TE OGH 2020/10/21 7Ob104/20z

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Veröffentlicht am 21.10.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und und die Hofrätin und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. U***** A*****, 2. G***** G*****, beide *****, vertreten durch Wiedenbauer Mutz Winkler & Partner Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt und deren Nebenintervenientin G***** B*****, vertreten durch Mag. Rolf Gabron, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, gegen die beklagte Partei Versicherungsverein N*****, vertreten durch Dr. Christof Herzog, Rechtsanwalt in Feldkirchen in Kärnten, wegen 49.066,50 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 3. April 2020, GZ 2 R 193/19y-43, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 30. September 2019, GZ 49 Cg 91/18z-36, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Kläger sind jeweils Hälfteeigentümer eines Appartementwohnhauses, das seit Mai 2017 über die Nebenintervenientin touristisch vermietet wird. Sie wickelt das Bewerben des Objekts und die gesamte Vermietung ab, bereitet das Appartementhaus – indem sie es auch mit Hilfe ihres Ehegatten reinigt, die Betten bezieht oder den Schnee räumt – gänzlich vor und nach, organisiert den Check-In und Check-Out und hebt die Mietzinse und Kurtaxen ein. In Ausnahmefällen und bei Verfügbarkeit wird das Objekt von den – sonst in Israel aufhältigen – Klägern genutzt.

Zwischen den Streitteilen besteht – betreffend das Wohnhaus – eine Eigenheimversicherung, der die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS 2010/07) und die Allgemeinen Bedingungen für die Leitungswasserversicherung (AWB 2010/07) zugrunde liegen.

Diese lauten auszugsweise:

Allgemeine Bedingungen für die Sachversicherung

„[…]

Art 3

Sicherheitsvorschriften

Soweit nichts anderes vereinbart ist, gilt:

(1) Verletzt der Versicherungsnehmer gesetzliche, behördliche oder vereinbarte Sicherheitsvorschriften oder duldet er ihre Verletzung, kann der Versicherer innerhalb eines Monats, nachdem er von der Verletzung Kenntnis erlangt hat, die Versicherung mit einmonatiger Frist kündigen. Das Kündigungsrecht erlischt, wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Verletzung bestanden hat.

(2) Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Schadenfall nach der Verletzung eintritt und die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers beruht. Die Verpflichtung zur Leistung bleibt bestehen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Schadenfalls oder soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der Entschädigung gehabt hat, oder wenn zur Zeit des Schadenfalls trotz Ablaufs der Frist die Kündigung nicht erfolgt war.

(3) Im Übrigen gilt § 6 VersVG. Ist mit der Verletzung einer Sicherheitsvorschrift eine Gefahrenerhöhung verbunden, finden die Bestimmungen über die Gefahrenerhöhung Anwendung.

[…].“

Allgemeine Bedingungen für die Leitungswasserversicherung:

„[…]

Art 1

Versicherte Gefahren und Schäden

1. Versichert sind Schäden, die durch die unmittelbare Einwirkung von Leitungswasser eintreten, das aus wasserführenden Rohrleitungen, Armaturen oder angeschlossenen Einrichtungen austritt (Schadenereignis).

Versichert sind auch Schäden, die als unvermeidliche Folgen dieses Schadenereignisses eintreten.

2. Nur bei der Versicherung von Gebäuden gelten zusätzlich als Schadenereignis:

2.1 Frostschäden an wasserführenden Rohrleitungen, Armaturen oder angeschlossenen Einrichtungen,

2.2 Bruchschäden an wasserführenden Rohrleitungen.

[…]

Art 5

Obliegenheiten des Versicherungsnehmers vor dem Schadenfall

[…]

2. Werden Gebäude, Wohnungen oder andere Räumlichkeiten mit Wasseranlagen nicht benützt bzw länger als 72 Stunden von allen Personen verlassen, sind alle Wasserzuleitungen abzusperren und geeignete Maßnahmen gegen Frostschäden zu treffen. Eine fallweise Begehung der Gebäude, der Wohnungen oder der betroffenen Räumlichkeiten genügt nicht.

Die Zuleitungen zu wasserführenden Schutzeinrichtungen (zum Beispiel Sprinkleranlagen, Wasseranschlüsse für die Feuerwehr) müssen nicht abgesperrt werden, es sind jedoch geeignete Maßnahmen gegen Frostschutz zu treffen.

3. Die vorstehenden Obliegenheiten gelten als vereinbarte Sicherheitsvorschriften gemäß Art 3 ABS. Ihre Verletzung führt nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zur Leistungsfreiheit des Versicherers.

[…].“

Am 7. 12. 2017 suchte die Nebenintervenientin gegen 10:30 Uhr das Appartementhaus auf, weil es am 9. 12. 2017 gereinigt werden sollte. Sie aktivierte die Heizkörper, drehte den Zentralwasseranschluss und den Boiler auf und vor ihrem Verlassen des Hauses nach etwa 30 Minuten nicht wieder ab. Am späten Nachmittag des 7. 12. 2017 begab sich ihr Ehemann in das Appartementhaus, um einen Reinigungsspray zu holen, er verließ dieses nach etwa 4 Minuten wieder. Anzeichen eines Wasserschadens bestanden zu diesem Zeitpunkt nicht. Da die geplante Reinigung am 9. 12. 2017 nicht durchgeführt wurde, blieb das Appartementhaus bis 10. 12. 2017 unbesucht. Am 10. 12. 2017 gegen 14 Uhr entdeckte ein Nachbar Durchfeuchtungsschäden an der Fassade und meldete dies.

Am Zustandekommen des zwischen den Klägern und der Beklagten abgeschlossenen Eigenheim-versicherungsvertrags war die Nebenintervenientin nicht beteiligt. Sie wurde von den Klägern zu keinem Zeitpunkt beauftragt, diesen Eigenheimversicherungsvertrag abzuwickeln. Sie kannte den Vertrag nicht und sprach mit den Klägern auch zu keinem Zeitpunkt über dessen Inhalt. Von den Klägern wurde weder die Nebenintervenientin noch ein Dritter beauftragt, die Versicherungsbedingungen, insbesondere Art 5.2 AWB, wonach Zuleitungen abzusperren sind, wenn das Appartementhaus länger als 72 Stunden verlassen ist, einzuhalten.

Die Kläger begehrten zuletzt die Zahlung von 49.066,50 EUR sA. In dem für touristische Zwecke vermieteten Appartementwohnhaus sei es zwischen dem 7. 12. 2017 und 10. 12. 2017 zum Austritt von Leitungswasser gekommen, was zu massiven Durchfeuchtungsschäden an Gebäude sowie an Inventar geführt habe. Die Kläger hätten keine Obliegenheiten verletzt, da das Objekt nicht 72 Stunden unbeaufsichtigt gewesen sei. Darüber hinaus sei es aufgrund einer – den Klägern bis zum Schadenereignis nicht
bekannten – fehlerhaften Rohrverlegung zu dem Wasseraustritt gekommen. Eine allfällige Obliegenheitsverletzung habe sich somit nicht auf das Schadenereignis ausgewirkt. Die Feuchtigkeitsschäden seien zudem zur Gänze innerhalb der ersten 72 Stunden entstanden, weshalb die behauptete Obliegenheitsverletzung nicht kausal sei. Im Übrigen sei die Nebenintervenientin nicht mit der Abwicklung des Versicherungsvertrags betraut gewesen, ihr Verhalten sei den Klägern nicht zuzurechnen. Sie selbst treffe kein Verschulden, weil die von ihnen beauftragte Nebenintervenientin die Abwicklung der Vermietung übernommen und sich dabei um das Objekt gekümmert habe, weshalb die Kläger keinen Anlass gehabt hätten, daran zu zweifeln, dass die Nebenintervenientin ihren Aufgaben auch nachkomme.

Die Nebenintervenientin schloss sich im Wesentlichen dem Vorbringen der Kläger an. Es liege kein pflichtwidriges Verhalten der Nebenintervenientin vor, deren vertragliche Verpflichtungen ausschließlich die touristische Vermarktung der Wohnungen und die Abwicklung der Vermietung, nicht jedoch die Organisation, Betreuung und Verwaltung des Objekts, umfasst hätten.

Die Beklagte beantragte die kostenpflichtige Klagsabweisung. Das versicherte Gebäude sei mit der Absicht verlassen worden, dieses erst nach weit mehr als 72 Stunden wieder zu betreten, und länger als 72 Stunden von allen Personen verlassen gewesen, ohne dass ein Absperren aller Wasserzuleitungen, insbesondere der Hauptwasserzuleitung stattgefunden habe. Eine fallweise Begehung der Gebäude, der Wohnungen oder der betreffenden Räumlichkeiten genüge nicht. Der der Nebenintervenientin erteilte Auftrag zur Vermietung umfasse konkludent auch die Abwicklung des Versicherungsvertrags, insbesondere die Einhaltung der Versicherungsbedingungen sowie der Pflichten und Obliegenheiten des Versicherungsnehmers, sodass eine Verletzung der Obliegenheit durch die Nebenintervenientin den Klägern zuzurechnen sei. Widrigenfalls hätten die in Israel wohnhaften Kläger jedenfalls grob fahrlässig den Schadenfall herbeigeführt, indem für die Zeiträume ihrer Abwesenheit keine Vorsorge getroffen worden sei, dass die Obliegenheit nach Art 5.2 AWB eingehalten werde. Die Kläger hätten daher jedenfalls eine Verletzung dieser Obliegenheit zu verantworten, sodass die Beklagte bereits dem Grunde nach leistungsfrei sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die ganzjährig in Israel aufhältigen Kläger hätten in keiner Weise dafür Sorge getragen, dass die Wasserzuleitungen abgesperrt würden, wenn das Appartementhaus länger als 72 Stunden von allen Personen verlassen sei. Die von der Beklagten dargetane Verletzung der Obliegenheit nach Art 5.2 AWB beruhe auf grob fahrlässigem Verhalten der Kläger.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in ein Zwischenurteil dahin ab, dass das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, den Klägern 49.066,50 EUR sA zu bezahlen, dem Grunde nach zu Recht bestehe. Die Nebenintervenientin habe die Vorbereitung des Appartementhauses für (anreisende) Gäste übernommen. Sie sei im Zuge solcher vorbereitenden Tätigkeiten auch beim Öffnen des Wassersperrventils für die Kläger tätig gewesen, weshalb sie ihnen zuzurechnen sei. Nach § 61 VersVG sei der Versicherer von der Verpflichtung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt habe. Hier habe der Versicherer zwar die objektive Verletzung der Obliegenheit durch die Versicherungsnehmer bewiesen, das Appartementhaus sei länger als 72 Stunden von allen Personen verlassen gewesen, ohne dass die Wasserzuleitungen abgesperrt worden seien. Grobe Fahrlässigkeit der Nebenintervenientin sei jedoch zu verneinen, weil die für 9. 12. 2017 geplante Reinigung zwar nicht durchgeführt worden sei, aber unstrittig am 11. 12. 2017 hätte erfolgen sollen. Damit wären die 72 Stunden nur um rund einen Tag überschritten gewesen. Diese Überschreitung des Zeitraums von 72 Stunden bis zur Benachrichtigung durch den Nachbarn sei als leichte Fahrlässigkeit der Nebenintervenientin zu werten. Im Übrigen würden schon nach dem ersten Anschein die Umstände dafür sprechen, dass der Schaden bereits bis zum 10. 12. 2017, 11:00 Uhr, eingetreten sei, weil bereits um 14:00 Uhr dieses Tages die durchfeuchtete Fassade erkannt worden sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kläger und die Nebenintervenientin begehren in den freigestellten Revisionsbeantwortungen jeweils, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Voranzustellen ist im Hinblick auf die Revisionsbeantwortung der Kläger, dass nur G***** B***** dem Verfahren als Nebenintervenientin beigetreten ist.

2. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbesondere T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

3.1  Nach § 61 VersVG ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeiführt. Es handelt sich dabei um einen (verhaltensabhängigen) Risikoausschluss (RS0080128).

3.2 Art 5.2 AWB fordert – soweit hier interessierend – dass in dem Fall, dass Gebäude, Wohnungen oder andere Räumlichkeiten mit Wasserzuleitungsanlagen länger als 72 Stunden von allen Personen verlassen werden, alle Wasserzuleitungen abzusperren sind. Die Bestimmung verlangt damit ein besonderes Verhalten des Versicherungsnehmers. Es handelt sich um eine (vorbeugende) Obliegenheit (7 Ob 132/19s mwN).

3.3 Der Oberste Gerichtshof hat sich auch bereits mit vergleichbaren Klauseln (Art 19.2 ABE 2004; Art 5.2 AWB 2002) im Zusammenhang mit einem zu Wohnzwecken benutzten Gebäude befasst und zur Frage, wann von einem „Verlassen“ des Gebäudes auszugehen ist, ausgesprochen, dass es darauf ankommt, ab wann und innerhalb welchen Zeitraums das Gebäude nicht bewohnt wurde (7 Ob 66/12z; 7 Ob 190/15i). Dem Hinweis, dass ein fallweises Begehen nicht genügt, kommt damit lediglich klarstellende Bedeutung zu.

3.4 Hier wurde eine Eigenheim/Haushaltsversicherung für ein Wohnhaus abgeschlossen und im Antrag die Privatzimmervermietung offen gelegt. Der Umstand, dass das Gebäude nicht zu Hauptwohnzwecken, sondern – wie beabsichtigt – hier nur zur Privatzimmervermietung verwendet wurde (werden sollte), führt daher – entgegen der Ansicht der Kläger und der Nebenintervenientin – zu keinem anderen Auslegungsergebnis.

4.1 Die Beklagte gründet ihre Leistungsfreiheit auf die Verletzung der – wie eben aufgezeigt – vorbeugenden Obliegenheit nach Art 5.2 AWB. Die Rechtsfolgen einer vereinbarten Obliegenheiten ergeben sich aber aus § 6 VersVG und nicht – wie das Berufungsgericht meint – aus dem einen Risikoausschluss regelnden Art 61 VersVG.

4.2 § 6 Abs 1 VersVG erlaubt für den Fall einer sogenannten schlichten (das heißt nicht risikobezogenen) Obliegenheit die Vereinbarung der gänzlichen Leistungsfreiheit des Versicherers und zwar für den Fall, dass den Versicherungsnehmer an der Obliegenheitsverletzung ein Verschulden trifft. Gemäß § 6 Abs 2 VersVG kann sich der Versicherer bei der Verletzung einer Obliegenheit, die der Versicherungsnehmer zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder der Verhütung der Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber – unabhängig von der Anwendbarkeit des Abs 1a – zu erfüllen hat, auf die vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls oder soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat (vorbeugende Obliegenheit). Abs 2 eröffnet dem Versicherungsnehmer somit einen Kausalitätsgegenbeweis (7 Ob 132/19s).

4.3 Nach Art 5.3 AWB gelten die in Art 5.2 AWB genannten Obliegenheiten als vereinbarte Sicherheitsvorschriften gemäß Art 3 ABS. Weiters wird darauf hingewiesen, dass ihre Verletzung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt. Die Rechtsfolgen der Verletzung der vereinbarten Sicherheitsvorschriften werden in Art 3.2 ABS, auf den ausdrücklich verwiesen wird, geregelt. Dieser weicht insoweit von den gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen der Verletzung einer vorbeugenden Obliegenheit zugunsten des Versicherungsnehmers ab, als Leistungsfreiheit des Versicherers nur eintritt, wenn die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht.

5. Der Versicherer muss die objektive Verletzung der Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer, der Versicherungsnehmer mangelndes – hier grobes – Verschulden sowie die mangelnde Kausalität beweisen (RS0043728).

5.1.1 Voranzustellen ist, dass nach ständiger Rechtsprechung die in Deutschland entwickelte Repräsentantentheorie aus dem VersVG nicht ableitbar ist (RS0080407). Das Verhalten eines Dritten kann daher nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen. Die selbständige Ausführung eines Auftrags durch einen Erfüllungsgehilfen ist dem Versicherungsnehmer nicht zuzurechnen (7 Ob 3/14p mwN). Eine Obliegenheit ist keine Erfüllungshandlung im Sinn des § 1313a ABGB (RS0028935). Ungeachtet der Ablehnung der Repräsentantentheorie ist dem Versicherungsnehmer aber in Bezug auf Obliegenheiten das Verhalten jener zuzurechnen, die er zur Abwicklung des Versicherungsverhältnisses bevollmächtigt hat (RS0019473). Dies wurde zum Beispiel bei einem Hausverwalter (RS0019473 [T6]) bejaht.

5.1.2 Von dieser oberstgerichtlichen Rechtsprechung ist das Berufungsgericht abgewichen, wenn es vor dem Hintergrund des festgestellten Sachverhalts, aus dem die Bevollmächtigung der Nebenintervenientin zur Abwicklung des Versicherungsverhältnisses gerade nicht ableitbar ist, auf das Verhalten der Nebenintervenientin abstellt.

5.1.3 Vielmehr beurteilt sich eine allfällige Leistungsfreiheit der Beklagten aufgrund Verletzung der Obliegenheit nach Art 5.2 AWB ausschließlich nach dem Verhalten der Kläger.

5.2 Die Beklagte hat die objektive Verletzung der Obliegenheit (72-Stunden-Klausel) dargetan. Selbst ausgehend davon, dass die in Art 5.2 AWB genannte Frist erst begann, als die Nebenintervenientin die Liegenschaft verließ (7. 12. 2017, 11:00 Uhr), war diese bis 10. 12. 2017, 14:00 Uhr, länger als 72 Stunden verlassen, woran weder die für den 9. 12. 2017 geplante – aber tatsächlich nicht stattgefundene – Reinigung noch der kurzzeitige Aufenthalt des Ehemanns der Nebenintervenientin am 7. 12. 2017 nachmittags, etwas ändert.

5.3 Nun ist zu prüfen, ob die Verletzung auf grobem Verschulden beruht:

5.3.1 Nach ständiger Rechtsprechung liegt grobes Verschulden vor, wenn sich das Verhalten des Schädigers aus der Menge der sich auch für den Sorgsamsten nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit heraushebt. Dabei wird ein Verhalten vorausgesetzt, von dem der Handelnde wusste oder wissen musste, dass es geeignet ist, den Eintritt eines Schadens zu fördern (RS0080414). Grobe Fahrlässigkeit ist im Bereich des Versicherungsvertragsrechts dann gegeben, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen, wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliegt, was offenbar unter den gegebenen Umständen hätte geschehen müssen (RS0080371). Die Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt muss aber über die alltäglich vorkommenden Fahrlässigkeitshandlungen erheblich und ungewöhnlich herausragen, wobei der Schaden als wahrscheinlich vorhersehbar ist. Grobe Fahrlässigkeit ist dann gegeben, wenn ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung der Umstände des konkreten Falls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RS0031127). Die Schadenswahrscheinlichkeit muss offenkundig so groß sein, dass es ohne weiteres nahe liegt, zur Vermeidung eines Schadens ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen. Als brauchbare Anhaltspunkte, von denen die Beurteilung im Einzelnen abhängen kann, kommt die Gefährlichkeit der Situation, die zu einer Sorgfaltsanpassung führen sollte, der Wert der gefährdeten Interessen, das Interesse des Handelnden an seiner Vorgangsweise und schließlich die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden in Betracht (RS0030331).

5.3.2 Es steht zwar fest, dass die Kläger keinen Dritten konkret damit beauftragten, die Wasserzuleitungen abzusperren, wenn das Objekt länger als 72 Stunden verlassen wird. Im Zusammenhang mit dieser Unterlassung haben sie aber weiteres Vorbringen zu allfällig mangelndem groben Verschulden in objektiver, insbesondere aber in subjektiver Hinsicht erstattet, das bislang keinen Eingang in die Feststellungen fand. Eine abschließende Beurteilung des Vorliegens von grobem Verschulden kann daher auch noch nicht vorgenommen werden.

6. Sollte grobes Verschulden der Kläger bejaht werden, wäre im fortgesetzten Verfahren weiters die Frage der Kausalität und des Kausalitätsgegenbeweises zu prüfen:

6.1 Nach Art 3.2 ABS bleibt die Verpflichtung zur Leistung bestehen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Schadenfalls oder soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der Entschädigung gehabt hat.

Damit eröffnet die Beklagte dem Versicherungsnehmer – entsprechend § 6 Abs 2 VersVG – den Kausalitätsgegenbeweis. Der erkennende Fachsenat hat bereits ausgesprochen, dass es dafür des Beweises bedarf, dass der Versicherungsfall auch ohne die Verletzung der Obliegenheit mit Sicherheit eingetreten wäre, dass also der Eintritt und der Umfang des Versicherungsfalls nicht auf der erhöhten Gefahrenlage beruhen, die typischerweise durch die Obliegenheitsverletzung entsteht (7 Ob 240/18x mwN). An den Gegenbeweis sind strenge Anforderungen zu stellen (RS0081343 [T3]); es ist nicht etwa nur die Unwahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs darzutun (RS0079993).

6.2.1 Gemäß § 6 Abs 2 VersVG in der Fassung vor der VersVG-Novelle 1994 (BGBl Nr 509/1994) konnte sich der Versicherer auf die vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls oder den Umfang der ihm obliegenden Leistung gehabt hat. Mit der VersVG-Novelle 1994 (BGBl Nr 509/1994) hat der Gesetzgeber § 6 Abs 2 VersVG dahin modifiziert, dass sich der Versicherer auf die vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen kann, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls oder soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat.

6.2.2 Der Gesetzgeber der VersVG-Novelle 1994 hat die völlige Leistungsfreiheit („Alles-oder-Nichts-Prinzip“) bei einer Obliegenheitsverletzung, die die Leistungspflicht des Versicherers der Höhe nach nur teilweise beeinflusst durch die Einfügung des Wortes „soweit“ in den letzten Satzteil des Abs 2 durch das (kausalitätsbezogene) Verhältnismäßigkeitsprinzip (Proportionalitätsprinzip, Kausalitätsprinzip) ersetzt.

6.2.3 Damit stellt § 6 Abs 2 VersVG im Rahmen zweier Alternativen zunächst auf den Einfluss der Obliegenheitsverletzung auf den Eintritt des Versicherungsfalls ab (Kausalität dem Grunde nach). War die Verletzung der Obliegenheit für den Eintritt des Versicherungsfalls adäquat kausal, so ist der Versicherer von seiner Leistungspflicht insgesamt befreit. Sodann spricht § 6 Abs 2 VersVG den Einfluss der Obliegenheitsverletzung auf den Umfang der Versicherungsleistung an (Kausalität dem Umfang nach). War die Obliegenheitsverletzung nicht für den Eintritt des Versicherungsfalls, sondern nur für den Umfang der Versicherungsleistung kausal, so wird der Versicherer auch nur insoweit leistungsfrei. Die Bestimmung folgt einem Prinzip der verursachensgerechten Leistungskürzung.

6.2.4 Der erkennende Senat folgt hier nicht der von  Fenyves in Fenyves/Schauer, Versicherungsvertragsgesetz § 6 Rz 96, vertretenen Rechtsansicht, dass die Bestimmung auch in Bezug auf den Eintritt des Versicherungsfalls dahin korrigierend so zu interpretieren sei, dass an Stelle des den Halbsatz einleitenden „wenn“ ein „soweit“ zu setzen sei.

Diese Ansicht steht nicht im Einklang mit dem insoweit völlig klaren Gesetzestext. Gerade der Umstand, dass der Gesetzgeber die angedachte Formulierung nicht vorgenommen hat, obwohl er gleichzeitig das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Zusammenhang mit dem Umfang der Versicherungsleistung eingeführt hat, steht der Ansicht Fenyves entgegen.

6.4 Für die Frage der Kausalität kommt es nicht darauf an, ob die Kläger die mangelhafte Rohrverlegung verursachten, sondern ob die Verletzung der Obliegenheit (Nichtabsperren der Wasserleitung) adäquat kausal war, was grundsätzlich zu bejahen ist. Wären die Wasserleitungen abgesperrt gewesen, hätten sie kein Wasser geführt und es wäre – trotz mangelhafter Rohrverlegung – kein Wasser ausgetreten.

6.4.1 Der Versicherer nimmt aber nach den Versicherungsbedingungen in Kauf, dass das Haus bis zu 72 Stunden, also volle drei Tage, nicht bewohnt wird und während dieser Zeit auch keine Beaufsichtigung erfolgt. Tritt daher der Versicherungsfall (Austreten von Wasser) bereits innerhalb der ersten 72 Stunden ein, dann wäre die Obliegenheitsverletzung (Nichtabsperren bei einer Abwesenheit von mehr als 72 Stunden) nicht kausal für den Eintritt des Versicherungsfalls dem Grunde nach, sondern nur für den Umfang der Versicherungsleistung im Ausmaß des Schadenseintritts nach Ablauf der 72 Stunden. Erfolgt der Wasseraustritt aber erst nach Ablauf der ersten 72 Stunden, dann wäre die Obliegenheitsverletzung kausal für den Eintritt des Versicherungsfalls dem Grunde nach und die Beklagte zur Gänze leistungsfrei.

6.5 Zur (allfälligen) Kausalität der Obliegenheitsverletzung im Hinblick auf den Eintritt des Versicherungsfalls oder (nur) auf den Umfang der Versicherungsleistung wurden keine Feststellungen getroffen, sodass (derzeit) auch zur Frage der Kausalität und des Kausalitätsgegenbeweises noch keine abschließende Stellung genommen werden kann.

7. Die Kläger gründeten ihr Leistungsbegehren im erstgerichtlichen Verfahren ausschließlich auf die Deckungspflicht der Beklagten aus dem Versicherungsvertrag. Sollten die Ausführungen in der Revisionsbeantwortung auf eine allfällige schadenersatzrechtliche Haftung der Beklagten abzielen, erübrigt sich ein Eingehen darauf.

8. Der Revision ist daher Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen sind aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.  Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E129985

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00104.20Z.1021.000

Im RIS seit

07.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.05.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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