TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/7 W203 2198268-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.10.2020
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Entscheidungsdatum

07.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W203 2198268-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. Julian A. MOTAMEDI, RA in 1030 Wien, Baumannstraße 9/12A, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2018, Zl. 1098686407/151962202, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, stellte am 09.12.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 11.12.2015 wurde der Beschwerdeführer durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Erstbefragung unterzogen.

3. Am 19.03.2018 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er eingangs an, dass von der Niederschrift der polizeilichen Erstbefragung nur die erste Seite stimme, der Rest aber nicht.

Er gab an, dass er Paschtune, Sunnit und afghanischer Staatsbürger sei. Er sei verheiratet und habe zwei Kinder, die ebenso wie eine verheiratete Schwester des Beschwerdeführers bei der Mutter des Beschwerdeführers in Teheran, Iran lebten. Eine weitere verheiratete Schwester des Beschwerdeführers lebe in Kandahar. Der Vater des Beschwerdeführers sei vor ca. 15 Jahren eines natürlichen Todes gestorben. Ein Bruder des Beschwerdeführers lebe in Österreich und verfüge hier über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten.

Zu seinen Familienangehörigen im Iran bzw. in Kandahar habe er ca. alle zwei Monate Kontakt und wisse so, dass diese dort „keine Probleme“ hätten.

Weiters gab der Beschwerdeführer an, dass er in Afghanistan vier Jahre lang die Koranschule besucht und als Elektriker gearbeitet habe.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, dass sein Vater gemeinsam mit einem Onkel des Beschwerdeführers ein Grundstück besessen habe. Als sein Vater vor ca. 15 Jahren gestorben sei, habe es zunächst keine Probleme wegen des Grundstücks gegeben. Vor ca. acht Jahren habe der Bruder des Beschwerdeführers das Grundstück aufteilen wollen. Im Zuge der Streitigkeiten sei dieser Bruder des Beschwerdeführers getötet worden, ein anderer, älterer Bruder des Beschwerdeführers habe daraufhin die Täter angezeigt, woraufhin dieser ebenfalls bedroht worden und nach Österreich geflüchtet sei. Der Beschwerdeführer selbst sei damals 17 Jahre alt gewesen und habe als Elektriker gearbeitet. Später sei es neuerlich zu Problemen wegen des Grundstücks gekommen, als ihm ein Freund erzählt habe, dass begonnen worden sei, darauf Wände zu errichten. Dass die Wände für eine Moschee gedacht gewesen seien, habe der Beschwerdeführerdamals nicht gewusst. Er sei um die Mittagszeit zu dem Grundstück gefahren, auf dem sich Bauarbeiter befunden hätten. Die Arbeiter hätten ihn angegriffen und gefragt, was er da tue. Der Beschwerdeführer habe alles seiner Mutter erzählt und diese habe dann den Onkel des Beschwerdeführers und dessen Söhne angezeigt, weil diese den Beschwerdeführer geschlagen hätten. Zwei Tage später habe ein Taliban der Mutter des Beschwerdeführers einen Drohbrief gebracht und ihr gesagt, dass dieser ein Ungläubiger sei und zum Gericht kommen müsse, widrigenfalls es Konsequenzen für den Beschwerdeführer haben würde. Die Mutter des Beschwerdeführers habe diesen in die Stadt Kandahar geschickt, wo sich der Beschwerdeführer auch drei Nächte lang aufgehalten habe. Dann hätten die Taliban die Wohnung der Familie angegriffen und den Schwager des Beschwerdeführers geschlagen. Die Mutter des Beschwerdeführers habe daraufhin eine neuerliche Anzeige erstattet und zum Beschwerdeführer gesagt, dass er nicht mehr in seinem Heimatort leben könne, weil er die Mauern einer Moschee zerstört habe. In der Folge sei der Beschwerdeführer schlepperunterstützt nach Österreich geflohen.

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dass dessen Cousins seinen Bruder getötet hätten. Ein Sohn des Onkels des Beschwerdeführers, der das Grundstück für sich beansprucht habe, stehe in einem Naheverhältnis zu den Taliban und habe auf dem Grundstück eine Moschee errichten wollen.

Der Beschwerdeführer könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil ihn die Taliban überall finden würden.

4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 11.05.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen, da er eine Verfolgung nicht glaubhaft machen habe können. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV). Weiters wurde festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und es wurde dem Beschwerdeführer eine Frist zur freiwilligen Ausreise in der Dauer von zwei Wochen gewährt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde ausgeführt, dass dem Bruder des Beschwerdeführers, der im Wesentlichen das gleiche Fluchtvorbringen getätigt habe, in Österreich kein Asylstatus zuerkannt worden sei, weil dessen Vorbringen keine Asylrelevanz zukomme. Gleiches gelte auch für das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers. Weiters sei das Beschwerdevorbringen betreffend das Niederreißen der Wände der in Bau befindlichen Moschee „absolut unglaubhaft“ gewesen. Der Beschwerdeführer habe sich – was die tatsächlichen Besitzverhältnisse an dem Grundstück betreffe – mehrfach widersprochen. Es erscheine auch unwahrscheinlich, dass es dem Beschwerdeführer trotz Anwesenheit vieler Personen auf dem Grundstück gelungen sei, die Wände der Moschee zu zerstören.

Insgesamt habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan einer konkreten und gezielt gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche im Falle einer Rückkehr zu gewärtigen hätte. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass er im Falle einer Rückkehr einer „spürbar stärkeren, besonderen Gefährdung“ ausgesetzt wäre.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht am 11.06.2018 Beschwerde und begründete diese im Wesentlichen damit, dass er in Österreich inzwischen einen „westlichen Lebensstil“ angenommen habe.

6. Einlangend am 14.06.2018 wurde die Beschwerde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - samt zugehörigem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

7. Am 08.09.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu der Beschwerdeführer und die belangte Behörde geladen waren. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.

Im Zuge der Verhandlung legte der der Beschwerdeführer eine aktuelle Arbeitszusage einer Baufirma, drei Empfehlungsschrieben von Privatpersonen, eine VHS-Deutschkursbesuchsbestätigung sowie ein am 12.07.2018 erworbenes A2-Zertifikat vor und gab an, dass er wegen der Verhandlung „etwas gestresst“ sei, ansonsten gehe es ihm gut. Er sei Paschtune und Sunnit.

Er habe Afghanistan vor fünf Jahren verlassen, von seiner Kernfamilie lebe niemand mehr in Afghanistan. Ein ca. 40 Jahre alter Bruder des Beschwerdeführers lebe in Österreich und verfüge hier über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten. Die Nachfrage, ob er wisse, warum sein Bruder diesen Status erhalten habe, verneinte der Beschwerdeführer.

Befragt nach einem typischen Tagesablauf gab der Beschwerdeführer an, dass er am Vormittag einen Deutschkurs besuche, sich anschließend ein Mittagessen zubereite und danach gehe er ins Fitnessstudio oder spiele mit „ein paar österreichischen Freunden“ im Park Volleyball oder Fußball. Er wohne mit seinem Bruder zusammen, für den er auch das Abendessen vorbereite, wenn dieser von seiner Arbeit heimkomme. Obwohl er es ein paar Mal versucht habe, habe er noch keinen Pflichtschulabschluss, weil ihm gesagt worden sei, dass er noch nicht reif dafür wäre. Er habe auch zweimal monatlich „einer älteren Dame, die heute hier im Gericht anwesend sei“, im Büro geholfen. Er habe von diesen Treffen auch sehr profitiert, weil er dabei die deutsche Sprache gelernt habe. Der Beschwerdeführer gab an, dass er seinen Lebensunterhalt „von der Caritas“ bestreite. Er sei nicht Mitglied in einem Verein, spiele aber mit Freunden Fußball und treffe sich oft mit der bereits erwähnten Dame. Befragt nach seinem Freundeskreis gab der Beschwerdeführer an, dass sich darunter zwei bis drei Deutsche, vier bis fünf Österreicher und vier bis fünf Afghanen befinden würden. Als seine „besten Freunde“ würde er einen namentlich genannten Herrn und die schon besagte Dame bezeichnen.

Die Frage, ob er sich auch ohne Unterstützung des Dolmetschers gut auf Deutsch mit dem Richter unterhalten könne, bejahte der Beschwerdeführer. Die auf Deutsch und ohne Dolmetscher gestellte Frage, was ihm an Wien, der Stadt, in der er nun schon mehrere Jahre lebe, besonders gut gefalle, beantwortete der Beschwerdeführer auf Deutsch mit „Die ganze Wien gefällt mir, weil es gibt Sicherheit und schön. Das alles gefällt mir, was gibt es. Ganz Wien ist schön, ganz Österreich ist schön“. Im Zuge der weiterhin auf Deutsch und ohne Dolmetscherübersetzung geführten Konversation gab der Beschwerdeführer auf die Frage, welche österreichischen Persönlichkeiten er kenne, an, dass er viele kenne, konnte konkret aber nur den Leiter einer Baufirma namens „Azmuddin“ (phonetisch) nennen, den er seit vielen Jahren kenne. Die Frage, welche österreichischen Politiker er kenne, beantwortete er mit „Nein, ich kenne einen, aber ich habe keinen Kontakt, keine so. Ich nur weiß das ist, aber ich habe keine Kontakt zu“.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass sein Bruder vor 10 Jahren wegen Grundstückstreitigkeiten Probleme mit einem Onkel gehabt habe. Dieser Bruder habe den ihm zustehenden Anteil des Grundstücks für sich in Anspruch nehmen und verkaufen wollen. Der Beschwerdeführer selbst sei damals „noch sehr klein“ gewesen. Dieser Streit, in den auch die Dorfältesten eingebunden gewesen wären, habe ca. einen Monat lang gedauert, danach sei der Bruder des Beschwerdeführers von dessen Onkel bzw. dessen Söhnen getötet worden. Vor ca. fünf Jahren hätten der Onkel des Beschwerdeführers und dessen Söhne eine Mauer auf dem umstrittenen Grundstück bauen wollen. Ein Freund habe ihm davon erzählt, anschließend sei er gemeinsam mit diesem Freund zu dem Grundstück gegangen und habe die Mauern zerstört. Der Beschwerdeführer sei daraufhin von seinem Cousin und den Leuten, die dort gearbeitet hätten, angegriffen und auf den Kopf geschlagen worden. Zwei Tage später hätten die Taliban einen Drohbrief geschickt, in dem gestanden sei, dass er „murtad“ geworden sei, weil er die Mauern einer Moschee zerstört habe. Die Mutter des Beschwerdeführers habe diesen daraufhin zu einem Freund geschickt, weil er zu Hause nicht mehr sicher gewesen sei. Tatsächlich seien drei Tage später die Taliban zum Haus der Familie des Beschwerdeführers gekommen, um nach diesem zu suchen. Dabei sei der Schwager des Beschwerdeführers geschlagen worden. Daraufhin sei der Beschwerdeführer geflohen und dessen Familie in den Iran gegangen.

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dass das besagte Grundstück im Heimatdorf des Beschwerdeführers rund um das Haus der Familie gelegen und ca. acht bis neun „Jirib“ groß gewesen sei, wobei ein „Jirib“ ungefähr 2000 Quadratmetern entspreche. Die Familie des Beschwerdeführers sei nach dem Tod des Vaters in die Stadt Kandahar gezogen, als der Beschwerdeführer ca. sieben Jahre alt gewesen sei. Auf dem Grundstück seien nur ein paar Bäume gestanden, es zu bewirtschaften hätte die Familie des Onkels des Beschwerdeführers nicht erlaubt. Von der Wohnung in Kandahar aus sei das Grundstück ca. 40 bis 50 Autominuten entfernt gewesen. Der Onkel des Beschwerdeführers habe auf dem Grundstück Weizen angebaut, die Familie des Beschwerdeführers selbst habe aber seit 20 Jahren wirtschaftlich nichts von dem Grundstück gehabt. Die Cousins des Beschwerdeführers hätten auf dem Grundstück eine Moschee errichten wollen, der Beschwerdeführer habe aber zu dem Zeitpunkt, als er die Mauern zerstört habe, nicht gewusst, dass damit eine Moschee errichtet werden sollte, sonst hätte er es nicht gemacht.

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dass die Mauer zu dem Zeitpunkt, als er diese zerstört habe, ca. einen Meter hoch, einen halben Meter stark und 20 Meter lang gewesen sei, wobei diese nicht gerade verlaufen wäre, sondern Ecken gehabt habe. Das Baumaterial sei Lehm gewesen. Der Beschwerdeführer sei – nachdem er von der Existenz der Mauer erfahren habe - mit einem Freund um die Mittagszeit mit einem Motorrad zu dem Grundstück gefahren. Bei der Ankunft beim Grundstück habe er dort seinen Cousin und Arbeiter – insgesamt ungefähr sieben bis acht Personen – vorgefunden, die damit beschäftigt gewesen wären, die Mauer zu errichten. Er sei dort nicht mit der Absicht hingefahren, die Mauer zu zerstören, sondern um mit den Leuten darüber zu reden, was da gebaut werde, und warum sie seinen Bruder umgebracht hätten. Er wisse selbst nicht, warum er dann dermaßen in Rage geraten sei, dass er mit bloßen Händen und Füßen die Mauer zerstört habe. Er habe nur einen kleinen Teil der Mauer zerstört, danach seien die Leute auf ihn losgegangen und er Beschwerdeführer sei wieder weggegangen. Der Beschwerdeführer gab an, dass man als „murtad“ bezeichnet werde, wenn man eine Moschee zerstöre, er habe aber deswegen nicht ums Leben kommen wollen.

Zwei Tage nach diesem Vorfall seien die Drohbriefe gekommen, die der Beschwerdeführer zunächst nicht ernst genommen habe. Ein Cousin des Beschwerdeführers namens XXXX sei Mullah und habe gewollt, dass sich dieser einer Art Versammlung stelle, bei der der Mullah beweisen habe wollen, dass der Beschwerdeführer „murtad“ geworden sei, um diesen durch Steinigung töten zu lassen. Aus Angst sei der Beschwerdeführer aber nicht zu der Versammlung gegangen, weil er befürchtet habe, dass man ihm dort nicht glauben würde.

Zwischen dem Tag, als der Beschwerdeführer die Mauer zerstört habe und dem Tag seiner Flucht aus Afghanistan seien ca. fünf bis sechs Tage vergangen, etwa einen Monat später habe auch die Familie des Beschwerdeführers das Land Richtung Iran verlassen. Im Falle einer Rückkehr befürchte der Beschwerdeführer, getötet zu werden, weil er „murtad“ geworden sei. Sein Onkel und seine Cousins würden ihn überall suchen. Er habe auch niemanden mehr in Afghanistan, bei dem er leben könnte.

Auf Nachfrage durch seinen Vertreter gab der Beschwerdeführer an, dass sein in Österreich lebender Bruder „sein ein und alles“ sei, dass er mit diesem über alles rede und sehr viel Zeit verbringe und dass dieser sein bester Freund sei. Die korrekte Übersetzung des Wortes „murtad“ ins Deutsche würde „Verräter der Religion“ sein.

Der Vertreter des Beschwerdeführers ersuchte, binnen einer Woche eine Stellungnahme betreffend „Murtadhandlungen“ und Apostasie nachreichen zu können. Diesem Ersuchen wurde vom erkennenden Richter stattgegeben.

Auf Antrag des Vertreters des Beschwerdeführers wurde Fr. XXXX im Rahmen der Verhandlung als Zeugin befragt. Dabei gab sie an, dass sie seit ihrem 35. Lebensjahr zunächst in der Pfarre und anschließend im Verein Pflegehospiz „extrem engagiert“ wäre. Den Beschwerdeführer habe sie 2016 kennengelernt. Der Verein hätte den Asylwerbern einen Veranstaltungsraum für Deutschkurse zur Verfügung gestellt und diesen die Fahrtkosten erstattet, da diese sonst keine Chance gehabt hätten, Deutsch zu erlernen. Sie sei mit dem Beschwerdeführer inzwischen eng befreundet und treffe diesen regelmäßig.

8. In einer Stellungnahme vom 08.09.2020 führte der Vertreter des Beschwerdeführers aus, dass das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum „Landinfo“ in einem Bericht vom September 2013 ausführe, dass Apostasie in der klassischen Scharia als „Weggehen vom Islam“ bezeichnet werde. Genau das werde dem Beschwerdeführer von den Taliban unterstellt. Die Handlung des Beschwerdeführers könne außerdem auch als Blasphemie bezeichnet werden.

Der Beschwerdeführer verfüge über keinerlei sozialen Kontakte in Afghanistan, auf die er zurückgreifen könne. Im Falle einer Rückkehr wäre daher für den Beschwerdeführer ein mit der EMRK in Einklang zu bringendes Leben völlig ausgeschlossen. Er würde – unabhängig von seiner Abkehr vom Islam – bereits kurz nach seiner Einreise schon deswegen verhaftet werden, da er weder über eine Tazkira noch die finanziellen Mittel verfüge, sich im Falle einer Polizeikontrolle „freikaufen“ zu können.

Außerdem halte sich der Beschwerdeführer schon fast fünf Jahre in Österreich auf und sei hier überdurchschnittlich gut integriert, weswegen in eventu ein Aufenthaltstitel erteilt werden könnte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seiner Familie:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , er ist am XXXX in der Provinz Kandahar in Afghanistan geboren und dort auch aufgewachsen. Er ist afghanischer Staatsbürger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Paschtu. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Ehefrau und seine beiden Kinder leben ebenso wie die Mutter und eine Schwester des Beschwerdeführers in Teheran, Iran. Der Vater des Beschwerdeführers ist vor etwa 18 Jahren verstorben, ein älterer Bruder des Beschwerdeführers lebt in Österreich, wo er über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten verfügt. In Afghanistan hat der Beschwerdeführer keine nahen Verwandten mehr.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan im Jahr 2015 verlassen und ist spätestens am 09.12.2015 illegal in Österreich eingereist.

Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan vier Jahre lang die Koranschule besucht und als Elektriker gearbeitet.

Der Beschwerdeführer befindet sich in einem guten gesundheitlichen Zustand.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan aufgrund der dort herrschenden allgemein schlechten Lage verlassen.

Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr eine konkrete, gegen ihn als Einzelperson gerichtete Verfolgung weder durch die Taliban oder durch eine sonstige politische Gruppierung noch aufgrund eines etwaigen tatsächlichen oder ihm zumindest unterstellten „Abfalls vom Islam als dem wahren Glauben“.

Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr keine Verfolgung aufgrund von Grundstückstreitigkeiten.

Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr auch keine Verfolgung aus einem sonstigen in der GFK genannten asylrelevanten Grund.

1.3. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer hält sich seit vier Jahren und zehn Monaten in Österreich auf. Er hat diesen Zeitraum nicht bzw. nur wenig genützt, um sich in Österreich sozial zu integrieren.

Der Beschwerdeführer, der in einer Wohnung zusammen mit seinem subsidiär schutzberechtigten Bruder lebt, verbringt seine Zeit mit Deutschlernen, der Führung des Haushalts und sportlichen Betätigungen. Zweimal in der Woche hilft er einer „älteren Dame“ im Büro aus, dabei erhält er auch Deutschunterricht von dieser. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt mit Geld aus der Grundversorgung.

Der – eher lose - Freundeskreis des Beschwerdeführers besteht aus einigen wenigen deutschen Staatsbürgern, vier bis fünf Österreichern und ebenso vielen Afghanen. Er verfügt in Österreich über einen familiären Anknüpfungspunkt in Gestalt seines Bruders, der für ihn ebenso wie die erwähnt Dame, von der er Deutschunterricht erhält, eine wichtige Bezugsperson darstellt. Der Beschwerdeführer ist nicht Mitglied in einem Verein.

Der Beschwerdeführer verfügt über schlechte Deutschkenntnisse, versteht auf Deutsch an ihn gerichtete Fragen nur teilweise und ist – wenn überhaupt – nur in der Lage, in einfachen Sätzen und mit entsprechenden Pausen auf Deutsch zu kommunizieren. Er verfügt – bezogen auf seine bereits relativ lange Aufenthaltsdauer in Österreich - über nur mäßige, eher als unterdurchschnittlich zu bezeichnende Deutschkenntnisse.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in seine Heimatprovinz Kandahar aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Der Beschwerdeführer ist im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung bzw. Abschiebung nach Afghanistan nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder chronischen Krankheiten, welche einer Rückkehr nach Afghanistan entgegenstehen.

Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan mit hoher Wahrscheinlichkeit mit für ihn schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen an Covid-19 erkranken wird.

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Bezugnehmend auf die sonstigen Verfahrensergebnisse sind vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in Afghanistan keine Hinweise auf eine allfällige Gefährdung des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat hervorgekommen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif ist der Beschwerdeführer in der Lage, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft zu befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen, in Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich mit den daraus zu erzielenden Einkünften selbst erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.5. Zur aktuellen Lage in Afghanistan:

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, zuletzt gesamtaktualisiert am 13.11.2019 und mit der zuletzt eingefügten Kurzinformation vom 18.05.2020, wird auszugsweise und beschränkt auf die relevanten Abschnitte wie folgt angeführt:

1.5.1. Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).

1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses Systemfunktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.5.3. Zur aktuellen Lage hinsichtlich Covid-19:

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblemen bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen, Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommission gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

1.5.4. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.5.5. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer „feindlicher“ Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militärs, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer „Verurteilung“ durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich „feindseligen“ Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen. (Landinfo 1, Kapitel 4)

1.5.6. Rekrutierung durch die Taliban

Menschen schließen sich den Taliban zum einen aus materiellen und wirtschaftlichen Gründen zum anderen aus kulturellen und religiösen Gründen an. Die Rekruten sind durch Armut, fehlende Chancen und die Tatsache, dass die Taliban relativ gute Löhne bieten, motiviert. Es spielt auch die Vorstellung, dass die Behörden und die internationale Gemeinschaft den Islam und die traditionellen Standards nicht respektieren würden, eine zentrale Rolle, wobei sich die Motive überschneiden. Bei Elitetruppen sind beide Parameter stark ausgeprägt. Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junger Männer, deren Motiv der Wunsch nach Rache, Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind (Landinfo 2, Kapitel 4.1). Die Billigung der Taliban in der Bevölkerung ist nicht durch religiöse Radikalisierung bedingt, sondern Ausdruck der Unzufriedenheit über Korruption und Misswirtschaft (Landinfo 2, Kapitel 4.1.1).

Die Taliban sind aktiver als bisher bemüht, Personen mit militärischem Hintergrund sowie mit militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Die Taliban versuchen daher das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte auf ihre Seite zu ziehen. Da ein Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrungen gelegt wird, ist mit einem Anstieg des Durchschnittsalters zu rechnen Landinfo 2, Kapitel 3). Durch das Anwerben von Personen mit militärischem Hintergrund bzw. von Mitgliedern der Sicherheitskräfte erhalten Taliban Waffen, Uniformen und Wissen über die Sicherheitskräfte. Auch Personen die über Knowhow und Qualifikationen verfügen (z.B. Reparatur von Waffen), können von Interesse für die Taliban sein (Landinfo 2, Kapitel 5.1).

Die Mehrheit der Taliban sind Paschtunen. Die Rekrutierung aus anderen ethnischen Gruppen ist weniger üblich. Um eine breitere Außenwirkung zu bekommen, möchte die Talibanführung eine stärkere multiethnische Bewegung entwickeln. Die Zahl der mobilisierten Hazara ist unerheblich, nur wenige Kommandanten der Hazara sind mit Taliban verbündet. Es ist für die Taliban wichtig sich auf die Rekruten verlassen zu können (Landinfo 2, Kapitel 3.3).

Die Taliban waren mit ihrer Expansion noch nicht genötigt Zwangsmaßnahmen zur Rekrutierung anzuwenden. Zwangsrekrutierung ist noch kein herausragendes Merkmal für den Konflikt. Die Taliban bedienen sich nur sehr vereinzelt der Zwangsrekrutierung, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (Landinfo 2, Kapitel 5.1). Die Taliban betreiben eine Zwangsrekrutierung nicht automatisch. Personen die sich gegen die Rekrutierung wehren, werden keine rechtsverletzenden Sanktionen angedroht. Eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis steht auch den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen. Es kommt nur in Ausnahmefällen und nur in sehr beschränktem Ausmaß zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Zudem ist es schwierig einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen (Landinfo 2, Kapitel 5.1).

Im Kontext Afghanistans verläuft die Grenze zwischen Jungen und Mann fließend. Ausschlaggebend für diese Beurteilung sind Faktoren wie Pubertät, Bartwuchs, Mut, Unabhängigkeit, Stärke und die Fähigkeit die erweiterte Familie zu repräsentieren. Der Familienälteste ist das Oberhaupt, absolute Loyalität gegenüber getroffenen Entscheidungen wird vorausgesetzt. Kinder unterstehen der Obrigkeit der erweiterten Familie. Es stünde im Widerspruch mit der afghanischen Kultur, würde man Kinder gegen den Wunsch der Familie und ohne entsprechende Entscheidung des Familienverbandes aus dem Familienverband „herauslösen“ (Landinfo 2, Kapitel 6).

1.5.7. Provinzen und Städte

1.5.7.1. Provinz Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Die Provinz hat 1.475.649 Einwohner (LIB, Kapitel 3.5).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Afghanistans. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Im Jahr 2018 gab es 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.5).

In der Provinz Balkh – mit Ausnahme der Stadt Mazar- e Sharif – kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Die Hauptstadt der Provinz Balkh ist Mazar-e Sharif. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden, da sie den Antragsteller in risikoreichere Situationen bringen könnten (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

1.5.7.2. Provinz Herat

Herat liegt im Westen Afghanistans. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Die Provinz hat 2.095.117 Einwohner. Die Provinz ist über einen Flughafen in der Nähe von Herat-Stadt zu erreichen (LIB, Kapitel 3.13).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, in dem die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte. Im Jahr 2018 gab es 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.13).

In der Provinz Herat - mit Ausnahme in der Stadt Herat - kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Die Hauptstadt der Provinz ist Herat-Stadt. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

1.5.7.3. Provinz Kandahar:

Die Provinz Kandahar liegt im Süden Afghanistans und grenzt im Norden an Uruzgan und Zabul, im Westen an Helmand (UNOCHA 4.2014) und im gesamten Süden und Osten teilt sich Kandahar eine lange Grenze mit Pakistan (AAN 12.8.2019; vgl. UNOCHA 4.2014). Kandahar ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Arghandab, Arghistan, Daman, Ghorak, die Provinzhauptstadt Kandahar, Khakrez, Maruf, Maiwand, Miyanishin, Nesh, Panjwayee, Reg (Shiga), Shah Wali Kot, Shorabak, Spin Boldak und Zhire (CSO 2019; vgl. IEC 2018) sowie die „temporären“ Distrikte Dand und Takhta Pul (CSO 2019; vgl. IEC 2018; AAN 16.8.2018). Temporäre Distrikte sind Verwaltungseinheiten, die nach Inkrafttreten der Verfassung 2004 vom Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, aber noch nicht vom Parlament beschlossen wurden (AAN 16.8.2018).

Nach Schätzungen der afghanischen zentralen Statistikorganisation (CSO) beträgt die Bevölkerung von Kandahar für den Zeitraum 2019-20 1.368.036, davon 614.254 Personen in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Paschtunen sind die mit Abstand größte Bevölkerungsgruppe Kandahars. Zudem gibt es kleinere Gruppen von Belutschen, Hazara und Tadschiken sowie anderen Ethnien, die normalerweise als Farsiwan, d.h. Farsi/Dari-Sprecher bezeichnet werden (AAN 12.8.2019; vgl. NPS o.D.).

Die Ring Road verbindet die Provinzhauptstadt Kandahar mit den großen Ballungszentren Herat und Kabul. Eine nordwärts führende Straße in Richtung Uruzgan teilt sich in Kandahar-Stadt. Auf dem Weg nach Süden verbindet eine Straße die Stadt Kandahar mit dem afghanisch-pakistanischen Grenzübergang Spin Boldak-Chaman (iMMAP 19.9.2017; vgl. TD 5.12.2017), einem der bedeutsamsten Grenzübergänge Afghanistans (AAN 12.8.2019). Spin Boldak und Chaman sollen wichtige Schmugglerzentren sein (AAN 12.8.2019). In der Vergangenheit wurde von sicherheitsrelevanten Vorfällen auf der Autobahn zwischen Sheberghan und Mazar-e Sharif berichtet. Reisende gerieten demnach ins Kreuzfeuer, als Sicherheitskräfte und Taliban-Aufständische auf der Autobahn in den Distrikten Aqchah in Jawzjan und Char Buluk in Balkh zusammenstießen (PAJ 18.11.2018). In Kandahar-Stadt gibt es einen Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Im Jahr 2016 wurde das Pipeline-Projekt Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien (TAPI) eingeweiht (TN 24.2.2018), das darauf abzielt, Gas von Turkmenistan nach Indien zu transportieren (TN 17.6.2019; vgl. MENAFN 13.4.2019; TN 24.2.2018). Die Pipeline soll durch Afghanistan entlang der Ring Road von Herat nach Kandahar führen (TN 24.2.2018) und auch Afghanistan mit turkmenischem Gas versorgen. Zudem wurde von der afghanischen und turkmenischen Regierung unter anderem eine Absichtserklärung zu Stromlieferungen an Afghanistan unterzeichnet. Neben Herat und Farah soll dabei auch in Kandahar ein Umspannwerk entstehen (TN 17.6.2019; vgl. MENAFN 13.4.2019).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 war Kandahar nach dem benachbarten Helmand im Jahr 2018 das zweitgrößte Schlafmohnanbaugebiet Afghanistans. Im Vergleich zu 2017 ist die Größe der Anbaufläche in Kandahar 2018 um 16% gesunken. Die wichtigsten Anbaugebiete von Schlafmohn sind Berichten zufolge die Distrikte Maiwand, Zhire, Nesh, Spin Boldak und Panjwayee (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Kandahar ist angeblich der „Geburtsort“ der Taliban und hat daher symbolische Bedeutung für die Gruppe (ISW o.D.; vgl. AAN 12.8.2019; EC 18.5.2019). Während der Talibanherrschaft 1996-2001 lag der Sitz der Taliban in Kandahar (AAN 12.8.2019; vgl. AJ 18.7.2019) und nach ihrem Sturz im Jahr 2001 war Kandahar jener Ort, in dem sich die Taliban neu gruppierten und begannen, die NATO-Truppen zu bekämpfen (EC 18.5.2019; vgl. AJ 18.7.2019). Darüber hinaus kommt Kandahar aufgrund seiner geographischen Lage an der Grenze zur pakistanischen Provinz Belutschistan, die als sicherer Hafen der Taliban gilt und als wichtiges Rekrutierungszentrum dient sowie der Rolle des Schlafmohnanbaus in der Provinz strategische Bedeutung zu (LWJ 19.10.2017; vgl. REU 22.5.2018).

Der einflussreiche Polizeichef General Abdul Razeq, der die Taliban ab 2011 aus Kandahar-Stadt sowie Zentral- und Westkandahar vertrieben und für relative Stabilität im Süden Afghanistans gesorgt hat, wurde im Oktober 2018 ermordet (AAN 12.8.2019). Die Parlamentswahl, die kurze Zeit später stattfinden hätte sollen, wurde in Kandahar daher um eine Woche verschoben (AAN 26.10.2018; vgl. UNGASC 28.2.2019). Befürchtungen, dass das von Razeq errichtete Sicherheitsregime nach seinem Tod zugunsten der Taliban zusammenbrechen würde, bewahrheiteten sich bislang nicht – jedoch soll es zu vermehrten Kämpfen gekommen sein (AAN 12.8.2019). Unter Razeqs Nachfolger (und Bruder) Tadin Khan kontrollieren die Regierungskräfte mit Stand August 2019 Zentralkandahar, während die Taliban in entlegeneren Distrikten Zugewinne gemacht haben (AAN 14.8.2019).

Führer und Mentoren von Al-Qaida sind unter anderem in Kandahar aktiv, wobei ihre Gesamtanzahl in Afghanistan auf rund 240 Personen geschätzt wird, wovon sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul aufhalten (UNSC 13.6.2019).

Aufseiten der Regierungskräfte untersteht Kandahar der Verantwortung des 205. ANA Corps (USDOD 6.2019; vgl. NATO 16.7.2018) das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - South (TAAC-S) untersteht, welche von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 467 zivile Opfer (121 Tote und 346 Verletzte) in der Provinz Kandahar. Dies entspricht einem Rückgang von 13% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate), gefolgt von Selbstmordangriffen und Suchoperationen (UNAMA 2.2020).

Die Sicherheitslage in der Provinz Kandahar hat sich, Informationen im August 2019 zufolge, in den letzten Monaten verschlechtert (KP 17.8.2019; vgl. AAN 12.8.2019). Die Taliban sind in manchen Distrikten aktiv und führten oft terroristische Aktivitäten durch, während die Regierungskräfte regelmäßig Operationen gegen die bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppierungen vornehmen (KP 17.8.2019). Die afghanischen Sicherheitskräfte führen mit Unterstützung ausländischer Streitkräfte 2018 und 2019 regelmäßig Operationen in Kandahar durch (z.B. KP 17.6.2019; vgl. BAMF 17.6.2019; KP 6.7.2019; KP 20.5.2019; KP 28.1.2019; KP 22.1.2019; PAJ 19.1.2019; PAJ 4.1.2019; RFE/RL 5.10.2018). Auch kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen der Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften (KP 18.7.2019; vgl. KP 16.6.2019, PAJ 5.1.2019) sowie Angriffe auf Kontrollposten der afghanischen Sicherheitskräfte (RFE/RL 9.4.2019; PAJ 30.3.2019, AN 2.1.2019, ARN 17.7.2018).

1.5.7.4. Stadt Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghani

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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