durchreise Fremder, die über keine gültigen Einreise- und Aufenthaltsberechtigungen für den EU- und Schengenraum verfügten, in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, mit dem Vorsatz, sich oder Dritte durch Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, gefördert hat. Die insgesamt 70 Geschleppten wurden mit einem angemieteten Transporter von Ungarn kommend nach Österreich transportiert. Die Geschleppten waren während des Transportes teils in einem viel zu engen Laderaum ohne ausreichende Luftzufuhr und ohne ausreichende Sicherung zusammengepfercht und wurden dadurch längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt.

Der Beschwerdeführer und ein Mittäter haben grob fahrlässig unter Außerachtlassung der im Straßenverkehr gebotenen und erforderlichen Sorgfalt und Aufmerksamkeit zumindest 39 Fremde leicht am Körper verletzt sowie zumindest drei Fremde schwer am Körper verletzt, indem der Mittäter in übermüdetem Zustand den von ihm gelenkten, völlig überladenen, Kastenwagen ohne verkehrsbedingte Notwenigkeit abbremste, um ein Wendemanöver durchzuführen, sodass der Beschwerdeführer als Lenker des hinter ihm fahrenden, völlig überladenen, Kastenwagens, der einen zu geringen Sicherheitsabstand zu dem vor ihm fahrenden vom Mittäter gefahrenen Kastenwagen einhielt, nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte und auf den vom Mittäter gelenkten Kastenwagen auffuhr, wodurch dieser auf die Seite kippte.

Der Beschwerdeführer und sein Mittäter haben es sodann unterlassen, den angeführten verletzten Personen, deren Verletzungen am Körper sie verursacht hatten, die erforderliche Hilfe zu leisten, indem sie unmittelbar nach dem Verkehrsunfall, ohne nach den Fremden zu sehen, die Flucht ergriffen, obwohl ihnen die Hilfeleistung zuzumuten war.

Überdies wurden der Beschwerdeführer und sein Mittäter schuldig befunden, an nicht mehr feststellbaren Orten auf der Fahrroute von Ungarn nach Österreich fahrlässig eine Gefahr für Leib und Leben einer größeren Anzahl von Menschen, nämlich jeweils zumindest 35 Fremden, herbeigeführt zu haben, indem sie die überladenen Kastenwägen auf der Autobahn mit weit überhöhter Geschwindigkeit (170 km/h) unter häufigem abruptem Abbremsen lenkten, sodass die auf der Ladefläche befindlichen Fremden hin- und her geschleudert wurden und aufeinander fielen.

Der Beschwerdeführer wurde zudem für den zweifachen Besitz von verbotenen Waffen für schuldig befunden.

Bei der Strafbemessung als mildernd wurden die geständige Verantwortung, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen strafbarer Handlungen, die Verletzung einer Vielzahl an Personen sowie das Vorliegen einschlägiger Vorstrafen gewertet.

Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet würde eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen, zumal anhand seines bisherigen Verhaltens die Gefahr einer neuerlichen Straffälligkeit zu prognostizieren ist.

1.4. Der Beschwerdeführer hat sich während seines knapp sechzehnjährigen Aufenthalts grundlegende Deutschkenntnisse (seiner Einschätzung nach auf dem Niveau A2) angeeignet; er hat sich nur fallweise in Beschäftigungsverhältnissen (zusammengerechnet für einen Zeitraum von rund acht Monaten) befunden und war im Übrigen vom Bezug staatlicher Sozialleistungen abhängig. Der Beschwerdeführer war nach Entlassung aus der zuletzt verbüßten Freiheitsstrafe Mitte Oktober 2019 ohne Beschäftigung und Bezieher von Mindestsicherung. Der Beschwerdeführer ist aktuell nicht selbsterhaltungsfähig. Im Bundesgebiet leben seine ehemalige Ehefrau und die vier gemeinsamen, zwischen 2002 und 2015 geborenen, Kinder. Der Beschwerdeführer lebt seit dem Jahr 2008 in keinem gemeinsamen Haushalt mehr mit seinen Angehörigen, unterhält seinen Angaben zufolge jedoch einen guten Kontakt zu seiner Exfrau und seinen Kindern. Der Beschwerdeführer hat sich in keinen Vereinen betätigt und ist keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen.

1.5. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern in der Russischen Föderation wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 3.12.2019 in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 12. Meinungs- und Pressefreiheit, Internet).

Ab sofort können in Russland auch Einzelpersonen, die für Medien arbeiten, als „ausländische Agenten“ eingestuft werden (Standard Online 3.12.2019). Präsident Putin erließ am 2.12.2019 einen entsprechenden Zusatzartikel zu dem Gesetz, mit dem ausländische Medien als Agenten eingestuft werden können. Der Zusatzartikel gilt für diejenigen Personen, deren Medium zuvor von den Behörden auf eine entsprechende Liste gesetzt wurden (Zeit Online 3.12.2019). Davon betroffen sein könnten beispielsweise Mitarbeiter des staatlichen US-Radiosenders Voice of America und Radio Free Europe, die bereits vom Justizministerium als "ausländische Agenten" erfasst worden sind (Zeit Online 3.12.2019, vgl. Dekoder 26.11.2019).

Menschenrechtsorganisationen äußerten sich besorgt und bezeichneten das Gesetz als "weiteren Schritt zur Einschränkung freier und unabhängiger Medien" in Russland.

Quellen:

?        Dekoder (26.11.2019): Ausländische Agenten – Krieg in den Köpfen, https://www.dekoder.org/de/article/auslaendische-agenten-freund-feind, Originalartikel: ????????? (21.11.2019): «??????????? ??????» ??? ??????????? ???????? ????? (Wedomosti: „Ausländische Agenten“ zur Aufrechterhaltung des Belagerungssyndroms), https://www.vedomosti.ru/opinion/columns/2019/11/21/816910-inostrannie-agenti, Zugriff 3.12.2019

?        Standard Online (3.12.2019): Putin billigt Gesetz zu Journalisten als "ausländische Agenten“, https://www.derstandard.at/story/2000111799282/putin-billigt-gesetz-zu-journalisten-als-auslaendische-agenten, Zugriff 3.12.2019

?        Zeit Online (3.12.2019): Putin lässt Journalisten als "ausländische Agenten" einstufen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-12/russland-wladimir-putin-mediengesetz-journalisten-ueberwachung, Zugriff 3.12.2019

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 3.9.2019a, vgl. BMeiA 3.9.2019, GIZ 8.2019d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 3.9.2019).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (3.9.2019a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 3.9.2019

-        BmeiA (3.9.2019): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 3.9.2019

-        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

-        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (3.9.2019): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 3.9.2019

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 3.9.2019

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz‘, eine ‚Provinz Kaukasus‘, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem ‚Kalifen‘ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des sog. IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sog. IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2018). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In den vergangenen Jahren hat sich die Hauptkonfliktzone von Tschetschenien in die Nachbarrepublik Dagestan verlagert, die nunmehr als gewaltreichste Republik im Nordkaukasus gilt, mit der vergleichsweise höchsten Anzahl an extremistischen Kämpfern. Die Art des Aufstands hat sich jedoch geändert: aus großen kampferprobten Gruppierungen wurden kleinere, im Verborgenen agierende Gruppen (ÖB Moskau 12.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2018).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan im vergangenen Jahr die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz. Im gesamten Nordkaukasus sind von Jänner bis Juni 2019 mindestens 31 Menschen dem Konflikt zum Opfer gefallen. Das ist fast die Hälfte gegenüber dem ersten Halbjahr 2018, als es mindestens 63 Opfer waren. In der ersten Jahreshälfte 2019 umfasste die Zahl der Konfliktopfer 23 Tote und acht Verletzte. Zu den Opfern gehören 22 mutmaßliche Aufständische und eine Exekutivkraft. Verwundet wurden sieben Exekutivkräfte und ein Zivilist. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 lag Kabardino-Balkarien mit der Zahl der erfassten Opfer, neun Tote und ein Verletzter, an der Spitze. Als nächstes folgt Dagestan mit mindestens neun Toten, danach Tschetschenien mit zwei getöteten Personen und vier Verletzten. In Inguschetien wurde eine Person getötet und drei verletzt; im Gebiet Stawropol wurden zwei Personen getötet. Dagestan ist führend in der Anzahl der bewaffneten Vorfälle - mindestens vier bewaffnete Zusammenstöße fanden in dieser Republik in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 statt. Im gleichen Zeitraum wurden in Kabardino-Balkarien drei bewaffnete Vorfälle registriert, zwei in Tschetschenien, einer in Inguschetien und im Gebiet Stawropol. Seit Anfang dieses Jahres gab es in Karatschai-Tscherkessien und in Nordossetien keine Konfliktopfer und bewaffneten Zwischenfälle mehr (Caucasian Knot 30.8.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 3.9.2019

-        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 3.9.2019

-        DW – Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt", https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 3.9.2019

-        ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 3.9.2019

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3%. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 wurden in Tschetschenien zwei Personen getötet und vier verletzt (Caucasian Knot 30.8.2019). Seit Jahren ist im Nordkaukasus nicht mehr Tschetschenien Hauptkonfliktzone, sondern Dagestan (ÖB Moskau 12.2018).

Quellen:

-        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 3.9.2019

-        ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 3.9.2019

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 3.9.2019

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2018). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 4.2.2019).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen Ende 2018 rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2018). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2018). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung in Einklang stehen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019, US DOS 13.3.2019). Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2018).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer „nichtgenehmigten“ friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der „Absicht“ angenommen haben, die „Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen“. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann (AA 13.2.2019).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 13.2.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 6.8.2019

-        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 6.8.2019

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 6.8.2019

-        FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 6.8.2019

-        ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 6.8.2019

-        US DOS – United States Department of State (13.3.2019): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2018 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004290.html, Zugriff 6.8.2019

Tschetschenien und Dagestan

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetscheniens und Dagestans. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramzan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition.

Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [Anm. d. Staatendokumentation: für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten (EASO 9.2014). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art „alternativer Justiz“. Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015). Somit herrscht in Tschetschenien ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellen Gewohnheitsrecht (adat) einschließlich der Tradition der Blutrache und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen binde

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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