TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/1 W222 2145602-1

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Veröffentlicht am 01.07.2020
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Entscheidungsdatum

01.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W222 2145602-1/10E
W222 2145602-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. OBREGON als Einzelrichterin über die Beschwerden des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , und XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX und XXXX zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom XXXX , wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Der Beschwerde gegen den Bescheid vom XXXX , wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Zu seinem Antrag wurde der Beschwerdeführer am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab an, am XXXX in Ghazni, Afghanistan geboren zu sein, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und sich zum schiitischen Glauben zu bekennen. Er habe von XXXX die Grundschule besucht und anschließend im Iran ein Jahr als Hilfsarbeiter XXXX gearbeitet. Die Familie des Beschwerdeführers lebe von der Landwirtschaft und besitze ein Haus sowie ein Grundstück. Zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, vor ungefähr einem Jahr habe ihn seine Familie aus Angst vor einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban in den Iran geschickt. Die iranischen Behörden hätten den Beschwerdeführer allerdings vor ungefähr einem Monat wegen seines illegalen Aufenthaltes nach Afghanistan abgeschoben, woraufhin ihn seine Eltern sofort in Richtung Europa geschickt hätten.

In weiterer Folge veranlasste das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Handwurzelröntgen der linken Hand zur Bestimmung des Knochenalters und Tatsachenfeststellung bezüglich der angegebenen Minderjährigkeit. Anhand des Röntgenergebnisses: Schmeling 4, GP 31 konnte nicht zweifelsfrei von der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen werden, weshalb im Anschluss eine Volljährigkeitsbeurteilung durchgeführt wurde und anhand dieser der XXXX als fiktives Geburtsdatum errechnet wurde. Die Differenz zum behaupteten Lebensalter bzw. Geburtsdatum des Beschwerdeführers betrage einen Tag.

Im Zuge der mündlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am XXXX gab der Beschwerdeführer zu seinem Gesundheitszustand an, er sei gesund und nehme keine Medikamente. Er habe im XXXX , im Dorf XXXX gelebt und sei 16 Jahre alt gewesen, als er das erste Mal in den Iran gereist sei. Sein Vater, seine Mutter sowie seine beiden Schwestern und sein Bruder würden nach wie vor im Heimatdorf leben. Seine Familie sei im Besitz von Feldern, auf denen sie Weizen anbauen würden, zwei Obstgärten und zwei Kühen sowie zwei Schafen. Der Familienstand des Beschwerdeführers sei ledig, er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und sei schiitischer Moslem. Hinsichtlich seiner Integration in Österreich führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, er verfüge über keine Verwandten oder sonstigen Beziehungen im Bundesgebiet. Er arbeite manchmal im Bauhof; ein Deutschlehrer komme auch zu ihnen. Hinsichtlich seines Fluchtgrundes führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, er sei von den Taliban belästigt worden. Eines Tages habe ein Talib mit seinem Gewehr auf den Beschwerdeführer gezielt und ihn aufgefordert, ihm sein Handy zu geben. Daraufhin sei der Vater des Beschwerdeführers sehr besorgt gewesen und habe den Beschwerdeführer angefleht, auszureisen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom XXXX wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 idgF ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX (Spruchpunkt III.).

Beweiswürdigend wurde für den hier maßgeblichen Sachverhalt im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei in Afghanistan keinen Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt gewesen und seien auch solche zukünftig nicht zu erwarten.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer am XXXX fristgerecht Beschwerde und machte dabei unrichtige Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Begründend brachte er zusammengefasst vor, er sei von den Taliban persönlich bedroht und verfolgt worden. Die afghanischen Sicherheitsbehörden hätten dem Beschwerdeführer keinen Schutz bieten können, weswegen der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen habe. Abschließend beantragte der Beschwerdeführer unter anderem einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen und eine mündliche Berufungsverhandlung (wohl gemeint: Beschwerdeverhandlung) anzuberaumen.

Die gegenständliche Beschwerde gegen den Bescheid vom XXXX und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX vorgelegt.

Am XXXX fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Prüfung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eine Einvernahme statt, in welcher der Beschwerdeführer im Wesentlichen ausführte, er gehöre der Volksgruppe der Hazara an und gehe jetzt in die Kirche. Er habe seit ungefähr über einem Jahr seinen Glauben gewechselt und seine Taufe finde am XXXX statt. Mit seiner Familie habe der Beschwerdeführer jedoch nicht darüber gesprochen, zumal es für sie schwer sei, das zu akzeptieren. Auf Vorhalt, dass es sich beim vorgebrachten Glaubenswechsel um eine Schutzbehauptung handle, um einen Schutzstatus zu erlangen bzw. zu behalten, gab der Beschwerdeführer an, daran habe er nicht gedacht; er sei davon ausgegangen, dass er ein Visum habe und immer hierbleiben könne. Zum Beweis seines Vorbringens legte der Beschwerdeführer zwei Schreiben der Erzdiözese Wien – XXXX sowie die Zulassung zum Katechumenat vor.

Mit Bescheid vom XXXX wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom XXXX zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), sein Antrag vom XXXX auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst aus, ein Abfall vom Islam sowie eine Konversion zum Christentum lasse sich nicht feststellen. Die vorgelegten Beweismittel würden nur sehr geringe bis keine Beweiskraft entfalten. Die Länderfeststellungen würden eindeutig belegen, dass trotz der Anschläge in Afghanistan eine Rückkehr für einen arbeitsfähigen, jungen Afghanen als zumutbar einzustufen sei. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten würden zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht vorliegen.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer am XXXX fristgerecht Beschwerde und monierte im Wesentlichen, eine wesentliche und nicht nur vorübergehende Änderung der Umstände liege gegenständlich nicht vor. Es sei nicht erkennbar, dass sich die Umstände in Afghanistan in irgendeiner Form wesentlich verändert hätten. Die veränderte Judikatur zu § 8 AsylG 2005 könne nicht dazu führen, dass ohne tatsächlich geänderter (im Sinne von verbesserter) Länderberichtslage bzw. ohne maßgebliche Änderung der persönlichen Umstände des Beschwerdeführers von nicht mehr vorliegenden Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiären Schutz gesprochen werden könne. Die Gründe für die Schutzgewährung würden demnach immer noch vorliegen. Der Beschwerde wurden Integrationsunterlagen sowie eine fachärztliche Bestätigung beigelegt.

Mit Stellungnahme vom XXXX bestritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl das Beschwerdevorbringen und stellte den Antrag, die Beschwerde in allen Punkten als unbegründet abzuweisen.

Die gegenständliche Beschwerde gegen den Bescheid vom XXXX und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX vorgelegt.

Am XXXX langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in welcher er einige Urkunden in Vorlage brachte und eine Verfolgung aus religiösen Gründen sowie aufgrund seiner westlichen Lebensausrichtung geltend machte.

Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Rahmen welcher der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen und zu seinen Lebensumständen in Österreich sowie in Afghanistan befragt wurde.

In der am XXXX öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde der Zeuge XXXX einvernommen. Der Vertreter der belangten Behörde führte in seinem Schlussantrag im Wesentlichen aus, die innere Überzeugung der Konversion sei nicht glaubhaft dargelegt worden, woran auch die Aussagen des Zeugen nichts ändern könnten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er ist ledig sowie kinderlos und seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX geboren und ist in der Provinz Ghazni, im XXXX aufgewachsen, wo er auch acht Jahre die Schule besucht hat. Seine Kernfamilie besteht aus seinen Eltern und seinen zwei Schwestern. Der jüngere Bruder des Beschwerdeführers ist ungefähr im Jahr 2019 nach langer Krankheit verstorben. Die Familie des Beschwerdeführers lebt von der Bewirtschaftung der eigenen Landwirtschaft. Auch der Beschwerdeführer hat während seiner Schulzeit seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen. Nachdem er die Schule verlassen hat, ist er in den Iran gereist, wo er ein Jahr in einem XXXX gearbeitet hat. Allerdings wurde der Beschwerdeführer wegen seines illegalen Aufenthaltes nach Afghanistan abgeschoben, woraufhin er sich ungefähr ein bis zwei Wochen wieder im Elternhaus aufgehalten hat, ehe er erneut aus Afghanistan ausgereist ist.

Am XXXX stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Während seines Aufenthaltes hat der Beschwerdeführer insbesondere an Deutschkursen teilgenommen, zuletzt auf dem Sprachniveau B1, und die Prüfungen für das ÖSD-Zertifikat auf dem Sprachniveau A1 und A2 sowie die ÖIF-Prüfung auf dem Sprachniveau A1 absolviert.

Der Beschwerdeführer begann sich im Laufe seines Aufenthaltes in Österreich für den christlichen Glauben zu interessieren, besuchte seit XXXX regelmäßig den Taufvorbereitungskurs, nimmt jeden XXXX an einem Treffen der XXXX teil, in dessen Rahmen über den Glauben gesprochen und gebetet wird, und besucht regelmäßig Gottesdienste. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX getauft.

Es kann davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung vom islamischen Glauben zum Christentum konvertiert ist. Es ist nicht anzunehmen, dass er bereit ist, seinen christlichen Glauben – insbesondere auch nicht in islamischer Umgebung (wie in seinem Herkunftsstaat Afghanistan) – zu verleugnen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Zur Situation der Konvertiten in Afghanistan wird Folgendes festgestellt:

Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (USDOS 21.6.2019).

Anmerkung: Zu Konversion, Apostasie und Blasphemie siehe Unterabschnitt Fehler! Textmarke nicht definiert..

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 21.6.2019).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 21.6.2019). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 21.6.2019).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 21.6.2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juli_2019%29%2C_02.09.2019.pdf, Zugriff 11.9.2019

-        BBC (11.4.2019): Afghanistan’s one and only Jew, https://www.bbc.com/news/av/world-asia-47885738/afghanistan-s-one-and-only-jew, Zugriff 2.9.2019

-        CIA – Central Intelligence Agency (30.4.2019): The World Factbook – Afghanistan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html, Zugriff 2.5.2019

-        FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004321.html, Zugriff 3.5.2019

-        ICRC – International Committee of the Red Cross (o.D.): National Implementation of IHL, https://ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/ihl-nat.nsf/implementingLaws.xsp?documentId=598034855221CE85C12582480054D831&action=openDocument&xp_countrySelected=AF&xp_topicSelected=GVAL-992BU6&from=state&SessionID=DNMSXFGMJQ, Zugriff 2.9.2019

-        UP – Urdu Point (16.8.2019): Afghanistan's Only Jew Has No Plans To Emigrate, Says Lives 'Like A Lion Here', https://www.urdupoint.com/en/world/afghanistans-only-jew-has-no-plans-to-emigra-691600.html, Zugriff 2.9.2019

-        USDOS – U.S. Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2019/05/AFGHANISTAN-2018-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 24.6.2019

-        USDOS – U.S. Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/1436774.html, Zugriff 2.9.2019

-        USE – U.S. Embassy in Afghanistan (o.D.): Marriage, https://af.usembassy.gov/u-s-citizen-services/local-resources-of-u-s-citizens/marriage/, Zugriff 3.5.2019

Christentum und Konversion zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha‘i, Hindus und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 21.6.2019). USDOS schätzte im Jahresbericht zur Religionsfreiheit 2009 die Größe der geheimen christlichen Gemeinschaft auf 500 bis 8.000 Personen (USDOS 26.10.2009). Religiöse Freiheit für Christen in Afghanistan existiert; gemäß der afghanischen Verfassung ist es Gläubigen erlaubt, ihre Religion in Afghanistan im Rahmen der Gesetze frei auszuüben. Dennoch gibt es unterschiedliche Interpretationen zu religiöser Freiheit, da konvertierte Christen im Gegensatz zu originären Christen vielen Einschränkungen ausgesetzt sind. Religiöse Freiheit beinhaltet nicht die Konversion (RA KBL 1.6.2017).

Tausende ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 1.6.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 2.9.2019). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken (USDOS 21.6.2019).

Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. Zur Zahl der Konvertiten gibt es keine Statistik. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden (RA KBL 1.6.2019).

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 2.9.2019; vgl. USCIRF 4.2018, USDOS 21.6.2019), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 21.6.2019; vgl. AA 2.9.2019). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (WA 11.12.2018; vgl. AA 2.9.2019). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017).

Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Es gibt keine Berichte zu staatlicher Verfolgung aufgrund von Apostasie oder Blasphemie (USDOS 21.6.2019).

Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und missionieren (USDOS 21.6.2019). Ein christliches Krankenhaus ist seit 2005 in Kabul aktiv (CURE 8.2018); bei einem Angriff durch einen Mitarbeiter des eigenen Wachdienstes wurden im Jahr 2014 drei ausländische Ärzte dieses Krankenhauses getötet (NYP 24.4.2014). Auch gibt es in Kabul den Verein „Pro Bambini di Kabul“, der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht. Dieser betreibt eine Schule für Kinder mit Behinderung (PBdK o.D.; vgl. AF 4.1.2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juli_2019%29%2C_02.09.2019.pdf, Zugriff 11.9.2019

-        AF – Agenzia Fides (4.1.2019): ASIA/AFGHANISTAN - A new missionary sister in Kabul, http://www.fides.org/en/news/65337-ASIA_AFGHANISTAN_A_new_sister_of_the_Missionaries_of_Charity_in_Kabul, Zugriff 6.5.2019

-        CURE (8.2018): An Introduction to CURE INTERNATIONAL - August 2018 Edition - Statistics from Fiscal Year 2018, https://cure.org/downloads/site/brand/cure-white-paper.pdf, Zugriff 6.5.2019

-        KatM KBL – Vertreter der katholischen Mission in Afghanistan mit Sitz in Kabul (8.11.2017): Informationen zur katholischen Mission in Afghanistan. Antwortschreiben, liegt bei der Staatendokumentation auf

-        LIFOS - Center för landinformation och landanalys inom migrationsområdet (21.12.2017): Temarapport: Afghanistan –Kristna, apostater och ateister, https://www.ecoi.net/en/file/local/1420820/1226_1515061800_171221551.pdf, Zugriff 6.5.2019

-        NYP – New York Post, The (24.4.2014): http://nypost.com/2014/04/24/3-foreigners-killed-in-attack-at-afghan-hospital/, Zugriff 6.5.2019

-        PBdK - Pro Bambini di Kabul (o.D.): Chi Siamo, http://www.probambinidikabul.org/chi-siamo/, Zugriff 6.5.2019

-        RA KBL – Lokaler Rechtsanwalt in Kabul (1.6.2017): Auskunft per E-Mail.

-        USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2018): United States Commission on International Religious Freedom 2018 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435655/1930_1529393896_tier2-afghanistan.pdf, Zugriff 6.5.2019

-        USDOS – U.S. Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2019/05/AFGHANISTAN-2018-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 24.6.2019

-        USDOS – US Department of State (26.10.2009): International Religious Freedom Report 2009 – Afghanistan, https://www.state.gov/j/drl/rls/irf/2009/127362.htm, Zugriff 6.5.2019

-        WA – Worldatlas (11.12.2018): Religious Beliefs In Afghanistan, https://www.worldatlas.com/articles/religious-beliefs-in-afghanistan.html, Zugriff 6.5.2019

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Pkt I. angeführte Verfahrensgang sowie die Feststellungen zum Verfahrensablauf ergeben sich aus dem Akteninhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, seinem Geburtsdatum, seiner Muttersprache, seiner Familie, seiner Schulbildung und seinen Lebensumständen in Afghanistan basieren auf den Angaben des Beschwerdeführers vor der Verwaltungsbehörde sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht. Da das vom Beschwerdeführer angegebene Geburtsdatum lediglich einen Tag vom errechneten fiktiven Geburtsdatum des Sachverständigen abweicht (vgl. AS 51 ff), konnte dieses den Feststellungen zugrunde gelegt werden. Der Beschwerdeführer hat im Verfahren keine Dokumente zu seiner Identität vorgelegt, weshalb jene Feststellungen ausschließlich für die Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren gelten. Die Feststellungen zu seinem Familienstand ergeben sich ebenfalls aus seinen Angaben im Verfahren.

Die Feststellungen zur Teilnahme an den unter Pkt. II.1. genannten Kursen sowie zur Absolvierung der Deutschprüfungen auf dem Sprachniveau A1 und A2 ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom XXXX (vgl. OZ 7 S. 13) sowie aus der Vorlage der ÖSD-Zertifikate vom XXXX und des Schreibens des XXXX betreffend die Übermittlung des Zeugnisses für die Prüfung am XXXX .

Dass der Beschwerdeführer in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus dem amtswegig eingeholten Strafregisterauszug.

Aus den vorgelegten Beweismitteln sowie der hg. Einvernahme des Beschwerdeführers und des Zeugen XXXX , ergibt sich, dass der Beschwerdeführer ein fortgesetztes Interesse und einen Willen zur Ausübung des christlichen Glaubens hat. Angesichts der Aussagekraft der vorgelegten unbedenklichen Beweismittel (Taufschein vom XXXX , Schreiben der Erzdiözese Wien – XXXX sowie die Zulassung zum Katechumenat) ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung vom Islam zum Christentum konvertiert und die Konversion nicht bloß zum Schein erfolgt ist:

Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die den Verdacht einer Schein-Konversion aufkommen lassen würden. Die aktive Teilnahme des Beschwerdeführers am Gemeindeleben und seine Taufe wurden durch die vorgelegten schriftlichen Beweismittel bestätigt (vgl. dazu vor allem den Taufschein vom XXXX und die Aussage des Zeugen XXXX [OZ 9 S. 4 f]). Im Hinblick auf seine Religionsausübung sind auch keine sonstigen Indizien für eine wahrheitswidrige Darstellung hervorgekommen. Der Beschwerdeführer ist faktisch und für Dritte wahrnehmbar zum christlichen Glauben konvertiert. Dafür, dass dies auch von innerer Überzeugung getragen ist, sprechen insbesondere die Angaben des Zeugen XXXX im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wonach der Beschwerdeführer seinen Glauben gefunden habe und bereit für die Taufe gewesen sei (OZ 9 S. 3). Diese Ausführungen werden zudem durch den persönlichen Eindruck des Beschwerdeführers bestätigt, den die erkennende Richterin im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewinnen konnte (vgl. die Beschwerdeverhandlung vom XXXX [OZ 7]). So vermochte der Beschwerdeführer darzulegen, dass er sich intensiv mit dem christlichen Glauben beschäftigt, beantwortete – unter Berücksichtigung seines Bildungsniveaus – mehrere an ihn gerichtete Wissensfragen zum Christentum konkret und gab darüber hinaus beispielsweise das Vaterunser vollständig wieder (vgl. OZ 7 S. 7 ff). Ferner wurde durch den Zeugen XXXX der regelmäßige Besuch des Beschwerdeführers von Gemeindeveranstaltungen, kirchlicher Gottesdienste sowie der Taufvorbereitung bestätigt. Dass der Beschwerdeführer auch nach der Taufe regelmäßig an Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen teilnimmt, wurde ebenso glaubhaft bezeugt und bestätigt (vgl. OZ 7 S. 13; OZ 9 S. 4). Auf Grund der Lebensumstände des Beschwerdeführers kann davon ausgegangen werden, dass die Tatsache der Konversion zum Christentum über das persönliche Umfeld des Beschwerdeführers hinaus bekannt geworden ist. Er gab in diesem Zusammenhang in der mündlichen Beschwerdeverhandlung insbesondere an, dass er seiner Familie von seiner Konversion erzählt habe und sein Vater ihn aus diesem Grund enterben wollen würde (vgl. OZ 7 S. 14).

Nach Ansicht des erkennenden Gerichtes besteht in einer Gesamtschau daher kein Grund, an der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers in Bezug auf seine Konversion zum Christentum zu zweifeln.

Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Der Beschwerdeführer ist den Länderberichten inhaltlich nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht unter anderem über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Z 1).

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2018/57, geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Seine Entscheidung hat es an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gegebenen Sach- und Rechtslage auszurichten (vgl. VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).

Zu A) I.:

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides vom 23.12.2016:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; siehe auch unlängst VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Es ist dem Beschwerdeführer gelungen, drohende Verfolgung glaubhaft zu machen: Aus den Feststellungen ergibt sich, dass er als Konvertit Verfolgung durch afghanische Behörden, aber auch durch andere Personen (Geistliche, Familienangehörige etc.) fürchten muss, wenn sein Abfall vom Islam und seine Konversion zum Christentum bekannt werden. Damit ist aber jedenfalls zu rechnen, zumal auch bereits Beweise vorliegen, wie beispielsweise die Taufurkunde des Beschwerdeführers, die unschwer nach Afghanistan gelangen könnten. Es ist ferner davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer sich auch in Afghanistan dem christlichen Glauben entsprechend zu verhalten und darüber zu sprechen beabsichtigt. Die Ernsthaftigkeit dieser Absicht ist den Feststellungen zugrunde gelegt worden.

Gemäß den Länderfeststellungen haben Konvertiten in Afghanistan mit sozialer Ausgrenzung und Gewalt (insbesondere) durch Familien- und Gemeinschaftsangehörige und durch die Taliban sowie mit strafrechtlicher Verfolgung bis hin zur Todesstrafe zu rechnen.

Diese Verfolgung, die der Beschwerdeführer zu befürchten hat, wurzelt in einem der in der GFK genannten Gründe, nämlich in seiner Religion (zur einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die eine asylrelevante Verfolgung wegen Apostasie unter bestimmten Voraussetzungen bejaht hat siehe VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395, mwN). Sie ist auch nicht etwa auf einen bestimmten Landesteil beschränkt, da ihm die Entdeckung als Christ überall droht. Eine inländische Fluchtalternative kommt daher für den Beschwerdeführer nicht in Frage.

Nach den Feststellungen zu Afghanistan kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer ausreichender staatlicher Schutz zuteilwürde, weil die Verfolgung auch von staatlichen Stellen ausgehen kann und die Behörden daher jedenfalls nicht als schutzwillig anzusehen sind.

Zusammenfassend ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb Afghanistans aufhält und dass auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 12.11.2015 und damit vor dem 15.11.2015 gestellt wurde; die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 („Asyl auf Zeit“) finden daher gemäß § 75 Abs. 24 leg.cit. im vorliegenden Fall keine Anwendung.

3.2. Zum Antrag, einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen:

Der Beschwerdeführer beantragte in seiner Beschwerde unter Pkt. c) einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation in Afghanistan befasse (vgl. AS 195).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen (vgl etwa VwGH 22.02.2017, Ra 2016/19/0229, mwN).

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens war bereits aufgrund der durch die umfassenden Länderberichte ausreichend geklärten Sachlage nicht erforderlich.

Zu A) II.:

Aufgrund der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Beschwerdeführer (siehe dazu die Ausführungen unter Pkt. A) I.), war der angefochtene Bescheid vom 12.11.2019, mit dem das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den mit Bescheid vom 23.12.2016 zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannte, ersatzlos zu beheben.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Apostasie asylrechtlich relevante Verfolgung gesamtes Staatsgebiet Konversion Nachfluchtgründe Religion Schutzunwilligkeit staatliche Verfolgung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W222.2145602.1.00

Im RIS seit

04.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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