TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/2 I412 2215030-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.10.2020
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Entscheidungsdatum

02.10.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs6 Z2
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs11
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs7
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §52
IntG §9
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I412 2215030-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. MAROKKO, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich (VMÖ), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, Außenstelle Graz (BFA-St-ASt Graz) vom 31.01.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen die übrigen Spruchpunkte III. bis VI. wird stattgegeben und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt. XXXX wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 2 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin reiste mit einem gültigen Visum-C nach Italien und besuchte dort ihre Schwester. Nach Ablauf des Visums gelangte sie von Italien nach Österreich und stellte am 14.08.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie ausschließlich mit dem Wunsch begründete, bei ihrem in Österreich asylberechtigten Mann mit dem gemeinsamen Kind zu leben.

Am 21.11.2018 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als belangte Behörde oder BFA bezeichnet) statt, in der sie Angeben zu ihren bisherigen Lebensumständen in Marokko und zu ihren in Marokko, Italien bzw. Frankreich lebenden Familienangehörigen machte.

Drei Tage später gebar sie in Graz einen Sohn, für den der Kindsvater und Lebensgefährte der Beschwerdeführerin am 20.12.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Die Beschwerdeführerin wurde nochmals am 16.01.2019 vor der belangten Behörde zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz und jenem des Sohnes als gesetzliche Vertreterin einvernommen. Im Laufe der Einvernahme wurde auch der Kindsvater und Lebensgefährte beigezogen. Mit Eingabe vom 24.01.2019 nahm die Beschwerdeführerin nochmals Stellung zur Lage in Marokko.

Mit angefochtenem Bescheid vom 31.01.2019, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Marokko (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass die Abschiebung nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise bestehe eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Mit Bescheid vom selben Tag wurde auch der Antrag auf internationalen Schutz des Sohnes abgewiesen und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen.

Gegen beide Bescheide wurde unter einem am 19.02.2019 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Mit Erkenntnis vom 02.10.2020, GZ I412 2215028-1/8E, wurde der Beschwerde stattgegeben und dem Sohn, der wie die Beschwerdeführerin (auch) die marokkanische Staatsbürgerschaft besitzt, der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 zuerkannt und festgestellt, dass ihm gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 damit kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Dem Sohn war im Rahmen des Familienverfahrens derselbe Schutzumfang wie dem asylberechtigten Vater zu gewähren.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird der oben dargestellte Verfahrensgang als Sachverhalt festgestellt.

1.2. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die volljährige Beschwerdeführerin ist Marokkanerin, trägt den im Spruch genannten Namen und steht ihre Identität fest. Sie bekennt sich zum moslemischen Glauben, ist traditionell verheiratet, nicht aber standesamtlich und ist somit ledig. Ihr Lebensgefährte ist ein in Österreich asylberechtigter Syrer. Sie lebt mit diesem und dem gemeinsamen Sohn im gemeinsamen Haushalt in Graz. Der knapp zweijährige Sohn ist marokkanischer Staatsangehöriger, in Österreich geboren und kommt ihm der Status des Asylberechtigten zu.

Die Beschwerdeführerin ist gesund und arbeitsfähig.

Sie reiste mehrmals legal mit gültigem Reisedokument und Visum von Marokko nach Italien und in die Türkei, wo sie ihre Schwester besuchte bzw. ihren Lebensgefährten kennenlernte. Nach Ablauf ihres Touristenvisums gelangten sie von Italien nach Österreich, um bei ihrem Partner zu leben. Sie hält sich seit (mindestens) seit der Antragstellung im August 2018 in Österreich auf.

In Marokko leben weiterhin die Eltern der Beschwerdeführerin, zwei Schwestern sind in Italien verheiratet, ein Bruder lebt in Frankreich und ist französischer Staatsbürger.

Die Beschwerdeführerin lebte in Marokko bei ihren Eltern, besuchte eine Schule und absolvierte eine Berufsausbildung zur Bankangestellten und arbeitete kurzzeitig als Telefonistin in einem Callcenter. Aufgrund ihrer fundierten Ausbildung und der Arbeitserfahrung in Marokko hat sie eine Chance, auch hinkünftig am dortigen Arbeitsmarkt unterzukommen.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich nicht vorbestraft. Sie bezog während der Dauer ihres Aufenthalts nur zeitweise Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Die Beschwerdeführerin weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.

1.3. Zu den Fluchtmotiven:

Die Beschwerdeführerin gab keine Fluchtgründe an. Sie hat in Marokko keine Gefahr einer Verfolgung oder Bedrohung aufgrund der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung zu befürchten.

Sie wird bei einer Rückkehr nach Marokko nicht in eine aussichtslose Lage geraten und sich ihren Lebensunterhalt sichern können.

1.4. Zur Lage in Marokko:

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten.

Fallbezogen werden aus dem aktuellen (letzte KI eingefügt am 09.07.2020) Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Marokko nachstehende Feststellungen samt Quellenangaben getroffen:

Politische Lage:

Marokko ist ein zentralistisch geprägter Staat. Das Land ist eine Monarchie mit dem König als weltlichem und geistigem Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und "Anführer der Gläubigen" (AA 6.5.2019a; vgl. USDOS 11.3.2020). Laut der Verfassung vom 1.7.2011 ist Marokko eine konstitutionelle, demokratische und soziale Erbmonarchie, mit direkter männlicher Erbfolge und dem Islam als Staatsreligion. Abweichend vom demokratischen Grundprinzip der Gewaltenteilung kontrolliert der König in letzter Instanz die Exekutive, die Judikative und teilweise die Legislative (GIZ 5.2020a; vgl. ÖB 5.2019). Im Zusammenhang mit den Protestbewegungen in Nordafrika im Frühjahr 2011 leitete der König im Jahr 2011 eine Verfassungsreform und vorgezogene Neuwahlen ein. Proteste im Norden des Landes sind vor allem Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Umsetzung sozioökonomischer Reformen, die schleppend verläuft (AA 6.5.2019a). Die Verfassung vom 1.7.2011 brachte im Grundrechtsbereich einen deutlichen Fortschritt für das Land; in Bezug auf die Königsmacht jedoch nur eine Abschwächung der absolutistischen Stellung. Das Parlament wurde als Gesetzgebungsorgan durch die neue Verfassung aufgewertet und es ist eine spürbare Verlagerung des politischen Diskurses in die Volksvertretung hinein erkennbar. Die Judikative wird als unabhängige Staatsgewalt gleichberechtigt neben Legislative und Exekutive gestellt. Das System der checks und balances als Ergänzung zur Gewaltenteilung ist jedoch in der Verfassung vergleichsweise wenig ausgebildet (ÖB 5.2019).

Vier Schlüsselministerien sind in Marokko der Kontrolle des Parlamentes und des Premierministers entzogen: Inneres, Äußeres, Verteidigung, Religiöse Angelegenheiten und Stiftungen. Soziale Reformen während der Regentschaft Mohamed VI sollten mehr Wohlstand für alle bringen - doch faktisch nahm die ohnehin starke Kontrolle der Königsfamilie und ihrer Entourage über die Reichtümer und Ressourcen des Landes weiter zu (GIZ 5.2020a). Hauptakteure der Exekutive sind die Minister, der Regierungschef und der König, der über einen Kreis hochrangiger Fachberater verfügt. Der König ist Vorsitzender des Ministerrates, hat Richtlinienkompetenz und ernennt nach Art. 47 der Verfassung von 2011 den Regierungschef aus der Partei, die bei den Wahlen als Sieger hervorgeht. Marokko verfügt seit der Unabhängigkeit über ein Mehrparteiensystem. Das Wahlrecht macht es schwierig für eine Partei, eine absolute Mehrheit zu erringen; Mehrparteienkoalitionen sind deshalb die Regel (AA 6.5.2019a).

Das marokkanische Parlament besteht aus zwei Kammern, dem Unterhaus (Chambre des Représentants, Madschliss an-Nuwwab) und dem Oberhaus (Chambre des conseillers, Madschliss al-Mustascharin). Die Abgeordneten des Unterhauses werden alle fünf Jahre in direkten allgemeinen Wahlen neu gewählt. Das Unterhaus besteht aus 395 Abgeordneten. Entsprechend einer gesetzlich festgelegten Quote sind mindestens 12% der Abgeordneten Frauen. Das Oberhaus (Chambre des Conseillers) besteht aus mindestens 90 und maximal 120 Abgeordneten, die in indirekten Wahlen für einen Zeitraum von sechs Jahren bestimmt werden (GIZ 5.2020a).

In Marokko haben am 7.10.2016 Wahlen zum Unterhaus stattgefunden. Als stärkste Kraft ging die seit 2011 an der Spitze der Regierung stehende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung („Parti de la Justice et du Développement“) hervor. Am 5.4.2017 ernannte König Mohammed VI Saad-Eddine El Othmani zum Premierminister. Größte Oppositionspartei ist die Partei für Authentizität und Modernität (PAM) (AA 6.5.2019a). Sie rangiert an zweiter Stelle mit 102 Sitzen und konnte ihre Stimmengewinne mehr als verdoppeln und gilt daher als heimliche Siegerin. Dahinter gereiht ist mit 46 Sitzen die traditionsreiche Unabhängigkeitspartei (PI – Parti de l'Istiqlal), dahinter andere Parteien (GIZ 5.2020a).

Seit Anfang 2017 ist Marokko wieder offiziell Mitglied der Afrikanischen Union (GIZ 5.2020a).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (6.5.2019a): Marokko - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/-/224120, Zugriff 21.1.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020a), LIPortal - Marokko - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/marokko/geschichte-staat/, Zugriff 9.7.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko

-        USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020

Sicherheitslage:

Marokko kann grundsätzlich als stabiles Land betrachtet werden (EDA 9.7.2020). Das französische Außenministerium rät bis auf einige Regionen zu normaler Aufmerksamkeit im Land, dem einzigen in Nordafrika, das auf diese Weise bewertet wird (FD 9.7.2020). In den Grenzregionen zu Algerien wird zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten (FD 9.7.2020), bzw. wird von Reisen abgeraten (AA 9.7.2020).

Die Westsahara darf nur nach Genehmigung durch die marokkanischen Behörden und nur auf genehmigten Strecken bereist werden (FD 9.7.2020). Zusätzlich besteht für die Grenzregionen zu Mauretanien in der Westsahara eine Reisewarnung (AA 9.7.2020; vgl. FD 9.7.2020, BMEIA 9.7.2020).

Im Jahr 2019 konnte Marokko sein Terrorismusrisiko weitgehend eindämmen und die Zahl der Verhaftungen im Vergleich zu 2018 verdoppelt. Das Land sah sich jedoch weiterhin sporadischen Bedrohungen ausgesetzt, die hauptsächlich von kleinen, unabhängigen Terrorzellen ausgingen, von denen die meisten angeben, sie seien vom Islamischen Staat (IS) inspiriert oder mit ihm verbunden. Im März 2019 repatriierte Marokko acht Kämpfer aus Syrien. Im Jahr 2019 wurden in Marokko keine terroristischen Vorfälle gemeldet (USDOS 25.6.2020).

Demonstrationen und Protestaktionen sind jederzeit im ganzen Land möglich (EDA 9.7.2020; vgl. IT-MAE 9.7.2020). Auch nicht genehmigte Demonstrationen verlaufen meist friedlich, es kommt jedoch vereinzelt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Die Proteste entzünden sich meist an wirtschaftlichen und sozialen Missständen (IT-MAE 9.7.2020; vgl. AA 9.7.2020, BMEIA 9.7.2020, EDA 9.7.2020). In der Region Rif kann es zu Übergriffen durch Kriminelle kommen, die in Drogenproduktion und -handel involviert sind (FD 9.7.2020; vgl. EDA 9.7.2020).

In großen Teilen der Sahara sind bewaffnete Banden und islamistische Terroristen aktiv, die vom Schmuggel und von Entführungen leben. Das Entführungsrisiko ist in einigen Gebieten der Sahara und der Sahelzone hoch und nimmt noch zu. Die Grenze zu Algerien ist geschlossen (AA 9.7.2020; vgl. EDA 9.7.2020, BMEIA 9.7.2020).

Das völkerrechtlich umstrittene Gebiet der Westsahara erstreckt sich südlich der marokkanischen Stadt Tarfaya bis zur mauretanischen Grenze. Es wird sowohl von Marokko als auch von der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario beansprucht. Die United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara MINURSO überwacht den Waffenstillstand zwischen den beiden Parteien. Auf beiden Seiten der Demarkationslinie (Sandwall) sind diverse Minenfelder vorhanden (EDA 9.7.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (9.7.2020): Marokko - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/marokkosicherheit/224080, Zugriff 9.7.2020

-        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (9.7.2020): Reiseinformation Marokko, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 9.7.2020

-        EDA - Eidgenössisches Departemenet für auswärtige Angelegenheiten (9.7.2020): Reisehinweise für Marokko, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/marokko/reisehinweise-marokko.html, Zugriff 9.7.2020

-        FD - France Diplomatie (9.7.2020): Conseils aux Voyageurs - Maroc - Sécurité, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/maroc/#derniere_nopush, Zugriff 9.7.2020

-        IT-MAE - Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale (9.7.2020): Viaggiare Sicuri – Marocco, http://www.viaggiaresicuri.it/country/MAR, Zugriff 9.7.2020

-        USDOS - United States Department of State (24.6.2020): Country Reports on Terrorism 2019 – Chapter 1 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032530.html, Zugriff 9.7.2020

Frauen:

Die Lage der Frauen in Marokko ist gekennzeichnet durch die Diskrepanz zwischen dem rechtlichen Status und der Lebenswirklichkeit. Insbesondere im ländlichen Raum bestehen gesellschaftliche Zwänge aufgrund traditioneller Einstellung fort. Zwar garantiert die Verfassung von 2011 in Art. 19, dass „Männer und Frauen gleichberechtigt die Rechte und Freiheiten ziviler, politischer, wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und ökologischer Natur“ genießen, schränkt diese Rechte durch Bezugnahme auf den Islam als Staatsreligion aber wieder ein. In internationalen Abkommen hat sich Marokko zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen verpflichtet, aber auch hier den Vorrang des Islams geltend gemacht (AA 14.2.2018). So sehen sich Frauen auf gesellschaftlicher Ebene nach wie vor mit erheblicher Diskriminierung konfrontiert und sind in der Erwerbsbevölkerung unterrepräsentiert (FH 4.3.2020; vgl. AI 18.2.2020).

Obwohl die Änderung des Familienrechts zugunsten der Frauen vom 6.2.2004 („Moudawana“) mit den Grundsätzen

-        Abschaffung der Gehorsamspflicht der Ehefrau“ (AA 14.2.2018; vgl. GIZ 5.2020b),

-        Anhebung des grundsätzlichen Ehefähigkeitsalters der Frau auf 18 Jahre (AA 14.2.2018; vgl. HRW 14.1.2020). Allerdings erlaubt das Gesetz Richtern, auf Antrag der Familie "Ausnahmen" für die Eheschließung minderjähriger Mädchen im Alter von 15 bis 18 Jahren zu gewähren. Im Jahr 2018 wurden 40.000 solcher Ausnahmen gewährt, was fast 20 % der im Laufe des Jahres registrierten Eheschließungen entspricht, was Justizminister Mohamed Aujjar als "einen alarmierenden Anstieg" bezeichnete (HRW 14.1.2020).

-        Abschaffung der Hinzuziehung eines Vormunds zur Eheschließung für volljährige Frauen (AA 14.2.2018; vgl. GIZ 5.2020b),

-        Einführung der gerichtlichen Ehescheidung (GIZ 5.2020b),

-        Abschaffung der einseitigen Verstoßung für den Ehemann, Einführung des Zerrüttungsprinzips, relativ weitgehende Gleichstellung von Männern und Frauen im Scheidungsrecht (GIZ 5.2020b),

-        Polygamie nur noch in genehmigten Ausnahmefällen (AA 14.2.2018),

und mit der Einrichtung von Familiengerichten eine deutliche Verbesserung der Rolle der Frau geschaffen hat, gibt es weiter Defizite in der Gleichberechtigung, wie z. B. die ungleiche Behandlung im Erb- und Familienrecht. Der Menschenrechtsrat CNDH kritisiert Gesetzentwurf das Fehlen von Definitionen von Gleichstellung und Diskriminierung und fordert Reformen (AA 14.2.2018).

Von einer wirklichen rechtlichen und sozialen Gleichstellung sind Frauen und Männer in Marokko noch weit entfernt. In der marokkanischen Gesellschaft dominieren weiterhin patriarchale Einstellungen und diskriminierende Verhaltensweisen. Viele der ehrgeizigen Gesetzesreformen werden bislang nur partiell umgesetzt (GIZ 5.2020b).

Das Familiengesetzbuch von 2004 räumte Frauen mehr Rechte in den Bereichen Ehe, Scheidung und Sorgerecht für Kinder ein, obwohl es nach wie vor eine Reihe von Ungerechtigkeiten und Einschränkungen gibt und die Umsetzung des Gesetzes uneinheitlich erfolgt (FH 4.3.2020). Außerehelicher Geschlechtsverkehr ist illegal und strafbar (FH 4.3.2020; vgl. AA 14.2.2019) und hält Vergewaltigungsopfer davon ab Anzeige zu erstatten (FH 4.3.2020). Alle ledigen Mütter sind damit von strafrechtlicher Verfolgung bedroht. Tatsächlich wird außerehelicher Geschlechtsverkehr nur in Ausnahmefällen strafrechtlich verfolgt. Meist geschieht dies auf Anzeige von Familienangehörigen und nur in Ausnahmefällen auch direkt durch den Staat (AA 14.2.2018).

Seit Mitte der 1980er Jahre sind in Marokko immer mehr NGOs entstanden, die sich gleichzeitig für Demokratie und für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern einsetzen. Die politisch einflussreichsten dieser NGOs sind die Association Démocratique des Femmes Marocaines (ADFM), die Fédération de la Ligue Démocratique pour la Défense des Droits des Femmes (FLDDF), die Association Marocaine des Droits des Femmes (AMDF) und die Union de L'Action Féminine (UAF) (GIZ 5.2020b).

Ein Gesetz von 2018 kriminalisiert häusliche Gewalt und Zwangsheirat und verhängt strengere Strafen für Vergewaltigung. Obwohl das Gesetz als Fortschritt angesehen wurde, äußerten sich Kritiker dahingehend, dass das Gesetz Vergewaltigung in der Ehe nicht verbietet, keine klare Definition von häuslicher Gewalt enthält und die Regierung nicht verpflichtet, die Opfer stärker zu unterstützen (FH 4.3.2020). Vergewaltigung steht unter Strafe. Das Strafmaß beträgt fünf bis zehn Jahre; wenn das Opfer minderjährig ist, zehn bis zwanzig Jahre (USDOS 11.3.2020). Es kommt häufig zu Gewalt gegen Frauen. Die Straftaten Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe sind nicht gesondert kodifiziert. Diese Fälle werden von den betroffenen Frauen in aller Regel nicht zur Anzeige gebracht. Kommt es zu einer Anzeige, gestaltet sich der Nachweis der Straftat schwierig (AA 14.2.2018; USDOS 11.3.2020). Am 12.9.2018 trat ein neues Gesetz in Kraft (GIZ 5.2020b; vgl. USDOS 11.3.2020), das einen stärkeren Rechtsrahmen zum Schutz von Frauen vor Gewalt, sexueller Belästigung und Missbrauch schafft (GIZ 5.2020b). Häusliche Gewalt wird aufgrund der sozialen Stigmatisierung selten angezeigt oder bestraft (FH 4.3.2020; vgl. AI 18.2.2020). Mit dem Gesetz über Gewalt gegen Frauen werden einige Formen häuslicher Gewalt kriminalisiert und Präventivmaßnahmen eingeführt, aber es legt weder die Pflichten von Polizei, Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern in Fällen häuslicher Gewalt fest noch finanziert es Frauenhäuser (HRW 14.1.2020; vgl. AI 18.2.2020).

Die Zahl der Frauen, die sich trauen, Vergewaltigungen und Übergriffe bei der Polizei anzuzeigen, ist rapide gestiegen (GIZ 5.2020b). Nach dem neuen Gesetz kann eine Verurteilung wegen sexueller Gewalt zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren und einer Geldstrafe von 2.000 bis 10.000 Dirhams (210 bis 1.050 $) führen. Allgemeine Beleidigungs- und Verleumdungsklagen bleiben im Strafgesetzbuch. Einige NGOs für Frauenrechte kritisierten die mangelnde Klarheit der Verfahren und des Schutzes für die Meldung von Missbrauch nach dem neuen Gesetz (USDOS 11.3.2020.

Viele Richter sind voreingenommen und urteilen zugunsten des Mannes. Neben gesellschaftlichen Ursachen (Gewalt gegen Frauen, insbesondere in der Familie, wird von den meisten Männern als legitim betrachtet) gibt es auch staatliche und rechtliche Defizite. Die Anzahl von Frauenhäusern und Zufluchtsorten für Frauen ist begrenzt (AA 14.2.2019). Nach Angaben von lokalen NGOs meldeten Opfer die überwiegende Mehrheit der sexuellen Übergriffe nicht an die Polizei, da sie unter sozialem Druck standen und befürchteten, dass die Gesellschaft die Opfer höchstwahrscheinlich zur Verantwortung ziehen würde. Die Polizei untersucht Fälle selektiv; von der geringen Zahl, die vor Gericht gestellt werden, bleiben erfolgreiche Strafverfolgungen selten (USDOS 11.3.2020). Missbrauch von Kindern und Kinderprostitution ist ein verbreitetes Problem, Statistiken hierzu sind nicht erhältlich. In der Mehrzahl der Fälle von Kinderprostitution handelt es sich um Kinder aus ländlichen Gegenden, die zum Geldverdienen in Städte geschickt werden. Das Strafgesetz sieht eine Strafe für die sexuelle Ausbeutung von Jugendlichen vor. Strafverschärfende Maßnahmen gelten bei minderjährigen Opfern (Art 497, 498 Strafgesetzbuch). Verurteilte Vergewaltiger und Pädophile sind von einer möglichen Amnestie ausgeschlossen. In der Praxis kommt es selten zur Strafverfolgung dieser Tatbestände (AA 14.2.2018).

Das Gesetz verlangt gleichen Lohn für gleiche Arbeit, obwohl dies in der Praxis nicht der Fall ist. Die Regierung leitete einige Anstrengungen zur Verbesserung der Stellung von Frauen am Arbeitsplatz, insbesondere das vom Parlament im August 2017 errichtete Verfassungsmandat für die Schaffung einer Behörde für Geschlechterparität und die Bekämpfung aller Formen der Diskriminierung. Die Gender Parity Authority ist jedoch noch nicht funktionsfähig (USDOS 11.3.2020). Auch im Berufsleben bleibt die Lage der Frauen schwierig, insbesondere auf dem Land, wo patriarchale Strukturen dominant sind. In höheren Ämtern nimmt der weibliche Anteil im Vergleich mit männlichen Amtsinhabern rasch ab, auch wenn Frauen vereinzelt besonders exponierte Führungspositionen einnehmen. Bei den Parlamentswahlen wurden lediglich 10 von 305 direkt gewählten Parlamentsmandaten von Frauen gewonnen. 90 weitere Sitze sind über eine spezielle Liste für Frauen und junge Menschen reserviert (AA 14.2.2018; vgl. FH 4.3.2020).

Beim Gender-Ranking des Weltwirtschaftsforums von Davos bildet Marokko regelmäßig das Schlusslicht (aktuell Platz 143 von 149). Maßgeblich für die schlechte Platzierung sind die rechtliche Diskriminierung marokkanischer Mädchen und Frauen sowie die geringe Partizipation am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft. Im Landesdurchschnitt sind nur 22% der Frauen im erwerbstätigen Alter berufstätig: In den Städten sind es noch weniger (GIZ 5.2020b).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 5.9.2019

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025837.html, Zugriff 7.7.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030898.html, Zugriff 2.7.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020a), LIPortal - Marokko - Gesellschaft, https://www.liportal.de/marokko/gesellschaft/, Zugriff 2.7.2020

-        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022718.html, Zugriff 7.7.2020

-        USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020

Grundversorgung:

Die Grundversorgung der Bevölkerung ist gewährleistet, Brot, Zucker und Gas werden subventioniert. Staatliche soziale Unterstützung ist kaum vorhanden, vielfach sind religiös-karitative Organisationen tätig. Die entscheidende Rolle bei der Betreuung Bedürftiger spielt nach wie vor die Familie. Staatliche und sonstige Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer gibt es nicht (AA 14.2.2018).

König Mohammed VI. und die bisherige Regierung streben eine durchgreifende Modernisierung und Diversifizierung des Landes an, das seine Chancen neben dem Hauptpartner EU verstärkt in Afrika sucht. Gebergemeinschaft, OECD und IWF unterstützen diesen Modernisierungskurs (AA 6.5.2019c). Formal ist Marokko eine freie Marktwirtschaft. Bedingt durch die starke Stellung der Königsfamilie und alteingesessener Eliten ist der Wettbewerb jedoch verzerrt. Seit dem Machtantritt von König Mohammed VI. hat die Vormachtstellung der Königsfamilie in Schlüsselsektoren wie Landwirtschaft, Bergbau, Einzelhandel, Transport, Telekommunikation und erneuerbaren Energien weiter zugenommen. Gleichzeitig sind immer mehr Marokkaner auf Überweisungen aus dem Ausland angewiesen, um zu überleben (GIZ 5.2020c).

Ein gravierendes Problem bildet nach wie vor die Arbeitslosigkeit 2018 (laut IMF bei 9,8%, Dunkelziffer liegt wesentlich höher), vor allem unter der Jugend (ÖB 5.2019). Der Bevölkerungszuwachs in den aktiven Altersgruppen liegt deutlich höher als die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die reale Arbeitslosenquote, insbesondere bei Jugendlichen, liegt deutlich über den offiziell angegebenen ca. 10% (AA 6.5.2019c).

Laut Informationen der Weltbank steht Marokko in der MENA-Region bei der Höhe der Auslandsüberweisungen von Migranten (Remittances) an zweiter Stelle. Zur Sicherung des sozialen und politischen Friedens verteilt der Staat Subventionen: Diese wurden in den letzten Jahren allerdings gekürzt, von 5 Mrd. Euro auf voraussichtlich umgerechnet 1,2 Mrd. Euro in 2018. Für das Jahr 2019 wurde eine Erhöhung um 30% auf 1,6 Mrd. Euro angekündigt. Trotz Subventionskürzungen und Privatisierungen hat die Staatsverschuldung in den vergangenen Jahren zugenommen (GIZ 5.2020c).

Der informelle Bereich der Wirtschaft wird statistisch nicht erfasst, entfaltet aber erhebliche Absorptionskraft für den Arbeitsmarkt. Fremdsprachenkenntnisse - wie sie z.B. Heimkehrer aufweisen - sind insbesondere in der Tourismusbranche und deren Umfeld nützlich. Arbeitssuchenden steht die Internet-Plattform des nationalen Arbeitsmarktservices ANAPEC zur Verfügung (www.anapec.org), die neben aktueller Beschäftigungssuche auch Zugang zu Fortbildungsmöglichkeiten vermittelt. Unter 30-Jährige, die bestimmte Bildungsebenen erreicht haben, können mit Hilfe des OFPPT (www.ofppt.ma/) eine weiterführende Berufsausbildung einschlagen. Die marokkanische Regierung führt Programme der Armutsbekämpfung (INDH) und des sozialen Wohnbaus. Eine staatlich garantierte Grundversorgung/arbeitsloses Basiseinkommen existiert allerdings nicht. Der Mindestlohn (SMIG) liegt bei 2.570 Dirham (ca. EUR 234). Ein Monatslohn von etwa dem Doppelten dieses Betrags gilt als durchaus bürgerliches Einkommen. Statistisch beträgt der durchschnittliche Monatslohn eines Gehaltsempfängers 4.711 Dirham, wobei allerdings die Hälfte der - zur Sozialversicherung angemeldeten - Lohnempfänger nur den Mindestlohn empfängt. Ein ungelernter Hilfsarbeiter erhält für einen Arbeitstag (10 Std.) ca. 100 Dirham, Illegale aus der Subsahara erhalten weniger (ÖB 5.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 14.10.2019

-        AA - Auswärtiges Amt (6.5.2019c): Marokko - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/wirtschaft/224082, Zugriff 5.9.2019

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020c): LIPortal - Marokko – Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/marokko/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 6.7.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko

Rückkehr:

Das Stellen eines Asylantrags im Ausland ist nicht strafbar und wird nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts von den Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet. Aus den letzten Jahren sind keine Fälle bekannt, in denen es zu einem Gerichtsurteil wegen der Stellung eines Asylantrags oder wegen des in einem Asylantrag enthaltenen Vorbringens gekommen wäre (AA 14.2.2018).

Auf institutioneller Basis wird Rückkehrhilfe von IOM organisiert, sofern der abschiebende Staat mit IOM eine diesbezügliche Vereinbarung (mit Kostenkomponente) eingeht; Österreich hat keine solche Abmachung getroffen. Rückkehrer ohne eigene finanzielle Mittel dürften primär den Beistand ihrer Familie ansprechen; gelegentlich bieten auch NGOs Unterstützung. Der Verband der Familie und Großfamilie ist primärer sozialer Ankerpunkt der Marokkaner. Dies gilt mehr noch für den ländlichen Raum, in welchem über 40% der Bevölkerung angesiedelt und beschäftigt sind. Rückkehrer würden in aller Regel im eigenen Familienverband Zuflucht suchen. Der Wohnungsmarkt ist über lokale Printmedien und das Internet in mit Europa vergleichbarer Weise zugänglich, jedenfalls für den städtischen Bereich (ÖB 5.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 6.9.2019

-        ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko

Kurzinformation der Staatendokumentation: Verhaftungen wegen Missachtung der Ausgangssperre vom 01.09.2020

Nachdem es in Marokko seit Anfang August 2020 täglich zu mehr als 1.000 Neuinfektionen mit COVID-19 kommt, haben die Behörden am 27.8.2020 strengere Ausgangsbeschränkungen verordnet. In Casablanca und Marrakesch sowie der Hauptstadt Rabat und Tanger wurden Stadtviertel abgeriegelt, Straßen durch gepanzerte Fahrzeuge gesperrt und Polizeipatrouillen entsandt. Öffnungszeiten von Restaurants, Cafés und Geschäften wurden verkürzt und Versammlungen verboten (BAMF 31.8.2020). Im Rahmen des Ashura-Fests wurden in zahlreichen Großstädten wie Rabat und Casablanca die Ausgangsbeschränkungen missachtet (BAMF 31.8.2020; vgl. MP 30.8.2020). Viele ignorierten diese Maßnahmen (MP 30.8.2020), und es kam zu Feiern auf den Straßen und öffentlichen Versammlungen und Kundgebungen die teilweise in Gewalt gegen Sicherheitskräfte und Vandalismus umschlugen. In diesem Zusammenhang wurden den Behörden zufolge 157 Personen verhaftet (BAMF 31.8.2020; vgl. MP 30.8.2020), darunter auch Minderjährige. Ihnen wird u. a. Beteiligung an Vandalismus und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen (MP 30.8.2020).

Quellen:

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (31.8.2020): Briefing Notes, Anstieg der Corona-Infektionen und gewaltsame Ausschreitungen zum Ashura-Fest, Zugriff 1.9.2020

- MP - Maghreb-Post.de (30.8.2020): Marokko- Ausschreitungen und Gewaltakte zum Asura-Fest, https://www.maghreb-post.de/gesellschaft/marokko-ausschreitungen-und-gewaltakte-zum-ashura-fest/, Zugriff 1.9.2020

Aufenthaltsrecht syrische Staatsbürger in Marokko:

Es ist möglich, dass ein syrischer Staatsangehöriger mit seiner marokkanischen Ehefrau und den gemeinsamen Kindern nach Marokko einreist und von den marokkanischen Behörden ein Aufenthaltsrecht für Marokko bekommt – Voraussetzung dafür ist allerdings, dass er von der marokkanischen Botschaft in Wien einen sogenannten „Lettre de confirmation de Visa“ erhält.

Um diesen „Lettre de confirmation de Visa“ zu erhalten müssen u.a. folgende Voraussetzungen unbedingt erfüllt werden:

Die Ehe muss bei einer marokkanischen Botschaft – in diesem Fall der marokkanischen Botschaft in Wien – registriert und anerkannt werden.

Voraussetzungen für eine Niederlassung in Marokko:

Nachdem die Ehe von einer marokkanischen Botschaft registriert und anerkannt wurde, muss bei der marokkanischen Botschaft ein Antrag auf Familienzusammenführung gestellt werden. Dazu ist es notwendig, dass der Antragsteller eine künftige Wohnadresse in Marokko angeben kann und nachweisen kann, dass sein Lebensunterhalt gesichert ist (Kontoauszüge uä).

Um einen Aufenthaltstitel für Marokko zu bekommen, müsste ein syrischer Staatsbürger bei einer marokkanischen Botschaft ein „Visitor-Visum“ (keinesfalls ein Touristen-Visum) beantragen. Dazu benötigt man in der Regel ein Konto bei einer marokkanischen Bank, auf welches regelmäßig Einzahlungen vorgenommen werden/wurden (Pension, Lohn) oder welches ein Guthaben von mindestens 100.000,-- MAD (ca. 9.500 Euro) aufweist.

Ein vorhandener Arbeitsvertrag mit einer in Marokko ansässigen Firma wäre ebenfalls eine Möglichkeit, einen Aufenthaltstitel zu bekommen, allerdings nimmt die Überprüfung des Arbeitsvertrages und die anschließende Erteilung einer Arbeitserlaubnis durch das marokkanische Arbeitsministerium laut Auskunft sehr viel Vorlauf - Zeit in Anspruch (Monate).

Quellen:

VB in Rabat (6.7.2017): Bericht des VB, übermittelt per E-Mail vom 6.7.2017

VB in Rabat (7.7.2017): Antwort des VB auf Nachfrage, übermittelt per E-Mail vom 7.7.2017

Eine nach Marokko zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Marokko mit Stand 09.07.2020.

Einsicht wurde außerdem in den Verwaltungs- und Gerichtsakt zum Asylverfahren des Sohnes genommen, insbesondere in das Erkenntnis I412 2215028-1/8E vom 02.10.2020, woraus sich die Aufenthaltsberechtigung des Sohnes und auch des Lebensgefährten als Asylberechtigte ergibt.

Zusätzlich wurden Auszüge aus dem Zentralen Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Betreuungsinformationssystem, dem Strafregister der Republik Österreich und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger eingeholt. Aus diesen Abfragen konnten Feststellungen zum Wohnsitz und Haushalt getroffen werden, der Bezug der Grundversorgung, die bisherige Erwerbslosigkeit und die Unbescholtenheit festgestellt werden.

2.2. Zur Person:

Die Identität der Beschwerdeführerin steht durch Vorlage eines authentischen Reisepasses fest (IZR).

Die Feststellungen zu ihren Lebensumständen und Angehörigen in Marokko bzw. in Italien und Frankreich, ihrem Gesundheitszustand, ihrer Arbeitsfähigkeit, ihrer Glaubenszugehörigkeit sowie ihrer bisherigen Reisebewegungen gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (AS 11ff) und vor der belangten Behörde (Protokolle vom 21.11.2018 und 16.01.2019).

Die familiären Beziehungen in Österreich ergeben sich aus der vorgelegten Geburtsurkunde des Sohnes, auf der der Lebensgefährte als Vater eingetragen ist und dies auch durch Vaterschaftsanerkenntnis bestätigt wurde (I412 2215028-1).

Dass die Beschwerdeführer außerdem über keine maßgeblichen Bindungen in oder zu Österreich verfügt, ergibt sich einerseits aus der erst kurzen Aufenthaltsdauer von knapp zwei Jahren und ihren eigenen Angaben, wonach sie zwei österreichische Freundinnen habe, mit denen sie sich in französischer, englischer oder durch Körpersprache unterhalte. Integrative Verfestigungen mussten schon mangels Vorbringen verneint werden. Die Beschwerdeführerin legte bislang keinerlei Bestätigungen oder Unterlagen vor, die integrative Schritte belegten könnten. Insbesondere hat sie bislang eine Sprachprüfung nicht nachgewiesen. Anzumerken ist jedoch, dass die Beschwerdeführerin per 01.01.2019 auf Grund einer Beschäftigungsbewilligung von der Grundversorgung abgemeldet wurde.


2.3. Zu den Fluchtmotiven:

Die Beschwerdeführerin erstattete kein Fluchtvorbringen. Eine Verfolgung oder Bedrohung aus Gründen des Art 1 Absch A Z 2 GFK verneinte sie dezidiert in ihrer Einvernahme am 21.11.2018. Bereits bei Asylantragstellung gab sie an: „Ich habe keine Fluchtgründe. Ich bin nicht auf der Flucht. Ich möchte nur bei meinem Mann sein und mit ihm unser gemeinsames (ungeborenes) Kind groß ziehen“. Bei einer Rückkehr in den Heimatstaat fürchte sie nichts (AS 23). Aus ihren Angaben und insbesondere aus Bejahung der Frage, ob sie einen Asylantrag gestellt habe, um ihre unrechtmäßige Einreise zu rechtfertigen (AS 120) ergibt sich, dass ihr keinerlei Verfolgung in Marokko droht.

Da sie auch selbst angab, bei ihren Eltern in einem Haus unter mittelmäßigen wirtschaftlichen Verhältnissen gelebt zu haben (AS 118) und nach Berufsausbildung auch Arbeitserfahrung gesammelt hat, konnte ein weiteres Fortkommen und eine Existenzgrundlage in Marokko festgestellt werden.

2.4. Zu den Feststellungen im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Marokko vom 09.07.2020 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Im angefochtenen Bescheid wurde eine ältere Version des Länderinformationsblattes zitiert. Bezogen auf das individuelle Vorbringen der Beschwerdeführerin haben sich aber keine maßgeblichen Änderungen, und insbesondere keine Verschlechterungen ergeben. Die Beschwerdeführerin trat diesen Quellen und deren Kernaussagen im Herkunftsland nicht entgegen und brachte zu keinem Zeitpunkt vor, in eine existenzbedrohende Lage zu geraten oder einer Verfolgung ausgesetzt zu sein.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

3.1. Zum Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Absch. A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art. 1 Absch. A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Die Beschwerdeführerin erstattete kein Fluchtvorbringen und verneinte ausdrücklich das Vorliegen einer Verfolgung im Sinne des Art. 1 Absch. A Z 2 GFK. Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben.

Auch ein Ableiten des Status einer Asylberechtigten im Rahmen eines Familienverfahrens nach § 34 AsylG 2005, wie es für ihren Sohn geschehen ist (I412 2215028-1), kommt nicht in Betracht. Die Beschwerdeführerin ist mit der Ankerperson nicht verheiratet und ist nur einem Familienangehörigen derselbe Schutzumfang zu gewähren. Im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger nämlich nur, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat.

§ 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 normiert, dass die Bestimmungen des Familienverfahrens auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, nicht anzuwenden sind.

Eine weitere Ableitung des Status eines Asylberechtigten vom Sohn, dem bereits der Status des Asylberechtigten aufgrund des Verfahrens nach § 34 AsylG 2005 zukommt, ist somit nicht möglich.

Die Beschwerde war daher gegen Spruchpunkt I. abzuweisen.

3.2. Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.):

Gemäß § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AsylG 2005 idgF ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage in Marokko (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann. Es kann auf Basis der Länderfeststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass generell jeder im Falle einer Rückkehr nach Marokko mit existentiellen Nöten konfrontiert ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass auch die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. u.a. VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (vgl. u.a. VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 21.08.2001, 200/01/0443 und zuletzt VwGH 25.05.2016, 2016/19-0036-5). Derartige Umstände wurden von der Beschwerdeführerin nicht dargelegt: Sie verfügt über eine schulische Ausbildung, hat eine Berufsausbildung absolviert und bereits Arbeitserfahrung gesammelt. Sie leidet auch nicht an einer schweren Erkrankung und ist somit erwerbsfähig. Es ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät. Außerdem verfügt sie in Marokko über familiäre Anknüpfungspunkte, auf deren Unterstützung sie wieder hoffen kann.

Aufgrund der o.a. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage geraten würde, sodass der erstinstanzliche Ausspruch in Spruchteil II. des angefochtenen Bescheides zu bestätigen war.

3.3. Zu den Spruchpunkten III. bis VI. des angefochtenen Bescheides:

Der mit "Rückkehrentscheidung" betitelte § 52 Abs. 2 FPG lautet:

"§ 52. (1) ...

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige."

Der Antrag auf internationalen Schutz wird mit gegenständlicher Entscheidung abgewiesen.

§ 10 Abs. 1 AsylG 2005 lautet:

"§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird."

Daher wäre gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das BFA die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war der Beschwerdeführerin daher nicht zuzuerkennen.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das BFA einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet wie folgt:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ein Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Familienleben auch zu engen Familienangehörigen (Ehegatten, Kindern) kann gerechtfertigt sein, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme der aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden (eine solche liegt im gegenständlichen Fall allerdings nicht vor) oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den "Familiennachzug" (vgl. etwa VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271; 23.2.2017, Ra 2016/21/0235; 6.9.2018, Ra 2018/18/0026; 23.1.2019, Ra 2018/19/0683, jeweils mwN). Auch darf nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend einbezogen werden, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. etwa VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205, mwN).

Die Beschwerdeführerin führt in Österreich unbestritten ein Familienleben mit ihrem Sohn und ihrem Lebensgefährten. Ihr im November 2018 geborener Sohn ist marokkanischer Staatsbürger und kommt ihm die Flüchtlingseigenschaft zu. Er ist so wie der Lebensgefährte in Österreich asylberechtigt. Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist jedenfalls die Kernfamilie von Eltern und minderjährigen Kindern umfasst. Eine Mutter-Kind-Beziehung wird vom EGMR aufgrund des biologischen Bandes ab dem Zeitpunkt der Geburt als Familienleben qualifiziert, ohne dass weitere Aspekte der Intensität geprüft werden müssten (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx gegen Belgien, Nr. 6833/74, Z. 31. vgl. dazu auch Melina Oswald, Das Bleiberecht, 2012, S. 48 mit weiterführenden Quellen).

Der Verwaltungsgerichtshof sprach bereits wiederholt aus, dass der Bindung eines Fremden an einen österreichischen Ehepartner im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK große Bedeutung zukommt (siehe VwGH 19.12.2012, 2012/22/0218; 26.02.2013, 2012/22/0229; 20.08.2013, 2012/22/0123.) Dies wird umso mehr in Bezug auf die Bindung zu einem minderjährigen Kind zu gelten haben und kann sich dies nicht nur auf die österreichische Staatsangehörigkeit beziehen, sondern muss auch in Österreich Asylberechtigte mitumfassen. Insbesondere ist auch das Wohl des Kindes zu berücksichtigen.

Nach Art. 9 der UN-Konvention über die Rechte des Kindes haben die Vertragsstaaten sicherzustellen, dass ein Kind nicht gegen den Willen seiner Eltern von diesen getrennt wird, außer dies ist zum Wohle des Kindes notwendig. Gemäß § 2 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern hat jedes Kind Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkten Kontakt zu beiden Elternteilen. Art. 7 BVG Kinderrechte enthält allerdings einen materiellen Gesetzesvorbehalt, der jenem des Art. 8 Abs. 2 EMRK aufs Wort gleicht: „Eine Beschränkung der in den Artikeln 1, 2, 4 und 6 dieses Bundesverfassungsgesetzes gewährleisteten Rechte und Ansprüche ist nur zulässig, insoweit sie gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“ Gleichbedeutend hält auch der Verwaltungsgerichtshof in jüngster Rechtsprechung vom 26.02.2020, Ra 2019/18/0299, fest: „Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 MRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG 2014 zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist nämlich (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FrPolG 2005, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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