TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/11 97/06/0008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.09.1997
beobachten
merken

Index

L37157 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Tirol;
L80007 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Tirol;
L82000 Bauordnung;
L82007 Bauordnung Tirol;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
BauO Tir 1989 §30 Abs4;
BauRallg;
ROG Tir 1984 §14 Abs1;
ROG Tir 1994 §38 Abs2;
ROG Tir 1994 §40 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, in den Beschwerdesachen 1. des Josef Joas und 2. des Max Aichner, beide in Sillian, vertreten durch Dr. Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Lienz, Muchargasse 19, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 12. Juni 1996, Zl. Ve1-550-2271/1-3 (mitbeteiligte Parteien: 1. Anton Bodner in Sillian Nr. 80;

2. Gemeinde Sillian, vertreten durch den Bürgermeister), betreffend Baubewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat den Beschwerdeführern insgesamt Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

Der Erstmitbeteiligte suchte mit Antrag vom 1. April 1994 bei der mitbeteiligten Gemeinde (eingelangt bei dieser am 5. April 1994) um die baubehördliche Bewilligung für den Zubau und die Neugestaltung der Busgarage auf dem Grundstück Nr. 92, KG Sillian, an. Für das verfahrensgegenständliche Grundstück besteht aufgrund der Änderung des Flächenwidmungsplanes (der vom Gemeinderat der zweitmitbeteiligten Partei in der Sitzung am 4. Juli 1983 beschlossen worden war), die vom Gemeinderat der zweitmitbeteiligten Partei am 28. Jänner 1984 beschlossen wurde, die Widmung "Mischgebiet". Mit Bescheid vom 16. Juni 1994 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde die beantragte Bewilligung gemäß § 31 Abs. 9 und 10 Tiroler Bauordnung (TBO). Die Berufung der beschwerdeführenden Nachbarn wurde mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 3. Oktober 1994 als unbegründet abgewiesen.

Der dagegen erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 14. März 1995 Folge gegeben, der bekämpfte Berufungsbescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeindevorstand der zweitmitbeteiligten Partei verwiesen. Diese unbekämpft gebliebene Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, § 30 Abs. 4 TBO in Verbindung mit § 40 Abs. 1 TROG 1994 gewähre dem Nachbarn ein Recht darauf, daß im Mischgebiet nur Gebäude mit Emissionen errichtet würden, durch die typischerweise keine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung ausgehe. Diese Frage sei durch die Baubehörden durch Einholung entsprechender Gutachten zu prüfen. Aufgrund der Akten ergäbe sich, daß weder geprüft worden sei, welche Mischgebietswidmung auf dem Grundstück bestehe, noch sei erhoben worden, welche Immissionen von dem Betriebsgebäude im Sinne der angeführten Bestimmung ausgingen.

Mit Gutachten des Dipl. Ing. K. vom 10. April 1995 wurde festgestellt, daß durch die geplante bauliche Veränderung der Busgarage (Erweiterung der Garage in Richtung Westen mit einer Breite von 2,7 m, Fläche des Zubaues 36,27 m2, neuer Dachstuhl und Einzug einer Massivdecke, Änderung der Fassade an der Ostseite, Erneuerung der bestehenden Einfahrtstore an der Südseite) die Anzahl der Stellplätze für Busse und PKW, wie sie in dem Baubewilligungsbescheid vom 27. März 1962 genehmigt worden seien, nicht erhöht werde. Durch die Nutzung der erweiterten Fläche als Ausstellungsfläche für Neuwagen trete keine wesentliche Änderung der Emissionssituation auf. Durch die übrigen baulichen Veränderungen, wie Umgestaltung der Fassade an der Ostseite, Erneuerung der Zufahrtstore, Einziehen einer Massivdecke, komme es zu keiner wesentlichen Beeinflussung der Lärmsituation. Der Sachverständige nahm im Hinblick auf die aus lärm- und abgastechnischer Sicht unwesentliche Änderung keine quantitative Darstellung der Emissionssituation vor.

Auch der medizinische Sachverständige stellte unter Berufung auf das Gutachten des Dipl. Ing. K. mit Gutachten vom 10. Mai 1995 fest, daß nach den derzeitigen Normen die "durch den Zubau und die Neugestaltung der Busgarage zu erwartenden Emissionen von Lärm und Abgasen zu keinen schlimmeren als den durch die derzeitige Umweltbelastung bedingten gesundheitlichen Schäden führen" würden. Die immer strengeren gesetzlichen Normen zur Lärm- und Abgasverminderung von Busfahrzeugen und Personenkraftwagen und die Erweiterung der bestehenden Busgarage in Richtung Westen stellten im Gegensatz dazu sogar eine Verminderung der derzeitigen Emissionslage dar.

In dem gleichfalls herangezogenen, im gewerberechtlichen Verfahren erstatteten Gutachten in gewerbehygienischer Hinsicht (vom 23. Juni 1995) wurde, wiederum gestützt auf ein Gutachten des Gewerbetechnikers vom 2. Juni 1995, die Auffassung vertreten, daß durch den geplanten, nach Süden gerichteten Vorbau eines Bürogebäudes an die KFZ-Werkstätte nach Aussage des Gewerbetechnikers keine wesentlichen Änderungen der Immissionen für die Anrainer erfolgten. Es wurde auf verschiedene konkrete Umstände hingewiesen, aufgrund derer sich die Lärmimmissionen nunmehr verringerten. Die vom Gewerbetechniker angesprochene mögliche Erhöhung des Istzustandes im Hinblick auf den Zweitbeschwerdeführer um

2.5 dB (A) stelle nur einen reinen Rechenwert dar, der in der Praxis zu keiner subjektiv wahrnehmbaren Erhöhung der Lärmimmission führe. Es könne daher aus lärmhygienischer Sicht erwartet werden, daß bei den Anrainern weder eine Gesundheitsstörung noch eine unzumutbare Belästigung durch den Betrieb des Erstmitbeteiligten erfolge.

Das bezogene gewerbetechnische Gutachten vom 2. Juni 1995, das eine Erweiterung des Betriebes betrifft, die neben der Erweiterung der Busgarage etliche andere Änderungen erfaßt (die Erweiterung der Busgarage wird in diesem Gutachten außer bei der Beschreibung der behandelten Betriebserweiterung nicht explizit angesprochen), führt aus, daß sich für den Erstbeschwerdeführer durch die geplante Erweiterung eine deutliche Verbesserung hinsichtlich möglicher Lärmimmissionen ergebe, da durch die Überdachung des Vorplatzes und des Bürovorbaues eine Schirmwirkung in Richtung Nordosten und somit für das Grundstück des Erstbeschwerdeführers gegeben sei. Gegenüber dem Zweitbeschwerdeführer ergäbe sich insofern eine Änderung, als im ungünstigsten Fall an der südlichen Außenwand des geplanten Bürogebäudes eine einfache Schallreflexion auftreten könne. Der ungünstigste Fall bedeute, daß aus dem Werkstättenbereich, der an die Busgarage anschließe, Schallemissionen erfolgten, die an der südlichen Außenwand des Bürozubaues einfach reflektiert würden und dadurch am Immissionspunkt betreffend den Zweitbeschwerdeführer eine Erhöhung des Istzustandes um maximal 2,5 dB (A) hervorrufen könnten. Die geltend gemachte trichterartige Verstärkung könne nicht auftreten. Die in Frage gestellte Erhöhung des Grundgeräuschpegels durch Autoreparatur- und Karosseriearbeiten könnten in keinen Zusammenhang mit der geplanten Erweiterung gebracht werden.

In ihrer Stellungnahme zu dem Gutachten von Dipl. Ing. K. machten die Beschwerdeführer einerseits geltend, daß sich der Beschallungscharakter der Busgarage durch den Zubau wesentlich verändere. Durch die Verwendung von Massivbauelementen und durch die Erweiterung der Garage nach Westen ergebe sich eine trichterförmig verstärkte Schallausbreitung. Durch den Einbau zusätzlicher Fenster komme es zu verstärkter Ausstrahlung dieser Immissionen, die gesundheitsschädlich und ortsunüblich seien.

Mit Bescheid des Gemeindevorstandes der zweitmitbeteiligten Partei vom 10. Mai 1995 wurde die Berufung der Beschwerdeführer neuerlich abgewiesen. Auf Grund der eingeholten Gutachten sei erwiesen, daß die bauliche Veränderung der Busgarage keine wesentliche Änderung der Emissionssituation bewirke. Aus den Gutachten des Dipl. Ing. K. ergäbe sich, daß typischerweise keine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung gegeben sei.

Der dagegen erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 6. Oktober 1995 Folge gegeben, der Berufungsbescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeindevorstand verwiesen. In bezug auf das medizinische Gutachten sei das Parteiengehör gegenüber den Beschwerdeführern und damit ein essentielles Parteirecht verletzt worden.

In der in der Folge erstatteten Stellungnahme der Beschwerdeführer zum medizinschen und gewerbehygienischen Gutachten wurde geltend gemacht, daß bestimmte Gegebenheiten nicht berücksichtigt worden seien und daher das Gutachten ergänzt werden müsse. Durch die Umgestaltung komme es zu einer Verengung des für die Bewegung von Kraftfahrzeugen bestimmten Vorplatzes. Die Fahrzeuge seien gezwungen, sich niedertourig am Vorplatz zu bewegen und es entstünden Lärm-, Staub- und Geruchsimmissionen durch ständige Kalt-, Normal- und Warmstarts und andere Manipulationsbewegungen. Der Erstmitbeteiligte kaufe vermehrt neue Fahrzeuge und lagere diese. Der schon beschränkte Manipulationsraum werde dadurch weiter verengt. Der Erstmitbeteiligte habe vorwiegend ältere Dieselbusse. Durch das Verlegen des Abstellplatzes nach Westen käme es durch die Windverhältnisse zu einem verstärkten Zutragen von Schadstoffen zu den Grundstücken der Beschwerdeführer. Die Dieselfahrzeuge würden 15 Minuten lang warmgelaufen werden. Durch die beschriebenen Geräuschquellen komme es zu gesundheitsgefährdenden Anteilen an Körperschall. Es wären daher die konkreten bodenmechanischen und baugeologischen Verhältnisse des nunmehr verengten Vorplatzes zu untersuchen. Die beschriebenen Beeinträchtigungen würden mit Sicherheit den Wert von 70 dB (A) überschreiten.

In der Folge wurden die Berufungen der Beschwerdeführer mit Bescheid des Gemeindevorstandes vom 11. Jänner 1996 neuerlich mit der Begründung abgewiesen, daß, aufbauend auf dem bereits vorgelegten technischen Gutachten des immissionstechnischen Sachverständigen, zwei medizinische Sachverständige die Auswirkungen der Immissionen auf den menschlichen Organismus beurteilt und nachvollziehbar und schlüssig die Auffassung vertreten hätten, daß keine unzumutbare Belästigung und auch keine Gefahr für Leben und Gesundheit der Bevölkerung bestehe. Unzumutbare Beeinträchtigungen "seien zwar aufgrund der anzuwendenden Bestimmungen über das Mischgebiet nicht relevant, lassen jedoch erkennen, daß eine Gefahr für Leben und Gesundheit der Bevölkerung jedenfalls ausgeschlossen" sei. Die in der Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 28. November 1995 unter den Punkten a)-e) aufgestellten Behauptungen stünden weitgehend mit den Feststellungen der technischen Sachverständigen in Widerspruch. Dies gelte insbesondere für die Emission von Dieselfahrzeugen und die Übertragung von Emissionen bei bestimmten Windverhältnissen und bestimmten geographischen und klimatischen Verhältnissen. Derartige Behauptungen des Vorliegens von unzulässigen Immissionen seien nicht geeignet, die Gutachten der technischen Sachverständigen in ihrer Schlüssigkeit zu erschüttern. Die Baubehörde habe sich daher in freier Beweiswürdigung den vorliegenden Gutachten angeschlossen. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wenn in der Stellungnahme vom 28. November 1995 behauptet werde, die beschriebenen Beeinträchtigungen überschritten den Wert von 70 dB (A). Diese Behauptung sei durch kein Gutachten untermauert. Dasselbe gelte für die Punkte 1.-4. der Stellungnahme, in denen Behauptungen über technische Details aufgestellt würden, die mit keinerlei Messungen und sonstigen Faktoren belegt würden. Da somit die Ausführungen der Sachverständigen, daß eine Beeinträchtigung des Lebens und der Gesundheit jedenfalls ausgeschlossen sei (zulässiger Größenschluß, wenn sogar eine unzumutbare Beeinträchtigung nicht vorliege), der Entscheidung zugrundegelegt hätten werden können, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Die von den Beschwerdeführern dagegen erhobene Vorstellung wurde mit dem angefochtenen Bescheid im dritten Rechtsgang als unbegründet abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde insbesondere aus, daß in dem gegenständlichen Fall in erster Linie von der Baubehörde zu prüfen gewesen sei, ob die vom Bauwerber beantragten Baumaßnahmen zu jenen baulichen Anlagen gehören, von denen typischerweise keine Gefahr für die Gesundheit der Wohnbevölkerung ausgehe und ebenso keine Gefahr für das Leben und die Gesundheit oder eine wesentliche Belästigung von Menschen eintreten würde. Es seien daher ein lärmtechnisches Gutachten und weiters zwei medizinische Gutachten darüber eingeholt worden, welche Auswirkungen die zu erwartenden Lärmimmissionen auf den menschlichen Organismus hätten. Die vorgelegten Gutachten der Sachverständigen bestünden sowohl aus einem Befund als auch aus einem Urteil. Die Gutachten stellten sich als schlüssig dar. Es sei nicht zutreffend, daß die Sachverständigen von unvollständigen Prämissen ausgegangen seien, "zumal das dem medizinischen Gutachten zugrundeliegende lärmtechnische Gutachten mit seiner Befundaufnahme umfassende Grundlagen sowie die Art ihrer Beschaffung insbesondere unter anderem das Vorbringen der nunmehrigen Beschwerdeführer berücksichtigt und dem Gutachten im engeren Sinn zugrundegelegt" habe. Aufgrund dieses Gutachtens sowie der ergänzend dazu eingeholten ärztlichen Gutachten könne die belangte Behörde das grundsätzliche Problem hinsichtlich einer allfällig zu erwartenden Gefahr für die Gesundheit der Wohnbevölkerung bzw. der Gefahr für das Leben und die Gesundheit oder einer wesentlichen Belästigung von Menschen beurteilen. Ein von einem tauglichen Sachverständigen erstelltes, mit den Erfahrungen des Lebens und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch stehendes Gutachten könne in seiner Beweiskraft nur durch ein gleichwertiges Gutachten bekämpft werden. Die eingeholten lärmtechnischen und medizinischen Gutachten seien nachvollziehbar, aufgrund von die örtlichen Verhältnisse betreffenden Erhebungen erstellt worden und erwiesen sich als schlüssig. Dies bedeute im vorliegenden Fall, daß die Einwendungen der nunmehrigen Beschwerdeführer sehr wohl berücksichtigt worden seien, aber gerade wegen der in diesem Bescheid ausgeführten Gründe durch den Berufungsbescheid die Rechte der Beschwerdeführer nicht verletzt worden seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Aus Anlaß der Beratungen über den vorliegenden Beschwerdefall sind beim Verwaltungsgerichtshof Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der im Beschwerdefall anzuwendenden §§ 40 Abs. 2 sowie 109 Abs. 1 und 3 zweiter Satz TROG 1994 entstanden. Dem in der Folge beim Verfassungsgerichtshof gestellten Antrag (Beschluß vom 21. November 1996, A 99/96) wurde mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. November 1996, G 195/96-8 u.a., Folge gegeben und das Tiroler Raumordnungsgesetz 1994, LGBl. Nr. 81/1983 i.d.F. der Kundmachungen LGBl. für Tirol Nr. 6/1995 und Nr. 68/1995, insoweit als verfassungswidrig aufgehoben, als ihm nicht durch die 1. Raumordnungsgesetz-Novelle, LGBl. für Tirol Nr. 4/1996, derogiert wurde, bzw., soweit ihm durch die genannte Novelle derogiert wurde, festgestellt, daß es verfassungswidrig war.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat den vorliegenden Beschwerdefall als Anlaßfall des angeführten Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 140 Abs. 7 B-VG an Hand der bereinigten Rechtslage, das heißt, ohne Anwendung des aufgehobenen TROG 1994, zu prüfen. Maßgebliche Frage des verfahrensgegenständlichen Verwaltungsverfahrens im Lichte des § 31 Abs. 3 und 4 TBO war, ob das vorliegende Bauvorhaben (die Erweiterung der Busgarage) in der gemäß der anzuwendenden Flächenwidmungsplanänderung vom 28. Jänner 1984 vorgesehenen Widmung "Mischgebiet" zulässig ist. Zur Auslegung dieser Widmung ist - unter Berücksichtigung der angeführten Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof (insbesondere auf Grund des Wegfalles des § 109 Abs. 1 und 3 TROG 1994) - mangels entgegenstehender gesetzlicher Regelung das im Zeitpunkt der Erlassung des Flächenwidmungsplanes geltende Tiroler Raumordnungsgesetz 1984, LGBl. Nr. 4, heranzuziehen.

3. § 14 Abs. 1 und 2 i.V.m. dem implizit bezogenen § 12 Abs. 1 und 2 Tiroler Raumordnungsgesetz 1984, LGBl. Nr. 4, lauten:

"§ 12

Wohngebiete

(1) Wohngebiete sind jene Grundflächen, auf denen nur Wohnbauten mit den dazugehörigen Nebenanlagen errichtet werden dürfen. Darüber hinaus ist die Errichtung von Bauten für Betriebe und Einrichtungen, die der täglichen Versorgung sowie den sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Bevölkerung des Wohngebietes dienen, zulässig, wenn durch die Benützung dieser Bauten keine unzumutbare Lärm-, Rauch-, Staub- oder Geruchsbelästigung sowie keine Gefahr für Leben und Gesundheit der Wohnbevölkerung zu befürchten ist.

(2) Im Wohngebiet können Grundflächen als gemischtes Wohngebiet gewidmet werden. Auf solchen Grundflächen dürfen neben den im Abs. 1 angeführten Bauten auch öffentliche Bauten, Geschäfts- und Verwaltungsgebäude und Bauten für Gastgewerbebetriebe zur Beherbergung von Gästen mit höchstens 40 Betten errichtet werden, wenn durch die Benützung dieser Bauten keine unzumutbare Lärm-, Rauch-, Staub- oder Geruchsbelästigung sowie keine Gefahr für Leben und Gesundheit der Wohnbevölkerung zu befürchten ist.

...

§ 14

Mischgebiete

(1) Mischgebiete sind jene Grundflächen, auf denen die im Wohngebiet zulässigen Bauten sowie Betriebsanlagen errichtet werden dürfen, die für die Bewohner dieses Gebietes keine Gefahr für Leben und Gesundheit, insbesondere auch durch starke Rauch-, Staub- oder Lärmentwicklung, befürchten lassen.

(2) Im Mischgebiet können folgende besondere Widmungen festgelegt werden:

a) Kerngebiete,

das sind Grundflächen, auf denen öffentliche Bauten, Geschäfts- und Verwaltungsgebäude, Bauten des Gast- und Schankgewerbes, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, im übrigen aber nur die im Wohngebiet zulässigen Bauten errichtet werden dürfen;

b) Fremdenverkehrsgebiete,

das sind Grundflächen, auf denen dem Fremdenverkehr dienende Bauten und Einrichtungen, im übrigen aber nur die im Wohngebiet zulässigen Bauten errichtet werden dürfen;

c) landwirtschaftliche Mischgebiete,

das sind Grundflächen, auf denen Bauten für land- und forstwirtschaftliche Betriebe, deren Lärm- und Geruchsemissionen das für solche Betriebe übliche Ausmaß nicht übersteigen, sowie Bauten für gewerbliche Klein- und Mittelbetriebe, im übrigen aber nur die im Wohngebiet zulässigen Bauten errichtet werden dürfen; Bauten für landwirtschaftliche Intensivtierhaltung (§ 16 Abs. 2) dürfen nur auf entsprechend gewidmeten Sonderflächen errichtet werden."

Im Hinblick darauf, daß die belangte Behörde die Regelungen über die Widmung als Mischgebiet gemäß dem Tiroler Raumordnungsgesetz 1994, LGBl. Nr. 81/1993 (TROG 1994), herangezogen hat, ist zunächst die Frage zu klären, ob sich das verfahrensgegenständliche Verwaltungsverfahren schon deshalb als rechtswidrig erweist, weil der Maßstab des Immissionsschutzes für den Nachbarn, der aus der Widmung "Mischgebiet" abzuleiten ist, gemäß dem TROG 1984 im Vergleich zum TROG 1994 ein anderer ist.

Der von der Behörde angewendete § 40 Abs. 2 (i.V.m. Abs. 1 und dem in diesem bezogenen § 38 Abs. 1 und 2) TROG 1994 lauten:

"§ 38

Wohngebiet

(1) Im Wohngebiet dürfen errichtet werden:

a)

Wohngebäude;

b)

Gebäude, die neben Wohnzwecken auch der Unterbringung von Büros, Kanzleien, Ordinationen und dergleichen oder der Privatzimmervermietung dienen; dabei darf außer bei Eigenheimen nach § 2 Abs. 1 des Tiroler Wohnbauförderungsgesetzes 1991 eine Nutzung zu anderen als Wohnzwecken nur in untergeordnetem Ausmaß erfolgen;

              c)              Gebäude für Betriebe und Einrichtungen, die der täglichen Versorgung oder der Befriedigung der sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung des betreffenden Gebietes dienen, von denen typischerweise weder eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit noch eine unzumutbare Belästigung der Bevölkerung, insbesondere durch Lärm, Luftverunreinigungen, Geruch oder Erschütterungen, ausgeht und die typischerweise auch keine unzumutbare Verkehrsbelastung bewirken.

(2) Im Wohngebiet können Grundflächen als gemischtes Wohngebiet gewidmet werden. Im gemischten Wohngebiet dürfen neben den im Abs. 1 angeführten Gebäuden auch öffentliche Gebäude, Geschäfts- und Verwaltungsgebäude, Gebäude für Gastgewerbebetriebe zur Beherbergung von Gästen mit höchstens 40 Betten und Gebäude für sonstige Kleinbetriebe errichtet werden, von denen typischerweise weder eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit noch eine unzumutbare Belästigung der Bevölkerung, insbesondere durch Lärm, Luftverunreinigungen, Geruch oder Erschütterungen, ausgeht und die typischerweise auch keine unzumutbare Verkehrsbelastung bewirken.

(3) ... ."

"§ 40

Mischgebiete

(1) Mischgebiete sind das allgemeine Mischgebiet, das Kerngebiet, das Tourismusgebiet und das landwirtschaftliche Mischgebiet. In den Mischgebieten dürfen nach Maßgabe der Abs. 2 bis 7 nur Gebäude errichtet werden, von denen typischerweise keine Gefahr für das leben und die Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere durch Lärm, Luftverunreinigungen, Geruch oder Erschütterungen, ausgeht.

(2) Im allgemeinen Mischgebiet dürfen die im gemischten Wohngebiet zulässigen Gebäude und Gebäude für Betriebe errichtet werden. Für das allgemeine Mischgebiet oder für Teile davon kann festgelegt werden, daß außer den im gemischten Wohngebiet zulässigen Arten von Betrieben

a)

nur bestimmte weitere Arten von Betrieben zulässig oder

b)

bestimmte weitere Arten von Betrieben nicht zulässig sind."

Der in § 38 Abs. 2 TROG 1994 im Rahmen der Widmung vorgesehene Immissionsschutz des Nachbarn unterscheidet sich im Hinblick auf den Wortlaut von dem im § 14 Abs. 1 TROG 1984 angeordneten Immissionsschutz nur in der Hinsicht, daß von Gebäuden die Rede ist, von denen "typischerweise" keine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung ausgeht und daß in der beispielsweisen Aufzählung betreffend mögliche Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung im TROG 1994 "Lärm, Luftverunreinigungen, Geruch oder Erschütterungen" genannt sind, während im TROG 1984 "starke Rauch-, Staub- oder Lärmentwicklung" angeführt sind. Die Beurteilung der Zulässigkeit von Betrieben im Rahmen der vorgesehenen Widmung, sofern in dieser ein Immissionsschutz der Nachbarn angeordnet war, erfolgte nach der hg. Judikatur zu den entsprechenden Widmungsbestimmungen des TROG 1984 (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 25. April 1996, Zl. 92/06/0010) nach dem Betriebstyp. Maßstab für die Lösung der Frage nach der Zulässigkeit eines Betriebes unter dem Blickwinkel der Flächenwidmung durch die Baubehörde ist danach nicht ein in seinen Betriebsmitteln und Anlagen bis ins einzelne fest umrissener Betrieb, sondern eine (nach Art der dort üblicherweise und nach dem jeweiligen Stand der Technik verwendeten Anlagen und Einrichtungen einschließlich der zum Schutz von Belästigungen typisch getroffenen Maßnahmen sowie nach Art der dort entsprechend diesen Merkmalen herkömmlicherweise entfalteten Tätigkeit auf das Ausmaß und die Intensität der dadurch verursachten Emissionen zu beurteilende) Betriebstype. Dies erfordert eine Prüfung, ob eine solche Eignung für den mit dem Projekt vorgesehenen Betriebstyp gegeben ist oder nicht. Ob eine solche Immission in Betracht kommt, ist im Zweifelsfall durch entsprechende Messungen bei "Vergleichsbetrieben" festzustellen. Im Hinblick auf diese Auslegung des TROG 1984 durch den Verwaltungsgerichtshof ergibt sich im Vergleich zu dem angewendeten § 40 Abs. 2 TROG 1994 und dem dort angeführten Begriff "typischerweise" kein unterschiedlicher Maßstab betreffend den Immissionsschutz des Nachbarn. Auch aus den Abweichungen in der beispielshaften Aufzählung möglicher Ursachen der Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung ergibt sich kein Unterschied im anzuwendenden Maßstab des Immissionsschutzes.

Es ist daher der angefochtene Bescheid weiters daraufhin zu überprüfen, ob - was von den Beschwerdeführern bestritten wird - die von der belangten Behörde und der Berufungsbehörde herangezogenen Gutachten als schlüssig und nachvollziehbar beurteilt werden können. Im Ergebnis ist diese Rüge der Beschwerdeführer berechtigt. Es haben sich die belangte Behörde und die Berufungsbehörde zwar mit der Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 28. November 1995 auseinandergesetzt, das technische Gutachten des Dipl. Ing. K und die beiden medizinschen Gutachten nehmen aber nicht zu der maßgeblichen Frage Stellung, ob der Betrieb des Erstmitbeteiligten vom Betriebstyp her keine Immissionen verursacht, die eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Wohnbevölkerung befürchten lassen. Die angeführten Gutachten behandeln ausschließlich die Frage, ob durch die Erweiterung des Betriebes eine Vergrößerung der Immissionen, insbesondere in bezug auf Lärm, zu erwarten sei (die beiden im Bauverfahren eingeholten Gutachten betreffen nur die Änderung der Busgarage, die allein Gegenstand des vorliegenden Bauverfahrens war). Bei der Frage, die im Rahmen des Rechtes eines Nachbarn auf Einhaltung der widmungsgemäßen Verwendung eines Grundstückes, sofern in der Widmung ein Immissionschutz für den Nachbarn enthalten ist, ist gemäß § 30 Abs. 4 TBO auch in den Fällen der Erweiterung eines Betriebes - jedenfalls sofern die Erweiterung auf demselben Bauplatz erfolgt - zu prüfen, ob der Betrieb als Betriebstyp den in der Widmung vorgesehenen Immissionsschutz einhält (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. November 1995, Zlen. 94/05/0306, 0307, und die in diesem zitierte hg. Vorjudikatur). Es geht also im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Betriebserweiterung im Lichte der vorliegenden Immissionschutz einräumenden Widmung "Mischgebiet" nicht darum, ob durch die Erweiterung zusätzliche Immissionen verursacht werden oder eine Verbesserung der Immissionssituation bewirkt wird, sondern wieder um die Frage, ob der dem Betrieb zuzuordende Betriebstyp im Rahmen der vorgesehenen Widmung vom Immissionsschutz her zulässig ist und den einzuhaltenden Immissionschutz für den Nachbarn gewährt. Eine solche Prüfung ist in den herangezogenen Gutachten nicht erfolgt. Angemerkt wird, daß im Hinblick darauf, daß die Zulässigkeit des Betriebes an Hand des Betriebstypes zu prüfen war, die auf die konkrete Erweiterung des Betriebes bezogenen Überlegungen der Beschwerdeführer vom November 1995 im Zuge dieser Prüfung nicht von Bedeutung sind. Da die belangte Behörde diesen wesentlichen Verfahrensmangel des Berufungsverfahrens nicht erkannt hat, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der Antrag auf Ersatz von Porto wird abgewiesen, da der Aufwand, der mit der Einbringung der Beschwerde verbunden ist, gemäß der angeführten Verordnung pauschal abgegolten wird und daneben nur die in § 48 Abs. 1 Z. 1, 3 und 4 VwGG genannten Aufwendungen Berücksichtigung finden.

Schlagworte

Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Schutz vor Immissionen BauRallg5/1/6 Planung Widmung BauRallg3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997060008.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten