TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/30 W279 2189692-1

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Veröffentlicht am 30.09.2020
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Entscheidungsdatum

30.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W279 2189692-1/22E

Schriftliche Ausfertigung des am 30.06.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX 2001, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.02.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.06.2020, zu Recht:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)        Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang

1.Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 04.11.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF.

2. Bei der mit einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des BF am 05.11.2015 führte dieser zu seinem Fluchtgrund befragt zusammenfassend aus, dass seine Mutter ihm berichtet habe, dass sein Vater vor ungefähr dreieinhalb Jahren wegen einem Streit wegen der Bewässerung des Grundstücks der Familie getötet worden sei. Nähere Informationen über den besagten Vorfall habe der BF jedoch nicht. Bei einer Rückkehr habe er aufgrund der erwähnten Feindschaft Angst. Zudem herrsche in Afghanistan Krieg.

Zu seinen persönlichen Umständen befragt, gab der BF zu Protokoll, dass seine Mutter, seine drei Brüder und seine Schwester nach wie vor in Afghanistan wohnhaft seien. Er stamme aus der Provinz XXXX , sei Analphabet und zuletzt als KFZ-Gehilfe tätig gewesen.

3. Am 12.01.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat zusammenfassend aus, dass seine Familie im Heimatland Grundstücke gehabt habe und dort Granatäpfel angebaut habe. Sein zuletzt ausgeübter Beruf sei KFZ-Lehrling gewesen und er habe im Zuge dieser Tätigkeit ungefähr 700 oder 800 Afghani verdient. Zu seinen in Afghanistan lebenden Familienangehörigen (Mutter, Geschwister) habe er seit einem Jahr und drei Monaten keinen Kontakt mehr, da er diese telefonisch nicht mehr erreichen könne. Das letzte Telefonat sei abgebrochen worden. Nunmehr wisse er nicht mehr, ob seine Familie nach wie vor in Afghanistan lebe oder ob sie die Besitztümer bereits verkauft hätten. Die Frage, ob er zu seinem Onkel mütterlicherseits noch Kontakt habe, wurde vom BF verneint. Befragt, ob es eine andere Nummer gebe, unter der seine Familie erreichbar sei, entgegnete der BF, dass sein eigenes Mobiltelefon nicht mehr funktioniere. Die Familie habe jedenfalls vom Anbau von Granatäpfeln und seiner Arbeitstätigkeit gelebt. Zu Freunden in Afghanistan habe der BF keinen Kontakt mehr. Er habe von seiner Geburt an bis zur Ausreise im Herkunftsstaat gelebt und sei mit den gesellschaftlichen sowie den kulturellen Gegebenheiten seines Heimatlandes vertraut.

Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass sein Vater in Grundstücksstreitigkeiten verwickelt gewesen sei und er mit einem anderen Mann um Wasser für die Bewässerung der Grundstücke gestritten habe. Im Zuge einer Auseinandersetzung sei er von einer Gruppe erschossen worden, die zu den Taliban gehöre, weshalb der BF danach für den Lebensunterhalt der Familie sorgen habe müssen. Da seine Mutter Angst gehabt habe, dass es zu weiteren Vorfällen kommen könnte, habe sie dem BF die Ausreise nahegelegt. In weiterer Folge sei der BF daher in den Iran geflohen. Auf Nachfrage, wann es diese Wasserknappheit gegeben habe, erwiderte der BF, dass er in diesem Sommer ungefähr neun oder zehn Jahre alt gewesen sei und die Probleme begonnen hätten, als sie gerade begonnen hätten, ihre Grundstücke zu bewässern. Zur Frage, ob sein Vater mit dem besagten Mann bereits vor der Wasserknappheit Schwierigkeiten gehabt habe, replizierte der BF, dass er das nicht wisse. Der erwähnte Mann namens „ XXXX habe jedenfalls Kontakt zu den Taliban gehabt, die dann auch seinen Vater ermordet hätten. Er wisse ebenfalls nicht, ob auch andere Nachbarn mit dem besagten Mann Probleme gehabt hätten, da ihm nur seine Mutter von der Ermordung seines Vaters erzählt habe und er die Geschehnisse nicht selbst mitbekommen habe. Nach dem Tod seines Vaters sei der BF mit seiner Familie zu seinem Onkel gezogen, wo er bis zu seiner Ausreise gelebt habe. Befragt, woher er wisse, dass der Mann namens XXXX ein Mitglied der Taliban gewesen sei, erklärte der BF, dass ihm seine Mutter erzählt habe, dass diese Männer bewaffnet und verschleiert gewesen seien, weshalb nur die Taliban infrage kommen würden. Auf Vorhalt, dass er zuvor vorgebracht habe, dass er nach dem Tod seines Vaters arbeiten habe müssen und nunmehr angebe, den Vorfall um seinen Vater nicht persönlich miterlebt zu haben, gab der BF an, dass er zum Zeitpunkt des Todes seines Vaters bereits drei Monate berufstätig gewesen sei. Er habe den Mörder seines Vaters gekannt, nicht jedoch die gesamte Gruppierung, die ihn ermordet habe. Auf die Frage, ob seine Familie den Vorfall bei der Polizei gemeldet habe, replizierte der BF, dass die Polizei gegen die übermächtigen Taliban nichts unternehmen könne. Befragt, wie lange der Zeitraum zwischen der Ermordung seines Vaters und seiner Ausreise gewesen sei, führte der BF an, dass seine Mutter Angst gehabt habe, dass ihm ebenfalls etwas zustoßen könnte, wenn er älter sei. Es habe jedoch keine direkte Bedrohung gegen ihn gegeben, „ XXXX habe jedoch angedroht, ihn auch umzubringen, wenn er älter sei. Auf Nachfrage, wieso er davon ausgehe, dass ihn dieser Mann ebenfalls töten wolle, gab der BF zu Protokoll, dass dieser Mann Angst habe, dass sich der BF für den Tod seines Vaters rächen könnte. Befragt, ob an ihn persönlich jemand herangetreten sei, entgegnete der BF, dass seine Mutter eine drohende Gefahr befürchtet habe, er selbst sei jedoch zu jung gewesen, um die Ereignisse zu verstehen. Der erwähnte Mann und die Taliban hätten seinen Vater ermordet und hätten den BF daher auch umbringen wollen.

Die Fragen, ob er in seiner Heimat vorbestraft sei, im Herkunftsland Strafrechtsdelikte begangen habe oder von einem Gericht oder Behörde gesucht werde, in der Heimat Probleme mit den Behörden gehabt habe oder jemals Mitglied einer politischen Partei oder Gruppierung gewesen sei, wurden vom BF verneint. Er sei in Afghanistan auch nicht wegen seiner politischen Gesinnung, seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität oder Volksgruppe verfolgt worden. Es sei bis zu dem geschilderten Vorfall auch nie jemand an ihn herangetreten und es habe auch keine Übergriffe gegen ihn gegeben. Bei einer Rückkehr würde die Gefahr bestehen, dass ihn mächtige Personen entführen. Zudem wisse er den derzeitigen Aufenthaltsort seiner Familie nicht und die Sicherheitslage sei äußerst prekär.

Zu den Lebensumständen in Österreich befragt, gab der BF an, dass er bereits zur Schule gegangen sei und gemeinnützige Tätigkeiten verrichtet habe. Er beziehe Leistungen aus der Grundversorgung und wohne in einem Flüchtlingsheim. Zudem sei er Mitglied in einem Fußballverein und versuche, Ski fahren zu erlernen. Die Frage, ob er in Österreich familiäre Anknüpfungspunkte habe, wurde vom BF verneint.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF mehrere Empfehlungsschreiben, eine Bestätigung der Gemeinde XXXX vom 02.01.2018 über eine Beschäftigung als Helfer des Schulwartes vom 11.12.2017 bis zum 22.12.2017, eine Teilnahmebestätigung der Gemeinde XXXX vom 09.04.2016 für die Teilnahme an der Flurreinigungsaktion am 09.04.2016, eine Teilnahmebestätigung der Volkshochschule XXXX vom 14.09.2017 am Kurs „Grund- und Basisbildung“ im Rahmen des Projekts „Bildung für junge Flüchtlinge“, eine Teilnahmebestätigung vom 12.10.2017 über die Absolvierung und Grundbildung II Flüchtlingsinitiative des Bundes-Projekt „Bildung für junge Flüchtlinge“ vom 19.06.2017 bis zum 12.10.2017, eine Teilnahmebestätigung vom 09.06.2017 über die Absolvierung und Grundbildung I Flüchtlingsinitiative des Bundes-Projekt „Bildung für junge Flüchtlinge“ vom 01.03.2017 bis zum 09.06.2017, ein Zertifikat vom 27.09.2017 über eine gut bestandene Prüfung auf dem Niveau A1, eine Schulbesuchsbestätigung einer polytechnischen Schule vom 08.07.2016 über den Schulbesuch vom 15.02.2016 bis zum 08.07.2016 sowie ein Empfehlungsschreiben eines Dekans vom 04.01.2018 in Vorlage gebracht.

In einer Stellungnahme vom 22.01.2018 wurde vom bevollmächtigten Vertreter des BF ausgeführt, dass mehrere, auf den BF zutreffende, individuelle Merkmale nach der Rechtsprechung des BVwG in ihrer Gesamtheit als asylrelevante Verfolgung zu bewerten seien. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Vater des BF nach vorherigen Streitigkeiten von den Taliban verfolgt und getötet worden sei und sich daraus auch für den BF eine asylrelevante Verfolgungsgefahr ergeben habe. Wie bereits angeführt, könne das Fluchtvorbringen unter den Konventionsgrund der Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der sozialen Gruppe der Familie subsumiert werden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei aufgrund der individuellen Situation des BF in Zusammenschau mit der Sicherheitslage ausgeschlossen. Aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage in Afghanistan sei es nötig, aktuelle Länderinformationen in die Entscheidung des Bundesamtes einfließen zu lassen. Zur Situation von Rückkehrern wurde auf mehrere Berichte, darunter auch eine Stellungnahme von Dr. RASULY, verwiesen.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Zusammenfassend führte das BFA aus, dass die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Wesentlichen damit zu begründen sei, dass das fluchtauslösende Ereignis von der erkennenden Behörde als nicht glaubhaft angesehen werde. Es werde dem BF zwar geglaubt, dass sein Vater Streitigkeiten mit dem Nachbarn gehabt habe, jedoch würden diese Differenzen keinen asylrelevanten Grund darstellen. Ungereimtheiten und Konflikte in einem zwischenmenschlichen Netz erachte die erkennende Behörde als „Normalität“ und seien nachbarschaftliche Auseinandersetzungen daher als nicht asylrelevant zu qualifizieren. Widersprüchlich seien die Angaben bezüglich des Aufenthaltsortes, als der Vater des BF umgebracht worden sei: Auf Nachfrage, wo er und seine Familie während des Vorfalles gewesen sei, habe er angegeben, dass er mit seiner Familie zu Hause gewesen sei, auf Vorhalt habe er jedoch gemeint, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt habe. Ein weiterer Widerspruch sei jener, dass er in der freien Erzählung seines Fluchtgrundes angegeben habe, dass er erst nach der Ermordung seines Vaters arbeiten gehen habe müssen, in weiteren Verlauf der Einvernahme jedoch angegeben habe, dass er bereits drei Monate vor der Ermordung des Vaters gearbeitet habe. Der BF und seine Familie hätten nie einen Versuch unternommen, den Schutz der Behörden für sich in Anspruch zu nehmen oder diese um Hilfe zu ersuchen. Dass an der Person des BF kein direktes Interesse bestanden habe, gehe aus der Tatsache, dass gegen den BF niemals Bedrohungen ausgesprochen worden seien und dass er niemals von diesem Mann verfolgt worden sei, hervor. Ein weiteres Indiz dafür, dass er selbst niemals in Gefahr gewesen sei, sei, dass er seit dem Vorfall, als sein Vater ums Leben gekommen sei, bis zu seiner Ausreise ohne Probleme im Heimatland verbracht habe und zudem sogar arbeiten habe können. Zusammenfassend sei daher zu befinden, dass die Geschichte wohl asylzweckbezogen angelegt gewesen sei, da er seinen Fluchtgrund auf die Probleme seines Vaters gestützt habe.

5. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wird zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass die belangte Behörde ihrer Verpflichtung zur amtswegigen Erforschung des maßgebenden Sachverhalts und ganzheitlichen Würdigung des individuellen Vorbringens nicht nachgekommen sei. Eine Auseinandersetzung mit den im Rahmen der Stellungnahme eingebrachten, aktuellen Länderberichten, aus denen eindeutig die prekäre Sicherheits-und Versorgungslage hervorgehen würden, habe in der Entscheidung nicht stattgefunden. Eine Auseinandersetzung mit dem jungen Alter des BF, sowohl zum Zeitpunkt der fluchtauslösenden Ereignisse sowie zum Zeitpunkt der Erstbefragung bzw. niederschriftlichen Einvernahme sei der Entscheidung nicht zu entnehmen, obwohl eine solche in der Beurteilung der Glaubwürdigkeit hätte miteinfließen müssen. Wie die belangte Behörde zur Annahme komme, der BF erhalte in Afghanistan Unterstützung durch seine Familie, sei nicht nachvollziehbar, zumal der BF im Rahmen seiner Einvernahme vorgebracht habe, dass er nicht wisse, wo diese aufhältig sei. Eine Auseinandersetzung mit aktuellen Länderberichten, aus denen eindeutig die prekäre Sicherheits-und Versorgungslage, insbesondere in Kabul hervorgehe, habe in der Entscheidung nicht stattgefunden. Der BF habe nach über zwei Jahren in Österreich ein Privatleben etabliert, welches durchaus schützenswert sei und einer Rückführung nach Afghanistan entgegenstehe, weswegen dem BF zumindest ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und die Abschiebung nach Afghanistan als auf Dauer unzulässig festgestellt hätte werden müssen. Der BF spreche gut Deutsch und engagiere sich in der Gemeinde, indem er gemeinnützige Arbeit leiste. Des Weiteren sei er gut integriert, fahre Ski und habe intensiven Kontakt zu Österreichern. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

6. Mit Beschwerdeergänzung vom 23.07.2018 wurde vom bevollmächtigten Vertreter des BF eine Arbeitsbestätigung der Gemeinde XXXX über die Verrichtung gemeinnütziger Hilfstätigkeiten vom 28.05.2018 nachgereicht.

7. In einer weiteren Beschwerdeergänzung vom 31.10.2018 wurden ein nicht bestandenes Zertifikat auf dem Niveau A2 vom 12.07.2018, eine Arbeitsbescheinigung vom 20.06.2018 über den Einsatz des BF im Rahmen des Trailrun Festivals am 28.04.2018, eine Teilnahmebestätigung eines Vereins vom 21.08.2018 über den Besuch einer Berufsorientierung im Ausmaß von drei Unterrichtseinheiten, eine Teilnahmebestätigung eines Vereins vom 21.08.2018 über den Besuch eines Kurses vom 21.05.2018 bis zum 16.08.2018, eine Einberufung zum Berufsschulbesuch der Tiroler Fachberufsschule für Holztechnik vom 06.10.2018 mit Lehrgangsbeginn 19.11.2018, ein Arztbrief vom 24.09.2018 mit der Diagnose „posttraumatische Belastungsstörung“ sowie einer empfohlenen Medikation und eine Teilnahmebestätigung vom 30.05.2018 über die Teilnahme an einem Werte-und Orientierungskurs vorgelegt.

8. Mit Schriftsatz vom 09.05.2019 wurden eine Bestätigung der BHAK/BHAS XXXX vom 30.11.2018, wonach der BF den Lehrgang „Übergangsstufe für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch“ an der Handelsakademie und Handelsschule XXXX besuche, ein Arztbrief vom 24.09.2018 mit der Diagnose „posttraumatische Belastungsstörung“ sowie einer empfohlenen Medikation, ein Schreiben vom 04.04.2019 über die Tätigkeit des BF für einen Fußballverein, eine Berufsschulbesuchsbestätigung des Landes Tirol vom 28.09.2018 über die Aufnahme des BF als außerordentlicher Schüler in der ersten Klasse der Fachberufsschule für Holztechnik in XXXX , eine Teilnahmebestätigung eines Vereins vom 21.08.2018 über den Besuch der Berufsorientierung, eine Teilnahmebestätigung eines Vereins vom 21.08.2018 über den Besuch eines Kurses vom 21.05.2018 bis zum 16.08.2018, eine Arbeitsbescheinigung vom 20.06.2018 über den Einsatz des BF im Rahmen des Trailrun Festivals am 28.04.2018, eine Teilnahmebestätigung vom 30.05.2018 über die Teilnahme an einem Werte-und Orientierungskurs, eine Arbeitsbestätigung der Gemeinde XXXX über die Verrichtung gemeinnütziger Hilfstätigkeiten vom 28.05.2018, ein Empfehlungsschreiben, eine Bestätigung der Gemeinde XXXX vom 02.01.2018 über die Beschäftigung als Helfer des Schulwartes vom 11.12.2017 bis 22.12.2017, eine Teilnahmebestätigung der Volkshochschule Tirol vom 12.10.2017 über den Besuch des Kurses „ Alphabetisierung und Grundbildung II Flüchtlingsinitiative des Bundes-Projekt „Bildung für junge Flüchtlinge“ vom 19.06.2017 bis zum 12.10.2017, ein Zertifikat vom 27.09.2017 über ein gut bestandenes „ÖSD Zertifikat A1“, mehrere Empfehlungsschreiben, eine Teilnahmebestätigung der Volkshochschule vom 14.09.2017 über den Besuch der Grund-und Basisbildung seit März 2017, eine Anmeldebestätigung einer Volkshochschule vom 13.09.2017 über die Anmeldung des BF zur Schulungsmaßnahme „Alphabetisierung und Grundbildung II“, eine Teilnahmebestätigung vom 09.06.2017 über den Besuch des Kurses „Alphabetisierung und Grundbildung I Flüchtlingsinitiative des Bundes“ vom 01.03.2017 bis zum 09.06.2017 und eine Schulbesuchsbestätigung der Polytechnischen Schule XXXX vom 15.02.2016 bis zum 08.07.2016 und weitere Empfehlungsschreiben in Vorlage gebracht.

9. Mit Schriftsatz vom 11.07.2019 wurde vom bevollmächtigten Vertreter ein Entlassungsbrief vom 28.06.2019 über einen stationären Aufenthalt des BF vom 20.06.06.2019-02.07.2019 wegen Suizidgedanken vorgelegt. Er konnte am 02.07.2019 in einem deutlich stabilisierten Zustand entlassen werden.

10. In einem Schriftsatz vom 22.06.2020 wurde vom bevollmächtigten Vertreter des BF ein Arztbrief vom 20.04.2020 mit der Diagnose „posttraumatische Belastungsstörung“ und einer empfohlenen Medikation, zwei Empfehlungsschreiben, eine Bestätigung einer Marktgemeinde vom 17.06.2020 über die Absolvierung gemeinnütziger Tätigkeiten in einem Seniorenheim, eine Bestätigung des bfi Tirol vom 30.03.2020 über den Besuch eines Sprachkurses auf dem Niveau A2.1. vom 27.01.2020 bis zum 30.03.2020, eine Bestätigung einer BHAK/BHAS vom 05.06.2019 über den Besuch des Lehrganges „Übergangsstufe für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch“, eine Bestätigung einer BHAK/BHAS vom 30.11.2018 über den Besuch des Lehrganges „Übergangsstufe für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch“ und eine weitere Bestätigung des Lehrgangs der Übergangsstufe an BMHS vom 28.06.2019 mit mehreren negativen Beurteilungen und mehrere Fotos in Vorlage gebracht.

11. Mit Eingabe vom 26.06.2020 wurden vom bevollmächtigten Vertreter des BF eine Arbeitsbestätigung eines Hotels vom 24.06.2020 über ein freiwilliges Schnupperpraktikum im Sommer 2019 sowie eine Arbeitszusage, eine Stellungnahme der Kinder-und Jugendhilfe des Landes Tirol vom 25.06.2020 und ein Schreiben eines Fußballclubs über das regelmäßige Training des BF als Vereinsmitglied in Vorlage gebracht.

12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.06.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu und im Beisein der Rechtsvertreterin des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der BF ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.

Zu seinen persönlichen Lebensumständen in Österreich, gab der BF zu Protokoll, dass er manchmal Freunde treffe und zum Fußball Training gehe. Er lese derzeit ein Buch auf dem Niveau B1 und A2. Zudem sei er in einem Skiclub sowie einem Fußballclub Mitglied gewesen. Zudem habe er auch eine polytechnische Schule sowie eine Volkshochschule besucht. Befragt, ob er derzeit zur Schule gehe, brachte der BF vor, dass er vor Corona einen A2 Kurs besucht habe, eine Prüfung jedoch aufgrund der Pandemie verschoben worden sei. Zur Frage, ob er derzeit berufstätig sei, entgegnete der BF, dass er vor COVID in einem Altersheim begonnen habe, diese Tätigkeit in weiterer Folge jedoch nicht mehr möglich gewesen sei. Ein Hotel habe ihm eine Zusage für die Wintersaison in Aussicht gestellt. Auf die Frage, welche körperlichen Beschwerden er derzeit habe, erwiderte der BF, dass er Dinge schnell vergesse und Medikamente aufgrund psychischer Probleme Medikamente einnehme. Er wolle in Zukunft in Österreich als Mechaniker oder als Koch tätig sein. Zudem habe er im Bundesgebiet bereits Hilfstätigkeiten in einer Gemeinde absolviert und zahlreiche Freunde gefunden.

Auf Aufforderung, seine Lebensumstände in Afghanistan zu beschreiben, führte der BF an, dass er aus der Provinz XXXX stamme und keine Schule besucht habe. Im Alter von neun oder zehn Jahren habe er begonnen, als Automechaniker zu arbeiten. Nach einem Jahr sei er im Haushalt tätig gewesen. Er gehöre der Volksgruppe der Paschtunen und der Religionszugehörigkeit der Sunniten an.

Zum Fluchtgrund befragt, gab der BF an, dass seine Familie in Afghanistan einen Granatapfelgarten gehabt habe und an Wasserknappheit gelitten hätten. Er selbst sei damals nicht zu Hause gewesen, aber seine Mutter und sein Vater hätten im Garten die Bäume bewässert, als ein Mann namens „ XXXX begonnen habe, mit dem BF zu streiten. Der erwähnte Mann habe auch andere Männer kontaktiert, die seinen Vater geschlagen hätten. Da er zu diesem Zeitpunkt gerade gearbeitet habe, kenne er die Schilderungen nur aus Erzählungen seiner Mutter. Nachdem die Männer, bei denen es sich ihrer Bewaffnung nach um Taliban gehandelt habe, seinen Vater getötet hätten, seien sie weggegangen, hätten die Region aber nicht verlassen. In weiterer Folge habe die Mutter den BF aus Furcht regelmäßig angerufen und sich nach dessen Befinden erkundigt. Die Taliban hätten ihn ebenfalls töten wollen, als er älter geworden sei, weswegen sein Leben gefährdet gewesen sei und ihm seine Mutter die Ausreise nahegelegt habe. Auf Nachfrage, bei wem es sich um „ XXXX “ handle, erwiderte der BF, dass er aus seinem Dorf stamme, mit seinem Vater gestritten und ihn anschließend auch umgebracht habe. Auf die Frage, ob er persönlich Angst vor Rache durch XXXX gehabt habe, brachte der BF vor, dass XXXX angenommen habe, dass er seinen Vater rächen wolle und die Taliban nicht gewollt hätten, dass er erwachsen werde. Über die Beschäftigung des besagten Mannes wisse der BF nichts.

Befragt, wie viele Geschwister er habe, erklärte der BF, dass er eine Schwester und drei Brüder habe und er über deren derzeitigen Aufenthaltsort nicht informiert sei. Er sei zuletzt vor zweieinhalb Jahren mit diesen in Kontakt gestanden. Damals seien sie in Jalalabad aufhältig gewesen, die Verbindung sei jedoch unterbrochen worden und ein neuerlicher Anruf nicht mehr möglich gewesen. Die Frage, ob er in Europa oder in Afghanistan straffällig geworden sei, wurde vom BF verneint. 2017 oder 2018 sei er von einem betrunkenen Jungen geschlagen worden. 2016 habe er Drogen genommen, sei nach der Einnahme jedoch fast gestorben. Überdies sei er in weitere Schlägereien geraten. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wüsste er nicht, wohin er sich wenden sollte. Er würde keine Unterstützung von der Regierung bekommen und wolle in Österreich eine Zukunft aufbauen. Zudem würde er getötet werden, da er viele Feinde habe. Entweder XXXX oder andere Personen würden ihn umbringen. Zudem sei es gefährlich, wenn Personen erfahren würden, dass er in Europa gelebt habe, da sie ihm den Abfall vom Glauben unterstellen könnten.

Befragt, ob er den erwähnten Mann namens „ XXXX “ bei den staatlichen Behörden angezeigt habe, entgegnete der BF, dass die Polizei selbst Angst habe und nichts tun könne. Auf Vorhalt, dass Mazar e-Sharif für junge und gesunde Männer sicher sei, führte der BF an, dass er dort keine sozialen Anknüpfungspunkte habe und sich deswegen dort nicht auf Dauer aufhalten wolle. Man würde ihn umbringen, da er kein Geld habe, sich dort den Lebensunterhalt zu finanzieren.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom BF ein Empfehlungsschreiben einer Diplomsozialarbeiterin und eine Bestätigung eines Skiclubs über die Teilnahme an einem Probetraining vom 29.06.2020 in Vorlage gebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der volljährige BF ist ein volljähriger Staatsangehöriger von Afghanistan, stammt aus der Provinz XXXX , ist dort aufgewachsen und hat in Afghanistan keine Schule besucht. Im Kindesalter hat er ein Jahr als Automechaniker gearbeitet. Der BF wurde nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Sitten vertraut.

Der Aufenthaltsort seiner Mutter, seiner drei Brüder und seiner Schwester ist derzeit unbekannt, der BF steht seit ungefähr zwei Jahren nicht mehr mit seiner Familie in Kontakt. Die Familie des BF hatte in Afghanistan Grundstücke. Sein Vater ist bereits verstorben. Der BF hat in Afghanistan noch einen Onkel, zu dem er jedoch keinen Kontakt hat. Die Identität des BF steht nicht fest.

Der BF hält sich seit November 2015 im Bundesgebiet auf.

Bei dem BF handelt es sich um einen Mann im arbeitsfähigen Alter. Dem BF ist trotz psychischer Beschwerden eine Teilnahme am Erwerbsleben im Herkunftsstaat zumutbar.

Der BF lebt in Österreich zum überwiegenden Teil aus den Mitteln der Grundversorgung. In Österreich hat er ein Praktikum in einem Hotel absolviert und kann eine Einstellungszusage vorweisen.

Der BF leidet an keinen schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen. Der BF leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und ihm wurden gegen seine psychischen Beschwerden eine medikamentöse Therapie empfohlen. Er war vom 20.06.06.2019-02.07.2019 in stationärer Behandlung. Es sind im Verfahren keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass der BF nicht überstellungsfähig wäre.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Personen, zu denen ein besonders zu berücksichtigendes Nahe – bzw. Abhängigkeitsverhältnis besteht.

Der strafrechtlich unbescholtene BF ist seit seiner Antragstellung durchgehend ausschließlich nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts während des Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Der BF hat in Österreich mehrere Alphabetisierungskurse besucht, am Lehrgang „Übergangsstufe für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch“ einer Bundeshandelsakademie teilgenommen, einen Werte-und Orientierungskurs besucht und eine Deutschprüfung auf dem Niveau A1 bestanden. Zudem hat er für eine Gemeinde sowie in einem Seniorenheim gemeinnützige Hilfstätigkeiten verrichtet und die polytechnische Schule besucht. Er ist Mitglied in einem Fußballclub.

Das Bestehen von besonderen Gründen, die für ein Verbleiben des BF im Bundesgebiet sprechen, sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen und in der mündlichen Verhandlung nicht hervorgekommen.

Das Vorliegen einer insgesamt besonders berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich, kann im gegenständlichen Fall nicht festgestellt werden.

1.2. Zu den angegebenen Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Es ist nicht glaubhaft, bzw. wurde von diesem glaubhaft und nachvollziehbar nicht dargelegt, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung zukünftig Verfolgung droht.

Der BF wurde in Afghanistan niemals von den Taliban oder von anderen Personen persönlich bedroht.

Der BF hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF aufgrund der Tatsache, dass er in Europa gelebt hat, konkret und individuell bzw. dass jedem afghanischen Rückkehrer aus Europa physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

Das Vorliegen einer den BF unmittelbar und konkret betreffenden asylrechtlich relevanten Gefährdung in Afghanistan konnte dieser insgesamt glaubhaft und nachvollziehbar nicht darlegen, bzw. wurde das Vorliegen einer solchen insgesamt nicht dargelegt.

1.3 Zur Rückkehrsituation

Dem BF könnte bei einer Rückkehr in die Provinz XXXX aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung insbesondere in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat, besteht für den BF als jungen, arbeitsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft dieser dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Kabul, Mazar-e Sharif und Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Das BFA hat ein insgesamt mängelfreies Verfahren durchgeführt. Die belangte Behörde ist im gegenständlichen Verfahren ihrer Ermittlungspflicht durch die Vornahme einer detaillierten Befragung nachgekommen und dem angefochtenen Bescheid ist ein im vorliegenden Verwaltungsakt dokumentiert umfassendes Ermittlungsverfahren vorangegangen. Der Sachverhalt wurde unter schlüssiger Beweiswürdigung des Bundesamtes festgestellt und rechtlich korrekt durch das BFA gewürdigt.

In der Beschwerde und in der Verhandlung konnten glaubhaft keine wesentlichen, bzw. verfahrensrelevant neuen Sachverhaltselemente glaubhaft bzw. substantiiert begründet dargelegt werden, welche geeignet wären, die von der belangten Behörde getroffenen Entscheidungen grundlegend in Frage zu stellen.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

Quellen:

AF - Asia Foundation (24.6.2020): Afghanistan’s Covid-19 Bargain, https://asiafoundation.org/2020/06/24/afghanistans-covid-19-bargain/, Zugriff 26.6.2020

AJ - al-Jazeera (8.6.2020): Afghan schools, universities to remain closed until September, https://www.aljazeera.com/news/2020/06/afghan-schools-universities-remain-closed-september-200608062711582.html, Zugriff 26.6.2020

AnA – Andolu Agency (24.6.2020): Afghanistan resumes international flights amid COVID-19, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-resumes-international-flights-amid-covid-19/1888176, Zugriff 26.6.2020

GN – Gulf News (9.6.2020): COVID-19: Emirates to resume regular passenger flights to Kabul from June 25, https://gulfnews.com/uae/covid-19-emirates-to-resume-regular-passenger-flights-to-kabul-from-june-25-1.71950323, Zugriff 26.6.2020

HRW - Human Rights Watch (18.6.2020): School Closures Hurt Even More in Afghanistan, https://www.hrw.org/news/2020/06/18/school-closures-hurt-even-more-afghanistan, Zugriff 26.6.2020

JHU -John Hopkins Universität (26.6.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 26.6.2020

RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (19.6.2020): Antwortschreiben per Mail, liegt bei der Staatendokumentation auf.

TN – Tolonews (15.6.2020): Govt Will Resume Bread Distribution: Palace, https://tolonews.com/afghanistan/govt-will-resume-bread-distribution-palace, Zugriff 29.6.2020

TN – Tolonews (15.6.2020): Poor Claim ‘Unjust’ Bread Distribution in Jawzjan, https://tolonews.com/afghanistan/poor-claim-%E2%80%98unjust%E2%80%99-bread-distribution-jawzjan, Zugriff 29.6.2020

UNHCR – (20.6.2020): Border Monitoring Update COVID-19 Response 14-20 June 2020, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/77302, Zugriff 26.6.2020

WHO – World Health Organization (25.3.2020): Coronavirus disease 2019 (COVID-19) Situation Report –65, https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200325-sitrep-65-covid-19.pdf?sfvrsn=2b74edd8_2, Zugriff 16.4.2020

WP - Washington Post (25.6.2020): Coronavirus sweeps through Afghanistan’s security forces, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-security-forces-military/2020/06/24/0063c828-b4e2-11ea-9a1d-d3db1cbe07ce_story.html, Zugriff 26.6.2020

XI – Xinhua (23.6.2020): Pakistan receives 1st Afghan export since COVID-19 pandemic, http://www.xinhuanet.com/english/2020-06/23/c_139159139.htm, Zugriff 26.6.2020

Stand: 18.5.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

•        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

•        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

Quellen:

•        AnA – Andalous (21.4.2020): COVID-19 rips through fragile Afghan health system, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/covid-19-rips-through-fragile-afghan-health-system-/1812821, Zugriff 23.4.2020

•        ARZ KBL – Arzt in Kabul (7.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.

•        BBC (9.4.2020): Coronavirus: The porous borders where the virus cannot be controlled, https://www.bbc.com/news/world-asia-52210479, Zugriff 9.4.2020

•        DW – Deutsche Welle (22.4.2020): Coronavirus: Tough times ahead as Afghanistan struggles to manage pandemic, https://www.dw.com/en/coronavirus-tough-times-ahead-as-afghanistan-struggles-to-manage-pandemic/a-53207173, Zugriff 23.4.2020

•        IOM AUT – International Organization for Migration in Austria (27.3.2020): Antwortschreiben per E-Mail.

•        IOM KBL – International Organization for Migration Kabul Chapter (13.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail.

•        IOM – International Organization for Migration (11.5.2020): Return of Undocumented Afghans - Weekly Situation Report (03-09 May 2020), https://afghanistan.iom.int/sites/default/files/Reports/iom_afghanistan-return_of_undocumented_afghans-_situation_report_03-09_may_2020.pdf, Zugriff 13.5.2020

•        NYT – New York Times (22.4.2020): Afghanistan’s Next War, https://www.nytimes.com/interactive/2020/04/22/magazine/afghanistan-coronavirus.html?searchResultPosition=3, Zugriff 24.4.2020

•        NZZ – Neue Züricher Zeitung (7.4.2020): Die Taliban, dein Freund und Helfer, https://www.nzz.ch/international/afghanistan-die-taliban-betreiben-corona-praevention-ld.1550115, Zugriff 9.4.2020

•        TG – The Guardian (1.4.2020): 'No profit, no food': lockdown in Kabul prompts hunger fears, https://www.theguardian.com/global-development/2020/apr/01/no-profit-no-food-lockdown-in-kabul-prompts-hunger-fears, Zugriff 2.4.2020

•        TG – The Guardian (1.4.2020a): Afghanistan braces for coronavirus surge as migrants pour back from Iran, https://www.theguardian.com/global-development/2020/apr/01/afghanistan-braces-for-coronavirus-surge-as-migrants-pour-back-from-iran, Zugriff 2.4.2020

•        TN – Tolonews (9.4.2020): 40 New COVID-19 Cases in Afghanistan, Total 484, https://tolonews.com/health/40-new-covid-19-cases-afghanistan-total-484, Zugriff 9.4.2020

•        TN – Tolonews (9.4.2020a): Andarabi: All Kabul Roads Will be Blocked, https://tolonews.com/afghanistan/andarabi-all-kabul-roads-will-be-blocked, Zugriff 9.4.2020

•        TN – Tolonews (8.4.2020): Only '300' Ventilators in Afghanistan to Treat COVID-19: MoPH, https://tolonews.com/index.php/afghanistan/only-300-ventilators-afghanistan-treat-covid-19-moph, Zugriff 9.4.2020

•        TN – Tolonews (8.4.2020a): Kabul Clinic Shut Down After Doctor Dies from COVID-19, https://tolonews.com/index.php/health/amiri-medical-complex%E2%80%99s-activities-suspended-health-ministry, Zugriff 9.4.2020

•        TN – Tolonews (7.4.2020): Number of COVID-19 Cases in Afghanistan: 367, https://tolonews.com/health/number-covid-19-cases-afghanistan-367, Zugriff 8.4.2020

•        TN – Tolonews (7.4.2020a): Coronavirus Testing Lab Opens in Kandahar: Officials, https://tolonews.com/health/coronavirus-testing-lab-opens-kandahar-officials, Zugriff 8.4.2020

•        TN – Tolonews (7.4.2020b): 41 Health Workers Test Positive for Coronavirus in Herat, https://tolonews.com/afghanistan/41-health-workers-test-positive-coronavirus-herat, Zugriff 8.4.2020

•        UD – Undark (2.4.2020): With Taliban Help, Afghanistan Girds for a Virus, https://undark.org/2020/04/02/afghanistan-covid-19/, Zugriff 8.4.2020

•        WHO MIT – Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Mazar-e Sharif (10.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.

•        WP – Washington Post (20.4.2020): More than a dozen staff members in Afghanistan’s presidential palace test positive for coronavirus, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-presidential-palace/2020/04/20/5836a856-8308-11ea-81a3-9690c9881111_story.html, Zugriff 24.4.2020

Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung. Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban. Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer „inklusiven“ zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi. die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments. Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete. die Taliban hätten kein Interesse daran. Teil der aktuellen Regierung zu sein. und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die „große Ratsversammlung“ (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel. einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an. betonte aber dennoch. dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen. um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil. was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen. das für Mitte April 2019 in Katar geplant war. zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban

beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere „wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Pr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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