TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/2 W214 2198020-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.10.2020
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Entscheidungsdatum

02.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2 Z1
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W214 2198020-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Eva SOUHRADA-KIRCHMAYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Iran, vertreten durch ARGE RECHTSBERATUNG - DIAKONIE und VOLKSHILFE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2018, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der Volksgruppe der Perser, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX 05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am selben Tag gab der Beschwerdeführer an, vor ca. XXXX Monaten vor der Antragstellung illegal mit einem Pferd aus seinem Heimatstaat in die Türkei ausgereist zu sein und anschließend über die Türkei, Griechenland, Bulgarien, Serbien und Ungarn illegal nach Österreich gekommen zu sein. In Ungarn sei er vom XXXX 2015 bis zum XXXX 2016 an verschiedenen Orten, davon 6 Monate aufgrund der illegalen Grenzüberquerung im Gefängnis, aufhältig gewesen.

2. Am 01.08.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) im Beisein eines Dolmetschers für Farsi niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer legte im Zuge der Einvernahme medizinische Unterlagen aus Ungarn vor. Weiters gab er an, unter Herzproblemen und wegen den Vorkommnissen in Ungarn unter psychischen Problemen zu leiden.

3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 15.09.2016 wies diese den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit der Begründung zurück, dass gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b iVm Art. 25 Abs. 2 der Dublin III-VO Ungarn zuständig sei (Spruchpunkt I.), ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF die Außerlandesbringung an und stellte fest, dass die Abschiebung nach Ungarn zulässig sei (Spruchpunkt II.).

4. Am 13.01.2017 stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag vor der PI Traiskirchen EAST und wurde noch am selben Tag vor einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes einvernommen.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, im Iran seit 25 Jahren als Polizist gearbeitet zu haben, seine Probleme hätten vor ca. 7 Jahren mit dem Regierungswechsel begonnen. Seit dieser Zeit sei er vom Geheimdienst bespitzelt und auch beschuldigt worden, mit der Opposition zusammenzuarbeiten. Zum Schluss sei ihm fälschlicherweise vorgeworfen worden, dass er mit einer verheirateten Frau eine sexuelle Beziehung gehabt habe, was im Iran verboten sei und hart bestraft werde. Er sei auch verhaftet, verhört und gefoltert worden. Er habe eine Ladung zu einer Gerichtsverhandlung erhalten, sei dort aber nicht erschienen, sondern habe das Land verlassen.

5. Am 15.02.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) im Beisein eines Dolmetschers für Farsi niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer legte im Zuge der Einvernahme ein Taufzertifikat vom XXXX , ein Schreiben der XXXX vom XXXX , ein Schreiben an XXXX vom XXXX , eine Bestätigung der Kursteilnahme XXXX , eine Identitätskarte, eine Geburtsurkunde und ein Foto in Uniform vor. Der Beschwerdeführer gab zudem an, dass sein Geburtsdatum und die Angaben über die Fluchtroute falsch protokolliert worden seien. Sein Geburtsdatum müsste XXXX lauten und die Angabe, dass er während seiner Flucht zwei Tage in Griechenland gewesen sei, stimme nicht. Weiters gab er an, seit sechs Jahren verheiratet zu sein, eine Stieftochter zu haben und zuletzt gemeinsam mit ihnen in der Stadt XXXX gelebt zu haben. In Österreich habe er keine Familienangehörigen.

Nach dem Fluchtgrund befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass es im Jahre 2009 nach den Präsidentschaftswahlen Proteste wegen Wahlbetrugs gegeben habe. Er als Polizist habe den Befehl bekommen, die Demonstranten niederzuschießen und durch Kameras seien sie bei der Ausführung beobachtet und durch die Befehlshaber kontrolliert worden. Er habe sich aber geweigert dem Befehl Folge zu leisten und versucht, eine Schwangere und eine ältere Frau zu beschützen, was von den Befehlshabern bemerkt worden sei. Außerdem sei er aufgefordert worden, einem anderen Polizisten XXXX zuzustecken, um ihn damit zu belasten. Auch diesen Befehl habe er verweigert. Als er sich davor drücken wollte, Festgenommene zu foltern, sei er beschuldigt worden, bei der „ XXXX “ mitzumachen. Zur Bestrafung sei er bei der Polizei für eine Woche eingesperrt worden. Danach sei er gezwungen worden, ein Schreiben zu unterfertigen, indem er zusichern würde, in Zukunft die Befehle zu befolgen. Anschließend sei eine Zwangsversetzung erfolgt. Zudem sei er beschuldigt worden, mit einer verheirateten Frau eine Beziehung zu haben. Anschließend sei der Beschwerdeführer mit Hilfe eines Freundes geflüchtet und habe seinen Herkunftsstaat illegal verlassen.

In Österreich sei der Beschwerdeführer mit dem Christentum in Kontakt gekommen und er habe die Religion angenommen. Das Christentum sei der einzige Weg zu Gott, er habe Ruhe finden können und seine Sünden seien ihm vergeben worden.

Bei einer weiteren Einvernahme am 02.03.2018 vor der belangten Behörde legte der Beschwerdeführer einen medizinischen Befund und eine Überweisung vom XXXX 2018 vor.

Der Beschwerdeführer gab an, dass er im Iran den Polizeidienst nicht quittieren habe können, weil jemand, der „im System“ ist, nicht aus diesem entfliehen könne. Er habe auch eine schriftliche Verpflichtung unterschrieben, dass er bis zur Pension nicht kündige. Im Zuge der Konfrontation sei ihm eine Ladung vorgelegt worden. Befragt, warum er in der Ersteinvernahme angegeben hatte, dass er das Land aufgrund der Ladung des Gerichtes verlassen habe, meinte er, dass er damals anscheinend falsch verstanden worden sei. Er habe tatsächlich eine außereheliche Beziehung gehabt, als er noch im Iran war, habe niemand von der Beziehung gewusst, später habe jedoch der Ehemann davon Kenntnis erlangt und eine Anzeige eingebracht.

Zu seiner neuen Glaubensrichtung befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er am XXXX 2017 als Christ getauft worden sei. Eine Bibel habe er von einem Freund bekommen und als er das erste Mal in einer Kirche war, sei er vom Priester sehr nett begrüßt worden, er habe langsam gelernt den Glauben zu lieben. Er besuche wöchentlich die Kirche, durch seinen neuen Glauben sei er viel ruhiger geworden, seine Pflicht sei es andere zu missionieren und er wolle weiterhin die Bibel lesen, um seinen Glauben zu vertiefen. Vor der Taufe habe er etwa ein Jahr lang einen Taufkurs besucht und danach sei er in den folgenden ein oder zwei Monaten in der Kirche weiterhin geprüft worden. Dem Beschwerdeführer wurde bei der Einvernahme eine Reihe von detaillierten Fragen zum Christentum gestellt, von denen er einige Fragen richtig oder fast richtig beantwortete.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), stellte fest, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet seit dem XXXX 2018 verloren hatte (Spruchpunkt IV.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt V.), stellte fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt VI.) und setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Entscheidung (Spruchpunkt VII.).

Die belangte Behörde stellte neben allgemeinen herkunftsbezogenen Länderfeststellungen fest, dass der Beschwerdeführer iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der Volksgruppe der Perser sei. Er sei nach islamischem Recht verheiratet, habe keine leiblichen Kinder und keine Verwandten oder Familien im Bundesgebiet. Er leide an verschiedenen Erkrankungen ( XXXX ), derentwegen er sich in ärztlicher Behandlung befinde.

Nicht festgestellt werden könne von der belangten Behörde die Identität des Beschwerdeführers. Zudem könne auch nicht festgestellt werden, dass er tatsächlich aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei, obwohl er am XXXX 2017 getauft worden sei. Er habe auch keine gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen glaubhaft vorbringen können. Es habe nicht festgestellt werden können, dass er im Iran einer Verfolgung durch staatliche Organe oder Privatpersonen unterliege. Er habe in seinem Herkunftsstaat bisher keine asylrelevanten Probleme mit Ämtern und Behörden gehabt. Es könne somit nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Iran einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt (gewesen) sei.

Auch eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr könne nicht festgestellt werden. Es sei dem Beschwerdeführer zuzumuten, sich mit Hilfe der eigenen Arbeitsleistung den Lebensunterhalt, wie bisher, zu sichern. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass er nach seiner Rückkehr in den Iran infolge seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand geraten oder sich seine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass es sich bei dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten Sachverhalt um ein Konstrukt handle. Die von ihm vorgebrachte Verfolgung im Rahmen des Polizeidienstes erscheine nicht glaubhaft. Ebenfalls erscheine der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Nachfluchtgrund der Konversion zum Christentum unglaubhaft. Eine asylrelevante Verfolgung habe der Beschwerdeführer somit insgesamt nicht glaubhaft machen können.

7. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer innerhalb offener Frist mit Schriftsatz vom 08.06.2018 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in welcher er ausführte, dass der gegenständliche Bescheid in vollem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens, mangelhafter Beweiswürdigung sowie wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten werde. Die erkennende Behörde habe das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht mit der gebotenen Tiefe ermittelt. Sie stütze ihre Feststellungen zur Situation im Iran - vor allem zur Situation von Apostaten sowie zur Konversion zum Christentum - teilweise auf veraltete Länderberichte und habe ihre eigenen Berichte nur unvollständig ausgewertet. Aufgrund der ernsthaften und nachhaltigen, inneren Überzeugung getragenen Hinwendung des Beschwerdeführers zum Christentum sei die von der Behörde angenommene Scheinkonversion auch auszuschließen. Hätte die belangte Behörde nach einem ausführlichen Ermittlungsverfahren das Vorbringen des Beschwerdeführers entsprechend gewürdigt und hätte sie insbesondere einen Abgleich mit den einschlägigen Länderberichten vorgenommen, wäre sie zu dem Schluss gekommen, dass eine persönliche Verfolgung des Beschwerdeführers iSd GFK überaus wahrscheinlich sei.

8. Die Beschwerde wurde von der belangten Behörde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

9. Am XXXX 05.2020 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers, dessen Rechtsvertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Farsi statt.

Der Beschwerdeführer legte in der mündlichen Verhandlung seine Geburtsurkunde im Original, eine ärztliche Bestätigung (wonach er wegen XXXX in Behandlung sei, bei ihm weiters ein XXXX sowie aufgrund der derzeitigen Situation auch eine leichte reaktive Depressio vorliege), sowie ein Schreiben der XXXX vom 18.05.2020 vor.

Zunächst befragt nach seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an, dass er Migräne, Cholesterinprobleme und eine Unterfunktion der Schilddrüse habe, er sei aber in der Lage, der Verhandlung in vollem Umfang zu folgen.

Befragt zu den Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer aus, dass er im Iran im Jahr XXXX Polizist gewesen sei, es habe den Befehl gegeben, gegen die Unruhen im Zusammenhang mit der Geschichte betreffend Ahmadinejad und Mousavi vorzugehen. Ein Kollege habe eine schwangere Frau mit dem Gummiknüppel geschlagen, er habe versucht, diese Frau zu beschützen, woraufhin er selbst einen Schlag abbekommen habe. Etwa acht Monate später, im Jahr XXXX , sei er aufgrund der Befehlsverweigerung der Polizeistelle, die für XXXX zuständig gewesen sei, zugeteilt worden. Im Jahr XXXX habe sein Vorgesetzter in der XXXX abteilung sich vor einem Militärgericht verantworten müssen, der Beschwerdeführer sei vom Etelaat aufgefordert worden, bei seinem ehemaligen Vorgesetzten eine Hausdurchsuchung durchzuführen und diesem ein XXXX unterzuschieben. Er sei dann zur Wohnung gefahren, habe aber nicht hineingehen können und darüber einen Bericht geschrieben. Am nächsten Tag habe er wieder zum Etelaat gehen müssen, dort habe man ihn gefragt, warum er nicht tue, was man ihm sage, und ihm gesagt, dass er mit einem Vorgesetzten in derselben Stufe sei und ihm das auch passieren werde. Sie wüssten auch von seiner außerehelichen Beziehung. Er habe solche Angst gehabt und sich übergeben müssen, woraufhin er zur Toilette gebracht worden sei. Dann sei er durch das Fenster der Toilette geflüchtet. Sechs Monate nachdem er nach Österreich eingereist seien, seien seine Bankkonten und die seiner Frau im Iran beschlagnahmt worden, die Anrufe überwacht worden und seine Frau sei zweimal mitgenommen und gefragt worden, wo er sei.

Mit dem Christentum sei er in Österreich etwa einen Monat nach seiner Übersiedelung nach XXXX in Kontakt gekommen, ein Freund habe ihn mit in die Kirche genommen. Seit ca. 3 ½ Jahren besuche er nunmehr die XXXX , er gehe etwa zwei- bis dreimal im Monat in die Kirche. Manchmal helfe er die Sessel umzustellen, wenn er in der Kirche sei. Er lese in der Bibel und spreche zweimal täglich ein Gebet. Weiters wurden dem Beschwerdeführer einige inhaltliche Fragen zum Christentum und zum evangelischen Glauben gestellt, die er nur teilweise korrekt beantworten konnte.

In der mündlichen Verhandlung wurde auch der Pastor der XXXX , XXXX , als Zeuge einvernommen.

10. Am XXXX 08.2020 fand die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers, dessen rechtlicher Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Farsi statt.

Zunächst abermals befragt nach seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an, dass er gesund sei, aber seit zwei Nächten nicht habe schlafen können. Er sei ein wenig gestresst.

In der fortgesetzten Verhandlung wurde der Co-Pastor der XXXX , XXXX , als Zeuge einvernommen.

Weiters wurden dem Beschwerdeführer ergänzende Fragen zu seiner Fluchtgeschichte gestellt und dieser aufgefordert, aufgetretene Widersprüche aufzuklären.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. ausgeführte Verfahrensgang wird als maßgeblich festgestellt.

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der Volksgruppe der Perser. Er trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am XXXX geboren. Der Beschwerdeführer wurde als Moslem (Schiit) geboren, mittlerweile bezeichnet er sich als Christ. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat eine Stieftochter. Der Beschwerdeführer wurde im Iran in der Stadt XXXX geboren und war bis zu seiner Ausreise auch dort wohnhaft. Die Ehefrau und die Stieftochter leben nach wie vor in XXXX , der Beschwerdeführer hat Kontakt zu ihnen.

Der Beschwerdeführer ist illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am XXXX 05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Beschwerdeführer hatte im Iran eine außereheliche Beziehung zu einer verheirateten Frau. Diese folgte ihm 2017 mit ihrem Kind nach Österreich, reiste aber einige Monate später wieder freiwillig in den Iran zurück.

Der Beschwerdeführer geht keiner legalen Arbeit nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Seit der Antragstellung befand sich der Beschwerdeführer lediglich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz durchgängig rechtmäßig im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer bezieht aktuell Leistungen aus der Grundversorgung, in der Vergangenheit wurde er zweimal von der Grundversorgung abgemeldet, einmal von XXXX 02.2017 bis XXXX 11.2017, weil er Geld von seinem Schwager erhielt, einmal am XXXX 08.2019 bis XXXX 09.2019 aus disziplinären Gründen, weil er das Rauchverbot missachtete.

Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen in Österreich. Der Beschwerdeführer hat keine Freunde oder Bekannte in Österreich, zu denen ein Abhängigkeitsverhältnis oder eine über ein herkömmliches Freundschaftsverhältnis hinausgehende Bindung besteht. Der Beschwerdeführer verfügt somit im österreichischen Bundesgebiet über keine im Sinne von Art. 8 EMRK relevanten familiären Bindungen oder ein schützenswertes Privatleben.

Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse, mit denen er sich im Alltag verständigen kann, er hat einen Deutschkurs Level A1.1 besucht, jedoch keine Prüfungszertifikate vorgelegt.

Der Beschwerdeführer leidet an einer XXXX . Es liegen jedoch keine Hinweise auf die Schwelle des Art. 3 EMRK überschreitende physische oder psychische Krankheit vor. Auch die aktuell vorherrschende COVID-19 Pandemie bildet kein Rückkehrhindernis. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Iran eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde, da er an keinen COVID-19 spezifischen Vorerkrankungen leidet. Der Beschwerdeführer ist auch arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteilen des Bezirksgerichtes XXXX vom 05.12.2017, XXXX bzw. 09.03.2018, XXXX jeweils wegen des Vergehens gemäß §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat bzw. einer bedingten Zusatzstrafe von zwei Wochen jeweils unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führte im Iran eine außereheliche Beziehung zu einer verheirateten Frau. Diese folgte ihm nach Österreich, reiste aber freiwillig wieder in den Iran zurück.

Der Beschwerdeführer besucht seit ca. März 2017 die XXXX , davor hat er für ein knappes Jahr einen Taufkurs in der evangelischen Pfarrgemeinde XXXX besucht. Er wurde am XXXX 2017 in der XXXX getauft und hat seitdem etwa ein- bis zweimal im Monat die Kirche besucht. Seit XXXX 03.2017 ist der Beschwerdeführer eingetragenes, ordentliches Gemeindemitglied der XXXX . Im Jahr 2018 wurden die Kirchenbesuche des Beschwerdeführers seltener. Seit ca. einem Jahr ist der Beschwerdeführer Mitglied in einer Kleingruppe für Asylwerber, seit drei Monaten arbeitet er in einem Team mit, welches die Tische und Stühle aufstellt. Aktuell besucht der Beschwerdeführer ca. zwei- bis dreimal im Monat die Kirche.

Der Beschwerdeführer beschäftigt sich mit der Bibel und hat Grundkenntnisse vom Christentum, jedoch nur mangelhafte Kenntnisse von den Grundlagen des protestantischen Glaubens. Der Beschwerdeführer ist am XXXX 01.2018 aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ausgetreten.

Der Beschwerdeführer war im Iran keiner aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt und wäre auch im Falle seiner Rückkehr dorthin mit nicht maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt.

Dazu im Einzelnen:

Der Beschwerdeführer war in seinem Herkunftsstaat weder aus politischen noch aus anderen Gründen (einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Gefahr von) intensiven staatlichen Übergriffen oder intensiven Übergriffen von Privatpersonen ausgesetzt. Der Ehemann der Ex-Freundin des Beschwerdeführers hat keine Anzeige aufgrund der außerehelichen Beziehung erstattet, den Behörden ist die außereheliche Beziehung des Beschwerdeführers nicht bekannt.

Der Beschwerdeführer ist aus seinem Herkunftsstaat nicht geflohen, er wurde dort nicht verfolgt und nicht bedroht. Namentlich wurde er nie von Behörden in seinem Herkunftsstaat verfolgt; es gab keine Übergriffe oder Misshandlungen durch Vertreter von Behörden oder den Etelaat.

Der Beschwerdeführer hatte sich vor seiner Ausreise aus dem Iran nicht mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt, ihn nicht praktiziert und auch nicht beschlossen, Christ zu werden.

Der Beschwerdeführer hat in den letzten vier Jahren zwar ein gewisses Interesse am Christentum entwickelt, er ist aber nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert und der christliche Glaube ist nicht wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers. Es ist daher auch nicht davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat weiterhin mit dem christlichen Glauben befassen oder nach dem christlichen Glauben leben oder sich privat oder öffentlich zum christlichen Glauben bekennen würde. Der Beschwerdeführer missioniert nicht und würde im Iran auch nicht christlich missionieren.

Die Behörden im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers haben von der – nicht aus inneren Überzeugung geschehenen – Konversion keine Kenntnis und es ist auch nicht davon auszugehen, dass sie vom christlichen Engagement und der Taufe des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr in den Iran Kenntnis erlangen würden.

Andere Gründe, die eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen, wurden von ihm nicht glaubhaft vorgebracht und sind auch im Verfahren nicht hervorgekommen.

Somit wird festgestellt wird, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

1.2 Zur hier relevanten Situation im Iran

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran, Stand 19.06.2020

1. Politische Lage

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 2.2020a; vgl. BTI 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 4.3.2020a; vgl. FH 4.3.2020, US DOS 11.3.2020) und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2019; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wiedergewählt (ÖB Teheran 10.2019). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 2.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2019). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 2.2020a). Während bei der Parlamentswahl 2016 die Reformer und Moderaten starke Zugewinne erreichen konnten (ÖB Teheran 10.2019), drehte sich dies bei den letzten Parlamentswahlen vom Februar 2020 und die Konservativen gewannen diese Wahlen. Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. GIZ 2.2020a, FH 4.3.2020, BTI 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2.2020). Des weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems“ zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 2.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 2.2020a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 2.2020a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 26.2.2020). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 2.2020a; vgl. AA 4.3.2020a). Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.3.2020). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 26.2.2020).

Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was zu einer Halbierung der vollstreckten Todesurteile führte (ÖB Teheran 10.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (4.3.2020a): Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/politisches-portrait/202450, Zugriff 7.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (4.3.2020b): Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/steckbrief/202394, Zugriff 7.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 20.4.2020

- BTI – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020

- DW – Deutsche Welle (23.2.2020): Konservative siegen bei Parlamentswahl im Iran, https://www.dw.com/de/konservative-siegen-bei-parlamentswahl-im-iran/a-52489961, Zugriff 7.4.2020

- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 7.4.2020

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (2.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 7.4.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 7.4.2020

- US DOS – US Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020

2. Sicherheitslage

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latenten Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gerechnet werden sowie mit Straßenblockaden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 4.5.2020).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 4.5.2020; vgl. AA 4.5.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 4.5.2020b).

In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 4.5.2020). In diesen Minderheitenregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 4.5.2020b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 4.5.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 4.5.2020).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 4.5.2020b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 4.5.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (4.5.2020b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 4.5.2020

- EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (4.5.2020): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 4.5.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 4.5.2020

2.1.Verbotene Organisation

Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 26.2.2020).

Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komala(h)-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI), die aus Belutschistan stammende Jundallah, und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der PKK, zusammenarbeitet (AA 26.2.2020). Die politischen Gruppierungen KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 10.2019) und hat einen bewaffneten Flügel (AI 15.6.2018). Von Mai bis September 2016 wurden fast wöchentlich bewaffnete Konflikte zwischen kurdischen Guerillakräften und iranischen Sicherheitskräften gemeldet. In den letzten zehn Jahren hatte hauptsächlich die kurdische Partei PJAK militärische Operationen im Nordwesten des Iran durchgeführt. Seit Mai 2016 beteiligen sich auch andere kurdische Parteien (KDPI, KDP-I, PAK) an militärischen Operationen gegen iranische Sicherheitskräfte. Alle diese Parteien operieren von Militärbasen und Lagern im Nordirak aus. Die Revolutionsgarden haben im gleichen Zeitraum ihre Präsenz in der Region verstärkt und kurdische Dörfer sowohl auf iranischer als auch auf irakischer Seite angegriffen. Mitglieder und Unterstützer von KDPI und Komala werden im Allgemeinen härter behandelt als andere Aktivisten im kurdischen Raum. In der Regel unterscheiden die iranischen Behörden nicht zwischen Mitgliedern und Unterstützern der Parteien. Während die iranischen Behörden Personen, die verhaftet werden, beschuldigen, mit diesen Parteien verbunden zu sein, ist dies nicht immer der Fall. Familienmitglieder von Parteimitgliedern und Unterstützern laufen ebenfalls Gefahr, von den iranischen Behörden befragt, inhaftiert und verhaftet zu werden, um Druck auf Aktivisten auszuüben. Enge Familienmitglieder werden häufiger verhaftet als Mitglieder der Großfamilie (DIS 7.2.2020). Auch die Volksmudschahedin (MEK, MKO, PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019).

Es scheint eher unwahrscheinlich, dass eine Person nur aufgrund einer einzigen politischen Aktivität auf niedrigem Niveau, wie z.B. dem Verteilen von Flyern, angeklagt wird, es ist aber schon möglich, dass man inhaftiert wird, wenn man mit politischem Material, oder beim Anbringen von politischen Slogans an Wänden erwischt wird. Es kommt darauf an, welche Art von Aktivität die Personen setzen. Andauernde politische Aktivitäten können in einer Anklage enden (DIS/DRC 23.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 4.5.2020

- AI – Amnesty International (11.2.2019): Amnesty International's written statement to the 40thsessionof theHuman RightsCouncil(25 February –22March 2019), MDE 13/9828/2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457788/1226_1550135137_mde1398282019english.pdf, Zugriff 4.5.2020

- AI – Amnesty International (15.6.2018): Urgent Action, Iranian Kurdish Woman denied Medical Care, UA: 151/14 Index: MDE 13/8598/201, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435509/1226_1529323691_mde1385982018english.pdf, Zugriff 4.5.2020

- DIS – Danish Immigration Service (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf, Zugriff 14.5.2020

- DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf, Zugriff 4.5.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 4.5.2020

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2019). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BTI 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer Situation befassen, dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens“ für schuldig erklären (US DOS 11.3.2020).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BTI 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom „Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2019). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 26.2.2020).

Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 20.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 7.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 7.4.2020

- AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Iran: 2019 [MDE 13/1829/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2026069.html, Zugriff 14.5.2020

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 7.4.2020

- BTI – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020

- BTI – Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report — Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 7.4.2020

- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 7.4.2020

- HRC – UN Human Rights Council (28.1.2020): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/43/61], https://undocs.org/en/A/HRC/43/61, Zugriff 8.4.2020

- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022677.html, Zugriff 7.4.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 7.4.2020

- US DOS – US Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020

4. Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten involviert (US DOS 11.3.2020). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2019).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.3.2020). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BTI 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).

Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem „Hohen Rat für den Cyberspace“ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 26.2.2020).

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2020).

Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Fehlverhalten der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter zur Rechenschaft zieht (US DOS 11.3.2020).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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