Entscheidungsdatum
29.09.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W195 2221135-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.06.2019, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.08.2020 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 02.01.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen einer am Tag der Antragstellung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung gab der BF zu seinen Fluchtgründen an, dass er ursprünglich in Österreich studieren wollte. Er habe nicht die Absicht gehabt, in Österreich dauerhaft zu bleiben. Am 19.07.2017 habe er eine Christin geheiratet, ohne dass dies die Eltern erfuhren. Im Dezember 2017 hätten sie davon erfahren und diese Ehe nicht gutgeheißen. Es sei ihm auch von seiner Familie telefonisch gedroht worden. Seine Frau sei 2017 nach Ungarn zu ihrer kranken Mutter gegangen. Da sein Visum zwischenzeitig abgelaufen war, habe er sie ab und zu in Wien getroffen. In Wien habe er einige Bengalen kennen gelernt, welche der LGBT-Community angehören würden; er habe dann später eine sexuelle Beziehung zu ihnen gehabt. Mit seiner Ehefrau habe er im April 2018 darüber gesprochen und ihr gesagt, dass er nicht mehr mit ihr leben möchte und der BF mit einem Freund eine sexuelle Beziehung habe. Seine Familie, die die Situation erfahren habe, habe ihn daraufhin verstoßen.
Der BF legte dazu eine Heiratsurkunde des Standesamtes XXXX vom XXXX vor. Darin wird beurkundet, dass der BF XXXX , geboren am XXXX , Ungarn, geheiratet hat.
I.2. Am 24.01.2019 erfolgte die Einvernahme vor dem BFA.
Befragt zu seinen Familienverhältnissen bestätigte der BF die bei der Ersteinvernahme getätigten Aussagen. Verwandte oder Kinder habe er keine innerhalb Österreichs.
Seine Ehefrau würde in Ungarn leben, das letzte Mal, dass sie sich getroffen hätten, wäre im April 2018 gewesen, im Juni 2018 hätten sie zum letzten Mal – über eine Scheidung – gesprochen. Der BF möchte sich scheiden lassen, sei derzeit aber noch verheiratet.
2015 habe er sein Heimatland verlassen, um in Österreich zu studieren. Am 19.07.2017 habe er eine Christin geheiratet, deswegen sei seine Familie wütend auf ihn. Seitdem seine Familie erfahren habe, dass er homosexuell sei, habe sie ihn verstoßen.
Er habe schon mit 17 oder 18 Jahren körperlichen Kontakt zu einem Freund gehabt, dies aber unterdrückt. Im Februar 2018, als er öfters in Wien gewesen sei, habe er den ersten körperlichen Kontakt zu seinem Freund gehabt.
Befragt, warum für den BF keine innerstaatliche Fluchtalternative bestünde, führte der BF aus, dass sein Vater ein hoher Beamter gewesen sei, der für den Geheimdienst arbeitete; deshalb würde er ihn finden.
Andere Fluchtgründe brachte der BF nicht vor.
Unterstützend zu seinem Vorbringen legte der BF einen „Bericht zum Coming-Out-Prozess“ von XXXX von der Schweigepflicht entbundener Psychotherapeut des BF. Der Psychotherapeut führt in dem Schreiben aus, dass er selbst auch homosexuell sei und sein Lebenspartner im XXXX der XXXX tätig sei. Der BF legte auch ein Bestätigungsschreiben der XXXX hinsichtlich Beratungstätigkeiten vor.
I.3. Am 08.03.2019 erfolgte die nächste Einvernahme des BF vor dem BFA.
Im Rahmen dieser Einvernahme wurde folgender Verfahrensablauf – zusammengefasst - dargestellt:
? Heimat verlassen am 20.04.2015
? Eingereist am 20.04.2015
? Visum D vom 10.04.2015 – 09.08.2015
? Erstaufenthaltsbewilligung für den Zweckumfang „Studierender“ von 08.11.2016 bis 07.11.2017
? Am 19.07.2017 Frau XXXX , geb 08.07.1983, STA Ungarn, geheiratet
? Verlängerungsantrag am 03.11.2017 eingebracht
? Am 03.07.2017 Aufforderung zur Vorlage einer Bestätigung vom Amt der Wr. Landesregierung; dieser Aufforderung nicht gefolgt.
? Am 22.01.2018 neuerliche Aufforderung, eine Bestätigung vorzulegen
? Am 02.02.2018 langte ein ungenügendes Sammelzeugnis bei der Behörde ein
? Am 31.03.2018 Information über die vermutliche Abweisung des Antrages; keine Reaktion
? Am 18.04.2018 Abweisung des Antrages
? Am 22.10.2018 Sicherstellung des Reisepasses durch die Polizei
? Am 02.01.2019 Asylantrag
? Am 15.01.2019 Ladung zur asylrechtlichen Einvernahme
? Am 21.01.2019 Beratungsgespräch bzgl. „Ihrem Coming out“
? Am 24.01.2019 Einvernahme beim BFA
Zu seiner Ausbildung befragt gab der BF an, dass er in Bangladesch die Grundschule, sodann das College besucht habe; er sei danach vier Jahre lang auf die Universität in XXXX gegangen. Gearbeitet habe er noch nicht.
Er habe Eltern und zwei Schwestern sowie ca 10 Onkel und ca 15 Tanten. Er habe zu zwei weiter entfernten Verwandten, nämlich Cousinen, die in XXXX und XXXX wohnen, Kontakt, aber nicht zu seiner Kernfamilie.
Der Vater habe ein Haus, eine Landwirtschaft und ein Geschäft; darüber hinaus bekäme er eine Pension von seinem früheren Arbeitgeber. Die finanzielle Situation der Familie sei „Mittelstand“. Der Vater habe ihn bis zum Zeitpunkt der Heirat mit € 1.000 monatlich unterstützt.
In Bangladesch habe er als 17-jähriger sexuellen Kontakt mit einem Freund gehabt, wöchentlich oder zumindest einmal pro Monat. Der BF kenne jedoch keine homosexuellen Männer in Bangladesch. Er kenne auch die LGBT Community in Bangladesch nicht.
Er sei Mitglied der XXXX . Er fürchte jedoch, dass „die Mitglieder der bengalischen Community hier in Österreich von mir Abstand nehmen würden. Das ist zumindest meine Vermutung. Dieses Gefühl hatte ich ihn XXXX . Deshalb lebe ich jetzt in XXXX . In XXXX gibt es eine große Community, die erfährt so etwas schneller, in XXXX habe ich dieses Problem nicht“. Er habe zwar Freunde in Österreich, aber er unterhalte keine sexuellen Kontakte mit ihnen.
Befragt, ob es aus Sicht des BF Gründe gäbe, die gegen eine Ausweisung sprechen bzw. ob der BF familiäre Interessen in Österreich habe, antwortete er mit einem klaren „Nein.“
Er habe keine Beziehung in Österreich, keine Verwandten. Er habe in Österreich keine Freunde bzw. Bekannten. Er möchte wieder studieren (Rechtswissenschaften). Er bekäme Unterstützung von den beiden Cousinen. Einer Beschäftigung gehe er nicht nach; er habe im Zeitraum März 2016 bis August 2017 mit einer Arbeitsbewilligung eine Beschäftigung als Küchenhilfe und als Zusteller für den „ XXXX “ gearbeitet.
I.4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom XXXX , wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1–3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde ein befristetes Einreiseverbot von drei Jahren erlassen (Spruchpunkt VII).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass der BF keinerlei Glaubwürdigkeit erlangt habe. Er behauptete, homosexuell zu sein, habe aber in Österreich eine Ungarin geheiratet, welche wieder zurück nach Ungarn gegangen sei (mit unterschiedlichen Datumsangaben). Er wolle sich seit Anfang 2018 scheiden lassen, habe aber bisher keinerlei Veranlassungen dazu getroffen.
Seine Einreise sei ursprünglich mit einem Studentenvisum erfolgt, welches am 18.04.2018 nicht verlängert worden sei mangels Studienerfolges.
Erst nach Abnahme des Reisepasses sei der Asylantrag erfolgt. Nachdem die Ladung zur Einvernahme erfolgte habe der BF „Dokumente“ vorgelegt, die seine Homosexualität bestätigen sollten, jedoch bezieht sich keines dieser Dokumente auf eine Beratung vor dem Zeitpunkt der Ladung zur Einvernahme. Daher sehe die Behörde darin den Versuch des BF, sich einen zusätzlichen Fluchtgrund zuzulegen. Es sei nämlich zu erwarten gewesen, dass der BF schon Ende 2017 oder Anfang 2018, als die Trennung von seiner Ehefrau wegen seiner behaupteten Homosexualität Thema war, sich eine entsprechende Beratung bei dem Psychotherapeuten, der XXXX oder von XXXX zugewandt hätte. Dies sei aber nicht erfolgt. Ein weiteres Indiz dafür sei gewesen, dass der BF keine einschlägigen Lokale in XXXX oder XXXX benennen konnte. Es sei unglaubwürdig, dass der BF keinerlei Kontakt zu Gleichgesinnten gesucht habe.
Der BF habe weiters seinem Cousin Anfang 2018 von seiner Homosexualität erzählt und habe der Vater des BF diesen telefonisch im Juni 2018 „verstoßen“ und mit dem Umbringen gedroht. Der BF habe jedoch erst Anfang 2019 einen Asylantrag gestellt. Es sei vollkommen unverständlich, dass der BF mehr als ein halbes Jahr zugewartet habe, um einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, sondern würde dies regelmäßig deutlich schneller erfolgen, wenn tatsächlich ein Fluchtgrund bestünde. Die behauptete vorliegende Bedrohung sei somit nicht glaubwürdig.
Die Behörde gehe davon nicht davon aus, dass der BF homosexuell sei. Darüber hinaus bestünde eine innerstaatliche Fluchtalternative. Da der BF auch gesund sei und eine Ausbildung habe, könne er in Bangladesch arbeiten. Besondere Integrationsschritte in Österreich habe er nicht gesetzt.
Der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten. Das befristete Einreiseverbot gründe sich darauf, dass der BF nicht den Besitz von Mittel zu seinem Unterhalt vorweisen konnte. Da der BF seinen Aufenthaltstitel „Studierender“ mangels Studienerfolges verloren habe, keiner Beschäftigung nachgegangen sei und sich nur mit der gelegentlichen Unterstützung von zwei Cousinen, welche im Ausland leben, erhalten könne, sei das befristete Einreiseverbot gerechtfertigt.
I.5. Mit Schriftsatz vom 03.07.2019 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – durch die XXXX vertretenen – BF zur Gänze angefochten.
Neben der kurzen Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes und der behaupteten Fluchtgründe wurde dabei zusammengefasst begründend ausgeführt, dass es nachvollziehbar sei, dass der BF sich erst „im Sinne einer Vorbereitung“ nach Erhalt der Ladung zur Einvernahme beim BFA um Kontakte zur XXXX und XXXX bemüht habe.
Der Zeitraum von über sechs Monaten zwischen Telefonat mit dem Vater und der Antragstellung auf internationalen Schutz liege darin begründet, dass der BF den ablehnenden Bewilligungsbescheid bekämpft habe und wegen der Erfolglosigkeit dieses Rechtsmittels erst danach den Asylantrag gestellt habe.
Zum Beweis der Homosexualität des BF werde die zeugenschaftliche Einvernahme von XXXX , beantragt.
Darüber hinaus legte der BF eine Anmeldung zum Deutschkurs B1 vom 01.07.2019, eine Gewerbebestätigung (freies Gewerbe Güterbeförderung bis 3,5 t vom 06.05.2019) sowie zwei Rechnungen (über 1.300 € für den Zeitraum 06/2019 sowie 1.050 € für den Zeitraum 05/2019) vor.
Es wurden die Anträge gestellt, den Bescheid zu beheben und dem BF Asyl bzw. subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu, den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die erste Instanz zurückzuverweisen, in eventu, dem BF einen Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung Plus“ zu erteilen sowie eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen.
I.6. Mit Schreiben vom 09.07.2019 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
I.7. Eine für ursprünglich 29.06.2020 ausgeschriebene mündliche Verhandlung wurde wegen akuten Zahnschmerzen des BF kurzfristig vertagt.
Mit der Ladung zur neuerlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem BF das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand April 2020) zu Bangladesch zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 05.08.2020 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.
I.8. Am 05.08.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Rechtsberaters des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.
In dieser Verhandlung übergab der Vertreter für den BF eine Gewerbeberechtigung (Güterbeförderung). Weiters wurde ein Zeugnis zur Integrationsprüfung (B1) sowie ein „Bericht zum Coming-out-prozess“, eine Mitgliederbestätigung der XXXX und Bilder zur Teilnahme an der „ XXXX “ vorgelegt.
Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes gab der BF an, dass er keine Probleme habe, bzw. wurde eine lebensbedrohliche Erkrankung vom BF nicht angeführt.
Zu seinem Familienstatus bemerkte der BF, dass er verheiratet sei, seine Ehefrau stamme aus Ungarn und lebe derzeit vermutlich in den Niederlanden. Er wolle sich seit Anfang 2018 scheiden lassen, habe dazu aber noch keinerlei Veranlassungen getroffen.
Zu seiner Familie in Bangladesch habe über seine jüngere Schwester Kontakt, wenn auch selten. Mit seinem Vater habe er keinen Kontakt, wegen der Heirat einer Christin und wegen seiner behaupteten Homosexualität. Weiters habe er Kontakt zu zwei Cousinen, welche in XXXX wohnen würden.
Er würde derzeit von seiner selbständigen Arbeit in der Güterbeförderung leben; damit würde er ca. € 1.300 netto verdienen.
Der BF gab an, dass er gute Freunde habe, die aus Bangladesch stammen. Er sei Mitglied bei der XXXX , lebe aber in XXXX . Sein Psychotherapeut, der nach eigenen Angaben auch homosexuell sei, habe ihm die „ XXXX empfohlen und er habe sich mit gleichgesinnten Freunden getroffen.
Er habe einen „homosexuellen Partner“, der in Mannheim/Deutschland, lebe. Dieser könne bezeugen, dass er homosexuell sei.
Festgestellt werden konnte, dass sich der BF gut in der deutschen Sprache unterhalten konnte.
Er sei ursprünglich mit einem Studentenvisum im Jahr 2015 nach Österreich gekommen, habe jedoch die erforderliche Deutschprüfung nicht in der vorgesehenen Zeit absolviert, sodass sein Visum nicht verlängert wurde; er habe sodann einen Asylantrag gestellt. Eine Fachprüfung auf der Universität habe er nicht abgelegt.
Zu seinen Asylgründen befragt, gab der BF an, dass er „mit 17, 18“ Jahren die ersten homosexuellen Erfahrungen mit einem Freund gemacht habe, dies für die Dauer von „2, 3“ Jahren. Er habe darüber mit niemandem gesprochen, auch nicht innerhalb der Familie. Sie hätten in dieser Zeit „nicht sehr oft, wenige Male“, sexuellen Kontakt gehabt. Der BF führte zu diesem Verhältnis aus: „Das, was ich mit ihm hatte, gefiel mir und ich hatte ein gutes Gefühl.“ Sein Freund sei dann nach Südafrika gegangen, Kontakt habe er keinen mehr. Einen anderen homosexuellen Kontakt oder Beziehung in Bangladesch habe er nicht gehabt, es gäbe dafür auch keine „Internetseite“ oder App (BVwG VS S 15).
Überraschenderweise fügte der BF von sich aus noch hinzu: „Ich hatte danach auch nie eine Beziehung mit einer Frau und auch davor hatte ich keine Beziehung mit einer Frau“ (BVwG VS S 14). Damit widersprach sich der BF, der in der gleichen Verhandlung angab, dass er „schon vor der Eheschließung“ mit seiner späteren Ehefrau „einige Male“ sexuellen Kontakt hatte (BVwG VS S 16). Dieser sexuelle Kontakt „passierte“, aber der BF hätte „darin kein großes Interesse gefunden.“ Er habe seine spätere Ehefrau ca 13 Monate lang gekannt, bevor sie geheiratet haben. Es sei für ihn nicht „ganz deutlich“ gewesen, ob er homosexuell sei. Er habe jedoch seine spätere Ehefrau nicht mit der Thematik konfrontiert (BVwG VS S 7), und halte dies auch nicht für einen fairen Zugang. Aber der BF „wollte ein normales Leben leben.“ Man, konkret „seine Familie“, wollte ihn im Heimatland zwingen, zu heiraten, aber dies wollte er nicht. Er habe deshalb hier geheiratet, eine Christin, wobei er sich bewusst gewesen sei, dass dadurch Konflikte mit seinem Vater drohten, welcher auch prompt die finanziellen Unterstützungen einstellte.
Hinsichtlich einer – geplanten – Scheidung habe der BF keine weiteren Schritte gesetzt; seine Ehefrau habe die Scheidung verlangt, aber seit 2018 habe der BF keine Aktivitäten gesetzt. Er sei deshalb noch immer verheiratet, habe aber zu seiner Ehefrau nur indirekt über ihren Cousin sporadischen Kontakt.
Gefragt, ob er wegen seiner Homosexualität in Bangladesch verfolgt wurde, meinte der BF, er habe dies nicht bekannt gemacht; hätte er es bekannt gemacht, wäre er Opfer einer Verfolgung. Er habe dies „mehr oder weniger“ mitbekommen, wie man verfolgt werde, und er habe, allerdings erst nachdem er nach Österreich gekommen sei, „erfahren, dass man sogar ermordet wird“.
Abschließend wurde noch auf den Länderbericht eingegangen und auf die Auswirkungen der aktuellen Corona-Pandemie. Die engagierte Vertreterin des BF reichte ergänzend eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 20.02.2020 ein, welcher – zusammengefasst – entnommen werden kann:
Das vorliegende Dokument beruhe auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten und Expertenauskünften. Es sei dies auch keine Meinung zum Inhalt eines Asylansuchens. Es werde empfohlen, die Dokumente im Original durchzusehen.
Der erste Teil der Antwort beziehe sich auf eine Auskunft von ACCORD vom 30. Mai 2018.
Das US Department of State (USDOS) habe im Jahresbericht zur Menschenrechtslage 2018 zu Bangladesch geschrieben, dass nach dem bengalischen Strafgesetz sexuelle Aktivitäten zwischen Angehörigen des gleichen Geschlechts verboten seien, die Regierung dieses Gesetzt aber nicht aktiv umsetze.
LGBTI-Gruppen würden berichten, dass die Regierung das Gesetz aufgrund von gesellschaftlichem Druck beibehalte.
In einem Zeitungsartikel der Dhaka Tribune (englischsprachige Tageszeitung mit Sitz in Dhaka) aus Mai 2018 werde berichtet, dass die Regierung Bangladeschs verschiedene Empfehlungen des UN-Menschenrechtsbeirates zurückgewiesen habe, darunter die Sicherstellung von Rechten der LGBT-Communities. Der Artikel berufe sich auf einen anonymen Regierungsvertreter, welcher meinte, dass die Gesellschaft Bangladeschs für diesen Schritt nicht bereit sei.
Bangladesch habe Empfehlungen von LGBTI-Rechten zurückgewiesen, weil dies eine religiöse, soziale, kulturelle, moralische und ethische Angelegenheit sei. Man berücksichtige dabei die Ansichten, Bestrebungen, Empfindungen und religiösen Überzeugungen der Mehrheit der Bevölkerung. Die Regierung habe sich dazu verpflichtet, die Rechte aller Bürger zu wahren. Sie sähe keine Notwendigkeit, neue Rechte zu schaffen, welche nicht allgemein als Rechte anerkannt seien.
Weiters beschäftigte sich das vorgelegte Dokument mit dem Mord an einem LGBT-Aktivisten und seinem Freund im Jahr 2016.
In einem australischen Länderinformationsbericht aus 2019 werde festgehalten, dass die Polizei Art. 377 ausnütze, um Gelder zu erpressen.
Weiters wird ein Vorfall aus Mai 2017 thematisiert, bei dem eine Spezialeinheit der Polizei eine Razzia bei einer lokalen LGBT-Gemeinschaft durchgeführt habe und 28 Personen festgenommen und geschlagen habe.
Beschrieben wird, dass USDOS im Jahresbericht zur Menschenrechtslage 2018 feststellte, dass Bangladesch von NGO bestimmte Auflagen zur Registrierung verlange; einige NGO würden von Geheimdienstagenturen beobachtet werden.
Freedom House beschreibe 2019, dass gesellschaftliche Diskriminierung Homosexueller in Bangladesch weiterhin die Norm sei.
Der UN-Ausschuss gegen Folter habe sich im Bericht 2019 über Gewalt gegen LGBTI-Personen besorgt gezeigt.
Das East Asia Forum habe im März 2018 in einem Artikel zur Lage von LGBT-Personen das Erstarken der Erneuerungsbewegung des islamischen Fundamentalismus beschrieben. Im Jahr 2015 sei ein säkularer Blogger und Autor eines Buches über Homosexualität von Extremisten ermordet worden. Weiters wurde auf die oben beschriebene Ermordung eines LGBT-Aktivisten 2016 eingegangen.
Human Rights Watch schreibe im Jänner 2019, dass sexuelle und Gender-Minderheiten wegen einem Klima der Straffreiheit für Angriffe auf Minderheiten durch extremistische religiöse Gruppen um ihre Sicherheit fürchten würden.
Zitiert wurde weiters ein DFAT Bericht aus 2015, dass die Organisatoren der geplanten Regenbogenparade 2016 eine Reihe von Morddrohungen erhalten habe und die Polizei sich geweigert habe, für ihre Sicherheit zu sorgen und vier von ihnen verhaftet habe.
Das East Asia Forum berichte in einem Artikel März 2018, dass es in Bangladesch keine Antidiskriminierungsgesetze gäbe, welche auf LGBT-Personen anwendbar seien.
DFAT hätte 2019 veröffentlicht, dass es in der Praxis für beide Geschlechter äußerst schwierig sei, in einer öffentlich gemachten homosexuellen Beziehung zu leben.
USDOS berichte im März 2019, dass es gegenüber LGBTI-Gruppen Diskriminierung in den Bereichen Anstellung, Berufstätigkeit, Wohnen, Zugang zu staatlichen Dienstleistungen gäbe.
Das Human Rights Forum Bangladesch habe 2019 Zahlen an den UNO-Ausschuss gegen Folter eingereicht, basierend auf den Arbeiten der Bandhu Welfare Society. Demnach hätte diese Organisation im Zeitraum 2013 bis 2018 insgesamt 2391 Beschwerden wegen Misshandlungen/Schikanen, häuslicher Gewalt, Eigentumsstreitigkeiten und Diskriminierung von LGBT-Personen (durchschnittlich unter 400 pro Jahr) erhalten.
In einem Bericht vom März 2015 hätten die Boys of Bangladesch (BoB) eine Umfrage unter LGBT Personen durchgeführt. Demnach hätten über 50 % der 571 UmfrageteilnehmerInnen angegeben, dass sie in andauernder Furcht leben würden, dass ihre sexuelle Orientierung aufgedeckt werde. Bedrängung, Depression und soziale Isolation seien die Folge. Allerdings, so die Herausgeber der Studie, seien die Ergebnisse nicht repräsentativ in Folge der angewendeten Methodologie.
Es gäbe Unterschiede zwischen der Situation homosexueller Männer in Großstädten und in ländlichen Gebieten. In ländlichen Gebieten würden mehr heterosexuelle Eheschließungen erfolgen, auch mit homosexuellen Partnern, als in der Stadt. Eine Vertreterin der BoB habe gegenüber einer fact finding mission des britischen Innenministeriums im Mai 2017 gesagt, dass sie als homosexuelle Männer oder Frauen nicht offen leben könnte.
2018 habe das East Asia Forum über die Auswirkungen eines verstärkten Islambewusstseins im Jahr 2014 und 2015 gehabt habe, berichtet.
DFAT weise im Länderinformationsbericht darauf hin, dass sich die Lage der LGBTI-Personen von den Hirjas (Männer, die als Frauen leben) unterscheide und dies nicht verwechselt werden dürfte.
Im Anhang zu diesem vorgelegten Dokument findet sich eine umfangreiche Quellenangabe, zumeist Artikel aus dem Internet.
Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Fluchtgeschehen des BF und den Artikeln wurde nicht hergestellt.
Der BF merkte am Ende der Verhandlung an, dass er viel über sein Leben nachdenke und immer in Sorge sei, wie sein Leben weitergeführt werde. Gäbe es eine Möglichkeit, dass er zurück in sein Heimatland gehe, würde er dies natürlich tun, aber dies sei für ihn ausgeschlossen, weil sein Leben in Gefahr sei. Der BF „möchte einfach ein schönes Leben hier in Österreich für mich gestalten“. Er möchte einfach nur leben können und hier die Gesetze befolgen und ein ordentliches Leben führen können. „Das war’s, sonst nichts“, waren die Schlussworte des BF.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:
Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali.
Der BF ist in Bangladesch geboren. Er hat in seinem Heimatland für zehn Jahre die Grundschule besucht, zwei Jahre AHS und hat an einer Universität studiert. Vor seiner Ausreise aus Bangladesch hat der BF nicht gearbeitet. Der BF wollte in Österreich „Rechtswissenschaften“ studieren.
Der BF ist 2015 mittels Studentenvisum nach Österreich gekommen. Dieses wurde mangels Studienerfolges nicht verlängert, der BF hat keine einzige Fachprüfung abgelegt.
Der BF ist seit 2017 mit einer Ungarin, die Christin ist, verheiratet. Seine Ehefrau ist derzeit angeblich in den Niederlanden aufhältig. Schritte zu einer Scheidung wurden von Seiten des BF nicht gesetzt, obwohl die Ehepartner seit 2018 darüber gesprochen haben.
Die meisten Personen aus der (Groß-)Familie des BF hält sich in Bangladesch auf, allerdings behauptet der BF, dass er keinen (BFA) bzw wenig (BVwG) Kontakt zu seiner Familie habe. Er habe lediglich Kontakt zu seiner jüngeren Schwester und zwei Cousinen, wobei eine in Saudi-Arabien und eine in Dubai wohne und beide ihn gelegentlich unterstützen.
Der BF hat ein B1-Zertifikat erworben. Der BF verfügt über gute Deutschkenntnisse und kann sich verständlich ausdrücken. Er ist strafrechtlich unbescholten.
Der BF leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung.
Er geht aktuell einer gewerblichen Beschäftigung nach und erwirtschaftet mit Güterbeförderung monatlich ein Nettoeinkommen von € 1.200 bis 1.300,- (BVwG).
In Österreich ist der BF Mitglied der XXXX . Er engagierte sich während seines bisherigen Aufenthaltes nicht ehrenamtlich.
I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:
Es wird festgestellt, dass der BF behauptet, dass er nicht nach Bangladesch gehen könne, weil er homosexuell sei. Er sei mit einer Christin verheiratet, möchte sich seit Anfang 2018 scheiden lassen, er habe jedoch diesbezüglich keine Schritte unternommen Es ist somit ihm zuzurechnen, dass er noch nicht geschieden ist.
Der BF behauptet homosexuell zu sein, seine ersten diesbezüglichen Erfahrungen habe er mit 17, 18 Jahren in Bangladesch gemacht. Er habe für zwei, drei Jahre einen Freund gehabt. Eine Verfolgungshandlung in Bangladesch hat der BF für diesen Zeitraum nicht behauptet.
Festgestellt wird, dass die Aussagen des BF hinsichtlich seiner Kontakte zu Frauen zutiefst widersprüchlich sind. Einerseits behauptet der BF, dass er „nie eine Beziehung mit einer Frau“ hatte, andererseits gab der BF an, dass er bereits vor seiner Eheschließung in Österreich mit seiner späteren Ehefrau einige Male sexuellen Kontakt hatte.
Derzeit behauptet der BF eine Beziehung zu einem Mann in Mannheim/Deutschland zu haben, der Kontakt sei jedoch eingeschränkt.
Andere Fluchtgründe machte der BF nicht geltend.
Festgestellt wird, dass die vorgelegten Dokumente während des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht erster Instanz keine konkrete Verfolgungshandlung gegen den BF darlegten. Insbesondere die Dokumente von ACCORD, erstellt im Februar 2020, belegen keine konkreten, individuellen Verfolgungshandlungen gegen den BF, sondern beziehen sich auf allgemeine Berichte aus den Jahren 2015 bis 2019.
Festgestellt wird, dass der BF Möglichkeit hatte zu dem aktuellsten Länderbericht zu Bangladesch, Stand April 2020, welcher dem BF vom Bundeverwaltungsgericht zur Stellungnahme übermittelt worden war, eine Stellungnahme abzugeben.
Es wird festgestellt, dass der BF über vermutlich zumindest zwei Jahre hindurch eine homosexuelle Neigung in Bangladesch leben konnte, ohne von staatlichen Autoritäten verfolgt zu werden. Eine genaue Angabe über die Anzahl der Jahre kann nicht festgestellt werden, weil der BF dazu keine konkrete Aussage tätigte.
Es wird festgestellt, dass der BF eine innerstaatliche Fluchtalternative, nicht nur in der Stadt XXXX , besitzt.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF derzeit wegen seiner behaupteten homosexuellen Neigungen einer konkreten Verfolgung in Bangladesch ausgesetzt ist.
Es ist nicht glaubhaft (und wurde auch nicht behauptet), dass der BF aufgrund einer Verfolgung wegen seiner behaupteten homosexuellen Neigung nach Österreich geflüchtet ist.
Weiters kann nicht erkannt werden, dass gegen den BF Strafverfahren anhängig sind. Im Falle einer Rückkehr ist der BF keiner wie auch immer gearteten unmittelbaren staatlichen Bedrohung ausgesetzt.
II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:
Politische Lage
Bangladesch – offizielle Bezeichnung Volksrepublik Bangladesch (People's Republic of Bangladesh / Ga?apraj?tantr? B??l?de?) ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Das Land befindet sich größtenteils in der Deltaebene, die durch die Mündung der Flüsse Ganges und Brahmaputra in den Golf von Bengalen (Indischer Ozean) gebildet wird. Nachbarstaaten sind Indien (Westen, Norden und Osten) und Myanmar (Südosten). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² (CIA 13.3.2020) leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 13.3.2020; vgl. GIZ 3.2020, AA 6.3.2020a). Bangladesch ist mit 1.127 Einwohnern pro Quadratkilometer, der am dichtesten besiedelte Flächenstaat der Welt (zum Vergleich: Österreich 104 Einwohner pro km²) (WPR o.D.; vgl. AA 6.3.2020a).
Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Der Premierminister ernennt die Regierungsmitglieder, die vom Präsidenten bestätigt werden. Nach Ende der fünfjährigen Legislaturperiode bildet der Präsident unter seiner Führung eine unabhängige Übergangsregierung, deren verfassungsmäßige Aufgabe es ist, innerhalb von 90 Tagen die Voraussetzungen für Neuwahlen zu schaffen (ÖB 8.2019; vgl. GIZ 11.2019a). Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).
Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300, in Einzelwahlkreisen auf fünf Jahre direkt gewählten, Abgeordneten (ÖB 8.2019) mit zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Diese werden nicht direkt durch eine Wahl vergeben, sondern durch die Parteien, die es ins Parlament schaffen, nominiert (GIZ 11.2019a; vgl. USDOS 11.3.2020). Das Parlament tagt nicht während der Amtszeit der Übergangsregierung. Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesch Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Während die konservative BNP Verbündete bei den islamistischen Parteien wie der Jamaat-e-Islami (JI) hat, bekommt die AL traditionell Unterstützung von linken und säkularen Parteien, wie der Arbeiterpartei, der liberaldemokratischen Partei, der national-sozialen Partei Jatiyo Samajtantrik Dal und jüngst auch von der Jatiya Partei, unter dem ehemaligen Militärdiktator Hossain Mohammad Ershad (ÖB 8.2019).
Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien, die „Awami League“ (AL) und „Bangladesh Nationalist Party“ (BNP) bestimmt (ÖB 8.2019). Klientelismus und Korruption sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 22.7.2019; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020).
Seit 2009 ist Sheikh Hasina Wazed von der Awami League (AL) Premierministerin (GIZ 11.2019a; vgl. ÖB 8.2019). Im Jänner 2019 wurde Sheikh Hasina für ihre vierte Amtszeit, die dritte Amtszeit in Folge, als Premierministerin angelobt. Im Februar 2019 gab sie bekannt, dass sie nach dieser Amtszeit an die „junge Generation“ übergeben wolle (DW 14.2.2019).
Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen Erdrutschsieg mit 96 % der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. BN24 31.12.2018, DT 27.1.2019, DS 10.1.2019, DW 14.2.2019), wobei in zwei Wahlkreisen aufgrund von Gewalt (DS 10.1.2019) bzw. dem Tod eines Kandidaten Nachwahlen notwendig waren (DT 27.1.2019).
Es gibt Berichte über Wahlmanipulation. Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen. Die Regierungspartei weist die Manipulationsvorwürfe und Neuwahlforderungen zurück und nennt die Wahl „völlig frei und unabhängig“ (BBC 31.12.2018). In einer vorläufigen Bewertung erklärten Wahlbeobachter der SAARC (South Asian Association for Regional Cooperation), dass die Wahl „viel freier und fairer“ ablief als die vorherigen (Hindu 1.1.2019). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und zu harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 30.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden mindestens 17 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet (Reuters 1.1.2019).
Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).
Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden, innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist (GIZ 11.2019a).
Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 8.2019). Die verfassungsändernde Mehrheit der AL im Parlament führt zu einer enormen Machtkonzentration. Gesetzesinitiativen schränken den Spielraum der Zivilgesellschaft weiter ein (ACCORD 12.2016). Die Ankündigung von PM Sheik Hasina, ein Tribunal einzusetzen, um erstmals die Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen im Unabhängigkeitskrieg 1971, aber auch für die Ermordung ihres Vaters und Staatsgründers Sheikh Rajibur Rahman 1975 sowie versuchte Mordanschläge auf ihr eigenes Leben 2004 zur Rechenschaft zu ziehen, stoßen in gewissen (pro-pakistanischen Kreisen) in Bangladesch auf heftigen Widerstand (ÖB 8.2019).
Die Kommunalwahlen 2019 fanden an fünf verschiedenen Wahltagen zwischen 10.3. und 18.6.2019 statt (bdnews24 20.6.2019; vgl. bdnews24 3.2.2019). Nachdem die BNP und einige andere Parteien die Wahlen boykottierten, wurde eine niedrige Wahlbeteiligung beobachtet (bdnews24 20.6.2019; vgl. DS 10.3.2019). Die Kandidaten der AL waren in 317 von 470 Upazillas [Landkreisen] siegreich, in 149 Upazillas gewannen unabhängige Kandidaten, die vorwiegend abtrünnige der Regierungsparteien sind. In 115 Upazillas gab es keine Gegenkandidaten (bdnews 20.6.2019). Für die Nachwahlen in insgesamt 8 Upazillas am 14.10.2019 kündigte die BNP jedoch eine Teilnahme an (PA 8.9.2019).
Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 92 Landkreise bzw. Großstädte (Upazilas / City Corporations), über 4.500 Gemeindeverbände (Union Councils / Municipalities) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 8.2019). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 8.2019).
Quellen:
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AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (22.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014277/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2019%29%2C_22.07.2019.pdf, Zugriff 2.4.2020
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (12.2016): Länderkurzübersicht Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/1047992/90_1485186416_122016-bangladesch.pdf, Zugriff 2.4.2020
BBC (31.12.2018): Bangladesh election: PM Sheikh Hasina wins landslide in disputed vote, https://www.bbc.com/news/world-asia-46718393, Zugriff 6.4.2020
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ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (8.2019): Asylländerbericht Bangladesch
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HRW - Human Rights Watch (13.12.2018): Bangladesh: Crackdown as Elections Loom, https://www.ecoi.net/de/dokumet/n1454483.html, Zugriff 6.4.2020
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Sicherheitslage
Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere Awami League (AL) und die Bangladesch National Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende Awami-Liga (AL) hat ihre politische Macht durch die nachhaltige Einschüchterung der Opposition, wie auch jener mit ihr verbündet geltenden Kräfte, sowie der kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft ausgebaut (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).
Von nicht-staatlichen Akteuren (insbesondere Opposition, Islamisten, Studenten) geht nach wie vor in vielen Fällen Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 22.7.2019).
Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 18.3.2020; vgl. AA 22.3.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 29.3.2020a).
Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). 2017 kam es zu fünf Selbstmordattentaten mit Todesfolge, zu denen sich der Islamische Staat bekannte (BMEIA 18.3.2020; vgl. SATP 2.4.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna. Am 29.2.2020 erfolgte ein Anschlag auf die Polizei in Chittagong, bei welchem auch improvisierten Sprengkörper (IEDs) eingesetzt worden sind. Die bangladeschischen Behörden sind weiterhin in höchster Alarmbereitschaft und vereiteln geplante Angriffe. Es wurde eine Reihe von Verhaftungen vorgenommen. Einige Operationen gegen mutmaßliche Militante haben ebenfalls zu Todesfällen geführt (UKFCO 29.3.2020b). Extremistische Gruppen führen Angriffe auf Angehörige vulnerabler Gruppen durch (USDOS 11.3.2020; AA 27.7.2019). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für die Vorfälle sind. Sicherheitsbehörden reagieren manchmal nicht zeitnah bzw. überhaupt nicht auf religiös motivierte Vorfälle (AA 22.7.2019).
In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 22.3.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben. Es gibt Berichte über Sicherheitsprobleme, Protestkundgebungen sowie Gewalttätigkeiten und Unruhen sowohl in der örtlichen Bevölkerung als auch unter den Bewohnern der Lager, nachdem ein lokaler politischer Führer ermordet worden ist (HRW 18.9.2019; vgl. AA 5.11.2019, TDS 24.8.2019).
Im März 2019 wurden bei den Kommunalwahlen im Gebiet Baghicahhari im Norden des Distrikts Rangamati mehrere Wahl- und Sicherheitsbeamte getötet (UKFCO 29.3.2020a).
An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzwächtern. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 29.3.2020a).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte ums Leben. 2019 belief sich die Opferzahl terrorismus- relevanter Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. Bis zum 5.3.2020 wurden 81 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 17.3.2020).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 263 Vorfälle terrorismus-relevanter Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 135 solcher Vorfälle verzeichnet und 2019 wurden 104 Vorfälle registriert. Bis zum 2.4.2020 wurden 29 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 2.4.2020).
In der Monsunzeit von Mitte Juni bis Mitte Oktober muss mit Überschwemmungen gerechnet werden, im südlichen Landesdrittel von Oktober bis November und Mitte April bis Mitte Mai grundsätzlich auch mit Wirbelstürmen (AA 22.3.2020). Regelmäßig wiederkehrende Überschwemmungen sowie die Erosion von Flussufern führen zu einer umfangreichen Binnenmigration (AA 22.7.2019; vgl. Kaipel 2018). Die Kriminalität ist hoch, insbesondere Raubüberfälle (BMEIA 18.3.2020).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (22.3.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 2.4.2020
AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (22.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014277/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2019%29%2C_22.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020
ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 6.3.2019
AA - Anadolu Agency (5.11.2019): Bangladesh rejects Amnesty report on Rohingya killings, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-rejects-amnesty-report-on-rohingya-killings/1636457, Zugriff 2.4.2020
AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html, Zugriff 2.4.2020
BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (18.3.2020): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 2.4.2020
FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020
HRW – Human Rights Watch (18.9.2019): Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 4.2.2020
Kaipel, Simione Christina (2018): „Globaler Wandel – regionale Krisen? Ökologische und sozioökonomische Perspektiven umweltbedingter Migrationsflüsse“, Masterarbeit, Seite 41 – 54, http://othes.univie.ac.at/54839/1/56687.pdf, Zugriff 2.4.2020
SATP - South Asia Terrorism Portal (2.4.2020): Data Sheet – Bangladesh, Number of Terrorism Related Incidents Year Wise 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 6.4.2020
SATP - South Asia Terrorism Portal (2.4.2020): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 6.4.2020
TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 15.1.2020
UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (6.9.201929.3.2020a): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 4.2.2020
UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (6.9.201929.3.2020b): Foreign travel advice Bangladesh – Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/terrorism, Zugriff 4.2.2020
USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 24.3.2020
Allgemeine Menschenrechtslage
Bangladesch hat bisher mehrere UN Menschenrechtskonventionen ratifiziert, ist diesen beigetreten oder hat sie akzeptiert (ÖB 8.2019; vgl. UNHROHC o.D.). Die Verfassung von Bangladesch in der seit
17. Mai 2004 geltenden Fassung listet in Teil III, Artikel 26 bis 47A, einen umfassenden Katalog an Grundrechten auf. Artikel 102 aus Teil VI, Kapitel 1 der Verfassung regelt die Durchsetzung der Grundrechte durch die High Court Abteilung des Obersten Gerichtshofes. Jeder Person, die sich in ihren verfassungsmäßigen Grundrechten verletzt fühlt, steht der direkte Weg zum „High Court“ offen. Die „National Human Rights Commission“ wurde im Dezember 2007 unter dem „National Human Rights Commission Ordinance“ von 2007 eingerichtet, hat aber noch keine nennenswerte Aktivität entfaltet (ÖB 8.2019).
Teils finden Menschenrechtsverletzungen auch unter Duldung und aktiver Mitwirkung der Polizei und anderer Sicherheitskräfte statt (GIZ 11.2019a). Dazu zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwinden lassen von Personen, willkürliche Festnahmen und Verhaftungen und Folter (USDOS 11.3.2020). Die Regierung verhaftete laut neuesten Berichten bis zu 2000 Mitglieder der RABs wegen diverser Vergehen. Obwohl die RABs in den letzten Jahren hunderte Tötungen bzw. mutmaßliche Morde verübt haben, kam es noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen (ÖB 8.2019, siehe auch Abschnitt 5).
Menschenrechtsverletzungen beinhalten weiters harte und lebensbedrohende Haftbedingungen, politische Gefangene, willkürliche oder rechtswidrige Eingriffe in die Privatsphäre, Zensur, Sperrung von Websites und strafrechtliche Verleumdung; erhebliche Behinderungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, wie beispielsweise restriktive Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Beschränkungen der Aktivitäten von NGOs; erhebliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit; Einschränkungen der politischen Partizipation, da Wahlen nicht als frei oder fair empfunden werden; Korruption, Menschenhandel; Gewalt gegen Lesben, Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender- und Intersexuelle (LGBTI) und Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher sexueller Aktivitäten; Einschränkungen für unabhängige Gewerkschaften und der Arbeitnehmerrechte sowie die Anwendung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (USDOS 11.3.2020).
Die Regierung von Bangladesch ignoriert Empfehlungen im Hinblick auf glaubwürdige Berichte zu Wahlbetrug, hartem Vorgehen gegen die Redefreiheit, Folterpraktiken von Sicherheitskräften und zunehmenden Fällen von erzwungenem Verschwinden und Tötungen (EEAS 1.1.2019; vgl. HRW 14.1.2020).
Das Gesetz verbietet Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und es werden Maßnahmen ergriffen, um diese Bestimmungen wirksamer durchzusetzen. Fälle von Diskriminierung und gesellschaftlicher Gewalt gegen religiöse und ethnische Minderheiten sowie von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bestehen fort (USDOS 11.3.2020). Das Informations- und Kommunikationstechnologiegesetz (Information and Communication Technology Act - ICT Act) wird angewandt, um Oppositionelle und Mitglieder der Zivilgesellschaft wegen Delikten von Verleumdung juristisch zu verfolgen (USDOS 11.3.2020).
Bangladesch ist nach wie vor ein wichtiger Zubringer wie auch Transitpunkt für Opfer von Menschenhandel. Jährlich werden Zehntausende Menschen in Bangladesch Opfer von Menschenhandel. Frauen und Kinder werden sowohl in Übersee als auch innerhalb des Landes zum Zweck der häuslichen Knechtschaft und sexuellen Ausbeutung gehandelt, während Männer vor allem zum Zweck der Arbeit im Ausland gehandelt werden. Ein umfassendes Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels aus dem Jahr 2013 bietet den Opfern Schutz und verschärft die Strafen für die Menschenhändler, doch die Durchsetzung ist nach wie vor unzureichend (FH 2020). Internationale Organisationen behaupten, dass einige Grenzschutz-, Militär- und Polizeibeamte an der Erleichterung des Handels mit Rohingya-Frauen und -Kindern beteiligt waren. Formen der Unterstützung von Menschenhandel reichen dabei von „Wegschauen“ über Annahme von Bestechungsgelder für den Zugang der Händler zu Rohingya in den Lagern bis hin zur direkten Beteiligung am Handel (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
EEAS - European External Action Service (1.1.2019): Statement by the Spokesperson on parliamentary elections in Bangladesh, https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/56110/node/56110_es, Zugriff 6.4.2020
FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2019a): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat, Zugriff 24.3.2020
HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 1.4.2020
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ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (8.2019): Asylländerbericht Bangladesch
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